Antifaşist Gençlik

migrantische und antifaschistische Gruppe aus Berlin

Die Antifaşist Gençlik [antifaʃist ɟɛntʃlic] (auch Antifa Gençlik, AG, dt. Antifaschistische Jugend) war eine migrantische und antifaschistische Gruppe aus Berlin.

Ende der 80er Jahre entstand die Gruppe aus antifaschistischen Migranten aus den Berliner Bezirken Wedding, Neukölln und Kreuzberg.[1] Ziel der Gruppe war es gegen Neonazis vorzugehen und sich mit den politischen Kämpfen vor Ort, statt in ihren Herkunftsländern zu beschäftigen. Die Gruppe knüpfte mit der Zeit Kontakte zu von Repressionen betroffenen Jugendlichen. Nachdem die Gruppe 1992 selbst von massiven Repressionen durch die Polizei betroffen war, löste sie sich schließlich 1994 auf.[2][3]

Hintergrund

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Die Antifaşist Gençlik gründete sich zu einer Zeit, während der ein Generationenkonflikt unter den in Deutschland lebenden Migranten herrschte. Die Generation der sog. Gastarbeiter, die in den 1960er Jahren vor allem aus der Türkei gekommen waren, hofften auf eine Rückkehr in ihre Herkunftsländer. Während die im Zuge der türkischen Militärputsche von 1971 und 1980 nach Deutschland geflohenen politischen Flüchtlinge und Studenten wiederum auf eine Zukunft in Deutschland hofften. Diese Konfliktlinie schlug sich auch politisch in zwei Strömungen der türkisch-kurdischen Linken in Deutschland nieder, wobei sich letztere auf ihr Leben in Deutschland konzentrierte und sich dadurch stärker als Migranten wahrnahm.[4][5][6]

Im Zuge dessen wurde versucht, politische Erfahrungen aus der Türkei auf Deutschland zu übertragen. Dabei wurden konkret Ansätze der antifaschistischen, marxistisch-leninistischen Bewegung Devrimci Yol aufgegriffen und versucht politische Freiräume bzw. „befreite Gebiete“ einzurichten, sowie für das fehlende politische Mitbestimmungsrecht, die Verbesserung der Situation migrantischer Arbeiter und gegen Rassismus zu kämpfen.[4]

Geschichte

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Im Kontext der Situation migrantischer Jugendlicher in Deutschland insbesondere nach der Wiedervereinigung und dem generell vermehrten Aufkommen von Rassismus gründete sich die Antifaşist Gençlik. Die Gruppe verband vor allem Aspekte der migrantischen Selbstorganisation in der Form türkisch-kurdischer Vereine, der bestehenden Jugendgruppen und der autonomen und antifaschistischen Szene. Letztere gab der Gruppe eine Art Rückhalt, so erschien z. B. die eigene Zeitung der Gruppe das Antifaşist Haber Bülteni zusammen mit dem Antifaschistischen Infoblatt.[4][7][5][8] Nach der Gründung in Berlin entstanden in anderen deutschen Städten weitere Gruppen.[9][10]

„Die historische Phänomenalität von Antifa Gençlik besteht darin, dass sie in der Geschichte der Nachkriegszeit eine ‚massenhafte‘ Antifakultur (vor allem in Form von Organisierung des Selbstschutzes und militanter Verdrängung von Nazis) unter migrantischen Jugendlichen in Gang setzte, die fern von herkunftsbedingter Orientierung und in enger Zusammenarbeit mit der ‚deutschen‘ Antifa die neue Basis für migrantische Kämpfe gegen Nazis und Rassismus wesentlich mitbedingte, obwohl sie nur eine relativ kurze Lebensdauer hatte.“

Garip Bali: Historische und soziale Verortung. In: ak wantok (Hrsg.): Antifa Gençlik. Eine Dokumentation (1988–1994), 2020

Aber auch in Abgrenzung zur bestehenden radikalen Linken in Berlin, wie z. B. der damaligen Antifa Westberlin, die sich gegenüber Migranten oft überheblich, arrogant und rassistisch verhielt, gründete sich die Antifaşist Gençlik. So wird in diesem Zusammenhang wird oft ein Satz eines Autonomen zitiert, der gegenüber einem Mitglied der Antifaşist Gençlik sagte „wir brauchen Euren Mut, wie ihr unsere Klugheit braucht“.[1][11][8]

