Benutzer:Barnos/Zeitalter der Aufklärung in der westlichen Staatenwelt

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Vordenker der Aufklärung: Voltaire (Porträt von Nicolas de Largillière)

Das Zeitalter der Aufklärung in der westlichen Staatenwelt erstreckt sich in etwa von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und betrifft als Ausgangsräume England, Frankreich, Deutschland sowie die USA. Hier zuerst entstanden Formen der Regierungsorganisation, die Impulse aufklärerischen Denkens umsetzten und die sich auf staatstheoretische Vorstellungen stützen konnten, die in England beispielsweise von Hobbes und Locke, in Frankreich von Montesquieu, Voltaire und Rousseau, in Deutschland von Lessing und Kant, in den USA von Thomas Jefferson und James Madison vertreten wurden.

Angestoßen und begünstigt durch die frühneuzeitlichen Transformationsprozesse auf wirtschaftlicher, gesellschaftskultureller und machtpolitischer Ebene fanden diese Lehren in bürgerlichen Interessengemeinschaften und Vereinigungen wie auch an diversen Fürstenhöfen Verbreitung, sofern die dort Herrschenden aufklärerischem Gedankengut gegenüber aufgeschlossen waren. Von solchen Vorstellungen inspiriert und teils geleitet war in England die Glorious Revolution von 1689, war der aufklärte Absolutismus etwa in Preußen und Österreich, waren die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika und die Französische Revolution.

Die weitere Verbreitung aufklärerischer Staatsideen auch jenseits ihres geschichtlichen Entstehungszusammenhangs ist für die Ausgestaltung der modernen Staatenwelt anhaltend bedeutsam geblieben. Dies zeigt sich sowohl bei der Errichtung demokratischer Systeme auf einzelstaatlicher und zwischenstaatlicher Ebene, so in der Europäischen Union und in den Vereinten Nationen, als auch zum Beispiel in der Forderung nach weltweiter Garantie der Menschenrechte.

Staatstheorie im Wandel

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Mit der zunehmenden Abschwächung und teilweisen Ablösung des politischen Denkens in und von den herkömmlichen religiösen Mustern, oft verbunden mit einer Rückbesinnung auf überlieferte Modellvorstellungen aus der griechisch-römischen Antike, entstand eine Reihe nachhaltig einflussreicher Staatstheorien. Einige von ihnen wurden nicht allein im Zeitalter der Aufklärung wirksam, sondern beeinflussen bis in die Gegenwart hinein maßgeblich die politische Theorie und Praxis. Die nachfolgenden Darstellungsabschnitte sind deshalb weder allein auf einzelne Vordenker der Aufklärung gerichtet, noch bloße historisch-chronologische Sequenzen, sondern gliedern den Stoff nicht zuletzt systematisch.

Staatsraison und Völkerrecht

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Hugo Grotius – Portrait von Michiel Jansz van Mierevelt, 1631

Dem Zeitalter der Aufklärung vorgelagert ist die Entstehung jener beiden in Spannung zueinander stehenden politischen Begriff und Prinzipien, die ungeachtet aller seither eingetretenen gesellschaftsgeschichtlichen Umwälzungen und inmitten einer fortgeschrittenen Globalisierung fortwirken: als überdauernde Konstante einerseits die Staatsraison und in erneuerter Aktualität das Völkerrecht. Die Lehre von den Staatsinteressen, „d. h. der Autonomie politischer Entscheidungen gegenüber den Geboten der Moral, der Religion und des Rechts“[1], geht auf Niccolò Machiavelli zurück und auf die von ihm reflektierten chaotischen Machtverhältnisse und Desorganisationserscheinungen in Italien am Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert. Zwecks Machterhaltung nach innen und zur Existenzsicherung des Staatwesens nach außen dürfe, ja müsse der Fürst (oder leitende Staatsmann) Moral und Recht bei Bedarf außer Acht lassen. Der Machiavelli nahestehende Historiker Francesco Guicciardini gebrauchte dafür den Begriff der ragion di stato (Staatsraison).[2]

Das Prinzip der Staatsraison konnte u. a. dazu dienen, den Souveränitätsanspruch des Fürsten zu begründen: sein ungeteiltes und beständiges Gewaltmonopol, seine Hoheit über Gesetze, Kriegserklärungen und Friedensschlüsse, die Ausschaltung aller regionalen oder ständischen Interessenvertretungen zwecks Herstellung eines herrschaftsdienlichen Untertanenverbands. Doch auch jenseits spezifisch frühneuzeilicher Konstellationen wurde und wird die Staatsraison bei Bedarf von Interessierten bemüht – auch z. B. im Gewand des „Gemeinwohls“, der „öffentlichen Interessen“ oder der „Notwendigkeit“ –, um bestehende Rechtsverhältnisse und Rechtsnormen aufzulockern oder auszuhebeln.[3]

Auf überstaatlicher Ebene angesiedelt und das Prinzip der Staatsraison einschränkend bzw. ihm widerstreitend ist das Völkerrecht, wenn es zur Anwendung kommt. Das Völkerrechtskonzept wurde – ebenfalls in einer durch die historischen Umstände des niederländischen Freiheitskampfes gegen die spanische Krone geförderten Lage – von dem Holländer Hugo Grotius zuerst entworfen und vor allem durch sein Werk De iure belli et pacis verbreitet. Als Zeitgenosse auch des Dreißigjährigen Krieges trat Grotius für die persönliche Freiheit des religiösen Bekenntnisses ein und reklamierte für das Individuum einen „rechtlich gesicherten Platz innerhalb der großen Gemeinschaft eigenständiger Staaten“. Kriege aus beliebig gesuchtem Anlass wurden von Grotius geächtet. Doch auch die Neutralität verbietet sich aus seiner Sicht, wenn es gilt, Staatenverbrechen entgegenzutreten: „Der Staat als Verbrecher, als Bandit, als Räuber – das ist die Herausforderung des Grotius für den souveränen Staat, der bisher nur seiner Staatsraison folgte.“[4]

Vom Gottesgnadentum zur Theorie des Gesellschaftsvertrags

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Die gegenüber religiös begründeten Dogmen zunehmend kritisch eingestellten Vordenker der Aufklärung gingen im staatstheoretischen Rahmen über das bis dahin von den christlichen Monarchen als Legitimationsgrundlage hauptsächlich in Anspruch genommene Gottesgnadentum hinweg. Nunmehr als Rechtfertigung ausgedient hatten die auch frühneuzeitlichen Herrschern noch bequemen Bibel-Aussagen des Apostels Paulus im Römerbrief [5]:

„Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt... Deshalb ist es notwendig, Gehorsam zu leisten, nicht allein aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen.“

 
Titelblatt von Hobbes’ Leviathan. Zu sehen ist der Souverän, der über Land, Städte und deren Bewohner herrscht. Sein Körper besteht aus den Menschen, die in den Gesellschaftsvertrag eingewilligt haben.</ref>

Eine dem Vernunftprinzip der Aufklärung verpflichtete Legitimation staatlicher Gewalt bedurfte fortan anderer Grundlagen. Eine solche entstand aus der Vorstellung eines Gesellschaftsvertrags: Alle Bürger eines Gemeinwesens bzw. die Staatsangehörigen wurden als Mitglieder einer durch vertraglichen Zusammenschluss gebildeten Gemeinschaft angesehen. Sie waren dadurch an die politischen Konsequenzen individuell gebunden, die sich aus dem Vertragsinhalt ergaben. Dieses neue Instrument der Herrschaftslegitimation, der fiktive Gesellschaftsvertrag, sollte in der Folge als theoretische Basis für ganz unterschiedlichen Formen des Staatsaufbaus dienen.

Vom Absolutismus zur parlamentarischen Gesetzgebung

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Anders als Grotius, der seine Völkerrechtslehre auf ein toleranzbasiertes Glaubensfundament gegründet hatte, entwickelte der auch als „Vater des Atheismus in England“ apostrophierte Thomas Hobbes seine Staatslehre vor dem Hintergrund einer Neugründung der philosophischen Disziplinen durch mathematische Methoden, Messung und empirische Demonstration.[6] Das neue Denken in naturwissenschaftlichen Bahnen sollte nun auch für Ethik und Politik fruchtbar gemacht werden.

Als erster einer Reihe von Staatstheoretikern entwickelt Hobbes die Vorstellung eines anfänglichen Naturzustands von menschlicher Gesellschaft. In seinem Modell des Naturzustands steht jedes Individuum allen Mitmenschen feindlich gegenüber (homo homini lupus) und hat einen dauernden Kampf um die eigene Sicherheit und Selbstbehauptung zu führen. Abhilfe aus diesem Dilemma kann nur die völlige Unterwerfung aller Individuen unter die Alltagsgewalt des Staates bieten, der dadurch zum Garanten der Sicherheit aller wird und den Kriegszustand der Individuen untereinander (bellum omnium contra omnes) beendet. Indem die Menschen ihrem Sicherheitsbedürfnis bedingungslos folgen (Hobbes war Zeitgenosse des englischen Bürgerkriegs und der Hinrichtung Karls I.), verzichten sie auf jedes Eigenrecht als Bürger und statten den Herrscher mit unbeschränkter, absoluter Machtvollkommenheit aus.

Eine davon grundlegend abweichende Lehre vertritt der die politischen Umwälzungen Englands in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ebenfalls gespannt verfolgende John Locke. Für ihn, den Anwalt religiöser Toleranz und besitzbürgerlicher Interessen, gibt es schon im Naturzustand menschlichen Daseins ein Anrecht des Individuums auf Eigentumserwerb durch Arbeit. Sein die staatliche Ordnung begründender Gesellschaftsvertrag dient außer dem Schutz von Leib und Leben der Bürger auch der Wahrung ihrer Eigentumsrechte, die vom Parlament auch der monarchischen Spitze gegenüber vertreten werden. Gegen eine Tyrannei der Krone und gegen deren willkürlichen Zugriff auf Hab und Gut vermögender Bürger reklamiert Locke das Steuerbewilligungsrecht des Parlaments und im äußersten Fall ein Widerstandsrecht.

Als Bestandteil des ursprünglichen Gesellschaftsvertrags betrachtet Locke die Verpflichtung auf das Mehrheitsprinzip, da der Gesamtkörper nun einmal in die Richtung der größeren Kraft bewegt werden müsse. Speziell das Parlament stellt einen wichtigen Anwendungsbereich des Mehrheitsprinzips dar, da es als Gesetzgebungsorgan auf Entscheidungsfähigkeit gegründet sein muss. Zwischen dem Parlament als Legislativorgan und der allein für die ausführende Gewalt (Exekutive) zuständigen Krone sieht Locke eine ausbalancierte Gewaltenteilung vor.

Gewaltenteilung und Rechtsstaat

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Titelblatt der Erstausgabe von De L'esprit des Loix

Wie Locke war nach ihm auch der französische Adelsspross Montesquieu, der neben den französischen politischen Gegebenheiten seiner Zeit bei einem längeren England-Aufenthalt auch die britischen Verhältnisse gründlich studierte, Anhänger einer konstitutionellen Monarchie. Dem Modell einer Machtbschränkung durch Gewaltenteilung (Le pouvoir arrête le pouvoir) zog er mit der Judikative die dritte tragende Säule ein.

Nach rechtswissenschaftlichen Studien in Bordeaux und Paris war Montesquieu für einige Jahre am Gerichtshof (Parlement) von Bordeaux im Amt und in dieser Funktion auch mit der kritischen Prüfung und Registrierung königlicher Erlasse befasst. Ausgeprägter Abstand zu dem im Niedergang befindlichen französischen Absolutismus spricht auch aus seinem 1721 veröffentlichten Werk, den Persischen Briefen (Lettres persanes), in denen die französische Monarchie nicht besser wegkommt als die auf literarischer Basis zum Vergleich herangezogene osmanische Despotie. Montesquieus auf diese Weise angelegter soziologisch-kultureller Relativismus mündet in die aufklärerische Formel: „Wir können Gott als einen Monarchen betrachten, der mehrere Nationen in seinem Reich hat; sie kommen alle, ihm ihren Tribut zu bringen, und jede spricht zu ihm in ihrer Sprache.“[7]

Auch in seinem epochemachenden staatstheoretischen Standardwerk Vom Geist der Gesetze (De l’esprit des lois) stellt Montesquieu eine Fülle von Vergleichen zwischen Europa und dem Orient an, und zwar bezogen auf die Ebene damals geltender sowie ehedem erlassener Gesetze. Freiheit im politischen Sinne wird aus seiner Sicht nicht durch Volksentscheide bewirkt, sondern gründet in der Sicherheit durch generelle Gesetze.[8] Deren Geltung ist durch eine nach allen Seiten unabhängige Rechtsprechung zu gewährleisten, die allein an die Gesetze gebunden ist.

Menschenrechte und Volkssouveränität

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Gewisse unveräußerliche und schützenswerte Rechte der menschlichen Individuen im staatlichen Rahmen haben Vordenker aufklärerischen staatstheoretischen Denkens wie Grotius, Locke oder Montesquieu mit je unterschiedlichem Akzent in ihren Gesellschafts- und Herrschaftsmodellen bereits berücksichtigt. Als allgemeine Menschenrechte sind solche Vorstellungen in erweiterter Form eingegangen in die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 1776, in die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte durch die Französische Nationalversammlung 1789 und schließlich in die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen 1948.

 
Titelblatt der Erstausgabe Amsterdam, 1762

Eine radikale Abkehr von jeglicher mit Elementen monarchischer Gewalt verbundenen staatlichen Souveränität vollzog der in Genf beheimatete und langzeitig in Frankreich lebende Kulturkritiker Jean-Jacques Rousseau. In seiner Vorstellung von einem Naturzustand der Menschheit lebten die Individuen in selbstgenügsamer Zufriedenheit nebeneinander und begegneten sich hauptsächlich im Begattungsakt.[9] Mit einsetzender Arbeitsteilung und der Bildung von Eigentum aber wurde die natürliche Eigenliebe der Menschen (amour de soi) zur gesellschaftsschädigenden und zerstörerischen Selbstsucht (amour-propre). Rousseaus Gesellschaftsvertrag (Du Contrat Social ou Principes du Droit Politique) dient dem Zweck der Selbstvervollkommnung einer vom Naturzustand unwiderruflich abgeirrten Menschheit.

