Andreas Ehrholdt

deutscher Aktivist

Andreas Ehrholdt (* 19. September 1961 in Genthin; † 25. Mai 2023) war ein deutscher Aktivist. Er gilt als Initiator der Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau („Hartz-IV-Demonstrationen“), die im Jahr 2004 bundesweit stattfanden.

Andreas Ehrholdt wuchs in der DDR auf und besuchte eine Polytechnische Oberschule. 1978 beendete er seine schulische Ausbildung und ließ sich dann als zukünftiger Berufssoldat von der NVA anwerben. In Verbindung damit begann er zunächst eine Ausbildung als Elektromaschinenbauer, die er jedoch 1979 aufgrund seiner veränderten politischen Einstellungen abbrach. Von 1979 bis 1989 arbeitete er als Transportarbeiter bei der Deutschen Reichsbahn. Als er die DDR in den Westen verlassen wollte und einen Ausreiseantrag stellte, unterlag er fortan Repressalien und wurde unter anderem aus der SED ausgeschlossen. Nachdem mehrere Fluchtversuche misslangen, gelang ihm schließlich 1989 über die Botschaft in Budapest die Flucht in die Bundesrepublik Deutschland. Ehrholdt kehrte jedoch schon zwei Monate nach dem Mauerfall in seine ostdeutsche Heimat zurück, wo er auch die Wiedervereinigung Deutschlands erlebte. Eine spätere Teilnahme an einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme musste Ehrholdt beenden, als er in seiner Freizeit einen Unfall erlitten hatte. Nachdem er aus anderen gesundheitlichen Gründen keine körperlich schwere Arbeit mehr verrichten konnte, erfolgte eine Umschulung zum Bürokaufmann, die er Mitte der 1990er Jahre abschloss. Trotz zahlreicher Bemühungen konnte Ehrholdt jedoch keine Arbeitsstelle finden und blieb jahrelang arbeitslos. Er versuchte mehrmals, sich als Selbstständiger eine Existenz aufzubauen, so 2001 im Bereich der Finanzdienstleistungen und 2004 als freier Journalist; hatte damit jedoch keinen dauerhaften Erfolg.[1]

Ehrholdt war zwei Jahre lang Mitglied der CDU und kandidierte 1998 erfolglos auf der Liste der Mittelstandspartei für den Landtag in Sachsen-Anhalt.[2]

 
Anti-Hartz-IV-Demonstration (hier im Oktober 2004 in München)

2004 beschloss Ehrholdt, der zusammen mit seiner Schwester noch bei seinen Eltern in der nahe bei Magdeburg gelegenen und damals noch selbstständigen Gemeinde Woltersdorf lebte, eine öffentliche Protestaktion gegen die durch das Hartz-Konzept bedingten Arbeitsmarktreformen ins Leben zu rufen. Mit Hilfe von selbst gefertigten Plakaten rief er im Juli 2004 in Magdeburg unter dem Motto „Schluss mit Hartz IV, denn heute wir und morgen ihr“ zu Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau auf. Die Wahl des Wochentags und die entsprechende Bezeichnung lehnten sich an frühere „Montagsaktionen“ gegen die zunehmende Arbeitslosigkeit und die Reduzierung von Sozialleistungen der öffentlichen Hand an, wobei die Analogie zu den Montagsdemonstrationen 1989 und der friedlichen Revolution in der DDR später teils auch auf Kritik stieß. Zur ersten Montagsdemo in Magdeburg am 26. Juli 2004 kamen etwa 600 Bürger; eine Woche später waren es bereits 6.000 Teilnehmer und die höchste Teilnehmerzahl lag in Magdeburg bei etwa 15.000[3]. Der Protest weitete sich rasch aus und griff auf zahlreiche Städte in ganz Deutschland über. Ehrholdt geriet dabei mit in den Blickpunkt der Berichterstattung in den Massenmedien und wurde so in der Öffentlichkeit zu einer Symbolfigur des Widerstands.[1][4][5]

Ehrholdt gründete im Oktober 2004 in Magdeburg die Partei Freie Bürger für Soziale Gerechtigkeit (FBSG), deren Vorsitzender er wurde.[3] Die Partei trat nie zu einer Wahl an und wurde wieder aufgelöst.[6] Ende der 2000er Jahre wurde Ehrholdt Mitglied der Linken. Er blieb bis Ende der 2000er Jahre bei den Magdeburger Montagsdemos aktiv und engagierte sich auch bei anderen Protestaktionen gegen Sozialabbau.[7][8]

2011 veröffentlichte Ehrholdt, der inzwischen infolge gesundheitlich bedingter Erwerbsunfähigkeit eine Rente bezog, im österreichischen Book-on-Demand-Verlag Novum ein autobiografisches Buch mit dem Titel Ihr habt euch selbst verraten.[5]

