Die russische Avantgarde (ab 1922 sowjetische Avantgarde) war eine künstlerische Bewegung, die weite Teile der Kultur umfasste, darunter die Bildende Kunst, Literatur, Musik, Theater und Film. Der Begriff beschreibt jedoch keine in sich homogene Gruppe, sondern ist ein Sammelbegriff für alle Künstler und Gruppen, die sich gegen die akademische Kunst stellten. Die Entwicklung der russischen Avantgarde begann etwa 1905, im gleichen Jahr wie die gescheiterte Revolution, anfangs vor allem in der Literatur und breitete sich verzögert auf alle künstlerischen Bereiche aus. Sie endete spätestens 1937 mit der Verbannung aller ausländischen Architekten aus der Sowjetunion. Ihre Blütezeit hatte sie zwischen 1917, der Oktoberrevolution, und 1924, dem Tode Lenins und dem Machtantritts Stalins. Gemeinsam ist allen Vertretern der russischen Avantgarde ein positives Verhältnis zur Revolution.[1]

Die russische Avantgarde hatte einen erheblichen Einfluss auf die moderne Kunst und Kultur in ganz Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Geschichte

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Anfänge einer künstlerischen Erneuerung in der Literatur und die Revolution von 1905

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Die Gesellschaft im Russischen Kaiserreich war sehr zwiespältig. Einerseits herrschte enormer Reichtum in der Bourgeoisie, andererseits herrschte große Armut unter Bauern und Arbeitern.

Einer der frühesten Vertreter einer künstlerischen Erneuerung war Alexander Blok, ein Dichter, dessen erster Sammelband Verse von der schönen Dame 1904 erschien. Weiterer wichtiger Vertreter des Symbolismus war Andrei Bely. 1904 wurde das Journal Wesy (deutsch Waage) erstmals herausgegeben, welches sich zu einem Hauptorgan der symbolistischen Literatur entwickeln sollte. Scharfe Kritik erfuhrt der Symbolismus durch Maxim Gorki. Ab 1907 leitete Blok den Literaturteil der Zeitschrift Solotoje runo (deutsch Die Goldene Horde).[2] 1906 wurde im Theater der Komissarschewskaja Bloks Drama Balagantschik (deutsch Die Schaubude) uraufgeführt. Die Inszenierung leitete Wsewolod Meyerhold. Die Musik stammte von Michail Kusmin. Meyerhold hatte neue Prinzipien für das Theater formuliert, das Uslowny teatr (deutsch Bedingtes Theater). Dabei wurden im Gegensatz zum realistischen Theater, die theatralischen Elemente besonders herausgearbeitet.[3]

Die Russische Revolution 1905 verursachte unter den Künstlern eine euphorische Stimmung. Obwohl sie gescheitert war, ahnten viele Künstler bereits eine weitere Revolution, die das Zarenreich beendete.

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Der Futurismus in Literatur, Theater und Malerei

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Das „Ende“ des Futurismus (1915)

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Als einer der Höhepunkte dieser Epoche wird die Ausstellung „Karo-Bube“ vom Dezember 1910 bis Januar 1911 definiert und die sich im Oktober 1911 aus den beteiligten Künstlern formell gegründete gleichnamige KünstlergruppeKaro-Bube“. Die Ausstellung kam durch die Künstler Aristarch Lentulow, Michail Larionow, Kasimir Malewitsch und Natalia Gontscharowa zustande. 1912 folgte die Ausstellung „Eselsschwanz“.

Neben vielen anderen Künstlern waren Chagall, Kandinsky, Rodtschenko, Popowa und Malewitsch die bekanntesten Vertreter. Während Kandinsky das Geistige in der abstrakten Kunst suchte und das in seinen Bildern zum Ausdruck bringen wollte, war Malewitsch mit seiner geometrischen Formensprache eher dem Suprematismus zugewandt. Beide einte das Bestreben, die Einheit der Welt im Zusammenklang von Seele und Kosmos zu bringen. Die Ideen von Theosophie und die von Rudolf Steiner beeinflussten vor allem das Schaffen Kandinskys.

Die Oktoberrevolution und die neue Kulturpolitik (ab 1917)

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Von der Kulturpolitik der Bolschewiki wurde diese Entwicklung anfangs gefördert. Der Suprematismus, den Malewitsch entwickelte, war für eine kurze Zeit nach der Oktoberrevolution von 1917 sogar eine Art Massenagitationsmittel. Malewitsch und El Lissitzky wurden auf Lehrstühle der Moskauer Kunsthochschule berufen. Die russischen Avantgardisten verstanden die neue kommunistische Herrschaft dabei als Förderer und Wegbereiter avantgardistischer Kunst.

Am 3. April 1921 öffnete in Petrograd das Museum für Künstlerische Kultur seine Pforten und präsentierte sich mit 257 Arbeiten von 69 Künstlern dem Publikum. Sein wichtigstes Organisationsmerkmal bestand darin, dass ausschließlich die Künstler der Avantgarde selbst über das Museum verfügen sollten. Nach ihren Vorstellungen sollte ein Arbeitsplan zur revolutionären Neufassung der Kunstgeschichte erstellt werden. Alle führenden Köpfe der Petrograder Avantgarde waren an diesem Experiment beteiligt: Kandinsky, Tatlin, Malewitsch, Filonow, Matjuschin, dazu Theoretiker mit dem Kunsthistoriker und Schriftsteller Nikolai Nikolajewitsch Punin an der Spitze. 1924 wurde das Museum nach heftigen internen Auseinandersetzungen in das Institut für Künstlerische Kultur (INChUK) integriert, das seinerseits ein Jahr später den Status eines „staatlichen“ Instituts erlangte (GINChUK).[4]

Zur Russischen Avantgarde zählten auch die Filmproduzenten wie Dsiga Wertow. Ferner wurde die Avantgarde durch Vertreter einer neuen Musik wie Arseni Michailowitsch Awraamow, Michail Wassiljewitsch Matjuschin und Alexander Mossolow geprägt.