Das aus dem Contrat Social hervorgehende einigende Band ist der allgemeine Wille (Volonté générale), in dem sich die positiven Strebungen aller dem Gemeinwesen angehörigen Individuen vereinigen. Die Ermittlung des allgemeinen Willens geschieht in Abstimmungen, bei denen sich die Sonderinteressen gegeneinander aufheben und das Allgemeininteresse zum Vorschein kommt. Rousseau legt zugrunde, dass das Volk hinreichend informiert und aufgeklärt ist, das Ganze im Blick zu haben, wiewohl er auch anmerkt: „Es bedürfte göttlicher Wesen, um den Menschen Gesetze zu geben.“[10]

Im allgemeinen Willen konstituiert sich die unteilbare und unveräußerliche Souveränität des Volkes. Parlamente, Parteien und Interessengruppierungen lehnt Rousseau ebenso ab wie Grundrechte oder eine verbindliche Staatsverfassung. [11] Gegen den festgestellten allgemeinen Willen gibt es für Rousseau keinerlei individuelles Vorbehalts- oder Widerstandsrecht. Da in ihm die individuelle Freiheit mit der Freiheit aller verbunden ist, bedeutet die gegebenenfalls zu erzwingende Befolgung der volonté générale die Lenkung eine Widerständigen zu seinem eigenen Besten. Dies gilt auch im Hinblick auf eine allgemein verpflichtende zivile Religion und Gottesverehrung abseits der etablierten Konfessionen und Kirchen: Wer sich dem verweigert verdient laut Rousseau den Tod.[12]

Gesellschaftliche Kräfte im Aufbruch

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Entstehung und Entwicklung aufklärerischen staatstheoretischen Denkens standen in enger Wechselwirkung mit den frühneuzeitlichen gesellschaftspolitischen und kulturellen Transformationsprozessen, auf die in je eigener Weise etwa Machiavelli in Norditalien, Grotius in Holland oder Hobbes und Locke in England reagiert haben. Aufgenommen und verbreitet wurden die neuen Lehren wiederum im Milieu von Gelehrten und Gebildeten, von einem zu wachsender Bedeutung und größerem Selbstbewusstsein gelangenden Bürgertum in Wirtschaft und Handel, von einem im Zuge der des Ausbaus der staatlichen Verwaltungsapparate erweiterten und gründlich ausgebildeten Beamtentums – teils mit Unterstützung von der Aufklärung zugeneigten Herrschern – sowie von lesefreudig aufgeschlossenen und am öffentlichen Leben interessierten weiteren Gesellschaftsmitgliedern.

Aufnahme und Wirksamkeit der diversen staatstheoretischen Vorstellungen hingen von vielerlei regionalen und örtlichen Gegebenheiten ab, hatten Ausgangsorte und Zentren und daneben weithin unberührte Gebiete mit herkömmlichem Denken, Tun und Lassen, vor allem in ländlichen Bereichen. [13] Nach und nebeneinander wurden unterschiedliche Organisationsformen wirksam bei der allmählichen gesellschaftlichen Verankerung aufklärerischen politischen Gedankenguts.

Erneuerung und Ausweitung der staatlichen Herrschaftsapparate

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Blick über das Wasserparterre zur Gartenfassade des Schlosses Versailles

Entstehung und Entwicklung des Aufklärungszeitalters kamen nicht losgelöst von den zeitgenössischen Herrschaftsinteressen und Herrschaftsapparaten in Gang, also nicht nur außerhalb dieser Sphäre, sondern schlossen sie langstreckig mit ein. Das Interesse der Fürsten an einer auf rationalen Grundlagen agierenden, effizienten Verwaltung beruhte vielfach auf wachsendem Finanzbedarf für den eigenen Machtausbau, für die Unterhaltung der Heere in Krieg und Frieden wie auch für die Bautätigkeit und prachtvolle Ausgestaltung des Hoflebens. Die Vermehrung einer für ihre Aufgaben ausgebildeten Beamtenschaft ist folglich ein von England und Frankreich her angestoßenes gesamteuropäische Phänomen. In solchen Beamten, heißt es bei Vovelle, „findet die Aufklärung vielfach motivierte Partner, die nicht nur vom Geist der Rationalisierung und Kontrolle, sondern auch der Erneuerung im Dienste der Monarchie wie des Gemeinwohls beseelt sind.[14]

Wo Landesherren sich aufklärerischem Denken nicht verschlossen, wurden diverse Reformprojekte angeschoben, nicht allein bei der Erhebung und Verwaltung von Steuern, sondern etwa auch im Schul- und Bildungswesen oder bei der Neugestaltung der Rechtsordnung. Die Entstehung einer staatlichen Rechtssphäre, die sich im Zeichen der Aufklärung zunehmend an naturrechtlichen Normen orientierte, begünstigte wiederum eine gewisse Verselbständigung der Verwaltung gegenüber der monarchischen Spitze.[15]

Akademien und gelehrte Gesellschaften

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Ludwig XIV. besucht die Académie des sciences 1671.

Die Förderung der materiellen Unabhängigkeit frühaufklärerischer Literaten war nach Voltaires Bekunden ein Ludwig XIV. auszeichnendes Merkmal: „Der König wartete nicht, bis man ihn lobte, sondern trug überzeugt, daß er solches Lob verdiente, seinen Ministern Lyonne und Colbert auf, ihm einige Franzosen und Ausländer zu nennen, die sich in der Literatur ausgezeichnet hatten und denen er deshalb seine Großzügigkeit zukommen lassen wollte.“[16]

Mit staatlicher Unterstützung formierten sich gelehrte Gesellschaften und Akademien als Einrichtungen, in denen Vertreter eines neuen Gelehrtentypus’ in wechselseitigem Austausch auf methodischer Grundlage nach Erkenntniserweiterung strebten. Vorreiter der Akademie-Gründungen in Deutschland war Gottfried Wilhelm Leibniz, dem mit kurfürstlicher Förderung die Schaffung einer wissenschaftlichen Akademie in Berlin gelang. Zu deren Zielen gehörte die Sammlung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse für praktische Zwecke, Impulse für Staat, Wirtschaft und Kultur sollten erarbeitet, die Sprach- und Geisteswissenschaften gefördert werden. [17]

Bezeichnend für das Selbstverständnis vieler frühaufklärerischer Gelehrter war eine kosmospolitische Ausrichtung, wonach die ganze Welt als Heimat und alle Menschen als Brüder angesehen wurden. Reisen und Reiseberichte erlaubten Vergleiche der politischen Verhältnisse und Lebensumstände und forderten eine Abkehr von der Ethnozentrik.[18] Der Schweizer Gelehrte Leonhard Euler zum Beispiel war erst an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg, dann an der Berliner Akademie, blieb beiden verbunden und wurde als technischer Beamter und Wissenschaftler lange Zeit von beiden Regierungen weiter bezahlt.[19]

Eine andere Form gelehrter Gesellschaften stellten die von Gottsched initiierten, hauptsächlich literarisch motivierten „Deutschen Gesellschaften“ dar. Ihnen gehörten vorwiegend Pfarrer, Lehrer und Professoren aus dem gebildeten städtischen Bürgertum an, auch Studenten und einige Adlige. In diesen Gesellschaften galten für den Diskussionsstil bestimmte Regeln, wonach zum Beispiel niemand dem anderen ins Wort fallen oder vom Thema abschweifen durfte. „Jeder konnte nacheinander zu Wort kommen, sollte seine Kritik bescheiden und kurz vortragen und dabei jedes anzügliche Wort wie jede satirische Bemerkung vermeiden. Eine ‚gesittete’ Diskussion bestimmte also die Runde.“[20]

Wirtschaftsbürgertum im Aufschwung

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Aufklärerisches Staatsdenken und eine aktive, teils dirigistische Wirtschaftspolitik von Staats wegen entwickeln sich parallel; in England gingen die Anfänge der Industriellen Revolution Hand in Hand mit den theoretischen und praktischen Neuerungen der politischen Verfassung. Kaufleute, Bankiers und Unternehmer blieben einerseits zwar eingebunden in die für sie jeweils maßgeblichen Wirtschaftsstrukturen ihres Landes. Mit ihrer Offenheit für Impulse von außen, ihrer auf nützliche Neuerungen und Gewinnmöglichkeiten gerichteten Wissbegierde und ihrem der Lebenswirklichkeit verbundenen Pragmatismus waren sie einstweilen „unauffällige Vertreter einer Welt im Umbruch.“[21]

Zwar stellten Beamte, Universitätsprofessoren und die durch die Aufklärung häufig zu „Volkslehrern“ sich entwickelnden Pfarrleute und Prediger die Wortführer des aufgeklärten städtischen Bürgertums. Daneben und mit ihnen zunehmend durch Eheschließung verbunden, bezogen aber auch Kaufleute und Handwerksvertreter als traditionelle städtische Eliten aus der Aufklärung neue Reputation, da ihnen die Nützlichkeit für das Gemeinwesen nicht abzusprechen war, nun aber auch das ihnen zugeordnete Motiv des schnöden geldlichen Gewinnstrebens – im Zeichen einer weniger religiös geprägten Betrachtung ökonomischer Sachverhalte – sie nicht mehr aus der „guten Gesellschaft“ ausgrenzte. Das Bürgertum bildete fortan eine erweiterte Wertegemeinschaft, die Meinungsführerschaft in einer zunehmend gebildeten und reformorientierten Öffentlichkeit beanspruchte.[22]

Freimaurerlogen und Geheimgesellschaften

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„Goose and Gridiron“
Gründungsort der Ersten
Freimaurer-Großloge
 1717

Frühe Sammelpunkte für aufklärerisch Gesonnene waren neben Akademien und gelehrten Gesellschaften auch Organisationsformen, die sich abseits der das öffentliche Leben dominierenden Wirkungsbereiche von Fürstenhof und Kirche in Freimaurerlogen und Geheimgesellschaften organisierten. Ursprünglich in der Tradition der englischen mittelalterlichen Werkmaurerei und der von den Bauhütten beim Kathedralbau entwickelten Bräuche stehend, kamen als neuzeitliche Freimaurer nun Vertreter der gebildeten bürgerlichen Schichten und von Teilen des Adels in den Logen zusammen, um sich unter Einhaltung spezifischer Gemeinschaftsriten zu Staatsbürgern heranzubilden, die ihr Denken und Handeln in selbstbestimmter Weise an den Geboten einer aufgeklärten Vernunft ausrichteten. Von England ausgehend verbreitete sich die Freimaurer-Bewegung seit Anfang des 18. Jahrhunderts über ganz Europa.[23]

Im von der Öffentlichkeit abgeschirmten Raum der Logen galt die Gleichheit der Mitglieder, die einander Bruder oder Freunde nannten und in diesem Rahmen Standesunterschiede und konfessionelle Trennungen aufhoben. Das galt für Katholiken, Lutheraner und Calvinisten wie für Juden. „Die Sozietäten waren so frei von konfessionellem Geist, dass sie sich gleicherweise in katholischen wie protestantischen Territorien ausbreiten konnten.“[24]

Geheimbünde in diversen Ausprägungen hatten nach dem Zeugnis des Freiherrn Knigge Ende des 18. Jahrhunderts großen Zulauf. Knigge selbst gehörte dem von Adam Weishaupt 1776 gegründeten Illuminatenorden an, der zu Beginn der 1780er Jahre sich über Bayern hinaus in Nord- und Westdeutschland ausbreitete. Zu den Illuminaten stießen vielfach unzufriedene Freimaurer, auch Prominente wie z. B. Goethe, Herder und Herzog Karl August. Bereits 1784/1785 ereilten die Illuminaten aber Verbotsedikte des bayerischen Kurfürsten Karl Theodor, der beschlagnahmte Papiere Weishaupts publik machte und die darin propagierte radikale Aufklärung als staatsgefährdend betrachtete. So wurde der Illuminatenorden von der konservativen Reaktion später auch zum Entstehungsherd und Auslöser der Französischen Revolution gemacht.[25]

Salonkultur und Lesezirkel des gebildeten Bürgertums

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Der literarische Salon von Madame Geoffrin (1755)

Ständige Orte des geselligen Beisammenseins von Gelehrten und Gebildeten, des Gedankenaustauschs und engagierter Dispute im Zeichen aufklärerischen Denkens waren die zumeist von Frauen unterhaltenen Salons mit berühmten Beispielen in Paris und Berlin. Während Freimaurer und Lesegesellschaften Frauen ausdrücklich ausschlossen,[26] konnten sie im Rahmen der von ihnen geführten Salons an den gelehrten Erörterungen ihrer Gäste sowohl teilhaben als auch eigene Impulse dabei setzen, beginnend bei der durch Einladung bestimmten Zusammensetzung ihrer Gäste-Runden. Ein Beteiligter erinnerte sich wie folgt an den von Mademoiselle Lespinasse zusammengestellten Kreis:

„Sie hatte sie hier und da in der Gesellschaft aufgelesen, dabei aber so gut ausgewählt, daß sie sich, wenn sie zugegen waren, wie die Saiten eines von geschickter Hand gestimmten Instruments im Gleichklang befanden. Den Vergleich weiterführend möchte ich sagen, daß sie dieses Instrument mit einer ans Geniale grenzenden Kunstfertigkeit spielte. Sie schien zu wissen, welchen Ton die Saite, die sie als nächstes anschlagen würde, von sich geben wird; ich meine, unsere Denkweisen und Charaktere waren ihr so wohlbekannt, daß sie nur ein Wort zu sagen brauchte, um sie ins Spiel zu bringen. Nirgends war das Gespräch lebhafter, glanzvoller und vortrefflicher geordnet als bei ihr.[27]

Die verschiedenen Salons ergänzten sich zum Teil in Konkurrenz zueinander. Bei der Neugründung eines Pariser Salons durch Madame Necker kam nur mehr der Freitag für eine wöchentliche Zusammenkunft der gewünschten Gäste in Frage. An anderen Tagen der Woche waren sie bereits an andere Salons gebunden. [28] Edward Gibbon, der 1763 mit Empfehlungsschreiben aus London die Pariser Salons besuchte, war an vier Wochentagen regelmäßig Gast bei solchen Gesprächsrunden, die er teils anregend als anregend, aber teils auch als befremdlich erlebte, wenn z. B. von der „Tyrannei der Madame Geoffrin“ oder vom „unduldsamen Eifer der Philosophen und Enzyklopädisten“ die Rede ist.[29]

 
Johann Peter Hasenclever: Das Lesekabinett, 1843

Als in Deutschland verbreitetste Aufklärungsgesellschaften anzusehen sind die am Ende des 18. Jahrhunderts auf eine Gesamtzahl von 430 geschätzten Lesegesellschaften. Da Bücher relativ teuer und öffentliche Bibliotheken noch rar waren, schlossen Interessierte sich zu Sammelabonnements zusammen und bildeten Lesezirkel, in denen Bücher und Zeitschriften reihum gelesen wurden. In Lesekabinetten gab es nicht nur der Bibliothekslektüre vorbehaltene Räume, sondern auch separate Räumlichkeiten, die dem Gedankenaustausch und der Diskussion über das Gelesene dienten.[30]

Nach englischem Vorbild wurden literarische Kleinformen wie Essay und Traktat zu Hauptverbreitungsformen des aufklärerischen Denkens und neuer philosophischer Anschauungen. Ihr vorwiegender Erscheinungsort waren zu abonnierende Periodika, die zu einer „Leserevolution“ in Deutschland seit Mitte des 18. Jahrhunderts wesentlich beitrugen.[31]