Öffentliche Wahrnehmung und Rezeption

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Im Zuge der Ausweitung der von ihm initiierten Magdeburger Protestaktionen auf ganz Deutschland wurde der „Montagsdemo-Gründer“[9] Ehrholdt zum „Helden von Magdeburg“[1], „zur Speerspitze der Hartz-Proteste“[9] und zur „Symbolfigur der politischen Unzufriedenheit“[5]. Zahlreiche Fernsehsender, Radiostationen und Zeitungsredaktionen aus dem In- und Ausland berichteten über ihn, insbesondere im Jahr 2004, teils aber auch in den Folgejahren bis in die Gegenwart (2011).[5] So erschienen entsprechende – und meistens mehrmalige – Berichterstattungen unter anderem in der Financial Times Deutschland (FTD)[10], der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS)[11], der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ)[12], der italienischen Wochenzeitschrift Panorama[13], der Rheinischen Post (RP)[14], der Süddeutschen Zeitung (SZ)[15], der tageszeitung (taz)[16] und der britischen Wochenzeitung The Economist[17]; im Handelsblatt[18] und im Spiegel[19]; sowie auf FAZ.NET[20], auf Spiegel Online[21] und auf stern.de[22].

Der US-amerikanische Historiker und Professor Jerry Harris von der DeVry University in Chicago setzte sich in seinem 2005 im englischsprachigen Internetmagazin cyRev veröffentlichten Leitartikel mit dem Titel Globalisation and Class Struggle in Germany (deutsch: „Die Globalisierung und Klassenkampf in Deutschland“) u. a. auch mit Ursachen und Auswirkungen der Montagsdemonstrationen 2004 in Deutschland auseinander und zitierte dabei Ehrholdt: „We do not need charity, we need work“ (deutsch: „Wir brauchen keine Almosen, wir brauchen Arbeit“).[23]

Der Filmemacher Martin Keßler porträtierte in seinem 2005 produzierten Dokumentarfilm Neue Wut I – Vereinzelter Protest oder neue soziale Bewegung? u. a. auch in mehreren Einzelbeiträgen den „Montagsdemo-Initiatoren“ Andreas Ehrholdt. (Siehe Abschnitt Film)

Der Politikwissenschaftler Roland Roth und der Soziologe Dieter Rucht befassten sich in ihrer Einleitung des von ihnen herausgegebenen und 2008 beim Frankfurter Campus-Verlag erschienenen Sachbuchs Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945, u. a. auch mit Andreas Ehrholdt – als exemplarisches Beispiel für „einzelne ‚Bewegungsunternehmer‘, die mit persönlichem Einsatz Proteste auslösen können, wenn entsprechende Gelegenheitsfenster offenstehen und die allgemeine Stimmungslage günstig ist“.[24]

Publikationen

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  • Neue Wut I – Vereinzelter Protest oder neue soziale Bewegung? Dokumentarfilm, Regie: Martin Keßler, Produktion: Martin Keßler Filmproduktion, Deutschland 2005, Länge: 90 Minuten (Inhaltskurzangabe: Der 2003/2004 gedrehte Dokumentarfilm berichtet über „neue Wellen sozialer Proteste […] seit Herbst 2003“ in Deutschland und zeigt Porträts und Interviews von bzw. mit „Menschen, die von sozialen Kürzungen oder Lohneinbußen betroffen sind oder seit Jahren keine Arbeit mehr finden und sich wehren“, darunter auch Andreas Ehrholdt.[25]).
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Einzelnachweise

