Angela Laurier
Angela Laurier (* 4. Februar 1962 in Terrace; † 19. Mai 2024 in Tollevast) war eine kanadische Zirkuskünstlerin, Kontorsionistin und Regisseurin, die 1984 als Artistin Teil der ersten Produktion von Cirque du Soleil war. Ab den 1990er Jahren arbeitete Laurier mehrheitlich in Europa mit verschiedenen Zirkuskompanien und an Varietés, erhielt aber auch Engagements am Theater. 1992 trat sie in der Rolle des Puck in einer Inszenierung des Sommernachtstraums von dem kanadischen Regisseur Robert Lepage im Royal National Theatre in London auf. 2006 gründete sie in Frankreich die Compagnie Angela Laurier, mit der sie zwischen 2007 und 2017 Stücke kreierte, die sie auch international tourte. 2013 wurde sie für ihr Schaffen von der französischen Autorengesellschaft SACD mit dem Preis im Bereich der Zirkuskünste ausgezeichnet. Angela Laurier zählt zu den Pionierinnen des zeitgenössischen Zirkus in Frankreich und prägte mit ihrer Praxis sowohl Arbeitsweisen wie auch die Disziplin der Kontorsion.[1]
Leben und Schaffen
BearbeitenAls Angela Laurier fünf Jahre alt war, zog ihre Familie von British Columbia und die Stadt Québec. Bereits als Kind und Jugendliche trainierte Laurier Gymnastik auf Wettbewerbsniveau und nahm Akrobatik-, Tanz-, Schauspiel- und Gesangsunterricht. Mit 13 Jahren trat sie in der musikalischen Komödie Les Enfants du Ciel von Michel Conte auf[2] (unter dem gleichnamigen Titel wurde auch ein Album veröffentlicht[3]) sowie während vier Jahren in der kanadischen Fernsehserie Pop Citrouille.[4] Als 18-Jährige entdeckte sie, nachdem sie den Auftritt einer chinesischen Kontorsionistin gesehen hatte, die Kontorsion für sich.[5] Kontorsion ist eine Form von Akrobatik, bei welcher der Körper in extreme Positionen verdreht wird. Sie erfordert eine hohe körperliche Flexibilität sowie ein langes und konstantes Training.[6]
Von 1979 bis 1983 arbeitete Laurier für die von Michel Barette gegründete Straßentheatergruppe L’Escouade de l’instant tanné.[7] 1983 schloss sie sich in Québec der belgischen Straßentheatergruppe Cirque du Trottoir an. 1984 wurde sie als Kontorsionistin Teil des ersten Programms vom frisch gegründeten Cirque du Soleil. Mit dem damals noch viel kleineren, aber rasch erfolgreichen kanadischen Zirkus war sie bis 1988 auf Tournee.[5] Laurier sah den Wachstum des Zirkusunternehmens kritisch,[8] beendete dann ihren Vertrag und ging nach Europa.