Neue Öffentlichkeit und politische Vereinigungen

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Der Parallelaufschwung von Publikationsaktivitäten und Lesernachfrage brachte eine neue Öffentlichkeitsstruktur hervor. Die aufklärerische Schriftkultur sollte die Menschen zur Kritikfähigkeit und zu sozialer Verantwortung anhalten. Rede- und Pressefreiheit erschienen zunehmend als grundlegendes Menschenrecht. Publizität betrachtete man nun als unerlässlich für die Förderung vernunftgeleiteten Denkens. Als rechtmäßig war nur mehr das anzusehen, was sich auch öffentlich als vertretbar erwies. Mit den Worten Kants:

„Alle auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen, deren Maxime sich nicht mit Publizität verträgt, sind unrecht.[32]

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wandten sich Teile des Bildungsbürgertums über die eigenen Kreise hinaus der Volksaufklärung zu. Ging es anfänglich vorwiegend um die Weitergabe naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu praktischen Zwecken an die Landbevölkerung, so zielte man in der Folge auch auf moralische, weltanschaulich-religiöse und politische Aufklärung. Neben den Bauern wurden auch Dienstboten, Hebammen, Wundärzte, Seeleute und Soldaten in die Volksaufklärung einbezogen.[33]

 
Versammlung des Mainzer Jakobinerclubs im ehemaligen kurfürstlichen Schloss

Zu den Trägern der Volksaufklärung gehörten patriotisch-gemeinnützige Gesellschaften, für die ein nach außen drängender Reformwille bezeichnend war. Wie die Freimaurer-Bewegung verbreitete sich dieser Gesellschaftstyp von England aus auch im deutschsprachigen Raum. Im Mittelpunkt stand in diesen Vereinigungen nicht gelehrtes Wissen, sondern die Verbreitung gemeinnützig-praktischen Wissens. Den größten Mitgliederanteil stellten die staatlichen Verwaltungsbeamten. Auch hier traten Standesunterschiede in den Hintergrund: Ausschlaggebend bei der Entscheidungsfindung war nicht die gesellschaftliche Stellung der Beteiligten, sondern das bessere Argument.[34]

Während die gemeinnützig-patriotischen Gesellschaften in Deutschland sich hauptsächlich der Sache eines reformorientierten, aufgeklärten Absolutismus’ verschrieben, schlugen die von den einschneidenden Vorgängen der Französischen Revolution erfassten Volksgesellschaften, etwa die Mainzer „Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit“ einen radikalpolitischen Aufklärungskurs ein. Ziel war hier die Vorbereitung einer bürgerlichen Demokratie im Zeichen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die Mitglieder leisteten einen öffentlichen Eid, „frei zu leben oder zu sterben“. Dieser wie auch anderen ähnlichen Gesellschaften war jedoch nur ein kurzes Dasein beschieden: Nach der Gründung im Oktober 1792 kam im März 1793 bereits das Ende. Die Terrorphase der Französischen Republik wurde danach für Jahrzehnte als Menetekel gegen den Demokratiebegriff verwendet.[35]

Formen aufklärerischer Regierungsorganisation

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Statue von Wilhelm III. von Oranien-Nassau, Statthalter der Niederlande und ab 1689 zugleich König von England, im Hafen von Brixham, wo er am 5. November 1688 mit seiner niederländischen Armee im Zuge der Glorious Revolution in England landete

Aufklärerische Staatstheorien und die sie unterstützenden gesellschaftlichen Kräfte haben in der westlichen Staatenwelt nicht zu einheitlichen, aber doch zu teilweise einschneidend veränderten Regierungs- und Herrschaftssystemen geführt. Als Motor diesbezüglicher Entwicklungen ist England anzusehen, das im 17. Jahrhundert nach turbulenten Bürgerkriegsphasen mit der Glorious Revolution als europäische Großmacht neuen Standards den Weg bereitete. Ein Jahrhundert später, gegen Ende des klassischen Aufklärungszeitalters, schien die Französische Revolution ebenfalls in eine konstitutionelle Monarchie einzumünden, ehe ihr Weg über die Jakobiner- und Thermidorianer-Republik zum Kaisertum Napoleons I. führte. Während sich im deutschsprachigen Raum unterdessen in Etappen ein aufgeklärter Absolutismus entwickelte, wurde in den USA nach Unabhängigkeitserklärung und Unabhängigkeitskrieg die erste neuzeitliche Demokratie gebildet.

Angesichts der damit genannten und im Folgenden näher zu behandelnden maßgeblichen Aspekte neuer Regierungsorganisation im Zeitalter der Aufklärung sollte nicht übersehen werden, dass der Freiheitskampf der Niederländer und dass ihre Republikgründung für die Aufklärungsepoche bereits im Vorlauf wichtige Impulse gesetzt hatten. Bis 1750 waren die dort angesiedelten Verlage die wichtigsten Lieferanten von Aufklärungsliteratur. Der föderale Charakter der Republik begünstigte die Duldung von Minderheiten, die auch als in anderen Staaten Verfolgte hier Zuflucht fanden.[36]

Literatur

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  • Richard van Dülmen: Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischer Kultur in Deutschland. Frankfurt am Main 1996 (Originalausgabe 1996)
  • Annette Meyer: Die Epoche der Aufklärung. Akademie, Berlin 2010, ISBN 978-3-05-004443-9
  • Robert Mandrou: Staatsraison und Vernunft: 1649 – 1775. Propyläen Geschichte Europas, Band 3, Franfurt/M., Berlin, Wien 1982 (Originalausgabe 1975)
  • Werner Schneiders: Das Zeitalter der Aufklärung. Beck, München 1997, ISBN 3-406-44796-1
  • Werner Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung: Deutschland und Europa. C.H. Beck, München 1995 (Taschenbuchausg.: München: C.H. Beck, 2001. ISBN 3-406-47571-X).
  • Michael Stolleis: Staat und Staatsraison in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts. Frankfurt am Main 1990.
  • Michel Vovelle (Hrsg.): Der Mensch der Aufklärung. Frankfurt am Main 1998 (italienische Originalausgabe: Rom und Bari 1990).
  • Eberhard Weis: Der Durchbruch des Bürgertums: 1776 – 1847. Propyläen Geschichte Europas, Band 4, Franfurt/M., Berlin, Wien 1982 (Originalausgabe 1975)
  • Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. Bd. 1: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert. München 2009, ISBN 978-3-406-59235-5.

Anmerkungen

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  1. Stolleis 1990, S. 23.
  2. Guicciardini bemerkte laut Stolleis „beiläufig“, dass die Tötung gefangener Pisaner zwar nicht christlich sei, der „ragione e uso degli stati“ aber entspreche. (Stolleis 1990, S. 40 f.
  3. Stolleis 1990, S. 11 f.
  4. Günter Hoffmann-Loerzer: Grotius. In: Hans Maier, Heinz Rausch, Horst Denzer (Hrsg.): Klassiker des politischen Denkens. Band I. München: Beck, 5. Aufl. 1979, S. 315 / 318 f. Es dürfe allerdings nicht übersehen werden, so Loerzer, dass die heute relevanten Aspekte von Grotius’ Lehre erst an der Wende zum 20. Jahrhundert „nach einem fast 300jährigen Schlaf wiederbelebt wurden. (ebda. S. 317)
  5. Römer 13, 1-5
  6. Hans Maier: Hobbes. In: Hans Maier, Heinz Rausch, Horst Denzer (Hrsg.): Klassiker des politischen Denkens. Band I. München: Beck, 5. Aufl. 1979, S. 357 ff.
  7. Zitiert nach: Fritz Schalk: Die europäische Aufklärung. In: Golo Mann und August Nitschke (Hrsg.): Propyläen Weltgeschichte. Band 7: Von der Reformation zur Revolution. Frankfurt am Main, Berlin 1986 (Erstausgabe 1960 bis 1964), S. 486.
  8. De l’esprit des lois 11, 3.
  9. Schneiders 1997, S. 75
  10. Contrat social 2, 7: „Il faudrait des dieux pour donner des lois aux hommes.“
  11. Hans Maier: Rousseau. In: Hans Maier, Heinz Rausch, Horst Denzer (Hrsg.): Klassiker des politischen Denkens. Band II. München: Beck, 5. Aufl. 1979, S. 129 ff.
  12. Contrat social 2, 7: „Que si quelqu'un, après avoir reconnu publiquement ces mêmes dogmes, se conduit comme ne les croyant pas, qu'il soit puni de mort ; il a commis le plus grand des crimes, il a menti devant les lois.“
  13. Michelle Vovelle: Der Mensch der Aufklärung. (Einführung). In: Ders. (Hrsg.) 1998, S. 22.
  14. Michel Vovelle: Der Mensch der Aufklärung (Einführung). In: ders. (Hrsg.) 1998, S. 36.
  15. Johann Christian Pauly: Staatsverwaltung / Policey. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 394.
  16. Zitiert nach: Roger Chartier: Der Gelehrte. In: Michel Vovelle (Hrsg.) 1998, S. 125.
  17. Richard van Dülmen 1996, S. 32.
  18. Gonthier-Louis Fink: Kosmopolitismus. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 221.
  19. Vincenzo Ferrone: Der Wissenschaftler. In: Michel Vovelle (Hrsg.) 1998, S. 192.
  20. Richard van Dülmen 1996, S. 50.
  21. Michel Vovelle: Der Mensch der Aufklärung (Einführung). In: ders. (Hrsg.) 1998, S. 31.
  22. Michael Maurer: Bürger / Bürgertum. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 71.
  23. Richard van Dülmen 1996, S. 55 ff.; Winfried Dotzauer: Freimaurer. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 137 f.
  24. Richard van Dülmen 1996, S. 124.
  25. Richard van Dülmen 1996, S. 100 ff.; W. Daniel Wilson: Illuminaten. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 184 f.
  26. Richard van Dülmen 1996, S. 124.
  27. Zitiert nach: Roger Chartier: Der Gelehrte. In: Michel Vovelle (Hrsg.) 1998, S. 138.
  28. Roger Chartier: Der Gelehrte. In: Michel Vovelle (Hrsg.) 1998, S. 141.
  29. Zitiert nach: Roger Chartier: Der Gelehrte. In: Michel Vovelle (Hrsg.) 1998, S. 145. „Sie verlachten den Skeptizismus Humes, predigten die Lehrsätze des Atheismus mit dem blinden Eifer von Dogmatikern und überhäuften alle Gläubigen mit Verachtung und Spott.“ (ebenda)
  30. Richard van Dülmen 1996, S. 82 f.
  31. Wolfgang Adam: Lesen. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 184 f.
  32. Zitiert nach: John A. Mc Carthy: Öffentlichkeit. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 293.
  33. Holger Böning: Volksaufklärung. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 435.
  34. Richard van Dülmen 1996, S. 66 f.; Helmut Reinalter: Gesellschaften, patriotische. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 159.
  35. Hans Fenske: Demokratie. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 435.
  36. Wijnand W. Mijnhardt: Niederlande. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 288 f.

Kategorie:Zeitalter



Letzte Artikelversion vom 19. Mai 2014, 14:19 Uhr vor der Übernahme und Einverleibung durch Kopilot (ab 14. 8. 14)


 
Vordenker der Aufklärung: Voltaire (Porträt von Nicolas de Largillière)

Das Zeitalter der Aufklärung in der westlichen Staatenwelt erstreckt sich in etwa von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und betrifft als Ausgangsräume England, Frankreich, Deutschland sowie die USA. Hier zuerst entstanden Formen der Regierungsorganisation, die Impulse aufklärerischen Denkens umsetzten und die sich auf staatstheoretische Vorstellungen stützen konnten, die in England beispielsweise von Hobbes und Locke, in Frankreich von Montesquieu, Voltaire und Rousseau, in Deutschland von Lessing und Kant, in den USA von Thomas Jefferson und James Madison vertreten wurden.

Angestoßen und begünstigt durch die frühneuzeitlichen Transformationsprozesse auf wirtschaftlicher, gesellschaftskultureller und machtpolitischer Ebene fanden diese Lehren in bürgerlichen Interessengemeinschaften und Vereinigungen wie auch an diversen Fürstenhöfen Verbreitung, sofern die dort Herrschenden aufklärerischem Gedankengut gegenüber aufgeschlossen waren. Von solchen Vorstellungen inspiriert und teils geleitet waren in England die Glorious Revolution von 1689, der aufgeklärte Absolutismus etwa in Preußen und Österreich, die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika und die Französische Revolution.

Die weitere Verbreitung aufklärerischer Staatsideen auch jenseits ihres geschichtlichen Entstehungszusammenhangs ist für die Ausgestaltung der modernen Staatenwelt anhaltend bedeutsam geblieben. Dies zeigt sich sowohl bei der Errichtung demokratischer Systeme auf einzelstaatlicher und zwischenstaatlicher Ebene, so in der Europäischen Union und in den Vereinten Nationen, als auch zum Beispiel in der Forderung nach weltweiter Garantie der Menschenrechte.

Staatstheorie im Wandel

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Mit der zunehmenden Abschwächung und teilweisen Ablösung des politischen Denkens in und von den herkömmlichen religiösen Mustern, oft verbunden mit einer Rückbesinnung auf überlieferte Modellvorstellungen aus der griechisch-römischen Antike, entstand eine Reihe nachhaltig einflussreicher Staatstheorien. Einige von ihnen wurden nicht allein im Zeitalter der Aufklärung wirksam, sondern beeinflussen bis in die Gegenwart hinein maßgeblich die politische Theorie und Praxis. Die nachfolgenden Darstellungsabschnitte sind deshalb weder allein auf einzelne Vordenker der Aufklärung gerichtet, noch bloße historisch-chronologische Sequenzen, sondern gliedern den Stoff nicht zuletzt systematisch.

