Benutzer:Christian Löwenherz/Arthur Ketzer


Dr. Arthur Ketzer

Die Taten eines unbekannten Helden




Arthur Ketzer wird 1896 in Wien geboren und wächst in Österreich auf. Nach seinem Chemie Studium und dem Erwerb seines Doktortitels arbeitet er im Raum Wiesbaden, heiratet und bekommt eine Tochter. 1933 zieht es ihn dann nach Berlin. Sein Haus stand in der Königsallee 23 in Berlin-Grunewald und er arbeitete in einem kleinen pharmazeutischen Betrieb, in dem er eine Führungsposition bekleidete.

Schon vor Kriegsbeginn zeigte sich Arthur Ketzer engagiert bei der Unterstützung zur Emigration von Verfolgten. Er half auf ganz unterschiedliche Arten und kannte viele Wege, Menschen bei der Emigration zu helfen. So ermöglichte Arthur Ketzer Bianca Paneth und ihrer Enkelin 1939 nach England auszuwandern. Er verschaffte ihr einen sicheren Platz an Bord eines Schiffes und begleitete sie zum Hafen. Später erzählte Bianca Paneth wie Ketzer ihr geholfen hatte. Mitte August desselben Jahres wurde auch Grete Becker von Ketzer bei ihrer Flucht unterstützt. Arthur Ketzer half den Menschen aber nicht nur zur Flucht. Zwei anderen jüdischen Frauen gab er Arbeit, ohne ihre wahre Identität den Nazis preiszugeben. Eine von ihnen hieß Hedwig Glaser. Sie errinerte sich zurück, wie die Gestapo mehr als einmal in Ketzers Fabrik kam, um sie zu suchen. Dennoch wurde sie nicht gefunden. Die andere war Gertrud Scharff, die unter dem Decknamen Irma Dreger als Buchhalterin für Ketzer arbeitete. Scharff war vor der Deportation geflüchtet und lebte illegal in Deutschland. Ihr Mann Walter war aus dem Ghetto Theresienstadt geflohen. Zusammen flohen sie danach vor der drohenden Deportation durch die Nazis. Auch Walter Scharff bekam Hilfe von Arthur Ketzer. Alice Witte, ebenfalls jüdischer Flüchtling, sagt später in einem Interview über Arthur Ketzer: "Wenn ich an die 30er Jahre in Deutschland zurückdenke, so gibt es eigentlich nur einen einzigen Menschen, der mir gegenüber den persönlichen Mut gezeigt hat, für seine Überzeugung einzustehen und sich in offenen Gegensatz zu stellen gegen die vielen Heuchler und die Masse der Mitläufer - und das waren Sie!" Witte ist zu dieser Zeit in New York und dankt Arthur Ketzer mit diesem Satz für seine Hilfe und Unterstützung. Aufgrund dieses Zitates kann man leicht nachvollziehen wie wenig selbstverständlich es war, sich für Juden einzusetzen oder ihnen sogar zu helfen und wie wenige Menschen es gab, die den Mut hatten sich gegen die Ideologie der Nazis aufzulehnen.