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  1. a b c Robert Baumgarten: Der Held von Magdeburg. Acht Jahre arbeitslos. In: der Freitag vom 13. August 2004. Abgerufen am 18. April 2012.
  2. Christine Böhringer: Der weiß was das Volk will (Memento vom 28. Januar 2016 im Internet Archive). In: Sächsische Zeitung vom 11. August 2004. Abgerufen am 18. April 2012.
  3. a b Dorothée Junkers: Anti-Hartz-Demos. Nach dem Protestsommer die Selbstzerfleischung. Auf: Spiegel Online vom 19. November 2004. Abgerufen am 20. April 2012.
  4. Aktion Agenturschluss (Hrsg.): Schwarzbuch Hartz IV. Sozialer Angriff und Widerstand – eine Zwischenbilanz. Assoziation A, Berlin 2006, ISBN 3-935936-51-6.
  5. a b c d Barbara Bollwahn: Buch eines Protest-Bürgers. Herr Ehrholdt empört sich. In: taz vom 1. April 2011. Abgerufen am 20. April 2012.
  6. Agenda 2010. Immer wieder montags gegen Hartz IV (Memento vom 2. August 2012 im Webarchiv archive.today). In: Financial Times Deutschland vom 16. Januar 2010. Abgerufen am 20. April 2012.
  7. Steffen Reichert: Montagsdemos in Magdeburg. Einsam in der kalten Nacht. In: Mitteldeutsche Zeitung vom 11. April 2005. Abgerufen am 7. Juli 2021.
  8. Steffen Könau: Montagsdemos. Der Mutbürger. In: Mitteldeutsche Zeitung vom 8. Juli 2011. Abgerufen am 8. Juli 2021.
  9. a b Interview mit Montagsdemo-Gründer. „Wir marschieren weiter“. Auf: Spiegel Online vom 29. September 2004. Abgerufen am 20. April 2012.
  10. Vgl. „Trefferliste“ beim FTD-Archiv: 2 Treffer, d. h. 2 verschiedene Berichte in der Financial Times Deutschland (FTD) von 2004 und 2010 (Memento vom 1. August 2012 im Webarchiv archive.today). Auf: FTD.de. Abgerufen am 20. April 2012.
  11. Siehe Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom August 2007 (Memento vom 2. November 2013 im Internet Archive). Auf: FAZ.NET. Abgerufen am 20. April 2012.
  12. Vgl. „Trefferliste“ beim NZZ-Archiv: @1@2Vorlage:Toter Link/nzz.gbi.de3 verschiedene Berichte in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) von 2004 (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im August 2018. Suche in Webarchiven). Auf: NZZ Online. Abgerufen am 20. April 2012.
  13. Siehe Good-bye Schröder (Memento vom 8. Juli 2012 im Webarchiv archive.today). Auf: Website von Panorama. Abgerufen am 20. April 2012.
  14. Vgl. „Trefferliste“ beim RP-Archiv: @1@2Vorlage:Toter Link/www.rp-online.de2 verschiedene Berichte in der Rheinischen Post von 2004 (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2019. Suche in Webarchiven). Auf: RP Online. Abgerufen am 20. April 2012.
  15. Vgl. „Trefferliste“ beim SZ-Archiv: @1@2Vorlage:Toter Link/archiv.sueddeutsche.deAndreas Ehrholdt → 6 verschiedene Berichte in der Süddeutschen Zeitung von 2004 (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2018. Suche in Webarchiven). Auf: Süddeutsche.de. Abgerufen am 20. April 2012.
  16. Vgl. „Trefferliste“ beim taz-Archiv: 21 Treffer, d. h. 21 verschiedene Berichte von 2004, 2005 und 2011. Auf: taz Online. Abgerufen am 20. April 2012.
  17. Siehe Englischsprachiger Bericht in The Economist vom August 2004. Auf: Website von The Economist. Abgerufen am 20. April 2012.
  18. Vgl. „Trefferliste“ beim Handelsblatt-Archiv: 6 Treffer, d. h. 6 verschiedene Berichte im Handelsblatt von 2004. Auf: Handelsblatt.com. Abgerufen am 20. April 2012.
  19. Vgl. „Trefferliste“ beim Spiegel-Archiv: 3 Treffer, d. h. 3 verschiedene Berichte im Spiegel von 2004. Auf: Spiegel Online. Abgerufen am 20. April 2012.
  20. Siehe Bericht auf FAZ.NET vom August 2004. Auf: FAZ.NET. Abgerufen am 20. April 2012.
  21. Vgl. „Trefferliste“ beim Spiegel-Archiv: 5 Treffer, d. h. 5 verschiedene Berichte auf Spiegel Online von 2004. Auf: Spiegel Online. Abgerufen am 20. April 2012.
  22. Vgl. „Trefferliste“ beim stern.de-Archiv: 2 Treffer, d. h. 2 verschiedene Berichte auf stern.de von 2004@1@2Vorlage:Toter Link/wefind.stern.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Juni 2023. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.. Auf: stern.de. Abgerufen am 20. April 2012.
  23. Jerry Harris: Globalisation and Class Struggle in Germany. In: cyRev – A Journal of Cybernetic Revolution, Sustainable Socialism, and Radical Democracy. Englisch, abgerufen am 20. April 2012.
  24. Roland Roth, Dieter Rucht (Hrsg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-593-38372-9, S. 26 (eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  25. Vereinzelter Protest oder neue soziale Bewegung? Dokumentarfilm von Martin Keßler (2005, 90 Minuten) (Memento vom 11. Februar 2013 im Webarchiv archive.today). Auf: Website zum Film, www.neuewut.de. Abgerufen am 18. April 2012.