Archelaos I.
Archelaos I. (altgriechisch Ἀρχέλαος Archélaos) war König von Makedonien von 413 bis 399 v. Chr. Als unehelicher Sohn des Perdikkas II. kam er gewaltsam durch Beseitigung seiner Verwandten auf den Thron. Er führte grundlegende Reformen in Verwaltung, Militär sowie Handel durch und schuf die Grundlagen für die spätere Großmachtstellung Makedoniens. Auch zog er bedeutende griechische Künstler und Dichter wie Euripides an seinen Hof, um die Verbreitung griechischer Kultur in Makedonien zu fördern.
Leben
BearbeitenAbstammung und Herrschaftsantritt
BearbeitenArchelaos war ein Sohn des makedonischen Königs Perdikkas II. Seine Mutter soll eine Sklavin seines Onkels Alketas namens Simiche gewesen sein.[1] Jedenfalls wurde er von seinem Vater legitimiert, da er in einem um 415 v. Chr. mit Athen geschlossenen Vertrag nach Perdikkas und Alketas an dritter Stelle genannt wird.[2] Laut der gehässigen Darstellung Platons, der ihn als „skrupellosesten aller Makedonen“ bezeichnet, bahnte sich Archelaos durch Verwandtenmord den Weg auf den Thron. Wahrscheinlich sollte er nach dem Tod Perdikkas’ II. (413 v. Chr.) als Vormund für dessen siebenjährigen Sohn unbekannten Namens die Regierung übernehmen. Nachdem er aber schon zuvor seinen Onkel Alketas und dessen Sohn Alexander beseitigt hatte, räumte er auch den rechtmäßigen Erben aus dem Weg, bestieg selbst den Thron und heiratete Kleopatra, die Witwe seines Vaters.[3] Mit dieser hatte er einen Sohn Orestes, der Thronfolger werden sollte, und zwei Töchter. Amyntas war sein Sohn mit einer Nebenfrau.[4]
Der Althistoriker Hermann Bengtson hält die antike Überlieferung über die gewaltsame Herrschaftsübernahme des Archelaos für glaubwürdig. Derartige Gewalttaten zur Erlangung der Regierung seien für das antike Makedonien charakteristisch.[5] Auch Ernst Badian führt aus, dass die Tötung anderer Thronprätendenten bei Vertretern des Königshauses der Argeaden, die kein festes Nachfolgerecht kannten, nicht selten war.[6]
Friede mit Athen
BearbeitenFast unmittelbar nach seinem Regierungsantritt sah sich Archelaos einer Situation gegenüber, die ihm eine völlige Kehrtwendung in den Beziehungen zu Athen erlaubte, das im vergangenen halben Jahrhundert die Hauptbedrohung für Makedonien darstellte. Die Athener erlitten während des Peloponnesischen Kriegs eine vernichtende Niederlage in Syrakus auf Sizilien im Spätjahr 413 v. Chr., bei der die meisten ihrer Schiffe zerstört wurden. Dies führte in Athen zu einem enormen Bedarf an Schiffsbauholz und gab Archelaos die Möglichkeit, den Preis zu diktieren – was er aber nicht ausnutzte, so dass die Athener ihm und seinen Kindern die Titel proxenos ("Staatsgastfreund") und euergetes ("Wohltäter") verliehen.[7]
Kriege
BearbeitenIm Jahre 410 v. Chr. fiel die Stadt Pydna von Makedonien ab. Archelaos zog mit einer großen Streitmacht vor Pydna und belagerte es. Unterstützung erhielt er durch den athenischen Feldherrn Theramenes, der mit einem Flottenkontingent am Kriegsschauplatz erschien. Als sich aber die Belagerung hinzog, segelte Theramenes nach Thrakien, um sich Thrasybulos, dem Oberkommandierenden der athenischen Seestreitkräfte, anzuschließen. Archelaos vermochte Pydna schließlich zu erobern, zerstörte die Stadt und errichtete sie etwas landeinwärts neu.[8]
Auch die Auseinandersetzung mit dem makedonischen Lynkestis, in die sein Vater Perdikkas II. schon verwickelt war, ging weiter. So kam es zum Krieg mit Sirras, dem König von Elimiotis, und Arrhabaios, dem König von Lynkestis. Schließlich erreichte Archelaos ein Friedensabkommen mit Lynkestis und Elymaia und gab Sirras seine älteste Tochter zur Frau.[9]
Staatsreformen
