Arisierung in Italien

Arisierung im faschistischen Italien

Die Arisierung in Italien bezeichnet den Prozess der Ausschaltung der Juden aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben des faschistischen Italien, der mit den italienischen Rassengesetzen 1938 begann. Manchmal wird dafür auch der Begriff „Entjudung“ verwendet.

Italienische Rassenpolitik

Bearbeiten

Ab 1936 wurde in Italien eine antijüdische Stimmung durch die Presse geschürt und im Sommer 1938 durch die Veröffentlichung des Manifests der rassistischen Wissenschaftler die Existenz einer als arisch bezeichneten italienischen Rasse pseudowissenschaftlich belegt. Im Herbst 1938 wurden die ersten italienischen Rassengesetze und -verordnungen mit dem Ziel erlassen, die Juden aus Italien zu entrechten, aber nicht zu ermorden.[1] Das Ziel dieser Maßnahmen bestand darin, die „Arisierung“ der Italienischen Gesellschaft zu erreichen, indem die Juden aus den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft, Erziehung und des sozialen Lebens ausgeschlossen wurden und auswandern müssten.[2]

 
Darstellung zum Rassengesetz

Jüdische Schüler und Lehrer mussten durch Verordnung vom 5. September 1938 die öffentlichen Schulen verlassen. Nach dem Gesetz zum „Schutz der italienischen Rasse“ vom 17. November 1938 wurden Juden aus den Streitkräften, der Nationalen Faschistischen Partei (PNF), aus staatlichen Verwaltungen, Versicherungen, Banken und Universitäten ausgeschlossen. Jüdischer Grundbesitz wurde auf den Gegenwert von 5.000 Lire für unbebautes und 20.000 Lire für bebautes Land beschränkt. Mehr und mehr entzog der italienische Staatsantisemitismus den Juden Italiens ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage.[3][4] Der Text des nebenstehenden Bilds, das im November 1938 im faschistischen Kampfblatt La difesa della razza erschienen war, liegt zusammen mit der Übersetzung am Ende des Absatzes vor.

Nach dem Sturz Mussolinis am 25. Juli 1943 und dem Waffenstillstand vom 8. September 1943 wurde der von deutschen Truppen besetzte Teil Italiens unter Mussolini zur Italienischen Sozialrepublik (RSI) erklärt, was die Ausrichtung der Judenpolitik grundlegend änderte. Das deutsche Ziel war die Vernichtung der Juden, wobei Theodor Dannecker als Emissär Adolf Eichmanns entsandt wurde und der deutsche Polizeiapparat mit dem höchsten SS- und Polizeiführer Karl Wolff und dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD Wilhelm Harster aufgebaut wurde. Der Innenminister der Republik von Salo Guido Buffarini Guidi verfügte mit der Polizeiweisung Nr. 5 vom 30. November 1943 die Verhaftung aller Juden durch die italienischen Behörden und deren Einweisung in italienische Konzentrationslager.[5] Die vollständige Enteignung aller italienischen und ausländischen Juden und die Verwertung ihres Vermögens wurde im italienischen Gesetzesdekret der RSI vom 4. Januar 1944 angeordnet.[6]

Bildtext (mit Übersetzung)  
DOPO LE DELIBERAZIONI DEL CONSIGLIO DEI MINISTRI
Gli ebrei non possono … Non vi possono essere ebrei …

… prestare servizio
militare

… esercitare l’ufficio
di tutore
… essere proprietari di
aziende interessati la
difesa nazionale
… nelle amministra–
zioni militari e civili
… nel Partito … negli Enti provinciali
e comunali
… essere proprietari di terreni e di fabbricati … avere domestici ariani … negli Enti parastatali … nelle banche … nella assicurazioni
Espulsione degli ebrei stranieri
(Testo nello scudo: Estero)
Gli ebrei esclusidalla scuola Italiana
(Testo sopra il portale: Università)
NACH DEN BESCHLÜSSEN DES MINISTERRATS
Juden können nicht … Dort können keine Juden sein …
… Militärdienst
leisten
… den Beruf eines
Lehrers ausüben
… Inhaber von Unternehmen
sein, die an der nationalen
Verteidigung beteiligt sind
… in militärischen und
zivilen Verwaltungen
… in der Partei … in regionalen und
kommunalen Institutionen
… Eigentümer von Grundstücken
und Gebäuden sein
… arische Hausangestellte beschäftigen … in halbstaatlichen Institutionen … in Banken … in Versicherungen
Ausweisung ausländischer Juden
(Text im Schild: Ausland)
Juden sind von italienischen Schulen ausgeschlossen
(Text über dem Portal: Universität)

Institutionen

Bearbeiten

Das Erziehungsministerium unter Giuseppe Bottai hatte schon am 19. August 1938 also vor Erlass des Rassengesetzes die Universitäten und Bibliotheken angewiesen, einen Census mit Fragebögen zur Rassen- und Religionszugehörigkeit ihrer Mitarbeiter und Mitglieder ans Ministerium zu senden, um frühzeitig eine vollständige Arisierung im Schulwesen erreichen zu können.[7]

Das Ente Gestione e Liquidazione Immobiliare (EGELI) war eine Behörde, die 1939 zur Zeit des Italienischen Faschismus zur Verwaltung und Verwertung jüdischer Immobilien und Unternehmen gegründet worden war und dem Finanzministerium unterstand. Bei der Liquidation der Vermögensteile musste sie auch auf die Rechte von arischen Teilhabern, Vorkaufsrechte, Sicherungsansprüche aus Krediten usw. achten, so dass die EGELI wegen des zögerlichen Fortschritts im April 1940 in der Presse heftig angegriffen wurde.[8]

