Asebie

Straftatbestand im antiken Griechenland und Römischen Reich

Asebie oder Asebeia (altgriechisch ἀσέβεια asébeia) bedeutet „Gottlosigkeit“, „Frevel gegen die Götter“ oder „Unfrömmigkeit“ und war ein Straftatbestand im antiken Griechenland und im Römischen Reich.

Antikes Griechenland

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Quellen für den Gesetzesinhalt

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Das Gesetz, das Asebie unter Strafe stellte, ist nicht überliefert. Gesichert ist aber, dass es derartige Gesetze gab. Über ihren konkreten Inhalt und damit über den genauen Asebietatbestand gibt es verschiedene Angaben:

  • Nach einem von Plutarch[1] wiedergegebenen Gesetzesvorschlag eines gewissen Diopeithes (eines religiösen Fanatikers und gewerbsmäßigen Wahrsagers, dem die „moderne“ Philosophie schon von Berufs wegen verhasst war) zu Beginn des Peloponnesischen Krieges um das Jahr 432 v. Chr. sollte in einem besonderen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden, „wer nicht an die Götter glaubt und sich in wissenschaftlichen Vorträgen mit Himmelserscheinungen befasst“.
  • Nach Polybios[2] ist Asebie „Beleidigen der Götter, der Eltern und der Toten“.
  • Aristoteles[3] nennt das „falsche Verhalten gegenüber den Göttern, den göttlichen Wesen (Dämonen), den Verstorbenen, Eltern und dem Vaterland“ Asebie.
  • Die in der Apologie des Sokrates überlieferte Anklage gegen Sokrates warf diesem konkret vor, er glaube nicht an die vom Staat anerkannten Götter, führe neue göttliche Wesen (daimonia) ein und verderbe die Jugend.

Geschütztes Rechtsgut: die Staatsreligion

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Zum Verständnis des Straftatbestandes ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es im antiken Griechenland keine Glaubens- und – jedenfalls in Religionsangelegenheiten – keine Meinungsfreiheit gab und dass die Trennung zwischen Staat und Religion unbekannt war. Religion war nicht Privatsache, sondern religiöse und hoheitliche Aufgaben lagen gleichermaßen in den Händen des Staates, dessen Institutionen, etwa der Areopag in Athen, oft auch sakrale Funktionen erfüllten und für die Reinheit und die Bewahrung der religiösen Überlieferung sorgten. So war auch festgelegt, welche Götter vom Staat anerkannt waren. Zur Staatsreligion gehörte aber auch die Ehrerbietung, die den Eltern und den verstorbenen Vorfahren zu entbieten war.

Erscheinungsformen der Asebie

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In erster Linie stellt die Leugnung der Existenz der Götter eine Asebie dar. Sie wurde etwa Anaxagoras vorgeworfen, der die Sonne für einen glühenden Stein und nicht für einen Gott hielt[4]. Ebenso wurde Protagoras die Aussage vorgeworfen, er wisse von den Göttern weder zu sagen, ob sie seien noch ob sie nicht seien. Der Asebietatbestand hatte dabei nicht das private, idealistische „Glauben“ im Blick, sondern die öffentliche Verweigerung der diesen Göttern zukommenden Ehrerbietung.

Auch die Lächerlichmachung der staatlich anerkannten Götter stellte einen Angriff auf die Staatsreligion dar, der unter die Asebie fiel. So wurde Alkibiades die Verhöhnung der Göttin Demeter und Kora durch Nachäffen der Mysterien vorgeworfen[5], dem Andokides die Verstümmelung von Hermesbüsten und Verunglimpfung der Mysterien von Eleusis.

Ferner war die Einführung neuer Gottheiten oder die Vergöttlichung von Menschen Asebie. Besonders in dem Anklagevorwurf gegen Sokrates, er verderbe die Jugend, kommt jedoch zum Ausdruck, dass ganz allgemein das Infragestellen der hergebrachten Werte der Gemeinschaft – zu denen in Athen das demokratische System gehörte – als Asebie angesehen wurde.

