Die Präzession ist allgemein die Richtungsänderung der Achse eines rotierenden Körpers, wenn äußere Kräfte ein Drehmoment auf ihn ausüben. Speziell in der Astronomie ist damit die Richtungsänderung der Erdachse gemeint, die eine Folge der Massenanziehung des Mondes und der Sonne in Verbindung mit der Abweichung der Erdfigur von der Kugelform ist.

Abb. 1: Präzession eines rotierenden Kreisels

Grundlagen

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Die Präzession ist neben der Stabilität der freien Kreiselachse das zweite der - technisch vielfach nutzbaren - grundlegenden Kreiselgesetze, sie lässt sich bei jedem Spielzeugkreisel beobachten, und kann bei anspruchsvollerer Versuchsanordnung auch in ihrer Richtungsumkehr zwischen "hängendem" und "stehendem" Kreisel demonstriert werden. Vorsicht: die Betrachtungen hier und im Folgenden sind nur für "schnell drehende" Kreisel näherungsweise richtig; im allgemeinen Fall muss mit den (aufwändigeren) Eulerschen Gleichungen gerechnet werden.

Fahrrad-Experiment zur Drehimpulserhaltung

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Deutlich sichtbar wird die Präzession, wenn man ein ausgebautes, schnell rotierendes Rad eines Fahrrades zunächst an beiden Enden der Radachse in den Händen hält und dann ein Achsende loslässt. Aufgrund der dann nur noch einseitig gehaltenen Radachse übt die Gewichtskraft des Rades nun ein Kippmoment "nach unten" auf das Rad aus, welches das Rad herabzukippen versucht.

Anders als ein stillstehendes Rad kippt das rotierende Rad trotz seines Gewichts und trotz der nur noch einseitig gehaltenen Achse aber nicht nach unten, sondern bleibt aufrecht, schwenkt ("präzediert") stattdessen langsam zur Seite, und kompensiert aufgrund dieser Schwenkbewegung (= Präzession) das von seiner Gewichtskraft und der einseitig gehaltenen Achse erzeugte Stör-Kippmoment. Hierbei ist die Geschwindigkeit dieser Schwenkbewegung (= Präzessions-Winkelgeschwindigkeit) proportional zu dem durch die Gewichtskraft des Rades erzeugten Kippmoment "nach unten" (Video).

Der physikalische Hintergrund für dieses Ausweichen des Rades quer zur Störkraft (Gewichtskraft) besteht darin, dass bei der gleichförmigen Präzession die zeitliche Änderung des Rad-Drehimpulses aufgrund der Schwenkbewegung des Rades zur Seite - also aufgrund der Präzessions-Winkelgeschwindigkeit - gerade gleich dem äußeren Stör-Kippmoment auf das Rad aufgrund seiner Gewichtskraft ist, weshalb das präzedierende Rad gerade in der Schwebe bleibt und nicht herabkippt. Das Verhalten des Rades folgt damit dem Drehimpulserhaltungssatz, der allgemein besagt, dass die Änderung des Drehimpulses eines starren Körpers (also eine Änderung der Drehzahl und/oder eine Richtungsänderung der Drehachse) stets mit einem dieser Drehimpulsänderung in Größe und Richtung entsprechenden äußeren Drehmoment einhergehen muss, welches auf den Körper wirkt. In dem betrachteten Beispiel ist das äußere Drehmoment das durch die Gewichtskraft des Rades erzeugte Kippmoment nach unten.

Wenn man andererseits mit den Händen an beiden Enden der Radachse versucht, die Achse zur Seite zu schwenken, so bemerkt man einen spürbaren Widerstand sowie das Bestreben des Rades, die Achse statt zur Seite nach unten zu kippen, was ebenfalls wieder eine Auswirkung des (im nachstehenden Abschnitt näher untersuchten) Ausweicheffekts aufgrund der Präzession ist. Auch beim Gyrotwister kann man diesen durch die Trägheit der Kreiselmasse hervorgerufenen Ausweicheffekt deutlich spüren.