Staatsraison und Völkerrecht

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Hugo Grotius – Porträt von Michiel Jansz van Mierevelt, 1631

Dem Zeitalter der Aufklärung vorgelagert ist die Entstehung jener beiden in Spannung zueinander stehenden politischen Begriffe und Prinzipien, die ungeachtet aller seither eingetretenen gesellschaftsgeschichtlichen Umwälzungen und inmitten einer fortgeschrittenen Globalisierung fortwirken: als überdauernde Konstante einerseits die Staatsraison und in erneuerter Aktualität das Völkerrecht. Die Lehre von den Staatsinteressen, „d. h. der Autonomie politischer Entscheidungen gegenüber den Geboten der Moral, der Religion und des Rechts“[1], geht auf Niccolò Machiavelli zurück und auf die von ihm reflektierten chaotischen Machtverhältnisse und Desorganisationserscheinungen in Italien am Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert. Zwecks Machterhaltung nach innen und zur Existenzsicherung des Staatswesens nach außen dürfe, ja müsse der Fürst (oder leitende Staatsmann) Moral und Recht bei Bedarf außer Acht lassen. Der Machiavelli nahestehende Historiker Francesco Guicciardini gebrauchte dafür den Begriff der ragion di stato (Staatsraison).[2]

Das Prinzip der Staatsraison konnte u. a. dazu dienen, den Souveränitätsanspruch des Fürsten zu begründen: sein ungeteiltes und beständiges Gewaltmonopol, seine Hoheit über Gesetze, Kriegserklärungen und Friedensschlüsse, die Ausschaltung aller regionalen oder ständischen Interessenvertretungen zwecks Herstellung eines herrschaftsdienlichen Untertanenverbands. Doch auch jenseits spezifisch frühneuzeitlicher Konstellationen wurde und wird die Staatsraison bei Bedarf von Interessierten bemüht – auch z. B. im Gewand des „Gemeinwohls“, der „öffentlichen Interessen“ oder der „Notwendigkeit“ –, um bestehende Rechtsverhältnisse und Rechtsnormen aufzulockern oder auszuhebeln.[3]

Auf überstaatlicher Ebene angesiedelt und das Prinzip der Staatsraison einschränkend bzw. ihm widerstreitend ist das Völkerrecht, wenn es zur Anwendung kommt. Das Völkerrechtskonzept wurde – ebenfalls in einer durch die historischen Umstände des niederländischen Freiheitskampfes gegen die spanische Krone geförderten Lage – von dem Holländer Hugo Grotius zuerst entworfen und vor allem durch sein Werk De iure belli et pacis verbreitet. Als Zeitgenosse auch des Dreißigjährigen Krieges trat Grotius für die persönliche Freiheit des religiösen Bekenntnisses ein und reklamierte für das Individuum einen „rechtlich gesicherten Platz innerhalb der großen Gemeinschaft eigenständiger Staaten“. Kriege aus beliebig gesuchtem Anlass wurden von Grotius geächtet. Doch auch die Neutralität verbietet sich aus seiner Sicht, wenn es gilt, Staatenverbrechen entgegenzutreten: „Der Staat als Verbrecher, als Bandit, als Räuber – das ist die Herausforderung des Grotius für den souveränen Staat, der bisher nur seiner Staatsraison folgte.“[4]

Vom Gottesgnadentum zur Theorie des Gesellschaftsvertrags

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Die gegenüber religiös begründeten Dogmen zunehmend kritisch eingestellten Vordenker der Aufklärung gingen im staatstheoretischen Rahmen über das bis dahin von den christlichen Monarchen als Legitimationsgrundlage hauptsächlich in Anspruch genommene Gottesgnadentum hinweg. Nunmehr als Rechtfertigung ausgedient hatten die auch frühneuzeitlichen Herrschern noch bequemen Bibel-Aussagen des Apostels Paulus im Römerbrief:[5]

„Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt... Deshalb ist es notwendig, Gehorsam zu leisten, nicht allein aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen.“

 
Titelblatt von Hobbes’ Leviathan. Zu sehen ist der Souverän, der über Land, Städte und deren Bewohner herrscht. Sein Körper besteht aus den Menschen, die in den Gesellschaftsvertrag eingewilligt haben.

Eine dem Vernunftprinzip der Aufklärung verpflichtete Legitimation staatlicher Gewalt bedurfte fortan anderer Grundlagen. Eine solche entstand aus der Vorstellung eines Gesellschaftsvertrags: Alle Bürger eines Gemeinwesens bzw. die Staatsangehörigen wurden als Mitglieder einer durch vertraglichen Zusammenschluss gebildeten Gemeinschaft angesehen. Sie waren dadurch an die politischen Konsequenzen individuell gebunden, die sich aus dem Vertragsinhalt ergaben. Dieses neue Instrument der Herrschaftslegitimation, der fiktive Gesellschaftsvertrag, sollte in der Folge als theoretische Basis für ganz unterschiedlichen Formen des Staatsaufbaus dienen.

Vom Absolutismus zur parlamentarischen Gesetzgebung

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Anders als Grotius, der seine Völkerrechtslehre auf ein toleranzbasiertes Glaubensfundament gegründet hatte, entwickelte der auch als „Vater des Atheismus in England“ apostrophierte Thomas Hobbes seine Staatslehre vor dem Hintergrund einer Neugründung der philosophischen Disziplinen durch mathematische Methoden, Messung und empirische Demonstration.[6] Das neue Denken in naturwissenschaftlichen Bahnen sollte nun auch für Ethik und Politik fruchtbar gemacht werden.

Als erster einer Reihe von Staatstheoretikern entwickelt Hobbes die Vorstellung eines anfänglichen Naturzustands von menschlicher Gesellschaft. In seinem Modell des Naturzustands steht jedes Individuum allen Mitmenschen feindlich gegenüber (homo homini lupus) und hat einen dauernden Kampf um die eigene Sicherheit und Selbstbehauptung zu führen. Abhilfe aus diesem Dilemma kann nur die völlige Unterwerfung aller Individuen unter die Allgewalt des Staates bieten, der dadurch zum Garanten der Sicherheit aller wird und den Kriegszustand der Individuen untereinander (bellum omnium contra omnes) beendet. Indem die Menschen ihrem Sicherheitsbedürfnis bedingungslos folgen (Hobbes war Zeitgenosse des englischen Bürgerkriegs und der Hinrichtung Karls I.), verzichten sie auf jedes Eigenrecht als Bürger und statten den Herrscher mit unbeschränkter, absoluter Machtvollkommenheit aus.

Eine davon grundlegend abweichende Lehre vertritt der die politischen Umwälzungen Englands in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ebenfalls gespannt verfolgende John Locke. Für ihn, den Anwalt religiöser Toleranz und besitzbürgerlicher Interessen, gibt es schon im Naturzustand menschlichen Daseins ein Anrecht des Individuums auf Eigentumserwerb durch Arbeit. Sein die staatliche Ordnung begründender Gesellschaftsvertrag dient außer dem Schutz von Leib und Leben der Bürger auch der Wahrung ihrer Eigentumsrechte, die vom Parlament auch der monarchischen Spitze gegenüber vertreten werden. Gegen eine Tyrannei der Krone und gegen deren willkürlichen Zugriff auf Hab und Gut vermögender Bürger reklamiert Locke das Steuerbewilligungsrecht des Parlaments und im äußersten Fall ein Widerstandsrecht.

Als Bestandteil des ursprünglichen Gesellschaftsvertrags betrachtet Locke die Verpflichtung auf das Mehrheitsprinzip, da der Gesamtkörper nun einmal in die Richtung der größeren Kraft bewegt werden müsse. Speziell das Parlament stellt einen wichtigen Anwendungsbereich des Mehrheitsprinzips dar, da es als Gesetzgebungsorgan auf Entscheidungsfähigkeit gegründet sein muss. Zwischen dem Parlament als Legislativorgan und der allein für die ausführende Gewalt (Exekutive) zuständigen Krone sieht Locke eine ausbalancierte Gewaltenteilung vor.

Gewaltenteilung und Rechtsstaat

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Titelblatt der Erstausgabe von De L'esprit des Loix

Wie Locke war nach ihm auch der französische Adelsspross Montesquieu, der neben den französischen politischen Gegebenheiten seiner Zeit bei einem längeren England-Aufenthalt auch die britischen Verhältnisse gründlich studierte, Anhänger einer konstitutionellen Monarchie. Dem Modell einer Machtbschränkung durch Gewaltenteilung (Le pouvoir arrête le pouvoir) zog er mit der Judikative die dritte tragende Säule ein.

Nach rechtswissenschaftlichen Studien in Bordeaux und Paris war Montesquieu für einige Jahre am Gerichtshof (Parlement) von Bordeaux im Amt und in dieser Funktion auch mit der kritischen Prüfung und Registrierung königlicher Erlasse befasst. Ausgeprägter Abstand zu dem im Niedergang befindlichen französischen Absolutismus spricht auch aus seinem 1721 veröffentlichten Werk, den Persischen Briefen (Lettres persanes), in denen die französische Monarchie nicht besser beurteilt wird als die auf literarischer Basis zum Vergleich herangezogene osmanische Despotie. Montesquieus auf diese Weise angelegter soziologisch-kultureller Relativismus mündet in die aufklärerische Formel:

„Wir können Gott als einen Monarchen betrachten, der mehrere Nationen in seinem Reich hat; sie kommen alle, ihm ihren Tribut zu bringen, und jede spricht zu ihm in ihrer Sprache.“[7]

Auch in seinem epochemachenden staatstheoretischen Standardwerk Vom Geist der Gesetze (De l’esprit des lois) stellt Montesquieu eine Fülle von Vergleichen zwischen Europa und dem Orient an, und zwar bezogen auf die Ebene damals geltender sowie ehedem erlassener Gesetze. Freiheit im politischen Sinne wird aus seiner Sicht nicht durch Volksentscheide bewirkt, sondern gründet in der Sicherheit durch generelle Gesetze.[8] Deren Geltung ist durch eine nach allen Seiten unabhängige Rechtsprechung zu gewährleisten, die allein an die Gesetze gebunden ist.

Menschenrechte und Volkssouveränität

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Gewisse unveräußerliche und schützenswerte Rechte der menschlichen Individuen im staatlichen Rahmen haben Vordenker aufklärerischen staatstheoretischen Denkens wie Grotius, Locke oder Montesquieu mit je unterschiedlichem Akzent in ihren Gesellschafts- und Herrschaftsmodellen bereits berücksichtigt. Als allgemeine Menschenrechte sind solche Vorstellungen in erweiterter Form eingegangen in die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 1776, in die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte durch die Französische Nationalversammlung 1789 und schließlich in die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen 1948.

 
Titelblatt der Erstausgabe Amsterdam, 1762

Eine radikale Abkehr von jeglicher mit Elementen monarchischer Gewalt verbundenen staatlichen Souveränität vollzog der in Genf beheimatete und langzeitig in Frankreich lebende Kulturkritiker Jean-Jacques Rousseau. In seiner Vorstellung von einem Naturzustand der Menschheit lebten die Individuen in selbstgenügsamer Zufriedenheit nebeneinander und begegneten sich hauptsächlich im Begattungsakt.[9] Mit einsetzender Arbeitsteilung und der Bildung von Eigentum aber wurde die natürliche Eigenliebe der Menschen (amour de soi) zur gesellschaftsschädigenden und zerstörerischen Selbstsucht (amour-propre). Rousseaus Gesellschaftsvertrag (Du Contrat Social ou Principes du Droit Politique) dient dem Zweck der Selbstvervollkommnung einer vom Naturzustand unwiderruflich abgeirrten Menschheit.

Das aus dem Contrat Social hervorgehende einigende Band ist der allgemeine Wille (Volonté générale), in dem sich die positiven Strebungen aller dem Gemeinwesen angehörigen Individuen vereinigen. Die Ermittlung des allgemeinen Willens geschieht in Abstimmungen, bei denen sich die Sonderinteressen gegeneinander aufheben und das Allgemeininteresse zum Vorschein kommt. Rousseau legt zugrunde, dass das Volk hinreichend informiert und aufgeklärt ist, das Ganze im Blick zu haben, wiewohl er auch anmerkt: „Es bedürfte göttlicher Wesen, um den Menschen Gesetze zu geben.“[10]

Im allgemeinen Willen konstituiert sich die unteilbare und unveräußerliche Souveränität des Volkes. Parlamente, Parteien und Interessengruppierungen lehnt Rousseau ebenso ab wie Grundrechte oder eine verbindliche Staatsverfassung. [11] Gegen den festgestellten allgemeinen Willen gibt es für Rousseau keinerlei individuelles Vorbehalts- oder Widerstandsrecht. Da in ihm die individuelle Freiheit mit der Freiheit aller verbunden ist, bedeutet die gegebenenfalls zu erzwingende Befolgung der volonté générale die Lenkung eine Widerständigen zu seinem eigenen Besten. Dies gilt auch im Hinblick auf eine allgemein verpflichtende zivile Religion und Gottesverehrung abseits der etablierten Konfessionen und Kirchen: Wer sich dem verweigert verdient laut Rousseau den Tod.[12]

Gesellschaftliche Kräfte im Aufbruch

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Entstehung und Entwicklung aufklärerischen staatstheoretischen Denkens standen in enger Wechselwirkung mit den frühneuzeitlichen gesellschaftspolitischen und kulturellen Transformationsprozessen, auf die in je eigener Weise etwa Machiavelli in Norditalien, Grotius in Holland oder Hobbes und Locke in England reagiert haben. Aufgenommen und verbreitet wurden die neuen Lehren wiederum im Milieu von Gelehrten und Gebildeten, von einem zu wachsender Bedeutung und größerem Selbstbewusstsein gelangenden Bürgertum in Wirtschaft und Handel, von einem im Zuge der des Ausbaus der staatlichen Verwaltungsapparate erweiterten und gründlich ausgebildeten Beamtentums – teils mit Unterstützung von der Aufklärung zugeneigten Herrschern – sowie von lesefreudig aufgeschlossenen und am öffentlichen Leben interessierten weiteren Gesellschaftsmitgliedern.

Aufnahme und Wirksamkeit der diversen staatstheoretischen Vorstellungen hingen von vielerlei regionalen und örtlichen Gegebenheiten ab, hatten Ausgangsorte und Zentren und daneben weithin unberührte Gebiete mit herkömmlichem Denken, Tun und Lassen, vor allem in ländlichen Bereichen. [13] Nach und nebeneinander wurden unterschiedliche Organisationsformen wirksam bei der allmählichen gesellschaftlichen Verankerung aufklärerischen politischen Gedankenguts.

Erneuerung und Ausweitung der staatlichen Herrschaftsapparate

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Blick über das Wasserparterre zur Gartenfassade des Schlosses Versailles

Entstehung und Entwicklung des Aufklärungszeitalters kamen nicht losgelöst von den zeitgenössischen Herrschaftsinteressen und Herrschaftsapparaten in Gang, also nicht nur außerhalb dieser Sphäre, sondern schlossen sie langstreckig mit ein. Das Interesse der Fürsten an einer auf rationalen Grundlagen agierenden, effizienten Verwaltung beruhte vielfach auf wachsendem Finanzbedarf für den eigenen Machtausbau, für die Unterhaltung der Heere in Krieg und Frieden wie auch für die Bautätigkeit und prachtvolle Ausgestaltung des Hoflebens. Die Vermehrung einer für ihre Aufgaben ausgebildeten Beamtenschaft ist folglich ein von England und Frankreich her angestoßenes gesamteuropäisches Phänomen. In solchen Beamten, heißt es bei Vovelle 1998, „findet die Aufklärung vielfach motivierte Partner, die nicht nur vom Geist der Rationalisierung und Kontrolle, sondern auch der Erneuerung im Dienste der Monarchie wie des Gemeinwohls beseelt sind.[14]

Wo Landesherren sich aufklärerischem Denken nicht verschlossen, wurden diverse Reformprojekte angeschoben, nicht allein bei der Erhebung und Verwaltung von Steuern, sondern etwa auch im Schul- und Bildungswesen oder bei der Neugestaltung der Rechtsordnung. Die Entstehung einer staatlichen Rechtssphäre, die sich im Zeichen der Aufklärung zunehmend an naturrechtlichen Normen orientierte, begünstigte wiederum eine gewisse Verselbständigung der Verwaltung gegenüber der monarchischen Spitze.[15]

Akademien und gelehrte Gesellschaften

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Ludwig XIV. besucht die Académie des sciences 1671.