Dort arbeitete sie unter anderem am Tigerpalast Varieté in Frankfurt am Main mit einer Darbietung am Vertikalseil.[5] Es folgten diverse Engagements am Theater, etwa 1992 in der Rolle von Puck in A Midsummer Night’s Dream von William Shakespeare, inszeniert von Robert Lepage am Royal National Theater in London.[9] Oder sie spielte eine Rolle in einer Romanadaption von The Bridge (Iain Banks) vom kanadischen Theaterregisseur Jean-Frédéric Messier.[7] In Deutschland und Frankreich trat sie als Mitglied des deutsch-französischen Rockzirkus Gosh auf.[10] Ende der 1990er Jahr ließ sich Laurier definitiv in Frankreich nieder. Dort folgten 2001 Stückentwicklungen mit dem Theaterregisseur David Noir.[7][10] In den Inszenierungen des Tänzers und Choreographen François Verret spielte sie unter anderem am Festival d’Avignon.[11] 2002 trat sie außerdem in dem Opern-Zirkus Sama Samaruck suck suck von Carlos Santos auf.[12]
Bereits 1988, nach der Beendigung ihrer Arbeit beim Cirque du Soleil, hatte Angela Laurier ein Konzept für ein eigenes Stück geschrieben, in dem es um ihre Familie und vor allen Dingen um ihren Bruder geht. Als Kind wurde sie von ihrem großen Bruder Dominique Laurier zum Gymnastik-Unterricht begleitet.[5] Zeitgleich zu ihren Anfängen als Kontorsionistin musste sich ihr Bruder aufgrund einer Schizophrenie-Erkranung in die Psychiatrie begeben.[13] 1999 schrieb Angela Laurier das Stück Mon Grand Frère (dt. „Mein großer Bruder“), das im Rahmen der Compagnie Contre Pour von Michel Dallaire inszeniert wurde.[10]
Während einer Residenz in La Brèche, einem öffentlich-geförderten Zirkuskreationsort in Cherbourg, traf sie 2004 auf den Soundingenieur und Musiker Manuel Pasdelou. Gemeinsam mit ihm gründete Angela Laurier 2006 ihre eigene Kompanie (Compagnie Angela Laurier).[14] Im Rahmen der Kompanie erarbeitete sie Künstlerin die Trilogie Déversoir (2008), J’aimerais pouvoir rire (2010) und L’Angela Bête (2012).[12][15] Déversoir und J’aimerais pouvoir rire drehen sich um ihren Bruder Dominique Laurier. Gemeinsam mit Manuel Pasdelou gelang es mit ihrem Bruder, der inzwischen seit über zwanzig Jahren in einer psychiatrischen Klinik lebt, ein Stück zu erarbeiten mit Livemusik, dokumentarischen Videoelementen, Lichtprojektionen und Bewegungsteilen. Im Stück standen die Künstlerin und ihr Bruder zusammen auf der Bühne. Auf die Premiere im Kulturzentrum Les Subsitances in Lyon folgte eine mehrmonatige internationale Tourneephase.[5][10][13] Im Jahr 2010 hatte das Stück J’aimerais pouvoir rire, inszeniert von der Schauspielerin und Schwester Lucie Laurier, Premiere am Théâtre National de Chaillot in Paris.[10][16] Es folgten ebenfalls zahlreiche internationale Gastspiele. In der Inszenierung L’Angela Bête (2012) verhandelte Laurier dann ihre Anfänge auf und hinter der Bühne als Kind und Jugendliche.[17] Der Titel des Stücks ist ein Wortspiel: Das Angela Tier (bête frz. für „Tier“), oder als l’ange et la bête für „der Engel und das Tier“.[5][18]
2013 wurde Angela Laurier für ihr Schaffen von der französischen Autorengesellschaft SACD mit dem Preis im Bereich der Zirkuskünste ausgezeichnet.[19] Es folgten verschiedene eigene Arbeiten und Engagements, unter anderem war Angela Laurier Teil der Produktionen Talk Show von Gaël Santisteva und La fille du collectionneur von Théo Mercier.[20][21] Darüber hinaus war sie immer wieder als Gastdozentin am Centre National des Arts du Cirque (CNAC) in Châlons-en-Champagne tätig oder gab Workshops in Gefängnissen.[7][22]
62-jährig nahm sich Angela Laurier im Mai 2024 in Frankreich das Leben.[23] Ehemalige Berufskollegen und Wegbegleiter bezeichnen sie als starke, mutige und äußerst engagierte Künstlerin.[1]
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b Catherine Lalonde: L’ultime acrobatie d’Angela Laurier. 21. Mai 2024, abgerufen am 14. Februar 2025 (französisch).
- ↑ Québec Info Musique | Michel Conte. Abgerufen am 14. Februar 2025.
- ↑ Michel Conte / Angela Laurier / Mark Conte - Les Enfants Du Ciel. 1977, abgerufen am 14. Februar 2025 (französisch).
- ↑ André Cartier, Denyse Chartier, Ghyslain Tremblay: Pop Citrouille. Société Radio-Canada, 7. September 1979, abgerufen am 14. Februar 2025.