Gegen Ende des Jahres 1943 stößt Arthur Ketzer zur der Widerstandsgruppe Gemeinschaft für Frieden und Aufbau. Sie ist, im Vergleich zu anderen Widerstandsgruppen im Dritten Reich, bis heute unbekannt geblieben. Werner Scharff war gelernter Elektrotechniker und arbeitete in der Synagoge Levetzowstraße, die von Oktober 1941 bis Herbst 1942 von der Gestapo als Sammellager für zur Deportation bestimmte Juden verwendet wurde. Dort bekam er viel von den Grausamkeiten der Nazis mit. Er konnte durch gute Kontakte zu Gestapoangestellten Einsicht in die Deportationslisten erhalten und viele Bekannte rechtzeitig warnen. Allerdings mussten er und seine Freundin, Francia Grün, schließlich selbst untertauchen. Im August 1943 wurden sie, nachdem sie monatelang in der Illegalität gelebt hatten, gefasst und in das KZ Theresienstadt deportiert. Nach einem Monat konnten die beiden fliehen und nach Berlin zurückkehren. Scharff hatte von einem Mithäftling die Adresse von einem guten Freund erhalten, bei dem Scharff sichere Zuflucht finden könne. Der Mithäftling hieß Günther Samuel. Samuel hatte zusammen mit seiner Frau, Hans Winkler, einem Schreiber beim Amtsgericht in Luckenwalde, und weiteren Bekannten eine Organisation gegründet, die sich der Hilfe für Verfolgte verschrieben hatte. Sie bekam den Decknamen: „Sparverein hoher Einsatz“ und ihr Zweck war es Geld, Lebensmittel und Lebensmittelmarken für versteckte Juden zu beschaffen. Hans Winkler versteckte auch seinen jüdischen Neffen, der mit sechzehn Jahren vor den Nazis fliehen musste. Durch seine Position beim Amtsgericht in Luckenwalde konnte Winkler Pässe und Todesurkunden ausstellen und so Menschen verstecken. Hilfreich war auch, dass er viele Menschen kannte, die bereit waren Flüchtlingen zu helfen. Scharff tauchte also bei Hans Winkler unter. Aus ihrer nun folgenden Zusammenarbeit kristallisierte sich eine neue Widerstandsgruppe heraus, die Gemeinschaft für Frieden und Aufbau. Um die dreißig jüdische und nichtjüdische Mitglieder sollen zu der Gruppe gehört haben. Sie alle kamen aus unterschiedlichen soziale Schichten und wurden durch die Erkenntnis zusammengeführt, der Krieg sei sinnlos. Das gemeinsame Ziel war dessen Beendigung. Als zweites Ziel wollten sie so vielen Juden und Regimegegnern helfen, wie sie konnten. Trotz ihrer gemeinsamen Ziele, hatten die Mitglieder doch oft unterschiedliche politische Meinungen und wurden vor allem wegen der Freundschaft zu ihren Gründern zusammengehalten. Unter den Mitgliedern der Gruppe war auch Arthur Ketzer, der dank seiner Firma, in der er Juden arbeiten ließ, vor allem beim Verstecken und Verbergen tätig war. Auch konnte er Werner Scharff gefälschte Papiere seiner Firma ausstellen. Dieser konnte damit unerkannt durch Deutschland reisen. Die beiden Gründer Werner Scharff und Hans Winkler waren die Köpfe der Gruppe. Die Gemeinschaft schaffte es 1944 zwei Ausgaben ihrer Flugblätter zu publizieren und im ganzen deutschen Reich zu verbreiten. Ihre Botschaft rief im wesentlichen dazu auf selbständig zu denken, Widerstand zu leisten und den Krieg durch eine bedingungslose Kapitulation so schnell wie möglich zu beenden.