Im späten 17. Jahrhundert kam es mit königlicher Unterstützung zur Gründung wissenschaftlicher Gesellschaften: 1660 wurde die Royal Society in London gegründet, 1666 die Académie des sciences in Paris.

Nach Voltaires Bekunden zeichnete sich speziell Ludwig XIV. bei der Förderung der materiellen Unabhängigkeit frühaufklärerischer Literaten aus:

„Der König wartete nicht, bis man ihn lobte, sondern trug überzeugt, daß er solches Lob verdiente, seinen Ministern Lyonne und Colbert auf, ihm einige Franzosen und Ausländer zu nennen, die sich in der Literatur ausgezeichnet hatten und denen er deshalb seine Großzügigkeit zukommen lassen wollte.“[16]

Mit staatlicher Unterstützung formierten sich gelehrte Gesellschaften und Akademien als Einrichtungen, in denen Vertreter eines neuen Gelehrtentypus’ in wechselseitigem Austausch auf methodischer Grundlage nach Erkenntniserweiterung strebten. Vorreiter der Akademie-Gründungen in Deutschland war Gottfried Wilhelm Leibniz, dem 1700 mit kurfürstlicher Förderung die Schaffung einer wissenschaftlichen Akademie in Berlin gelang. Zu deren Zielen gehörte die Sammlung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse für praktische Zwecke, Impulse für Staat, Wirtschaft und Kultur sollten erarbeitet, die Sprach- und Geisteswissenschaften gefördert werden.[17]

Bezeichnend für das Selbstverständnis vieler frühaufklärerischer Gelehrter war eine kosmopolitische Ausrichtung, wonach die ganze Welt als Heimat und alle Menschen als Brüder angesehen wurden. Reisen und Reiseberichte erlaubten Vergleiche der politischen Verhältnisse und Lebensumstände und forderten eine Abkehr von der Ethnozentrik.[18] Der Schweizer Gelehrte Leonhard Euler zum Beispiel war erst an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg, dann an der Berliner Akademie, blieb beiden verbunden und wurde als technischer Beamter und Wissenschaftler lange Zeit von beiden Regierungen weiter bezahlt.[19]

Eine andere Form gelehrter Gesellschaften stellten die von Gottsched initiierten, hauptsächlich literarisch motivierten „Deutschen Gesellschaften“ dar. Ihnen gehörten vorwiegend Pfarrer, Lehrer und Professoren aus dem gebildeten städtischen Bürgertum an, auch Studenten und einige Adlige. In diesen Gesellschaften galten für den Diskussionsstil bestimmte Regeln, wonach zum Beispiel niemand dem anderen ins Wort fallen oder vom Thema abschweifen durfte.

„Jeder konnte nacheinander zu Wort kommen, sollte seine Kritik bescheiden und kurz vortragen und dabei jedes anzügliche Wort wie jede satirische Bemerkung vermeiden. Eine ‚gesittete’ Diskussion bestimmte also die Runde.“[20]

Wirtschaftsbürgertum im Aufschwung

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Aufklärerisches Staatsdenken und eine aktive, teils dirigistische Wirtschaftspolitik von Staats wegen entwickelten sich parallel; in England gingen die Anfänge der Industriellen Revolution Hand in Hand mit den theoretischen und praktischen Neuerungen der politischen Verfassung. Kaufleute, Bankiers und Unternehmer blieben einerseits zwar eingebunden in die für sie jeweils maßgeblichen Wirtschaftsstrukturen ihres Landes. Mit ihrer Offenheit für Impulse von außen, ihrer auf nützliche Neuerungen und Gewinnmöglichkeiten gerichteten Wissbegierde und ihrem der Lebenswirklichkeit verbundenen Pragmatismus waren sie einstweilen „unauffällige Vertreter einer Welt im Umbruch.“[21]

Zwar stellten Beamte, Universitätsprofessoren und die durch die Aufklärung häufig zu „Volkslehrern“ sich entwickelnden Pfarrleute und Prediger die Wortführer des aufgeklärten städtischen Bürgertums. Daneben und mit ihnen zunehmend durch Eheschließung verbunden, bezogen aber auch Kaufleute und Handwerksvertreter als traditionelle städtische Eliten aus der Aufklärung neue Reputation, da ihnen die Nützlichkeit für das Gemeinwesen nicht abzusprechen war, nun aber auch das ihnen zugeordnete Motiv des schnöden geldlichen Gewinnstrebens – im Zeichen einer weniger religiös geprägten Betrachtung ökonomischer Sachverhalte – sie nicht mehr aus der „guten Gesellschaft“ ausgrenzte. Das Bürgertum bildete fortan eine erweiterte Wertegemeinschaft, die Meinungsführerschaft in einer zunehmend gebildeten und reformorientierten Öffentlichkeit beanspruchte.[22]

Freimaurerlogen und Geheimgesellschaften

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„Goose and Gridiron“
Gründungsort der Ersten
Freimaurer-Großloge
 1717

Frühe Sammelpunkte für aufklärerisch Gesinnte waren neben Akademien und gelehrten Gesellschaften auch Organisationsformen, die sich abseits der das öffentliche Leben dominierenden Wirkungsbereiche von Fürstenhof und Kirche in Freimaurerlogen und Geheimgesellschaften organisierten. Ursprünglich in der Tradition der englischen mittelalterlichen Werkmaurerei und der von den Bauhütten beim Kathedralbau entwickelten Bräuche stehend, kamen als neuzeitliche Freimaurer nun Vertreter der gebildeten bürgerlichen Schichten und von Teilen des Adels in den Logen zusammen, um sich unter Einhaltung spezifischer Gemeinschaftsriten zu Staatsbürgern heranzubilden, die ihr Denken und Handeln in selbstbestimmter Weise an den Geboten einer aufgeklärten Vernunft ausrichteten. Von England ausgehend verbreitete sich die Freimaurer-Bewegung seit Anfang des 18. Jahrhunderts über ganz Europa.[23]

Im von der Öffentlichkeit abgeschirmten Raum der Logen galt die Gleichheit der Mitglieder, die einander Bruder oder Freunde nannten und in diesem Rahmen Standesunterschiede und konfessionelle Trennungen aufhoben. Das galt für Katholiken, Lutheraner und Calvinisten wie für Juden. „Die Sozietäten waren so frei von konfessionellem Geist, dass sie sich gleicherweise in katholischen wie protestantischen Territorien ausbreiten konnten.“[24]

Geheimbünde in diversen Ausprägungen hatten nach dem Zeugnis des Freiherrn Knigge Ende des 18. Jahrhunderts großen Zulauf. Knigge selbst gehörte dem von Adam Weishaupt 1776 gegründeten Illuminatenorden an, der zu Beginn der 1780er Jahre sich über Bayern hinaus in Nord- und Westdeutschland ausbreitete. Zu den Illuminaten stießen vielfach unzufriedene Freimaurer, auch Prominente wie z. B. Goethe, Herder und Herzog Karl August. Bereits 1784/1785 ereilten die Illuminaten aber Verbotsedikte des bayerischen Kurfürsten Karl Theodor, der beschlagnahmte Papiere Weishaupts publik machte und die darin propagierte radikale Aufklärung als staatsgefährdend betrachtete. So wurde der Illuminatenorden von der konservativen Reaktion später auch zum Entstehungsherd und Auslöser der Französischen Revolution gemacht.[25]

Salonkultur und Lesezirkel des gebildeten Bürgertums

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Der literarische Salon von Madame Geoffrin (1755)

Ständige Orte des geselligen Beisammenseins von Gelehrten und Gebildeten, des Gedankenaustauschs und engagierter Dispute im Zeichen aufklärerischen Denkens waren die zumeist von Frauen unterhaltenen Salons mit berühmten Beispielen in Paris und Berlin. Während Freimaurer und Lesegesellschaften Frauen ausdrücklich ausschlossen,[26] konnten sie im Rahmen der von ihnen geführten Salons an den gelehrten Erörterungen ihrer Gäste sowohl teilhaben als auch eigene Impulse setzen, beginnend bei der durch Einladung bestimmten Zusammensetzung ihrer Gäste-Runden. Ein Beteiligter erinnerte sich wie folgt an den von Mademoiselle Lespinasse zusammengestellten Kreis:

„Sie hatte sie hier und da in der Gesellschaft aufgelesen, dabei aber so gut ausgewählt, daß sie sich, wenn sie zugegen waren, wie die Saiten eines von geschickter Hand gestimmten Instruments im Gleichklang befanden. Den Vergleich weiterführend möchte ich sagen, daß sie dieses Instrument mit einer ans Geniale grenzenden Kunstfertigkeit spielte. Sie schien zu wissen, welchen Ton die Saite, die sie als nächstes anschlagen würde, von sich geben wird; ich meine, unsere Denkweisen und Charaktere waren ihr so wohlbekannt, daß sie nur ein Wort zu sagen brauchte, um sie ins Spiel zu bringen. Nirgends war das Gespräch lebhafter, glanzvoller und vortrefflicher geordnet als bei ihr.[27]

Die verschiedenen Salons ergänzten sich zum Teil in Konkurrenz zueinander. Bei der Neugründung eines Pariser Salons durch Madame Necker kam nur mehr der Freitag für eine wöchentliche Zusammenkunft der gewünschten Gäste in Frage. An anderen Tagen der Woche waren sie bereits an andere Salons gebunden. [28] Edward Gibbon, der 1763 mit Empfehlungsschreiben aus London die Pariser Salons besuchte, war an vier Wochentagen regelmäßig Gast bei solchen Gesprächsrunden, die er teils als anregend, aber teils auch als befremdlich erlebte, wenn z. B. von der „Tyrannei der Madame Geoffrin“ oder vom „unduldsamen Eifer der Philosophen und Enzyklopädisten“ die Rede ist.[29]

 
Johann Peter Hasenclever: Das Lesekabinett, 1843

Als in Deutschland verbreitetste Aufklärungsgesellschaften anzusehen sind die am Ende des 18. Jahrhunderts auf eine Gesamtzahl von 430 geschätzten Lesegesellschaften. Da Bücher relativ teuer und öffentliche Bibliotheken noch rar waren, schlossen Interessierte sich zu Sammelabonnements zusammen und bildeten Lesezirkel, in denen Bücher und Zeitschriften reihum gelesen wurden. In Lesekabinetten gab es nicht nur der Bibliothekslektüre vorbehaltene Räume, sondern auch separate Räumlichkeiten, die dem Gedankenaustausch und der Diskussion über das Gelesene dienten.[30]

Nach englischem Vorbild wurden literarische Kleinformen wie Essay und Traktat zu Hauptverbreitungsformen des aufklärerischen Denkens und neuer philosophischer Anschauungen. Ihr vorwiegender Erscheinungsort waren zu abonnierende Periodika, die zu einer „Leserevolution“ in Deutschland seit Mitte des 18. Jahrhunderts wesentlich beitrugen.[31]

Hervorragende Beispiele für in der Frühaufklärung aktive Frauen in Deutschland sind Friederike Caroline Neuber, die Begründerin des modernen Theaters, Christiana Mariana von Ziegler als Autorin im Umfeld der Gottscheds in Leipzig und Luise Adelgunde Gottsched als Ehefrau und aktive Mitarbeiterin des Verlegers, deren Wirken die Moral und Philosophie der Aufklärung weithin bekannt machte.

Neue Öffentlichkeit und politische Vereinigungen

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Der Parallelaufschwung von Publikationsaktivitäten und Lesernachfrage brachte eine neue Öffentlichkeitsstruktur hervor. Die aufklärerische Schriftkultur sollte die Menschen zur Kritikfähigkeit und zu sozialer Verantwortung anhalten. Rede- und Pressefreiheit erschienen zunehmend als grundlegendes Menschenrecht. Publizität betrachtete man nun als unerlässlich für die Förderung vernunftgeleiteten Denkens. Als rechtmäßig war nur mehr das anzusehen, was sich auch öffentlich als vertretbar erwies. Mit den Worten Kants:

„Alle auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen, deren Maxime sich nicht mit Publizität verträgt, sind unrecht.[32]

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wandten sich Teile des Bildungsbürgertums über die eigenen Kreise hinaus der Volksaufklärung zu. Ging es anfänglich vorwiegend um die Weitergabe naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu praktischen Zwecken an die Landbevölkerung, so zielte man in der Folge auch auf moralische, weltanschaulich-religiöse und politische Aufklärung. Neben den Bauern wurden auch Dienstboten, Hebammen, Wundärzte, Seeleute und Soldaten in die Volksaufklärung einbezogen.[33]

 
Versammlung des Mainzer Jakobinerclubs im ehemaligen kurfürstlichen Schloss

Zu den Trägern der Volksaufklärung gehörten patriotisch-gemeinnützige Gesellschaften, für die ein nach außen drängender Reformwille bezeichnend war. Wie die Freimaurer-Bewegung verbreitete sich dieser Gesellschaftstyp von England aus auch im deutschsprachigen Raum. Im Mittelpunkt stand in diesen Vereinigungen nicht gelehrtes Wissen, sondern die Verbreitung gemeinnützig-praktischen Wissens. Den größten Mitgliederanteil stellten die staatlichen Verwaltungsbeamten. Auch hier traten Standesunterschiede in den Hintergrund: Ausschlaggebend bei der Entscheidungsfindung war nicht die gesellschaftliche Stellung der Beteiligten, sondern das bessere Argument.[34]

Während die gemeinnützig-patriotischen Gesellschaften in Deutschland sich hauptsächlich der Sache eines reformorientierten, aufgeklärten Absolutismus’ verschrieben, schlugen die von den einschneidenden Vorgängen der Französischen Revolution erfassten Volksgesellschaften, etwa die Mainzer „Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit“ einen radikalpolitischen Aufklärungskurs ein. Ziel war hier die Vorbereitung einer bürgerlichen Demokratie im Zeichen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die Mitglieder leisteten einen öffentlichen Eid, „frei zu leben oder zu sterben“. Dieser wie auch anderen ähnlichen Gesellschaften war jedoch nur ein kurzes Dasein beschieden: Nach der Gründung im Oktober 1792 kam im März 1793 bereits das Ende. Die Terrorphase der Französischen Republik wurde danach für Jahrzehnte als Menetekel gegen den Demokratiebegriff verwendet.[35]

Formen aufklärerischer Regierungsorganisation

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Aufklärerische Staatstheorien und die sie unterstützenden gesellschaftlichen Kräfte haben in der westlichen Staatenwelt nicht zu einheitlichen, aber doch zu teilweise einschneidend veränderten Regierungs- und Herrschaftssystemen geführt. Als Motor diesbezüglicher Entwicklungen ist England anzusehen, das im 17. Jahrhundert nach turbulenten Bürgerkriegsphasen mit der Glorious Revolution als europäische Großmacht neuen Standards den Weg bereitete. Ein Jahrhundert später, gegen Ende des klassischen Aufklärungszeitalters, schien die Französische Revolution ebenfalls in eine konstitutionelle Monarchie einzumünden, ehe ihr Weg über die Jakobiner- und Thermidorianer-Republik zum Kaisertum Napoleons I. führte. Während sich im deutschsprachigen Raum unterdessen in Etappen ein aufgeklärter Absolutismus entwickelte, entstand in den USA nach Unabhängigkeitserklärung und Unabhängigkeitskrieg die erste neuzeitliche Demokratie.