Die DemoRazza (Generaldirektion für Demografie und Rasse) war die zentrale Schaltstelle der faschistischen italienischen Rassenpolitik.[9] Sie wurde im Juli 1938 im italienischen Innenministerium aus der vormaligen Direktion für Demografie gebildet und wurde mit der Erarbeitung und Durchsetzung der italienischen Rassengesetzgebung samt Ausführungsbestimmungen befasst. Das von Mussolini und Guido Buffarini Guidi vom Innenministerium maßgeblich beeinflusste zentrale Rassengesetz vom 17. November 1938 über Maßnahmen zur Verteidigung der italienischen Rasse verfolgte bei der Definition der Juden konkurrierende Ziele, ließ Zweifelsfälle bei der Rassenbestimmung, offerierte die Arisierung von Personen durch ein Rassengericht (Tribunale della Razza) und sah Übergangsregelungen für verdienstvolle Juden (discriminazione d. h. eine positiv intendierte Form der Diskriminierung) vor.[10] Das schuf Regelungsbedarf und Verschärfungsmöglichkeiten auf der administrativen Ebene. Der Katalog an Gesetzen und Verordnungen wurde bis 1943 fast im Wochentakt erweitert.[11]

Restitution

Bearbeiten

Mit Gesetz vom 19. Oktober 1944 wurde Lehrkräften, die aus politischen oder rassischen Gründen von der Universität ausgeschlossen worden waren, das Recht auf Rückkehr in ihr Amt gewährt. Das Gesetz vom 27. Mai 1946 ließ die Lehrstühle verfallen, wenn der zurückgekehrte Professor emeritierte.[12]

Nach dem Krieg wurde die EGELI mit der Rückerstattung der beschlagnahmten Vermögen betraut. Dies gelang mit einigem Aufwand und Verzögerungen fast zur Gänze.[13] Am 13. November 1957 wurde die EGELI aufgelöst, die Abwicklung der Restfälle und des Restvermögens durch das Finanzministerium dauerte bis ins Jahr 1997.[14]

Siehe auch

Bearbeiten

Literatur

Bearbeiten
  • Annalisa Capristo: The Exclusion of Jews from Italian Academies. In: Joshua D. Zimmerman (Hrsg.): Jews in Italy under Fascist and Nazi Rule, 1922–1945. Cambridge University Press 2005, ISBN 978-0-521-84101-6, S. 81–95.
  • Renzo De Felice: The Jews in Fascist Italy. Enigma 2001, ISBN 1-929631-01-4.
  • Roberto Finzi: The Damage to Italian Culture: The Fate of Jewish University Professors in Fascist Italy and After, 1938–1946. In: Joshua D. Zimmerman (Hrsg.): Jews in Italy under Fascist and Nazi Rule, 1922–1945. Cambridge University Press 2005, ISBN 978-0-521-84101-6, S. 96–113.
  • Michael A. Livingston: The Facists and the Jews of Italy – Mussolini’s Race Laws, 1938–1943. Cambridge University Press 2014, ISBN 978-1-107-02756-5.
  • Furio Moroni: Aspects of the Unbeautiful Life. In: Avi Beker (Hrsg.): The Plunder of Jewish Property during the Holocaust. Palgrave 2001, ISBN 0-333-76064-6, S. 297 ff.
  • Carlo Moos: Ausgrenzung, Internierung, Deportation – Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938–1945). Chronos 2004, ISBN 3-0340-0641-1.
  • Michele Sarfatti: Characteristics and Objectives of the Anti-Jewish Laws in Fascist Italy. In: Joshua D. Zimmerman (Hrsg.): Jews in Italy under Fascist and Nazi Rule, 1922–1945. Cambridge University Press 2005, ISBN 978-0-521-84101-6, S. 71–80.

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Michele Sarfatti: Characteristics and Ojectives of the Anti-Jewish Laws in Fascist Italy, S. 76.
  2. Michele Sarfatti: Characteristics and Ojectives of the Anti-Jewish Laws in Fascist Italy, S. 76.
  3. Aram Mattioli: Das faschistische Italien – Ein unbekanntes Apartheidregime. In: Micha Brumlik, Susanne Meinl und Werner Renz (Hrsg.): Gesetzliches Unrecht: Rassistische Recht im 20. Jahrhundert, Campus 2005, ISBN 3-593-37873-6, S. 170.
  4. Thomas Schlemmer und Hans Woller: Der italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 1945. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2005 Heft 2, hier S. 181 f.
  5. Thomas Schlemmer und Hans Woller: Der italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 1945. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2005 Heft 2, S. 193 f.
  6. Renzo De Felice: The Jews in Fascist Italy. S. 434.
  7. Annalisa Capristo: The Exclusion of Jews from Italian Academies. S. 84.
  8. Michael A. Livingston: The Facists and the Jews of Italy – Mussolini’s Race Laws, 1938–1943. S. 115 f.
  9. Thomas Schlemmer und Hans Woller: Der Italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 1945. S. 180.
  10. Michael A. Livingston: The Facists and the Jews of Italy – Mussolini’s Race Laws, 1938–1943. S. 23.
  11. Thomas Schlemmer und Hans Woller: Der Italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 1945. S. 182.
  12. Roberto Finzi: The Damage to Italian Culture: The Fate of Jewish University Professors in Fascist Italy and After, 1938–1946. S. 106.
  13. Guri Schwarz: Der Wiederaufbau jüdischen Lebens in Italien. Bundeszentrale für politische Bildung 29. November 2007, abgerufen 2. Januar 2017.
  14. Gestioni Egeli - Ente di Gestione e Liquidazione Immobiliare dell'Istituto di San Paolo di Torino. In: archiviostorico.fondazione1563.it. Abgerufen am 7. Februar 2020 (italienisch).