BearbeitenArchelaos leitete eine Reihe innerer Reformen ein. Dem griechischen Historiker Thukydides zufolge, der ein Zeitgenosse des Archelaos war, setzte Letzterer Makedonien in besseren Verteidigungszustand als seine Vorgänger durch die Gründung von festen Plätzen, eine bessere Ausrüstung des Heers und die Aufstellung einer schlagkräftigen Kavallerie.[10] Archelaos’ Bestrebungen, die Wehrhaftigkeit seines Volks zu steigern, scheinen aber nicht ausgereicht zu haben; konnte doch der spätere makedonische König Amyntas III. Einfälle der Illyrer in Makedonien nicht verhindern.[6] Die von Archelaos ebenfalls veranlasste Errichtung von Landstraßen stärkte die königliche Zentralgewalt und förderte gleichzeitig Handel und Verkehr.[11]
Seinen Hof verlegte Archelaos von Aigai nach Pella, einen viel besseren und strategischen Platz, näher an den östlichen Provinzen und am Meer gelegen. Niedermakedonien gliederte er in Stadtbezirke.[12] Er ließ eine Unmenge hochwertiger Münzen prägen und führte anstatt des bisher üblichen phönikischen Münzfußes eine neue, lydisch-persische Währung ein.[11]
Kunst und Kultur
BearbeitenArchelaos baute auch die kulturellen Kontakte zum südlichen Griechenland aus. In seinem neuen Palast in Pella, der von Zeuxis mit Gemälden ausgestaltet wurde, bewirtete er berühmte Dichter, darunter Euripides, Agathon, Choirilos und Timotheos, ferner Musiker und Maler wie den bereits erwähnten Zeuxis (den berühmtesten Maler seiner Zeit). Euripides, der seine letzten Jahre an Archelaos’ Hof verbrachte, dichtete dem König zu Ehren ein Drama Archelaos und verfasste hier kurz vor seinem Tod die Tragödie Die Bakchen. An Sokrates richtete Archelaos eine, allerdings vergebliche Einladung, an seinen Hof zu kommen.[13] Da Makedonen, als Nichtgriechen, von griechischen Festspielen ausgeschlossen waren, stiftete der König in Dion seine eigenen olympischen Spiele mit musikalischen und athletischen Wettbewerben zu Ehren des Zeus und der Musen, an denen die größten Athleten und Künstler Griechenlands teilnahmen.[14]
Olympiasieger
BearbeitenZudem wurde er bei den 93. Olympischen Spielen 408 v. Chr. zum Olympiasieger im Tethrippon gekränzt.[15]
Einflussnahme in Thessalien
BearbeitenUm 400 v. Chr. gewann Archelaos maßgeblichen Einfluss auf die bedeutende thessalische Stadt Larisa, indem er den dort herrschenden Aleuaden Aristippos bei der Herstellung einer extremen Oligarchie unterstützte. Auch konnte er die nordthessalische Landschaft Perrhaiboi besetzen. In der Rede Hypér Larisaion hatte sich schon Thrasymachos über das Verhältnis der Einwohner Larisas zum Makedonenkönig ausgelassen und gefragt, ob die Griechen dem Archelaos, einem Barbaren, als Sklaven dienen sollten. Dasselbe Thema wird in einer erhaltenen Flugschrift erörtert, die zur Befreiung von der Herrschaft des Archelaos und zum Anschluss an Sparta aufruft.[16]
Tod
BearbeitenArchelaos wurde 399 v. Chr. bei der Jagd durch seinen Pagen Krataios (oder Krateuas) getötet. Laut dem antiken Historiker Diodor geschah dies unabsichtlich.[17] Die meisten Quellen behaupten aber, dass die Tat Teil einer Verschwörung war. In einer der Versionen wird angegeben, dass der Page Archelaos aus Rache ermordet habe, weil der König sein Versprechen gebrochen habe, ihm eine seiner Töchter zur Gemahlin zu geben. Als Mittäter soll ein aus Larisa zu Archelaos geflüchteter Adliger, Hellanokrates, fungiert haben, der dem König grollte, weil dieser ihn nicht wie versprochen in seine Heimatstadt zurückgeführt hatte. Möglicherweise steckten politische Motive hinter der Tötung des Archelaos, die aber nicht klar überliefert sind.[18]
Quellen
Bearbeiten- Aristoteles, Politik 5,10
- Diodorus Siculus, Historische Bibliothek 13,19; 13,103; 14,37
- Platon, Gorgias, übersetzt von Otto Apelt, Meiner, Hamburg 2004, ISBN 3-7873-1156-4 (Übersetzung mit Einleitung und Erläuterungen); Nachdruck der 2., durchgesehenen Auflage, Leipzig 1922, S. 173.
- Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Kriegs 2,100
Literatur
Bearbeiten- Ernst Badian: Archelaos 1. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 1, Metzler, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-01471-1, Sp. 984–985.
- Julius Kaerst: Archelaos 7. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band II,1, Stuttgart 1895, Sp. 446–448.
- Edward Elder: Archelaus, king of Macedonia. In: William Smith (Hrsg.): Dictionary of Greek and Roman Biography and Mythology. Band 1: Abaeus–Dysponteus. Little, Brown and Company, Boston 1870, S. 261–262 (englisch, Textarchiv – Internet Archive).
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Claudius Aelianus, Varia historia 12, 43.
- ↑ Inscriptiones Graecae (IG) I3 89, 60; dazu Ernst Badian: Archelaos 1. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 1, Metzler, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-01471-1, Sp. 984–985.
- ↑ Platon, Gorgias 471; Aelius Aristides, Hypér rhētorikés 55 und Hypér tōn tettárōn 120 mit Scholien.
- ↑ Aristoteles, Politik 5, p. 1311 b 14 f.; Scholion zu Aristides, Hypér rhētorikés 55, 4.
- ↑ Hermann Bengtson: Philipp und Alexander der Große, ISBN 3-424-01358-7, München 1997, S. 36.
- ↑ a b Ernst Badian: Archelaos 1. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 1, Metzler, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-01471-1, Sp. 985.
- ↑ Andokides, Orationes 2, 11.
- ↑ Diodor, Bibliothḗkē historikḗ 13, 49, 1f.
- ↑ Aristoteles, Politik 1311 b 12.
- ↑ Thukydides, Peloponnesischer Krieg 2, 100, 2.
- ↑ a b Julius Kaerst: Archelaos 7. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band II,1, Stuttgart 1895, Sp. 446–448 (hier: Sp. 447).
- ↑ Hans Volkmann: Archelaos 1. In: Der Kleine Pauly (KlP). Band 1, Stuttgart 1964, Sp. 502.
- ↑ Plutarch, Moralia, p. 177; Aelian, Varia historia 2, 21; 13, 4; 14, 17; u. a.
- ↑ Diodor, Bibliothḗkē historikḗ 17, 16, 3; Arrian, Anabasis 1, 11, 1.
- ↑ Siegerliste bei der Foundation of the Hellenic World.
- ↑ Thrasymachos, Hypér Larisaion, Fragment 2, in: Hermann Diels, Walther Kranz (Hrsg.): Die Fragmente der Vorsokratiker, 4. Auflage, Bd. 2 (1922), S. 280; Pseudo-Herodes, Peri Politeias 19; 26; 33; dazu Friedrich Stählin: Larisa 3. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XII,1, Stuttgart 1924, Sp. 845–871 (hier: Sp. 850).
- ↑ Diodor, Bibliothḗkē historikḗ 14, 37, 5.
- ↑ Aristoteles, Politik 5, 10, p. 1311 b 8 ff.; Plutarch, Amatorius 23; Platon, Alkibiades 2, 141 d; Aelian, Varia historia 8, 9.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Perdikkas II. | König von Makedonien 413–399 v. Chr. | Krateros |
Personendaten | |
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NAME | Archelaos I. |
KURZBESCHREIBUNG | König von Makedonien (413 v. Chr. – 399 v. Chr.) |
GEBURTSDATUM | 5. Jahrhundert v. Chr. |
STERBEDATUM | 399 v. Chr. |