Angesichts der damit genannten und im Folgenden näher zu behandelnden maßgeblichen Aspekte neuer Regierungsorganisation im Zeitalter der Aufklärung sollte nicht übersehen werden, dass der Freiheitskampf der Niederländer und dass ihre Republikgründung für die Aufklärungsepoche bereits im Vorlauf wichtige Impulse gesetzt hatten. Bis 1750 waren die dort angesiedelten Verlage die wichtigsten Lieferanten von Aufklärungsliteratur. Der föderale Charakter der Republik begünstigte die Duldung von Minderheiten, die auch als in anderen Staaten Verfolgte hier Zuflucht fanden.[36]

Das Vereinigte Königreich nach der Glorious Revolution

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Wilhelm III. von Oranien-Nassau, Statthalter der Niederlande und ab 1689 zugleich König von England

Das britische Inselreich mit England, Schottland und Irland war im Verlauf des 17. Jahrhunderts mehrfach von Konflikten politischer, religiöser und sozialer Art durchgeschüttelt worden, bevor die unblutige Glorious Revolution die Grundlagen für einen relativ stabilen politisch-sozialen Entwicklungsprozess hervorbrachte. Dem Absolutismus wurde verfassungsrechtlich endgültig der Boden entzogen, ein toleranzgemilderter Anglikanismus als religiöse Hauptströmung im öffentlichen Raum gefestigt und die Stellung des Parlaments als politisch maßgebliche Interessenvertretung der wahlberechtigten Bürger unwiderruflich verankert.

Der vom Parlament parteiübergreifend gegen die Rekatholisierungsbestrebungen Jakobs II. zu Hilfe gerufene und als neuer König inthronisierte Wilhelm von Oranien stimmte der am 13. Februar 1689 im Parlament verabschiedeten Declaration of Rights zu, die mit der Garantie verbunden war, dass der Monarch weder ohne Zustimmung des Parlaments Gesetze außer Kraft setzen, noch Abgaben erheben oder in Friedenszeiten ein stehendes Heer unterhalten würde. Die neue politische Ordnung entsprach damit im Wesentlichen der von John Locke im Second Treatise on Government entworfenen Staatstheorie.

Gesellschaftspolitisch stärkte die Glorious Revolution den grundbesitzenden Adel, die Gentry, wie auch das aufstrebende Wirtschaftsbürgertum der Städte. Beide gesellschaftlichen Gruppen entwickelten sich mehr als irgendwo sonst in Europa zu einer annähernd homogenen Schicht mit gemeinsamen Interessenlagen. Indem die Weichen 1688/89 zugunsten einer Erweiterung der politischen Spielräume dieser dynamischen Kräfte in der englischen Gesellschaft gestellt wurden, waren auch Voraussetzungen angelegt für ihre gestaltende Rolle in der sich anschließenden industriellen Revolution.[37]

Varianten des aufgeklärten Absolutismus

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Das Edikt von Potsdam, Titelseite

Als 1685 mit der Rücknahme des Edikts von Nantes die Religionsfreiheit der Protestanten in Frankreich widerrufen wurde, hatte dies nicht nur in England historisch bedeutsame Folgen. Der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm (Der große Kurfürst) stellte mit dem Edikt von Potsdam die Weichen in seinem Herrschaftsbereich nunmehr nachhaltig in Richtung auf eine tolerante Religionspolitik.[38] Seine einladende Toleranzzusicherung bewirkte unmittelbar den Zuzug von bis zu 20.000 aus Frankreich geflüchteten Hugenotten in seinen Herrschaftsbereich, von denen allein 40 Prozent sich in der Residenzstadt Berlin niederließen, sodass um 1700 nahezu jeder fünfte Berliner ein Hugenotte war.[39] Diese Réfugiés verhalfen dem vom Dreißigjährigen Krieg gebeutelten Brandenburg-Preußen zu einem beachtlichen Wirtschaftsaufschwung und wirkten zudem kulturell bereichernd. Bereits 1689 wurde in Berlin das noch immer bestehende Französische Gymnasium gegründet. Indem Französisch als Sprache der internationalen Diplomatie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Latein ablöste, wurde es in der gebildeten Öffentlichkeit überhaupt gängig und wurde die französische Kultur vorbildhaft. Dabei wirkten die Hugenotten in den Gastländern als Vermittler und trugen beispielsweise zu verfeinerten Umgangsformen und neuen Essgewohnheiten bei.[40]

Die Entwicklung Berlins und Potsdams zu Zentren der europäischen Aufklärung ist anteilig auch auf die Anwesenheit französischer Intellektueller zurückzuführen: Die Mitglieder der Königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften bestanden zu gut einem Drittel aus Hugenotten. Kulturtransfers gab es auch in umgekehrter Richtung: So machte Isaac de Beausobre von Berlin aus Schriften Samuel Pufendorfs in Frankreich bekannt.[41] Pufendorf, der an das naturrechtliche Denken von Hugo Grotius anknüpfte, wechselte 1688 vom Stockholmer an den Berliner Hof, wo er für den Großen Kurfürsten als Ratgeber und Verfasser einer brandenburgischen Geschichte tätig war. Die von seinem Auftraggeber erfolgreich betriebene Ausweitung der staatlichen Autorität in den verstreuten preußischen Territorien rechtfertigte er, indem er der Freiheit der Stände die notwendige Mittelausstattung des Staates als zwingendes Erfordernis entgegenhielt.[42]

 
Adolph von Menzel: Die Tafelrunde von Sanssouci zeigt Friedrich den Großen (Mitte) mit Voltaire (links) und den führenden Köpfen der Preußischen Akademie der Wissenschaften im Schloss Sanssouci. (Gemälde von 1850)

Herrschaftsausbau im Sinne der Staatsraison und Ansätze zu einer aufklärerischen Herrschaftspraxis lagen also in Brandenburg-Preußen bereits beieinander, lange bevor Friedrich II. (der Große) als Urenkel des Großen Kurfürsten sich anschickte, zum Sinnbild des aufgeklärten Monarchen zu werden. In seiner Persönlichkeit kontrastierte Friedrich gegenüber dem eigenen Vater, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., beträchtlich. Als musisch begabter Querflöten-Virtuose und Komponist eigener Musikstücke sowie als dem literarischen Interesse ausgiebig frönender Intellektueller mit großer Gewandtheit in der französischen Sprache hatte Friedrich II. bereits vor seinem Herrschaftsantritt 1740 das Interesse Voltaires geweckt und korrespondierte mit ihm. Sogar auf Feldzügen war im Lager häufig sein Flötenspiel zu hören, und für ruhige Stunden ließ er eine mobile „Feldbibliothek“ mitführen. Hatte der Große Kurfürst noch Pufendorf für die brandenburgische Geschichtsschreibung berufen, so erwies sich Friedrich II. laut Christopher Clark selbst „als fabelhafter und höchst origineller Schriftsteller“.[43]

Den Ruf des Aufklärers auf dem Thron erwarb er sich aber hauptsächlich als religiös ungebundener Freigeist, der jedem Menschen ausdrücklich zugestand, „nach seiner Façon“ (oder Konfession) selig zu werden, und durch das die eigene Vorrangstellung relativierende Bekenntnis, mit dem er sich als König zum „Ersten Diener des Staates“ erklärte. Mit seiner Wendung gegen die Folter, der angeordneten Milderung des Strafenregimes und der Zurückdrängung der Todesstrafe setzte er gleich zu Beginn seiner Herrschaft menschenrechtliche Achtungszeichen. Für das Rechtswesen ließ er eine neue, grundlegende Ordnung entwerfen; doch trat das von ihm auf den Weg gebrachte Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten erst nach seinem Tode in Kraft.

Andererseits zeigten sich in wichtigen Bereichen des preußischen Staatswesens die Grenzen seines aufklärerischen Wirkens und Wollens. Die adligen Gutsbesitzer wurden in ihrer bevorrechtigten gesellschaftlichen Stellung noch gestärkt: Das Patrimonialgericht blieb ihnen erhalten; die militärischen und amtlichen Führungsstellen wurden im Wesentlichen unter ihnen aufgeteilt. Friedrichs II. außenpolitischer Expansionskurs war allein von machtpolitischen Motiven im Sinne der Staatsraison bestimmt.

 
Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften: Bibliothek

Dennoch repräsentierte Friedrich der Große unter den Monarchen des 18. Jahrhunderts die Ideen der Aufklärung in seiner Person am deutlichsten. Ansätze aufklärerischer Herrschaftspraxis zeigten sich aber auch in anderen deutschen Territorien und in Österreich unter Kaiser Joseph II., einem Bewunderer des preußischen „roi philosophe“. Wie sein Vorbild sorgte er für die Abschaffung der Folter und für Strafmilderung.[44] Durch Toleranzedikte erhielten Nichtkatholiken das volle Staatsbürgerrecht und das Recht der privaten Religionsausübung. Die bäuerliche Leibeigenschaft in Form der Erbuntertänigkeit wurde in den österreichischen und böhmischen Landen aufgehoben. Damit ging die Donau-Monarchie hinsichtlich gesellschaftspolitischer aufklärerischer Maßnahmen weiter als der Alte von Sanssouci.[45]

Auch in Russland regierte mit Katharina II. ab 1762 eine Zarin, die mit Aufklärern korrespondierte und den Anspruch einer aufklärerischen Herrschaftspraxis erhob. Hatte Friedrich der Große Voltaire an seine Tafel nach Sanssouci zu kommen bewogen, so half Katharina die Große Denis Diderot über seine prekäre Lage als Aufklärer in Frankreich durch ihre Gunst und einen längeren Aufenthalt in St. Petersburg hinweg. Die Zarin brachte auch Reformen im aufklärerischen Geist auf den Weg, z. B. durch Verbesserungen im Gesundheitswesen der Städte, im Schulwesen und hinsichtlich der Gewährung von Pressefreiheit, für die es allerdings noch wenig Nutznießer gab. [46] An der bedrückenden Lage eines vergleichsweise unterentwickelten städtischen Bürgertums und an der „Knutokratie“, der die Masse der Bauern als einer „Herrschaft ohne Gnade“ unterworfen waren, änderten die von St. Petersburg ausgehenden Aufklärungssignale aber nichts.[47]

Freiheitskonzept und Machtbalance in den Vereinigten Staaten von Amerika

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Anders als auf dem europäischen Kontinent waren die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen in den englischen Kolonien Nordamerikas, als man dort den Weg in die Unabhängigkeit antrat und ein neues, von aufklärerischem Gedankengut inspiriertes Staatswesen gründete. Ein Großteil der frühen Kolonisten bestand aus Puritanern, also Anhängern calvinistischer Glaubensrichtungen, die sich in England seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts unter dem Eindruck religiöser Repression zur Auswanderung entschlossen hatten. In deutlicher Wendung gegen die politische und jurisdiktionelle Einflussnahme anglikanischer Würdenträger auf die gesellschaftspolitischen Verhältnisse in England setzten die nordamerikanischen Kolonisten auf eine klare Abgrenzung von religiöser und staatlicher Sphäre: „Sie waren fromm, sie waren oft Eiferer; aber von Anfang an hatte ihnen daran gelegen, zwischen Religion und Kirche zu unterscheiden; sie wurden störrisch, wenn es darum ging den Geistlichen zu erlauben, sich mit anderen Geschäften als mit dem der Seelenrettung zu befassen.“[48]

 
Rotunda der von Thomas Jefferson gegründeten Universität von Virginia

Ebenfalls charakteristisch für die in Nordamerika sich einrichtenden Neubewohner war die allgemeine Hochschätzung der Arbeit als religiös begründete Pflicht und als Prüfstein sozialer Anerkennung. Eine nach Ständen gegliederte Gesellschaft gab es von Anbeginn nicht; und die auf unterschiedlichem Besitz und Reichtum beruhenden Klassenunterschiede wurden durch das Arbeitsethos relativiert: „Der reiche Puritaner unterschied sich in seinem Aussehen kaum von seinem ärmeren Nachbarn. Beide arbeiteten schwer und lebten einfach, und beide waren stolz darauf.“[49] Hinzu kam eine Ausrichtung auf Lernen und Gelehrsamkeit, die ein breit entwickeltes Schulwesen und schon im 18. Jahrhundert eine Vielzahl gut unterrichteter Wähler hervorbrachte. Die Gewählten wiederum wurden von ihren Wählern als direkte Übermittler und Sprachrohre der ihnen aufgetragenen Botschaften betrachtet. Nahezu durchgängig hatten sich die frühen Siedler in den Gründungsverträgen das Recht gesichert, als freie Bürger einer Kolonie an ihrer Gesetzgebung mitzuwirken.[50] Anders als die Londoner Parlamentsmitglieder, die sich auf eigene Deutungen des Allgemeinwohls verlegen konnten, waren die Delegierten der Kolonisten an Wähleraufträge weitgehend gebunden.[51]

Als die nordamerikanischen Kolonien sich gegen das Mutterland zusammenschlossen und als Vereinigte Staaten 1776 ihre Unabhängigkeit erklärten, beriefen sie sich unter der Federführung von Thomas Jefferson auf menschenrechtliche Grundsätze und auf ein Widerstandsrecht, für das Locke als Vorlage dienen konnte. Das Recht auf Freiheit und individuelles menschliches Glücksstreben sowie auf kollektive Erhebung gegen eine fortgesetzt unrechtmäßig handelnde Regierung waren markante Grundsätze, die sie ihrer Loslösung zugrunde legten.

 
James Madison
(Portrait von John Vanderlyn, 1816)

Nicht nur wegen der Dauer des so begründeten Unabhängigkeitskriegs gegen das englische Mutterland, sondern auch wegen unterschiedlicher Vorstellungen über den Charakter des künftigen Staatsgebildes dauerte es bis zum Inkrafttreten der amerikanischen Verfassung aber noch 12 Jahre. Probleme ergaben sich auch im Zuge des Ratifizierungsprozesses 1788 vornehmlich daraus, dass man in manchen Einzelstaaten die Sicherung der errungenen Freiheit und Unabhängigkeit besser in einem losen Staatenbund aufgehoben sah als in einem zentralisierten Bundesstaat. In den Federalist Papers gingen die Autoren Alexander Hamilton, James Madison und John Jay unter dem gemeinsamen römisch-republikanischen Pseudonym Publius letztlich erfolgreich daran, die bundesstaatliche Verfassung gegen ihre Gegner zu rechtfertigen, so zum Beispiel Madison in seinem Plädoyer (Federalist No. 10) für ein ausgedehntes und vielköpfiges Staatswesen:

„Je kleiner die Gemeinschaft ist, desto geringer wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Zahl der Parteien und Interessengruppen sein, in die sie zerfällt; und je geringer die Zahl der Parteien und Interessengruppen, desto leichter wird eine Partei die Majorität erreichen können; und je kleiner die Zahl der Einzelpersonen ist, aus denen sich eine Majorität zusammensetzt, und je enger diese benachbart sind, desto leichter werden sie sich miteinander verabreden und ihre Unterdrückungspläne ins Werk setzen können.[52]

 
Das Kapitol in Washington – Sitz des Kongresses

Von direkter Demokratie hielten die zum Teil an Thukydides und seiner Darstellung der Attischen Demokratie geschulten amerikanischen Gründerväter durchweg gar nichts, sondern ließen einzig ein Repräsentativsystem als dem Gemeinwohl dienlich gelten. Ein Volk von Philosophen, hieß es, sei so wenig zu erwarten wie das von Platon ersehnte Geschlecht von Philosophenkönigen.[53] Je größer aber die Auswahl an möglichen Repräsentanten, desto wahrscheinlicher ihre relative Unabhängigkeit von ortsgebundenen Rücksichten.