Die Ausweichbewegung des Kreisels gegenüber der Störkraft

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Die Trägheit der rotierenden Kreiselmasse bewirkt bei "Störungen" durch Krafteinwirkung F1 (s. Abb. 2) an der Kreiselachse grundsätzlich eine Ausweichbewegung, als wirke am Angriffspunkt der Störkraft eine um 90° in Rotationsrichtung "weitergedrehte" Kraft F2.

Setzt man einen Spielzeugkreisel schräg auf, so würde er infolge der Schwerkraft umkippen, wenn er nicht gleichzeitig rotieren würde. Statt des Umkippens bewirkt das durch die Schwerkraft erzeugte "Kippmoment" (analog F1 in Abb. 2) beim schräg aufgesetzten, rotierenden Kreisel, dass seine Drehachse aufgrund der fortdauernden Ausweichbewegung (durch F2) die bekannte, taumelnde Bewegung ausführt, die als Präzession bezeichnet wird.

Liegt die Drehachse des Kreisels insbesondere waagerecht, und ist der Kreisel auf der Drehachse, jedoch nicht in seinem Schwerpunkt gestützt, so präzediert die gesamte Anordnung um den Stützpunkt des Kreisels. Die hierbei auftretenden Kräfte- bzw. Momentenzusammenhänge sind weiter unten dargestellt, s. im Abschnitt "Der einseitig aufgehängte Kreisel".

Präzession, Massenträgheit und Corioliskraft

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Abb. 2: Präzession bei Störung

Anschaulich erklären lässt sich die Ausweichbewegung eines Kreisels senkrecht zur Störkraft zunächst durch eine (der Anschaulichkeit halber hier qualitativ gehaltene) Betrachtung der Trägheits- bzw. Corioliskräfte, die in den Masseteilchen des Kreisels entstehen, während dieser gekippt oder beispielsweise um eine Aufhängung geschwenkt wird. [1][2][3]

Die gemäß Abbildung 2 am oberen Ende der Kreiselachse durch die Hand ausgeübte Störkraft F1 führt (aufgrund des damit verbundenen Kippmoments nach rechts) zunächst zu einer leichten Kippbewegung des Kreisels nach rechts, um den Aufstandspunkt des Kreisels am Boden, in Richtung des roten Pfeils. Aufgrund dieser Kippbewegung entstehen in den Masseteilchen des Kreisels, die sich gerade hinten im Kreisel nach rechts bzw. vorne nach links bewegen, als Corioliskräfte bezeichnete Trägheitskräfte nach oben (hinten im Kreisel) bzw. nach unten (vorne im Kreisel). Diese Trägheitskräfte rühren daher, dass die trägen Masseteilchen ihre zuvor horizontale Bewegungsbahn beizubehalten versuchen, während der nach rechts kippende Kreisel sie auf zunehmend schräge Bewegungsbahnen zu zwingen versucht. Dabei stellt die Kippbewegung des Kreisels aufgrund der Störkraft F1 das rotierende Bezugssystem dar, in welchem die genannten Corioliskräfte auftreten.

Diese Trägheits- bzw. Corioliskräfte der Masseteilchen des nach rechts kippenden Kreisels erzeugen in der Summe ihrerseits wiederum ein Kippmoment auf den Kreisel "nach vorne" zum Leser hin. Dieses im nach rechts kippenden Kreisel entstehende Kippmoment "nach vorne" wiederum führt zu der Ausweichbewegung des Kreisels senkrecht zur Richtung der Störkraft, also in Richtung des blauen Pfeils F2.

Die Ausweichbewegung des Kreisels "nach vorne" stellt jedoch ihrerseits eine weitere Kippung der Kreiselachse dar, diesmal zum Betrachter hin, in Richtung des blauen Pfeils F2. Durch diese Kippung schließlich, die wieder zu Bahnablenkungen und dementsprechenden Trägheitskräften bei den Masseteilchen des Kreisels führt, diesmal bei denjenigen Masseteilchen, die sich links im Kreisel nach hinten bzw. rechts im Kreisel nach vorne bewegen, wird der in der Hand spürbare, typische Widerstand des Kreisels gegen die Handkraft F1 hervorgerufen.