Nachdem der rechtsextreme Politiker Gerhard Kaindl im Jahr 1992 nach einem Angriff mit einem Messer seinen Verletzungen erlag, wurde das politische Umfeld der Antifaşist Gençlik und die Gruppe selbst verdächtigt. Nach eineinhalb Jahren erfolgloser Ermittlungen, stellte sich im November 1993 ein an Schizophrenie erkrankter, siebzehnjähriger Jugendlicher der Polizei. Er belastete die Antifaşist Gençlik und ihr Umfeld, woraufhin vier Jugendliche festgenommen wurden und weitere mit Haftbefehl Gesuchte untertauchten. Zwei von ihnen stellten sich 1994 der Polizei, woraufhin diese in Untersuchungshaft gingen. Im September 1994 begann schließlich ein Prozess gegen sieben vorwiegend türkische und kurdische Antifaschisten. Ihnen wurde „gemeinschaftlicher Mord und sechsfache gefährliche Körperverletzung“ vorgeworfen und im November 1994 wurden die Angeklagten zu Bewährungsstrafen von fünfzehn Monaten bis zu Haftstrafen von drei Jahren verurteilt, ein weiterer Angeklagter wurde freigesprochen.[12][13]

Vor allem an den Folgen der Repressionen, aber auch an internen Konflikten über Sexismus und Militanz zerbrach die Gruppe schließlich und löste sich 1994 auf.[5][11]

Rezeption

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Die Antifaşist Gençlik ist heutzutage insbesondere für ihre Einzigartigkeit der migrantischen, antifaschistischen Selbstorganisation bekannt.[3][14] So bildeten sich z. B. weitere Gruppen in anderen deutschen Städten.[15] Vor allem ihr Potenzial (migrantische) Jugendliche aus ärmeren Stadtteilen zu mobilisieren und zu politisieren, wird heute von Gruppen der sog. Migrantifa als Vorbild genannt.[16][11]

Literatur

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  • ak wantok (Hrsg.): Antifa Gençlik. Eine Dokumentation (1988-1994), Unrast Verlag, Münster 2020, ISBN 978-3-89771-566-0.

Einzelnachweise

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  1. a b „Wir sind die Nicht-Gewollten“ | strassenauszucker.tk. Abgerufen am 16. März 2021 (deutsch).
  2. Migrantifa und Antifa Genclik - Young Migrants. In: Young Migrants Blog. 26. November 2020, abgerufen am 16. März 2021 (deutsch).
  3. a b UNRAST Verlag | Antifa Gençlik. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 23. August 2021; abgerufen am 16. März 2021.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/unrast-verlag.de
  4. a b c Garip Bali: Historische und soziale Verortung. In: ak wantok (Hrsg.): Antifa Gençlik. Eine Dokumentation (1988-1994). 2. aktualisierte Auflage. Unrast Verlag, Münster 2020, ISBN 978-3-89771-566-0, S. 164.
  5. a b c Bildet Jugendbanden! 6. Oktober 2015, abgerufen am 16. März 2021.
  6. Antifa Gençlik - Angst vor einem neuen Großdeutschland. Abgerufen am 16. März 2021.
  7. Antifaschistische Erstausgaben | apabiz. Abgerufen am 16. März 2021 (deutsch).
  8. a b "Wir müssen unsere Erfahrungen aufarbeiten" | arranca! Abgerufen am 19. März 2021.
  9. UNRAST Verlag | Antifa Gençlik. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 23. August 2021; abgerufen am 23. August 2021.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/unrast-verlag.de
  10. Ismail Küpeli: Problembehaftete Antifa-Allianzen (neues deutschland). Abgerufen am 23. August 2021.
  11. a b c »Diese Schrift ist eine Kampfhandlung«. - Rosa-Luxemburg-Stiftung. Abgerufen am 16. März 2021 (deutsch).
  12. Mirjam Keller, Lena Kögler, Moritz Krawinkel, Jan Schlemermeyer: Antifa. Geschichte und Organisation. 3. aktualisierte Auflage. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2018, ISBN 3-89657-696-8, S. 163.
  13. Bernd Langer: Antifaschistische Aktion. Geschichte einer linksradikalen Bewegung. 3. akt. und erw. Auflage. Unrast Verlag, Münster 2018, ISBN 978-3-89771-259-1, S. 363.
  14. Ismail Küpeli: Problembehaftete Antifa-Allianzen (neues deutschland). Abgerufen am 16. März 2021.
  15. »Unsere eigene Antifa Gençlik«: Hengameh Yaghoobifarahs Debütroman »Ministerium der Träume«. Abgerufen am 16. März 2021.
  16. korientation: Interviewreihe (Post)migrantischer Widerstand: #1 Migrantifa Hessen. In: korientation e.V. 19. Mai 2020, abgerufen am 16. März 2021 (deutsch).