Die Vorbeugung missbräuchlicher Anwendung von Staatsgewalt stand im Zentrum der amerikanischen Verfassungskonzeption wie auch in ihrer staatstheoretischen Rechtfertigung in den Federalist Papers. Dabei begnügte man sich nicht mit der bloßen Übernahme der Gewaltenteilungslehre Montesquieus; man entwickelte vielmehr ein austariertes Konzept von Hemmungen und Gegengewichten in und zwischen den drei Gewalten: das System der Checks and Balances.[54] Als größte und im republikanischen Staatswesen für die Bürger gleichsam bedrohlichste Macht erschien die gesetzgebende Gewalt, die durch Steuergesetzgebung Zugriff auf das Eigentum der Bürger hat. Auf bundesstaatlicher Ebene wurde dafür gesorgt, dass es zwei gesetzgebende Körperschaften im Kongress gibt: das Repräsentantenhaus, das die Gesamtbevölkerung des Landes gemäß Verhältniswahlrecht abbildet, und den Senat, in dem große wie kleine Staaten gleichermaßen mit je zwei gewählten Senatoren vertreten sind. War schon diese Regelung Ausdruck des Selbstbehauptungswillens der Einzelstaaten im Bund, so galt dies auch für die Separierung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen der Bundes- und der einzelstaatlichen Ebene, auf der für jeden Staat eigene Volksvertretungen und Regierungen existieren.

Der auf Bundesebene gewählte und regierende amerikanische Präsident erhielt gegenüber der Gesetzgebung des Kongresses als weiteres Kontrollelement ein aufschiebendes Veto, das nur durch eine Zweidrittelmehrheit beider Häuser außer Kraft gesetzt werden kann. Der Präsident wiederum kann bei nachweislichem Amtsmissbrauch in Form von Gesetzesverstößen durch ein vom Kongress zu betreibendes Impeachment-Verfahren seines Amtes enthoben werden. Als letzte Sicherung gegen eine verfassungswidrige Gesetzgebung fungiert die Judikative in Gestalt des Supreme Court mit auf Lebenszeit vom Präsidenten im Zusammenwirken mit dem Senat ernannten unabhängigen Richtern.

Die Zustimmung der im Ratifizierungsprozess noch verbliebenen, widerstrebenden Einzelstaaten für die bundesstaatliche Verfassung konnte nur erreicht werden, indem mit der Bill of Rights auf Madisons Vorschlag ein Katalog staatsbürgerlicher Grundrechte und Freiheiten angefügt wurde.[55] Davon ausgenommen blieben weiterhin die Sklaven, ein Fünftel der Gesamtbevölkerung in den Kolonien zum Zeitpunkt der Unabhängigkeitserklärung,[56] in die wegen des Widerstands der Sklavenhalter im Süden keine Verurteilung der Sklaverei aufgenommen worden war. Hier standen Eigentumsansprüche gegen Menschenrechte.[57] Nicht einmal der Sklavenhandel, an dem besonders South Carolina und Georgia festhielten, wurde durch die amerikanische Verfassung verboten. Nur um diesen Preis war, trotz des Eintretens der Nordstaaten für die Abschaffung der Sklaverei, die Union vorerst beieinander zu halten.[58]

Wechselbäder der Herrschaftsorganisation im Verlauf der Französischen Revolution

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Marquis de La Fayette

Eine gravierende Krise der Staatsfinanzen war es, die den französischen Monarchen Ludwig XVI. schließlich nötigte, 1789 die Generalstände zwecks Finanzmittelbewilligung wieder einzuberufen – 175 Jahre nach ihrer letzten Tagung. Dabei spielten die Auseinandersetzungen um die Gründung der USA eine beachtliche Rolle, weil der noch absolutistisch herrschende französische König sich in einem kostspieligen Kriegseinsatz in Übersee an die Seite der amerikanischen Aufständischen gestellt hatte, um England als rivalisierende Großmacht zu schwächen. Als dann der Dritte Stand sich zur Nationalversammlung erklärte, die französische Ständegesellschaft mit den Privilegien für Klerus und Adel beseitigte und ihrerseits eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte verabschiedete, ergaben sich weitere Rückkopplungseffekte zu den Entwicklungen in Nordamerika.

Eine wichtige Rolle in der ersten, der konstitutionellen Phase der Französischen Revolution spielte beispielsweise der Marquis de La Fayette, der als gelernter französischer Offizier nach der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung aus eigenem Antrieb an der Seite der Kolonisten gegen die Briten gekämpft hatte und von 1789 bis 1791 in der Nationalversammlung wie auch an der Spitze der Nationalgarde Kurs auf ein konstitutionelles Staatssystem mit Gewaltenteilung und monarchischer Regierungsspitze hielt. Auch die überwältigende Mehrheit der ersten französischen Nationalversammlung strebte eine gewaltenteilende konstitutionelle Monarchie nach den Vorstellungen Montesquieus an. Die Verfassung von 1791 beließ dem König eine über Exekutivbefugnisse hinausgehende starke Stellung, auch indem er gegenüber dem alleinigen Legislativorgan, der Gesetzgebenden Nationalversammlung, ein aufschiebendes Veto von bis zu vier Jahren geltend machen konnte.

 
„Die freie Unterschrift“. Französische Karikatur aus dem Jahr 1792. Kaiser Leopold II.: „Was machst du da, Schwager?“ Ludwig XVI. (im Käfig): „Ich unterschreibe.“

Anders als Wilhelm von Oranien einhundert Jahre zuvor in England war Ludwig XVI. aber auf Dauer nicht bereit, die ihm von der Verfassung zugewiesene Funktion zu übernehmen. Er hatte sich nur vorübergehend und situationsbedingt dem Druck der Volksaktion gebeugt, blieb aber auf Wiederherstellung dessen bedacht, was er als sein angestammtes Recht als absolutistischer Herrscher betrachtete. Dafür suchte er auch die Unterstützung unter den ihm nahestehenden Monarchen im Ausland. Als sein ebenfalls darauf zielender Fluchtversuch in Varennes kurz vor dem Erreichen der Landesgrenze scheiterte, hielten die maßgeblichen politischen Kräfte in der Nationalversammlung dennoch an ihm als einem unverzichtbaren Kernelement ihrer Verfassungskonstruktion auch als Person fest, trafen Vorkehrungen gegen sein neuerliches Entweichen und ließen ihn den Eid auf die Verfassung von 1791 ablegen. An der Spitze der von ihm berufenen Regierung kooperierte Ludwig XVI. fortan notdürftig mit seinen ungeliebten Unterstützern unter den politischen Führungskräften der Zeit und machte bei den seine Interessen berührenden Gesetzen öfters Gebrauch von seinem suspensiven Veto.

Eine Stabilisierung des neuen politischen Systems in Frankreich gelang auch deshalb nicht, weil im Ausland, wie von der Königsfamilie erhofft, mit der Pillnitzer Deklaration tatsächlich eine gegenrevolutionäre Drohkulisse errichtet wurde. Dagegen wiederum erhob sich in der Nationalversammlung eine breite Strömung, die das Heil in der Vorwärtsverteidigung der Revolutionserrungenschaften sah und den Revolutionskrieg gegen das „aristokratische Komplott“ im In- und Ausland propagierte – auch gegen vereinzelte Warnungen wie die von Maximilien Robespierre, dass niemand die bewaffneten Missionare liebe. Die verfassungsbedingt nötige Zustimmung des Königs zum Kriegsbeschluss wurde von Ludwig XVI. gern gewährt: Er durfte hoffen, im Falle der erwarteten französischen Niederlage von den ihm wohlgesinnten und auf die eigene Stellung bedachten Monarchen in Wien und Berlin in seine alten Rechte wieder eingesetzt zu werden. Dazu kam es jedoch auch deshalb nicht, weil in militärisch äußerst bedrohlicher Lage 1792 bewaffnete Freiwilligenverbände aus ganz Frankreich die regulären Truppen verstärkten – „Allons enfants de la Patrie...“ – und die von dem Volkstribunen Georges Danton mobilisierten Pariser Volksmassen sich mit der Erstürmung der Tuilerien gegen den nun als Feind wahrgenommenen König wendeten. Tatsächlich hatte Ludwig XVI., wie der mit seinem Todesurteil endende Prozess gegen ihn aufdeckte, eine Geheimkorrespondenz mit den offiziellen Kriegsgegnern unterhalten.

 
Maximilien Robespierre
(anonymes Porträt, um 1793, Musée Carnavalet)

Mit der Absetzung des Königs durch eine zunehmend radikalisierte Revolutionsbewegung war die Verfassung von 1791 hinfällig: In Frankreich begann 1792 das Jahr I der Republik. Die revolutionäre Entwicklung trat damit in ein Stadium, das den Vorstellungen und Absichten des Rousseau-Anhängers Robespierre weit entgegenkam. Noch Student der Rechtswissenschaft, hatte Robespierre den von ihm verehrten Rousseau in dessen Sterbejahr 1778 besucht und gesprochen.[59] Schon bei den Verfassungsberatungen 1789 hatte Robespierre sich gegen jede Art von Vetorecht des Königs ausgesprochen und nach dessen gescheiterter Flucht für eine gerichtliche Untersuchung und Bestrafung. [60] Nun aber eröffnete sich für ihn die Chance einer Republik im Zeichen des Allgemeinen Willens im Sinne Rousseaus.

Allerdings waren die Rahmenbedingungen mit der fortdauernden Bedrohung von außen, die in Wechselwirkung stand mit der revolutionären Gärung im Innern, für einen solchen Anlauf alles andere als stabil oder günstig. Die nicht in Kraft getretene republikanische Verfassung von 1793 proklamierte in Artikel 1: „Das Ziel der Gesellschaft ist das allgemeine Glück.“ Vorgesehen waren unter anderem ein allgemeines Wahlrecht mit jährlichen Wahlen zur Nationalrepräsentation, Volksabstimmungen über umstrittene Gesetze (Art. 19), ein anstelle einer Regierung an das Gesetzgebungsorgan angebundener Vollzugsrat (Art. 77), der die allgemeine Verwaltung leiten und überwachen sollte (Art. 65), Geschworenengerichte (Art. 96) und vom Volk gewählte Strafrichter (Art. 97).

Der Nationalkonvent trat phasenweise als bestimmendes Organ hinter den Initiativen und Maßnahmen des als Revolutionsregierung fungierenden Wohlfahrtsausschusses, des Sicherheitsausschusses und des Revolutionstribunals deutlich zurück. Anstelle von Volkssouveränität und demokratisch-rechtsstaatlicher Ordnung entwickelte sich eine Revolutionsdiktatur, die allen wirklichen und vermeintlichen Gegnern mit Verhaftung und Aburteilung nach dem Leben trachtete. In mehreren Wellen fraß die Revolution im sprichwörtlichen Sinn ihre Kinder, denn nach und nach wurden die führenden Köpfe der aufeinander folgenden Revolutionsphasen als nunmehrige Feinde des Volkes der Guillotine zugeführt. Mit den Mitteln des Terrors sollte der republikanischen Tugend der Weg bereitet werden. Robespierre selbst wurde 1794, wenige Wochen vor seinem Sturz und dem Ende unter dem Fallbeil, zum Propagandisten einer von Rousseau inspirierten Vernunftreligion und zur zentralen Figur bei einem eigens neu eingeführten „Nationalfest zu Ehren des höchsten Wesens.“ [61]

 
General Bonaparte vor dem Rat der Fünfhundert in Saint Cloud am 10. November 1799. (Gemälde von François Bouchot aus dem Jahr 1840)

Mit der Hinrichtung Robespierres und seiner Weggefährten endete nicht nur die Schreckensherrschaft der Revolutionsregierung, sondern auch die auf soziale Gleichheit aller Franzosen gerichtete radikale Phase der Französischen Revolution. In der von den Thermidorianern bestimmten Folgeentwicklung spielten neben der persönlichen Sicherheit auch der Schutz besitzbürgerlicher Eigentumsinteressen wieder eine zentrale Rolle. In der durch den Volksentscheid gebilligten dritten Verfassung vom August 1795 wurde der Gleichheitsbegriff neu gefasst und in dieser Form maßgeblich für alle künftigen Rechts- und Verfassungsstaaten: „Die Gleichheit besteht darin, daß das Gesetz für alle das gleiche ist.“[62] Neben die Erklärung der Rechte wurde nun eine Erklärung der Pflichten des Bürgers gestellt, mit Vorrang für die Respektierung der Gesetze. Die Zwangsmaßnahmen gegen Priester, Kirche und Christentum wurden beendet und Religionsfreiheit hergestellt. Anstelle der Unterwerfung der Kirche unter den Staat wurde mit der Trennung von Kirche und Staat eine neue Entwicklung eingeleitet.[63]

Doch auch das gemäß Verfassung von 1795 regierende Direktorium gelangte nicht zu einer dauerhaften Stabilisierung der innenpolitischen Lage. So konnte der im Revolutionsheer aufgestiegene Napoleon Bonaparte sich schließlich in einem Staatsstreich zum angeblichen Retter der Republik aufschwingen. Als er 1799 erklärte, die Revolution sei auf ihre Grundsätze zurückgebracht und damit beendet, legte er faktisch den Grundstein für die Militärmonarchie eines aufgeklärten Diktators.