Mit anderen Worten, die Störkraft F1 verursacht zunächst eine Kippung des Kreisels in Richtung des roten Pfeils, diese Kippung wiederum führt über die genannten Trägheits- bzw. Corioliskräfte in den Masseteilchen zu der Ausweichbewegung des Kreisels in Richtung des blauen Pfeils, und diese Ausweichbewegung schließlich erzeugt, ebenfalls aufgrund des Coriolis-Trägheitseffekts, die in der Hand spürbare Gegenkraft.

Die hier nur kursorisch ausgeführten Kräfte- und Momentenzusammenhänge sind untenstehend am Beispiel eines einseitig unterstützten, horizontal präzedierenden Kreisels ausführlich dargestellt, sowohl anhand des auf Trägheits- bzw. Corioliskräften basierenden Erklärungsmodells, als auch anhand des Drehimpulserhaltungssatzes.

Der einseitig aufgehängte Kreisel

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Abb. 3: Einseitig aufgehängter Kreisel

Nachfolgend wird die Präzession am einseitig horizontal aufgehängten Kreisel hergeleitet. Die Darstellung ist der Anschaulichkeit halber wieder qualitativ gehalten. Hierzu wird die Bewegung einzelner Masseteilchen M des Kreisels betrachtet.

In der Ausgangssituation gemäß Abb. 3 wurde ein horizontal gelagerter (hier noch an beiden Achsenden unterstützter) Kreisel in schnelle Drehung R versetzt. Das Gewicht G des Kreisels wird je zu einem Teil von der Deckenaufhängung links und von der Hand rechts getragen. In diesem Zustand behält die Drehachse des Kreisels ihre Richtung bei, womit auch der Drehimpuls L1 des Kreisels sowohl seine Größe (Länge des Pfeils L1, proportional zur Kreiseldrehzahl) als auch seine Richtung (Richtung der Kreiselachse) zunächst unverändert behält. Dabei bewegt sich ein beispielhaft betrachtetes Masseteilchen M1 des Kreisels im Moment der Betrachtung auf der dem Betrachter zugewandten Seite des Kreisels entlang der Bahn v1 vertikal nach unten.

Der Kreisel nach dem Loslassen

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Nun wird gemäß Abb. 4 das rechte Achsende losgelassen. Zunächst würde man erwarten, dass der Kreisel anschließend - wie jeder Gegenstand, der nur an einem Ende unterstützt ist - mit seinem rechten Achsende herunterkippt, und nach kurzer Zeit nur noch an der linken Deckenaufhängung baumelt.

Beim schnell rotierenden Kreisel ist dies jedoch nicht der Fall. Stattdessen bleibt die Kreiselachse (weitestgehend) waagerecht, und der Kreisel beginnt um die Deckenaufhängung zur Seite zu schwenken (zu "präzedieren"), anstatt herunterzukippen.

Anfängliches Herabkippen des Kreisels

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Abb. 4: Kreisel im Moment des Loslassens

Abb. 4 zeigt zunächst die Situation kurz nach dem Loslassen des rechten Achsendes. In der Tat beginnt der Kreisel aufgrund seines Gewichts, das jetzt nur noch von der Deckenaufhängung am linken Achsende gehalten wird, zunächst mit dem rechten Achsende herabzukippen.

Dies hat jedoch unmittelbar Folgen für die schnell rotierenden Masseteilchen des Kreisels, und zwar für diejenigen Masseteilchen M1 des Kreisels, die sich (aufgrund der Kreiselrotation) in diesem Moment gerade vertikal nach oben oder unten bewegen. Zwei solche Masseteilchen M1 sind (stellvertretend für die Gesamtheit der Masseteilchen des Kreisels) in Abbildung 4 dargestellt. Eine analoge Betrachtung gilt für alle Masseteilchen des Kreisels, die jeweils gerade eine vertikale Bewegungskomponente besitzen.