Der Einfluss der russischen Avantgarde auf die jüngere Entwicklung der westlichen Kunst gilt heute als unbestritten. Ohne Das Schwarze Quadrat auf weißem Grund (1915) von Kasimir Malewitsch, seine spätere suprematistische Komposition Weiß auf Weiß oder die Serie der Schwarzen Bilder (1917/18) Rodtschenkos und sein primärfarbiges Triptychon (1921) wäre die Evolution der gegenstandslosen Kunst eines Yves Klein etwa, Barnett Newman oder Ad Reinhardt nicht denkbar; so auch z. B. Werke der amerikanischen Minimal Art von Donald Judd und Carl Andre, die sich auf Materialität und Funktionalität früher Skulpturen Tatlins und Rodschenkos zurückführen lassen.[5]

Das Ende der Avantgarde in Malerei, Theater und Film (1934)

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Nach Stalins Machtübernahme ließ sich der theoretische Ansatz der Avantgardisten mit den politischen Forderungen nach einer funktionalen Kunst nicht vereinbaren. Malewitsch erhielt Ausstellungs- und Publikationsverbot. Die Komponisten konnten weiteren Verfolgungen durch das Sammeln von Volksmusik bei den Ethnien der Sowjetunion entgehen. Andere Künstler wanderten in den Westen ab. Es folgte eine zentral gesteuerte Agitationskunst, die auch als Sozialistischer Realismus bezeichnet wird.

Das Ende der modernen Architektur in der Sowjetunion (1937)

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Die russische Avantgarde der Kunst war im Zeitalter des Stalinismus verfemt, selbst Künstler distanzierten sich von ihren früheren Werken. George Costakis begann ab 1946 gezielt diese Epoche der russischen Kunst zu erforschen und zu sammeln. Zahlreiche Werke konnten vor dem völligen Verlust gerettet werden, ein Teil seiner Sammlung befindet sich heute in der staatlichen Tretjakow-Galerie. Costakis machte die russische Avantgarde auch im Westen wieder bekannt.

alte Abschnitte

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Die Russische Avantgarde war ein Prozess der Umwälzung und Erneuerung in allen Bereichen der Kunst Russlands. Einerseits orientierte sie sich an den neuesten französischen Kunstentwicklungen, während sie sich andererseits mit ihren engen Bezügen zur bildnerischen Volkstradition identifizierte. Alle Künstler dieser Epoche vereinte das Bestreben, eine Synthese zu schaffen aus volkstümlichen Elementen, modernen Strömungen und der zeitgemäßen Tendenz der Abstraktion gerecht zu werden. Mit letzterem wurde versucht, an die technischen Errungenschaften der damaligen Zeit anzuknüpfen. Zwischen westlichen Einflüssen und östlichen Traditionen entstand so eine Kunst von großer Souveränität. Eine ganze Reihe von Kunstströmungen wie Neoprimitivismus, Kubofuturismus, Rayonismus, Konstruktivismus, aber auch analytische Kunst, Projektionismus und Kosmismus prägten diese Entwicklung.

Bedeutende Sammlungen

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Literatur

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  • Marcel Bois: Kunst und Architektur für eine neue Gesellschaft. Russische Avantgarde, Arbeitsrat für Kunst und Wiener Siedlerbewegung in der Zwischenkriegszeit, in: Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft III/2017, S. 12–34.
  • Hans-Peter Riese: Von der Avantgarde in den Untergrund. Texte zur russischen Kunst 1968–2006. Wienand Verlag, Köln 2009, ISBN 978-3-86832-017-6.
  • Jewgeni Kowtun: Russische Avantgarde. Sirocco, London 2007, ISBN 978-1-78042-346-3.
  • G. F. Kovalenko (Hrsg.): The Russian Avant-Garde of 1910–1920 and Issues of Expressionism. Nauka, Moskau 2003, ISBN 5-02-006374-6.
  • Uwe M. Schneede (Hrsg.): Chagall, Kandinsky, Malewitsch und die russische Avantgarde. Hatje, Ostfildern, 1998, ISBN 3-7757-0797-2.
  • Susanne Anna (Hrsg.): Russische Avantgarde. Daco-Verlag Günter Bläse, Stuttgart 1995, ISBN 3-87135-026-5.

CDs zur Musik

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  • Miguel Molina Alarcón, Leopoldo Amigo: Baku: Symphony of Sirens. Sound Experiments in the Russian Avantgarde 1910–1942; Original Documents and Reconstructions of 72 Key Works of Music, Poetry and Agitprop. ReR Megacorp, London 2008, ISBN 978-0-9560184-0-3.
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Commons: Russische Avantgarde – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Sieg über die Sonne. Aspekte russischer Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Fröhlich & Kaufmann, Berlin 1983, S. 11.
  2. Sieg über die Sonne. Aspekte russischer Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Fröhlich & Kaufmann, Berlin 1983, S. 12–13.
  3. Sieg über die Sonne. Aspekte russischer Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Fröhlich & Kaufmann, Berlin 1983, S. 14.
  4. Schauplatz der Avantgarde. In: Hans-Peter Riese: Von der Avantgarde in den Untergrund. 2009, S. 103.
  5. Vorwort. In: Susanne Anna: Russische Avantgarde. 1995, S. 5.