Durch seinen Kontakt zu der Widerstandsgruppe Gemeinschaft für Frieden und Aufbau ist Arthur Ketzer inzwischen als Gegner des Regimes bei Hilfesuchenden bekannt. So bekommt der junge Jude Walter Frankenstein von Edith Berlow, einer Sekretärin, den Rat sich an Dr. Arthur Ketzer zu wenden. Berlow hatte schon Frankensteins Cousin versteckt, konnte ihn aber nicht auch noch aufnehmen. Walter Frankenstein war mit seiner Frau und seinem Kind 1943 vor der Deportation untergetaucht. Der Grund, dass die Familie später als die meisten Juden deportiert werden sollte, lag darin, dass sie als Zwangsarbeiter in Berlin arbeiteten. Diese sollten am 27.02.1943 an ihren Arbeitsplätzen verhaftet und deportiert werden. Verfolgt von der Gestapo, Hitlers Geheimpolizei, und ohne Lebensmittelkarte, ohne die man nirgends zu essen bekam, fanden seine Frau Leonie und ihr Sohn Unterschlupf in Leipzig. Walter irrt derweil in Berlin herum, hungrig und ohne Dach über dem Kopf. Ketzer nimmt ihn ohne viele Fragen zu stellen bei sich auf und Walter darf in dessen Betrieb arbeiten, indem Arthur eine der führenden Angestellten ist. Um nicht aufzufallen wird Walter in der Herstellung von Chlorophypillen eingesetzt. Ketzer lässt ihn ein paar der benötigten Rohstoffe abzweigen, um sie für sich zu verwenden. Die Pillen wurden zu dieser Zeit mit Dickextrackt und verschiedenen Ölen gebunden. Da diese sehr rar und für die hungrigen Flüchtlinge wichtig waren, ersetzt Ketzer das Olivenöl durch Rizinusöl und den Zucker durch Rübensaft. Abends schläft Walter in einem Bunker im Hof der Firma. Das große Risiko was Arthur einging muss ihm zweifelsfrei klar gewesen sein, war er doch mit Doktortitel ein Mann von Bildung. Er verlangte kein Geld oder anderweitige Gegenleistungen von Walter. Nachdem Walters Frau Leonie und sein Sohn Peter, der wegen eines Namensverbotes Uri genannt wurde, aus Leipzig fliehen müssen nimmt Arthur Ketzer auch sie in seinem Haus im Grunewald auf. Walter baute sich auf Ketzers Grundstück einen eigenen improvisierten Bunker, in den er, Leonie und Peter-Uri bei Bombenalarm fliehen können. Im Februar des Jahres 1944 zerstört eine Luftmine, eine auf besonders hohe Druckwellen optimierte und meistens gegen ungepanzertete Ziele eingesetzte Bombe, das Haus von Arthur Ketzer. Die Familie überlebt in ihrem Luftschutzbunker. Danach kann Arthur die Familie aber nicht mehr verstecken. Er gibt Leonie den Rat zur Bombengeschädigtenstelle zu gehen und anzugeben, sie sei nur zu Besuch in Berlin gewesen und dass ihre Papiere verbrannt wären. Sie bekommt neue Papiere und kann als arische Frau unter dem Namen Marta Gerhard in einem kleinen Dorf nahe Berlin wohnen. Walter bleibt in Berlin zurück, denn er kann, wegen der Beschneidung männlicher Juden, die Behörden nicht so leicht täuschen. Damit ist die Odyssee für die Familie allerdings noch nicht beendet. Dank der Hilfe von Athur Ketzer konnten sie einige Monate in Berlin bleiben, doch sie leben in ständiger Gefahr von Denunzianten verraten und von den Nazis gefasst zu werden. Leonie Frankenstein, alias Martha Gerhard, kann dank ihrer falschen Identität in den Luftschutzbunkern Berlins Zuflucht suchen, aber Walter ist auf sich allein gestellt. Dann wird ihnen im Keller eines Bordells eine neue Bleibe angeboten. Schon nach wenigen Monaten wird das Gebäude im Januar 1945 durch Bomben zerstört. In der Endphase des Krieges kam es zur Schlacht um Berlin. Schließlich wurden die Familie von den Russen befreit, die sie als Juden, also als Feinde des Nazi-Regimes, recht gut behandeln. Doch sie fühlen sich in Deutschland nicht mehr wohl. Der nationalsozialistische Gedanke steckt immer noch in den Köpfen der Menschen. Das, beschreiben sie später, haben ihre Erlebnisse nach dem Krieg gezeigt. Ihr erstes Ziel wird Palästina, wo sie aber aufgrund von schlechten Arbeitsbedingungen ebenfalls unglücklich sind. Sie erinnern sich an einen deutschen Freund in Schweden. Schließlich wird dessen Hauptstadt, Stockholm, ihr neues Zuhause. Leonie Frankenstein stirbt 2009 im Alter von 87 Jahren, nach 67 Jahren Ehe mit ihrem Mann, in dessen Armen. Walter Frankenstein feierte 2014 seinen neunzigsten Geburtstag in Berlin und bekam das Bundesverdienstkreuz verliehen. Er wohnt noch heute in Stockholm.