Asebeia war ein Begriff, mit dem die philosophischen Ansichten einiger antiker Gelehrter belegt wurden, so beispielsweise die des Anaxagoras und des Sokrates. Benutzt wurde der Vorwurf der Gottlosigkeit oft auch, um missliebige Gegenspieler der Konservativen abzustrafen.

Das Gegenteil der Asebeia ist die Eusebeia (εὐσέβεια eusébeia), von der sich der lateinisch-griechische Name Eusebius herleitet.

Verfahren

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Asebie gehörte zu den Verbrechen, die jeder Bürger durch eine öffentliche Klage (graphē) vor Gericht bringen konnte.

Die asebeias graphē war bei dem für sakrale Angelegenheiten zuständigen Archon basileus einzureichen. Dieser führte eine Voruntersuchung (anakrisis) durch, nahm die Beweise entgegen und bestimmte den Verhandlungstermin und den zuständigen Spruchkörper.

Zuständig für die Verhandlung war das Volksgericht, die Heliaia. Für öffentliche Prozesse entschied sie in einer Besetzung von 501 durch das Los bestimmten Geschworenen (Heliasten). Die Verhandlung musste an einem Tag durchgeführt werden, und an demselben Tag wurde ohne Beratung das Urteil gefällt. Das Urteil war unanfechtbar, einen Instanzenzug gab es nicht. Das Gericht konnte nur zwischen den beiden Anträgen der Anklage und des Angeklagten wählen; auch eine knappe Mehrheit genügte zur Verurteilung – wie im Falle von Sokrates (281 von 501 Stimmen).

Rechtsfolge

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Das Gesetz sah für das Verbrechen der Asebie keine bestimmte Strafe vor. Eine Verurteilung musste daher in zwei Schritten durchgeführt werden: In einer ersten Abstimmung wurde über Schuld oder Unschuld abgestimmt (Schuldinterlokut). Erkannte die Mehrheit der Heliasten auf „schuldig“, so folgte eine Verhandlung und Abstimmung über das Strafmaß. Beide Parteien erhielten nochmals das Wort und stellten Anträge zu der zu verhängenden Strafe. Bei der abschließenden Abstimmung konnten die Heliasten sich nur zwischen diesen beiden Anträgen entscheiden.

Als Strafe kamen eine Geldstrafe, die Verbannung oder die Todesstrafe in Betracht. Freiheitsstrafen waren dagegen in Athen nicht üblich.

Für die Vollstreckung waren die Elfmänner (Hendeka) zuständig.

Asebieprozesse

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Die Asebieprozesse, die von konservativ gesinnten Kräften im antiken Griechenland gegen Philosophen und Sophisten angestrebt wurden, waren ein Hauptventil der weltanschaulichen Spannungen.

  • Der Sophist Protagoras wurde aus Athen verbannt, weil er in seiner Schrift Über die Götter sagte: Von den Göttern vermag ich nicht zu erkennen, ob sie existieren oder nicht und wie sie gestaltet sind.

Der Atheist Theodoros von Kyrene soll der Anklage nur knapp entronnen sein.[6]

Römisches Reich

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Ähnlich wie in Griechenland wurde auch im Römischen Reich ein Abfall von der Staatsreligion geahndet, was bei den Christenverfolgungen im Römischen Reich zum Tragen kam.[7]

Literatur

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Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. Plutarch, Perikles 32,1.
  2. Polybios 36,9,15.
  3. Aristoteles, Von Tugend und Lastern 7,2.
  4. Platon, Apologie 26 d
  5. Plutarch, Alkibiades 22,3.
  6. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren berühmter Philosophen 2,101.
  7. Benedikt Dorbath, Die Logik der Christenverfolgungendurch den Römischen Staat, Würzburg 2016 (Dissertation), S. 64.