Ausgang und Fortwirken des Zeitalters der Aufklärung

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Die mit der Französischen Revolution einhergehenden vielfältigen Umwälzungen fanden am Ausgang des 18. Jahrhunderts statt und leiteten das Ende des Zeitalters der Aufklärung in der westlichen Staatenwelt ein. Von den einen als „Vollendung der Aufklärung“, von den anderen als deren „Desaster“ angesehen, wurde die Französische Revolution zu einem Wendepunkt, jenseits dessen der aufklärerische Elan zur Organisation eines zeitgemäßen Staatswesens von Impulsen restaurativer und romantischer Art teils überdeckt, teils abgelöst wurde.[64]

Gleichwohl hat der „heiße revolutionäre Atem“ der Vorgänge in Frankreich, wie es bei Karl Griewank heißt, „immer erneut auf kommende Generationen gewirkt.“ Volksaufstände und Staatsstreiche, parlamentarische und kommissarische Regierungen, Gewaltenteilung und souveräne Volksvertretung waren und sind mit der Französischen Revolution als Vorlage oder beispielhafte Orientierungsgröße mal in positiver, mal in negativer Auslegung verknüpft. „Die erlebnishafte, gleichsam moralische Wirkung der Revolution übertrifft vielleicht ihre unmittelbar in den Tatsachen nachweisbaren Folgen. [65] In der Geschichte Frankreichs bot sie Bezugspunkte für das Bürgerkönigtum von Louis-Philippe I. ab 1830, für die Februarrevolution und die Republikgründung 1848, für die Pariser Kommune ebenso wie für die bürgerliche Dritte Französische Republik nach 1871. Die Tradition der „Großen“ Französischen Revolution lebt alljährlich mit dem Nationalfeiertag am 14. Juli wieder auf, dem Jahrestag des Sturms auf die Bastille 1789.

 
Olympe de Gouges

In Deutschland, wo Immanuel Kant 1784 in der Schrift „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ den Begriff auf klassische Weise bestimmt hatte und 1795 in „Zum ewigen Frieden“ die zukunftsgerichteten eigenen Vorstellungen bezüglich Staatstheorie und Völkerrecht entwickelt hatte, zeitigte die napoleonische Ära – in der Verbindung militärischer Expansion mit dem Export revolutionärer Errungenschaften – auf der Ebene staatlicher Reorganisation nicht nur die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches und die Bildung des Rheinbunds, sondern auch die Preußischen Reformen. Damit gelangten von aufklärerischem staatstheoretischen Denken beeinflusste Persönlichkeiten wie der Freiherr vom Stein, Karl August von Hardenberg und Wilhelm von Humboldt in politische Führungsstellen. Die vielfältigen aufklärerisch-liberal angelegten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reformmaßnahmen wurden mitgetragen und unterstützt von einem vor allem juristisch vorgebildeten Beamtentum, das sich seit den Zeiten des Großen Kurfürsten mehr und mehr als „weltliche Funktionselite“ etabliert hatte und von dem es bei Stolleis heißt: „es schuf sich Ausbildungsstandards, Laufbahnen, differenzierte Hierarchien, geordnete Versorgung und eine eigene Ethik. Sein Wachstum begleitete das Wachstum des modernen Staates, und es bildete langfristig jenen bürokratischen Unterbau, auf dem die neuzeitliche Staatssouveränität ruht und dessen sie sich als ‚Apparat’ bedient, um die Befehlsimpulse bis in den letzten Winkel des Territoriums zu übermitteln und durchzusetzen.“[66]

Unmittelbar dem Zeitalter der Aufklärung verbunden sind die Vereinigten Staaten von Amerika bis heute durch ihre Verfassung, die in den Grundzügen seit 1787 ungeschmälert fortbesteht. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass mit keiner der Menschenrechtserklärungen des Aufklärungszeitalters die Abschaffung der Sklaverei verbunden war und dass von Rechten für Frauen und Kinder darin nicht die Rede war. Zwar gab es in der Französischen Revolution etwa mit dem „Zug der Frauen nach Versailles“ auch politische Aktionen mit starker Frauenbeteiligung; doch in keiner der damaligen Volksvertretungen gab es Frauen. Olympe de Gouges fand für ihren Kampf um Frauenrechte, die sie 1791 in einer „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ öffentlich einforderte, keine bedeutsame Unterstützung. Ihre in Artikel 10 erhobene Forderung, der Frau komme nicht nur das Recht zu, das Schafott zu besteigen, sondern auch die Rednertribüne, wurde wie die ganze Erklärung nicht aufgegriffen. Stattdessen fiel sie selbst dem Revolutionsterror zum Opfer und starb unter der Guillotine.

Literatur

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  • Richard van Dülmen: Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischer Kultur in Deutschland. Frankfurt am Main 1996 (Originalausgabe 1996)
  • Annette Meyer: Die Epoche der Aufklärung. Akademie, Berlin 2010, ISBN 978-3-05-004443-9
  • Robert Mandrou: Staatsraison und Vernunft: 1649–1775. Propyläen Geschichte Europas, Band 3, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1982 (Originalausgabe 1975)
  • Edmund S. Morgan: Die amerikanische Revolution. In: Golo Mann, August Nitschke (Hrsg.): Von der Reformation zur Revolution. Propyläen Weltgeschichte, Band 7. Frankfurt am Main 1986 (Originalausgabe 1960–1964).
  • Werner Schneiders: Das Zeitalter der Aufklärung. Beck, München 1997, ISBN 3-406-44796-1
  • Werner Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung: Deutschland und Europa. C.H. Beck, München 1995 (Taschenbuchausg.: München: C.H. Beck, 2001. ISBN 3-406-47571-X).
  • Michael Stolleis: Staat und Staatsraison in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts. Frankfurt am Main 1990.
  • Michel Vovelle (Hrsg.): Der Mensch der Aufklärung. Frankfurt am Main 1998 (italienische Originalausgabe: Rom und Bari 1990).
  • Eberhard Weis: Der Durchbruch des Bürgertums: 1776–1847. Propyläen Geschichte Europas, Band 4, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1982 (Originalausgabe 1975)
  • Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. Bd. 1: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert. München 2009, ISBN 978-3-406-59235-5.

Anmerkungen

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  1. Stolleis 1990, S. 23.
  2. Guicciardini bemerkte laut Stolleis „beiläufig“, dass die Tötung gefangener Pisaner zwar nicht christlich sei, der „ragione e uso degli stati“ aber entspreche. (Stolleis 1990, S. 40 f.)
  3. Stolleis 1990, S. 11 f.
  4. Günter Hoffmann-Loerzer: Grotius. In: Hans Maier, Heinz Rausch, Horst Denzer (Hrsg.): Klassiker des politischen Denkens. Band I. München: Beck, 5. Aufl. 1979, S. 315 / 318 f. Es dürfe allerdings nicht übersehen werden, so Loerzer, dass die heute relevanten Aspekte von Grotius’ Lehre erst an der Wende zum 20. Jahrhundert „nach einem fast 300jährigen Schlaf wiederbelebt wurden. (ebda. S. 317)
  5. Römer 13, 1-5
  6. Hans Maier: Hobbes. In: Hans Maier, Heinz Rausch, Horst Denzer (Hrsg.): Klassiker des politischen Denkens. Band I. München: Beck, 5. Aufl. 1979, S. 357 ff.
  7. Zitiert nach: Fritz Schalk: Die europäische Aufklärung. In: Golo Mann und August Nitschke (Hrsg.): Propyläen Weltgeschichte. Band 7: Von der Reformation zur Revolution. Frankfurt am Main, Berlin 1986 (Erstausgabe 1960 bis 1964), S. 486.
  8. De l’esprit des lois 11, 3.
  9. Schneiders 1997, S. 75
  10. Contrat social 2, 7: „Il faudrait des dieux pour donner des lois aux hommes.“
  11. Hans Maier: Rousseau. In: Hans Maier, Heinz Rausch, Horst Denzer (Hrsg.): Klassiker des politischen Denkens. Band II. München: Beck, 5. Aufl. 1979, S. 129 ff.
  12. Contrat social 2, 7: „Que si quelqu'un, après avoir reconnu publiquement ces mêmes dogmes, se conduit comme ne les croyant pas, qu'il soit puni de mort ; il a commis le plus grand des crimes, il a menti devant les lois.“
  13. Michelle Vovelle: Der Mensch der Aufklärung. (Einführung). In: Ders. (Hrsg.) 1998, S. 22.
  14. Michel Vovelle: Der Mensch der Aufklärung (Einführung). In: ders. (Hrsg.) 1998, S. 36.
  15. Johann Christian Pauly: Staatsverwaltung / Policey. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 394.
  16. Zitiert nach: Roger Chartier: Der Gelehrte. In: Michel Vovelle (Hrsg.) 1998, S. 125.
  17. Richard van Dülmen 1996, S. 32.
  18. Gonthier-Louis Fink: Kosmopolitismus. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 221.
  19. Vincenzo Ferrone: Der Wissenschaftler. In: Michel Vovelle (Hrsg.) 1998, S. 192.
  20. Richard van Dülmen 1996, S. 50.
  21. Michel Vovelle: Der Mensch der Aufklärung (Einführung). In: ders. (Hrsg.) 1998, S. 31.
  22. Michael Maurer: Bürger / Bürgertum. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 71.
  23. Richard van Dülmen 1996, S. 55 ff.; Winfried Dotzauer: Freimaurer. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 137 f.
  24. Richard van Dülmen 1996, S. 124.
  25. Richard van Dülmen 1996, S. 100 ff.; W. Daniel Wilson: Illuminaten. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 184 f.
  26. Richard van Dülmen 1996, S. 124.
  27. Zitiert nach: Roger Chartier: Der Gelehrte. In: Michel Vovelle (Hrsg.) 1998, S. 138.
  28. Roger Chartier: Der Gelehrte. In: Michel Vovelle (Hrsg.) 1998, S. 141.
  29. Zitiert nach: Roger Chartier: Der Gelehrte. In: Michel Vovelle (Hrsg.) 1998, S. 145. „Sie verlachten den Skeptizismus Humes, predigten die Lehrsätze des Atheismus mit dem blinden Eifer von Dogmatikern und überhäuften alle Gläubigen mit Verachtung und Spott.“ (ebenda)
  30. Richard van Dülmen 1996, S. 82 f.
  31. Wolfgang Adam: Lesen. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 184 f.
  32. Zitiert nach: John A. Mc Carthy: Öffentlichkeit. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 293.
  33. Holger Böning: Volksaufklärung. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 435.
  34. Richard van Dülmen 1996, S. 66 f.; Helmut Reinalter: Gesellschaften, patriotische. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 159.
  35. Hans Fenske: Demokratie. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 435.
  36. Wijnand W. Mijnhardt: Niederlande. In: Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 288 f.
  37. Winkler 2009, S. 154
  38. Dynastischer Ausgangspunkt der brandenburg-preußischen Religionstoleranz war allerdings bereits der Übertritt von Kurfürst Johann Sigismund zur calvinistischen Konfession zu Weihnachten 1613. Da seine Frau Anna von Preußen weiterhin den lutherischen Protestantismus stützte, dem auch nahezu die gesamte Bevölkerung der Mark Brandenburg anhing, entwickelte sich eine interkonfessionell spannungsreiche Lage, die auch anhielt, als in der Folge Herrscherfamilie und Hofstaat sich insgesamt calvinistisch ausrichteten.
  39. Eberhard Gresch: Die Hugenotten. Geschichte, Glaube und Wirkung. Leipzig 2005, S. 95.
  40. Eberhard Gresch: Die Hugenotten. Geschichte, Glaube und Wirkung. Leipzig 2005, S. 75.
  41. Ulrich Niggemann: Hugenotten. Köln, Weimar, Wien 2011, S. 101.
  42. Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600-1947 München 2007, S. 60.
  43. Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600-1947 München 2007, S. 221 ff.
  44. Mandrou 1982, S. 272.
  45. Winkler 2009, S. 242 f.
  46. Mandrou 1982, S. 285 f.
  47. Mandrou 1982, S. 291.
  48. Morgan in: Golo Mann / August Nitschke (Hrsg.) 1986, S. 519
  49. Morgan in: Golo Mann / August Nitschke (Hrsg.) 1986, S. 522
  50. Winkler 2009, S. 268.
  51. Morgan in: Golo Mann / August Nitschke (Hrsg.) 1986, S. 521; Winkler merkt an: „Um Mandatsträgern einen Mißbrauch der ihnen übertragenen Macht unmöglich zu machen, waren ihre Amtszeiten kurz bemessen (bei Repräsentantenhäusern war jährliche Neuwahl die Regel). Soweit den Wählern ein Recht auf Instruktion der Gewählten zustand, wurde es so flexibel gehandhabt, daß die Repräsentanten in ihrer Entscheidungsfreiheit kaum beschränkt waren.“ (Winkler 2009, S. 269)
  52. Felix Ermacora (Hrsg.) Der Föderalist. Alexander Hamilton, James Madison und John Jay, Wien 1958, S. 78.
  53. Federalist No. 49; zitiert nach Winkler 2009, S. 293.
  54. Zuerst nachgewiesen ist der Ausdruck bei John Adams im Januar 1787. (Winkler 2009, S. 300f.)
  55. Winkler 2009, S. 302.
  56. Weis 1982, S. 68.
  57. „Ein Ansturm setzte ein auf die Sklaverei, die unrepublikanischste aller republikanischen Einrichtungen. Sklaverei beraubte nicht nur die Versklavten der Früchte ihres Fleißes, sondern machte es auch noch anderen Menschen möglich, ohne Fleiß zu leben. Unseligerweise aber waren die Sklaven zugleich auch eine Form des Eigentums, und nicht jeder war zum opferreichen Verzicht auf solches Eigentum bereit. Die meisten Staaten verboten jede weitere Einfuhr von Sklaven, und die nördlichen Staaten schufen auch Vorkehrungen für die graduelle oder sofortige Abschaffung der Sklaverei. Im Süden gab freiwillige Freilassung Tausenden von Sklaven die Freiheit. Aber unendlich viel mehr Menschen blieben Sklaven und erinnerten die Amerikaner daran, daß ihre Tugend weit hinter dem zurückblieb, was die Natur und der Gott der Natur von Republikanern verlangte.“ (Morgan in: Golo Mann / August Nitschke (Hrsg.) 1986, S. 548)
  58. Winkler 2009, S. 288.
  59. Jean Massin: Robespierre. 4. Auflage, Berlin 1976 (frz. Originalausgabe 1956) , S. 17; Winkler 2009, S. 224. Als Robespierre 1789 politisch aktiv wurde, erinnerte er sich dieser Begegnung, indem er notierte: „Ich will dein hochgeschätztes Werk fortsetzen, sollte mein Name auch in den kommenden Jahrhunderten vergessen sein; ich bin glücklich, wenn ich auf dem gefahrvollen Wege, den eine beispiellose Revolution vor uns eröffnet hat, ständig den Eingebungen treu bleibe, die ich aus Deinen Werken geschöpft habe.“ (Zitiert nach Massin ebenda, S. 18)
  60. Jean Massin: Robespierre. 4. Auflage, Berlin 1976 (frz. Originalausgabe 1956) , S. 35 / S. 84.
  61. Winkler 2009, S. 361; Jean Massin: Robespierre. 4. Auflage, Berlin 1976 (frz. Originalausgabe 1956), S. 350 f.
  62. Weis 1982, S. 155.
  63. Weis 1982, S. 157.
  64. Schneiders (Hrsg.) 2001, S. 17; ders. 1997, S. 129f.
  65. Karl Griewank: Die Französische Revolution. Köln - Wien, 6. Auflage 1975, S. 114.
  66. Stolleis 1990, S. 14.


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