Merve Dina Lowien, geboren am 17.02.1937 in Berlin, gestorben am 20.03.1992, in Berlin. Chemotechnikerin, Druckerin. Dichterin. Autorin, Publizistin. Verlegerin. Namensgeberin und Mitgründerin des Merve Verlages im Jahr 1970. Mutter eines Sohnes und einer Tochter. Merve Lowien wurde in eine Familie geboren, in der die mütterliche Linie jüdisch war und die väterliche dem niederen Adel Ostpreußens angehörte. Sie hatte drei Brüder und war das älteste Kind. Aus Furcht vor Repressalien gab ihre Mutter den Kindern als Rufnamen nordische Vornamen und mit dem zweiten Vornamen den synagogalen Namen. Zwischen 1939 und 1945 lebte die Familie auf der Flucht vor den Nazis in Bulgarien. Die Mutter von Merve arbeitete dort in der Landwirtschaft. Nach dem Krieg ging die Familie wieder nach Berlin zurück und wurde dort in einem Lager für displaced persons interniert, weil die Papiere fehlten. Erst 1947 wurden sie entlassen und zogen in eine zerbombte Wohnung in Wilmersdorf. Das jüdische Leben war erloschen, weil in der Shoa beinahe vollständig alle Juden von den Nationalsozialisten ermordet worden sind und damit auch alle Erinnerungen. Der Bildungsweg von Merve verlief typisch für die Nachkriegszeit. Hin und wieder Schulbesuche und hin und wieder wurden Bücher zugänglich gemacht. Die Mutter versorgte ihre vier Kinder mit Geschichten, die als mündliche Überlieferung erst später auch als historische Quellen an Bedeutung gewannen. So kam Merve zur Literatur.

Selbstbeschreibung von Merve Lowien aus dem Jahr 1977, entnommen dem Klappentext ihres Buches "Weibliche Produktivkraft - gibt es eine andere Ökonomie? Erfahrungen in einem linken Projekt." „Ich bin 1937 in Berlin geboren. Von 1958-62 arbeitete ich am Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung in Berlin als Chemotechnikerin. Dort betrieb ich Strahlenschutzmessungen von Wasser, Boden, Luft. Was das Ganze letztendlich sollte, erfuhr ich nie. Doch ich bekam massenhaft Blumen, Schokolade, Küsse - mann hatte mich gern. Mir blieb nichts anderes übrig, als schließlich fortzugehen - dort konnte ich nur nichts werden. Nächste Station: Heirat; Kinderkriegen… . Hausfrau also. Nebenbei baute ich eine Fußpflegepraxis auf. Hier entfernte ich zweieinhalb Jahre Hühneraugen. Das war eine sinnvolle Aufgabe. Doch ich wollte hoch hinaus, wissen, was die Hühneraugen produziert. So begab ich mich 1966 auf das Berlin-Kolleg, um das Abitur zu machen. Ich propfte mir den Kopf voll wissen und eroberte mir den Vorsitz in der Gewerkschaftlichen Studentengruppe. Diese überführten wir 1968 in den SDS. So gewappnet, bestreikten wir das Berlin-Kolleg wegen seiner autoritären Lehrer und Lehrpraktiken. Das war eine lustvolle Zeit. Ich begann zu begreifen, was das produziert, die gesellschaftliche Arbeitsteilung und ihre Aufhebung. 1969 – endlich – begann ich zu studieren, Publizistik, weil ich glaubte, dort ginge es um Vermittlung. Damit irrte ich gewaltig. Ein Jahr lang lief ich ratlos und verängstigt durch die Universitätsabteilungen. Dann hatte ich die Nase voll und gründete mit anderen 1970 den Merve Verlag. Die Erfahrungen, die ich hier machte, habe ich versucht in diesem Text zusammenzutragen. Mit ihm habe ich mein Publizistik-Studium an der Uni abgeschlossen. Seit einem halben Jahr: Lernen der Reprofotografie bei Movimento – Planen eines publizistischen Projekts – das alles in meinem Leben einer vielleicht viel zu großen Liebe mit einem Mann und der Schwierigkeit und Freude mit meinem Sohn. Weibliche Produktivkraft ist für mich etwas, was nicht ist und nie etwas sein kann: Versuch, Trennungen in Form von Selbstbehauptung, die dingfest macht, aufzuheben (Trennungen zwischen Kopf und Bauch, Kopf- und Handarbeit, Mann und Frau, zwischen Bereichen und Berufen usf.). Zugleich: Versuch Trennungen in Form von Selbstbestimmung zu befreien.“

Bücher: Merve Lowien, Weibliche Produktivkraft - Gibt es eine andere Ökonomie? Erfahrungen in einem linken Projekt. (= Internationale Marxistische Diskussion 65), Berlin, Merve Verlag., 1977. Olch ps ta. ein Liebeslied. Merve Lowien, Berlin: Bunjemo Verlag - Movimento Druck 1984. Alpha beta hobb la pi. (Gedichte). Grafik (4 farb. Foliografien u. Buchschmuck) von Elke Karrenberg. Merve Lowien, Berlin 1985.