- ↑ a b c d e f Mirjam Hildbrand: «Ich hatte das Bedürfnis zu erzählen – von Dingen, Menschen und Geschichten, die ich seit Langem in mir trage.» Angela Laurier im Porträt von Mirjam Hildbrand. In: Tim Behren, Jenny Patschovsky und CircusDanceFestival (Hrsg.): Theater der Zeit. Arbeitsbuch 31. Theater der Zeit, Berlin 2022, ISBN 978-3-95749-431-3, S. 83–85.
- ↑ What is a Contortionist? | Blog | Cirque du Soleil. 11. Oktober 2024, abgerufen am 14. Februar 2025 (englisch).
- ↑ a b c d Françoise Boudreault: Le corps exultant d’Angela Laurier. In: Jeu : revue de théâtre. Nr. 150, 2014, ISSN 0382-0335, S. 90–91 (erudit.org [abgerufen am 14. Februar 2025]).
- ↑ The Blink Age: Contortion and Commentary - Angela Laurier's Concerns about Cirque Du Soleil [1988]. In: YouTube.com. 11. Mai 2020, abgerufen am 14. Februar 2025.
- ↑ THEATRE / The watered-down version: Robert Lepage's new National. 30. Juni 1992, abgerufen am 14. Februar 2025 (englisch).
- ↑ a b c d e Angela Laurier | ARTCENA. Abgerufen am 14. Februar 2025 (französisch).
- ↑ Sans Retour. Abgerufen am 14. Februar 2025 (französisch).
- ↑ a b Pierre Hivernat, Véronique Klein: Panorama contemporain des arts du cirque. Hrsg.: HorsLesMurs. Textuel Hors les murs, Paris 2010, ISBN 978-2-84597-362-6, S. 404–411.
- ↑ a b En scènes : le spectacle vivant en vidéo - La contorsion introspective d'Angela Laurier - Ina.fr. Abgerufen am 14. Februar 2025.
- ↑ Recherche - Portail de la Bibliothèque du CNAC. Abgerufen am 14. Februar 2025 (französisch).
- ↑ ARTCENA: Compagnie Angela Laurier. Abgerufen am 14. Februar 2025.
- ↑ BnF -Encyclopédie des arts du cirque. Abgerufen am 14. Februar 2025.
- ↑ Association C.R.I.S: Présentation - L’Angela bête - Angela Laurier, - 4 Angela Laurier, - theatre-contemporain.net. Abgerufen am 14. Februar 2025 (französisch).
- ↑ Reprise : "L'Angela Bête" au Monfort. 27. Juni 2012 (lemonde.fr [abgerufen am 14. Februar 2025]).
- ↑ La SACD récompense les auteurs de l'année 2013 | SACD. 12. April 2017, abgerufen am 14. Februar 2025 (französisch).
- ↑ Talk Show - Gaël Santisteva - CAMPO arts centre. 16. Januar 2020, abgerufen am 14. Februar 2025 (englisch).
- ↑ Association C.R.I.S: La Fille du collectionneur - - 4 Théo Mercier, - theatre-contemporain.net. Abgerufen am 14. Februar 2025 (französisch).
- ↑ Cathy Bisson: Une semaine en prison. In: Mouvement: Magazine culturel indisciplinaire. Nr. 71, 2013, S. 22–27.
- ↑ Zone Arts- ICI.Radio-Canada.ca: Angela Laurier, ancienne contorsionniste du Cirque du Soleil, est décédée. 21. Mai 2024, abgerufen am 14. Februar 2025 (kanadisches Französisch).
Personendaten | |
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NAME | Laurier, Angela |
KURZBESCHREIBUNG | kanadische Zirkuskünstlerin, Kontorsionistin und Regisseurin |
GEBURTSDATUM | 4. Februar 1962 |
GEBURTSORT | Terrace |
STERBEDATUM | 19. Mai 2024 |
STERBEORT | Tollevast |