Zurück im Jahr 1944. Nachdem die Gemeinschaft für Frieden und Aufbau ein Jahr im Verborgenen agiert hatte, wurde das Mitglied Hilde Bromberg verhaftet. Auf diese Weise flog die Gruppe auf. Arthur Ketzer wurde am siebten Oktober 1944 verhaftet und in das Arbeitserziehungslager Wuhlheide gebracht. Im Gestapo-Lager, in dem Untersuchungshäftlinge, also Häftlinge deren Schuld juristisch noch nicht bewiesen war, sowie Verbrecher die ihre Zuchthaushaft schon hinter sich hatten, aber auf Befehl der Gestapo nicht freigelassen und in ein KZ überführt wurden, musste Ketzer bei unzureichender Nahrung und Hygiene und unter Gewalt von Seiten der Aufseher Zwangsarbeit verrichten. Trotz der eigenen schlechten Lage teilte er dennoch Lebensmittelpakete, die seine Famillie ihm schickte, mit seinen ausländischen Mitgefangenen. Im Februar des Jahres 1945 kommt er aus dem Lager frei, indem er die Lagerleitung besticht. Die jüdischen Mitglieder der Gruppe wurden in Konzentrationslager gebracht, wo Francia Grün und Werner Scharff erschossen wurden. Für sie gab es keine Verhandlungen. Für die anderen nicht jüdischen Mitglieder der Widerstandsgruppe wurde der Prozesstermin für den 23.04.1945 angesetzt. Die Anklage lautete Judenbegünstigung und hätte mit ziemlicher Sicherheit zu einem Todesurteil geführt. Der Prozesstermin fand allerdings nicht mehr statt. Berlin war zu dieser Zeit schwer in Kämpfe verwickelt und die Menschen hatten keine Hoffnung mehr auf den Endsieg. Die gesamte Nazi-Elite war entweder in ihren Bunkern tot oder geflohen. Deswegen gab es keinen Prozess mehr und die lebenden Mitglieder der Widerstandsgruppe Gemeinschaft für Frieden und Aufbau wurden von den Russen befreit. Im Vergleich zu anderen Widerstandsgruppen überlebten viele der Mitglieder der Gemeinschaft für Frieden und Aufbau das Kriegsende.

Nachdem sich Ketzer aus dem Gestapo-Lager freikaufen kann, versteckt er sich in Bayern vor den Nazis. Nach Beendigung des Krieges eröffnet er eine pharmazeutische Firma in Lichtenfels. Arthur Ketzer stirbt am 23.02.1980 mit 84 Jahren. 2007 wurde sein Name in der Liste der Gerechten im Archiv der Judengedenkstätte Jad Vaschem gespeichert und Anfang 2008 wurde er offiziell zum Gerechten unter den Völkern ernannt. Dies ist die höchste Auszeichnung, die Israel an Nichtjuden vergibt. Sie ist für Menschen, die Juden in Zeiten schwerer Not helfen und selbstlos versuchen Menschenleben zu retten.

Niemand weiß genau wieso Menschen oder speziell Arthur Ketzer Flüchtlingen half. Er wurde, wie viele andere auch, zu Lebzeiten nicht danach gefragt, denn Retten machte einsam. Diese eigentlichen Helden wurden zu Ausgestoßenen, aus verschiedenen Gründen. Zum Einen konnten sie nicht mehr normal mit den Nachbarn reden aus Angst verraten zu werden. Darüber hinaus waren die meisten Deutschen damals Pro-Nazis und diese Haltung wurde nur sehr langsam, oder auch überhaupt nicht abgelegt. In der Regel rechtfertigten sich die ehemaligen Nazis für ihre Verbrechen und stellten die Judenretter wie Asoziale dar. Die Menschen, die wirklich etwas getan hatten um zu retten waren einfach deutlich in der Unterzahl. Sie wurden nicht nur als asozial dargestellt sondern meist auch so angesehen. „Judenretter“ war sogar als Schimpfwort verbreitet. Deshalb trauten sich viele von ihnen gar nicht erst ihre Taten öffentlich zu machen, aus Angst öffentlich bloßgestellt zu werden. Als Helden wurden nur Widerstandskämpfer wie zum Beispiel Graf von Stauffenberg angesehen, die das Nazi-Regime mit Gewalt bekämpften und sich eher gegen Hitler, nicht aber seiner Ideologie stellten. Jene stillen Kämpfer, die durch ihr selbstloses und mutiges Verhalten weit mehr Menschen retteten, wurden in der Geschichte häufig vergessen. Charakteranalysen der einzelnen Judenretter haben gezeigt, dass vor allem zurückgezogene, stille und intelligente Menschen bereit waren Verfolgten zu helfen.