Im Moment vor dem Loslassen des rechten Achsendes bewegt sich Masseteilchen M1 aufgrund der Kreiselrotation R vertikal nach unten auf der Bahn v1, vgl. auch nochmals Abbildung 3. Beim Loslassen des rechten Achsendes beginnt der Kreisel nach unten zu kippen, vgl. Abbildung 4. Durch die zunächst zunehmende Kippung K nach unten wird aber auch das Masseteilchen M1 von seiner ursprünglichen Bahn v1 abgelenkt und durch die zunächst anhaltende Kippbewegung K andauernd auf neue Bahnen gezwungen, nämlich im nächsten Moment auf die (nicht mehr vertikal verlaufende) Bahn v2. Dieser zunehmenden seitlichen Ablenkung des Masseteilchens M1 durch die Kippbewegung K widersetzt sich das Masseteilchen M1 (wie jede träge Masse, deren Bewegungsbahn geändert wird), indem Masseteilchen M1 eine Trägheitskraft Fc auf den kippenden Kreisel ausübt, während das Teilchen vom herabkippenden Kreisel von der Bahn v1 auf die Bahn v2 usw. gezwungen wird.

Bei dieser Trägheitskraft Fc handelt es sich speziell wieder um die Corioliskraft, die stets auftritt, wenn eine geradlinige Bewegung mit einer Rotation überlagert wird, genauer ausgedrückt, wenn eine geradlinige Bewegung (hier v1) in einem rotierenden Bezugssystem (hier im rotierenden Bezugssystem K des herabkippenden Kreisels) stattfindet.

Ausweichen rechtwinklig zur Störkraft

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Dies bedeutet also, dass bei der anfänglichen Kippbewegung K des Kreisels nach unten (aufgrund seiner Gewichtskraft G) sämtliche Masseteilchen M1, die sich momentan in der dem Leser zugewandten vorderen Hälfte des Kreisels befinden und damit eine vertikale Geschwindigkeitskomponente nach unten aufweisen, aufgrund ihrer Bahnänderung von v1 auf v2 Trägheitskräfte Fc (Corioliskräfte) nach rechts auf den Kreisel ausüben. Aus demselben Grund ihrer Bahnänderung durch den kippenden Kreisel üben sämtliche Masseteilchen M1, die sich momentan in der hinteren, dem Leser abgewandten Hälfte des Kreisels nach oben bewegen, Trägheitskräfte Fc nach links auf den Kreisel aus.

Diese rechtwinklig zur Störkraft G wirkenden Trägheitskräfte Fc (Corioliskräfte) der rotierenden Masseteilchen M1, und das durch diese Kräfte auf den Kreiselkörper insgesamt ausgeübte Drehmoment um die Vertikale ist zunächst einmal die unmittelbare Ursache für das Phänomen, dass ein rotierender Kreisel stets rechtwinklig zu einer an seiner Achse angreifenden Störkraft ausweicht (hier also rechtwinklig zur Gewichtskraft K des Kreisels, somit nach hinten vom Betrachter weg, anstatt nach unten in Richtung der Gewichtskraft G auszuweichen). Vgl. hierzu nochmals Abb. 2, auch dort weicht der Kreisel rechtwinklig zur Störkraft F1 (rot) in die Richtung von F2 (blau) aus.

Beginn der Präzession

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Abb. 4: Beginn der Präzession

Im hier betrachteten Beispiel führen diese (durch das anfängliche Herunterkippen K des Kreisels entstehenden) Trägheitskräfte Fc der rotierenden Masseteilchen M1 somit dazu, dass der Kreisel gleichzeitig mit dem Herunterkippen K beginnt, um die Deckenaufhängung zu rotieren[4], vgl. den grün gezeichneten Pfeil der Rotation P in Abb. 5. Denn gemäß Abb. 4 streben in der vorderen, dem Leser zugewandten Kreiselhälfte alle Masseteilchen M1 nach rechts (in dem Bestreben, ihre vertikalen Bewegungsbahnen v1 beizubehalten), während alle Masseteilchen M1 in der hinteren, abgewandten Kreiselhälfte aus demselben Grund nach links streben.

Das so durch die Masseteilchen M1 und deren Trägheitskräfte Fc (Corioliskräfte) insgesamt auf den Kreisel ausgeübte Drehmoment um die Vertikale (vgl. als Vektorpfeil eingezeichnetes Drehmoment T1 um die Deckenaufhängung in Abbildung 4) veranlasst den Kreisel also, eine Schwenkbewegung um die Deckenaufhängung zu beginnen, welche nichts anderes ist als die beginnende Präzessionsbewegung P gemäß Abb. 5.[5]

Dasselbe Ergebnis wird erhalten, wenn man den Zusammenhang zwischen dem Drehmoment T1 um die Deckenaufhängung, welches den Kreisel auf die Präzessionsbewegung P beschleunigt einerseits, und der Änderung des vektoriellen Drehimpulses des Kreisels durch das Absinken des rechten Achsendes andererseits betrachtet.

Vor dem Loslassen des rechten Achsendes besitzt der Kreisel den Drehimpuls L1, während der Kreisel kurz nach dem Loslassen seines rechten Achsendes - aufgrund der einsetzenden Kippbewegung K des Kreisels nach unten - den Drehimpuls L2 aufweist, siehe die orangenen Pfeile L1 und L2 in Abb. 4.

Da das auf einen Kreisel wirkende äußere Drehmoment T1 in Größe und Richtung physikalisch allgemein der Änderung des Drehimpulses L des Kreisels entspricht (Drehimpulserhaltung, ΔL=T), führt auch die vektorielle Betrachtung der Änderung des Drehimpulses anhand des Drehimpulserhaltungssatzes wieder zu dem Ergebnis, dass zur Änderung des Kreisel-Drehimpulses von L1 nach L2 aufgrund der Kippbewegung K nach unten ein äußeres Drehmoment T1 um die Vertikale auf den Kreisel aufgebracht werden muss. Da die drehbare Deckenaufhängung jedoch kein Drehmoment auf den Kreisel übertragen kann und damit ein äußeres Drehmoment um die Vertikale fehlt, wird der Kreisel mit einem gleichgroßen Drehmoment, lediglich mit anderem Vorzeichen, also mit -T1 um die vertikale Drehachse der Deckenaufhängung beschleunigt. Das durch die Drehimpulsdifferenz L2 - L1 im Kreisel hervorgerufene Drehmoment -T1 um die Vertikale beschleunigt also die Präzessionsbewegung P, und zwar genau so lange, bis gemäß Abb. 5 diejenige Präzessionsgeschwindigkeit P erreicht ist, welche ein weiteres Herabkippen des Kreisels gerade stoppt.

Letzterer Zustand (die gleichförmige Präzession) ist im nachfolgenden Abschnitt dargestellt.

Gleichförmige Präzession

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Abb. 5: Gleichförmig präzedierender Kreisel

Im betrachteten Beispiel stellt sich nach kurzer Zeit ein Kräfte- bzw. Momentengleichgewicht gemäß der Situation in Abb. 5 ein. Der Kreisel präzediert nun (aufgrund seiner Massenträgheit) mit gleichbleibender Präzessionsgeschwindigkeit P um die Deckenaufhängung, während das losgelassene rechte Achsende nicht mehr weiter absinkt, sondern infolge der Präzessionsbewegung P einen Kreis um die Deckenaufhängung beschreibt.

Wieder führt auch diese Kreisbewegung (= Präzession P) des Kreisels, analog wie zuvor die Kippbewegung K, zu einer Auswirkung auf sämtliche Masseteilchen M des Kreisels. Diesmal betrifft die Auswirkung der Kreisbewegung P des Kreisels jedoch alle Masseteilchen M2, welche gerade eine horizontale Bewegungskomponente aufweisen. Beispielhaft ist dies in Abb. 5 an den Masseteilchen M2 gezeigt.

Im betrachteten Moment bewegt sich das obere Masseteilchen M2 auf einer horizontalen Bahn v1. Der Kreisel präzediert jedoch im nächsten Moment weiter auf seiner Kreisbahn P um die Deckenaufhängung nach hinten, weshalb auch das Masseteilchen M2 im nächsten Moment auf eine andere Bewegungsbahn, nämlich auf die Bahn v2 gezwungen wird. Diese mit der Präzessionsbewegung P ständig fortschreitende, erzwungene Richtungsänderung der Bahnen der Masseteilchen M2 führt wieder zu dementsprechenden Trägheitskräften Fc entgegen dieser Bahn-Richtungsänderung. Auch hier handelt es sich bei den Trägheitskräften Fc wieder um Corioliskräfte, die aufgrund der Überlagerung der geradlinigen Bewegung der Masseteilchen M2 (entlang ihrer Bahnen v1) mit der Schwenkbewegung P des Kreisels aufgrund der Präzession P entstehen.

Die durch alle Masseteilchen M2 mit horizontaler Bewegungskomponente so erzeugten Trägheitskräfte Fc (= Corioliskräfte) bilden insgesamt wieder ein Drehmoment auf den Kreiselkörper (vgl. vektoriell eingezeichnetes Drehmoment T1), welches diesen gemäß der Situation in Abb. 4 "nach links" bzw. "nach oben" zu kippen versucht. Bei der gleichförmigen Präzession ist dieses Drehmoment der Trägheitskräfte Fc auf den Kreiselkörper nach oben gerade gleich groß wie das von der Gewichtskraft G des Kreisels erzeugte Drehmoment T2, das den Kreisel nach unten zu kippen versucht.

Auch die gleichförmige Präzession lässt sich (ebenso wie der Beginn der Präzession, s. oben bei Abb. 4) alternativ wieder mittels des Drehimpulserhaltungssatzes anhand einer Betrachtung der Drehimpulsänderung beschreiben, welcher der Kreisel während der Präzession P unterliegt. In Abb. 5 sind hierzu die orangenen Pfeile L2 und L3 eingezeichnet, welche für den vektoriellen Drehimpuls (L2) des Kreisels zu einem betrachteten Zeitpunkt bzw. kurze Zeit später (L3) stehen. Auch hier gilt wieder, dass das auf den Kreisel wirkende äußere Drehmoment T2 (hier entstehend durch die Gewichtskraft G des Kreisels wegen der einseitigen Deckenaufhängung) in Größe und Richtung der Änderung des Drehimpulses L entsprechen muss (ΔL=T). Die Schwenkbewegung des Kreisels aufgrund der Präzessionsbewegung P erzeugt somit - aufgrund der zeitlichen Änderung ΔL=T der Drehimpulsrichtung L des Kreisels - ein Drehmoment, welches das äußere Störmoment T2 gerade kompensiert.

Die beiden so auf den Kreisel wirkenden Drehmomente (Kippmoment der Gewichtskraft G "nach unten" und Drehmoment der Präzession P "nach oben") sind während der gleichförmigen Präzession stets gleich groß und halten den Kreisel somit stets genau in der Schwebe. Dies muss auch so sein, denn sobald beispielsweise das Drehmoment der Gewichtskraft nach unten überwiegen würde (z.B. falls die Präzessionsgeschwindigkeit aufgrund von Reibung in der Deckenaufhängung mit der Zeit langsamer und das Präzessionsdrehmoment durch die Kräfte Fc "nach oben" damit abnehmen würde), dann würde das freie Achsende des Kreisels als Reaktion hierauf wieder anfangen, weiter herabzusinken (s. Abb. 3). Hierdurch würde aber die Geschwindigkeit der Präzession P genau solange wieder zunehmen, bis die Absinkbewegung des Kreisels wieder zum Stillstand kommen würde, analog wie oben im Abschnitt "Beginn der Präzession" beschrieben.

Hierdurch erklärt sich auch das allmähliche Absinken des freien Endes der Kreiselachse bei gleichbleibender Präzessionsgeschwindigkeit, wie sie im Experiment beobachtet wird. Energetisch betrachtet liefert das Absinken des freien Endes der Kreiselachse die potentielle Energie, die wiederum durch die Reibung in der Deckenaufhängung verbraucht wird, wobei die Präzessionsgeschwindigkeit jeweils gleich bleibt.[6] Tritt jedoch auch Reibung in der Radlagerung des Kreisels selbst auf, so dass dessen Drehzahl mit der Zeit abnimmt, so nimmt in diesem Fall zusätzlich auch die Präzessionsgeschwindigkeit zu, um so über die Kräfte Fc gemäß Abbildung 5 wieder gerade dasjenige Präzessionsdrehmoment bereitzustellen, welches den Kreisel daran hindert, weiter herabzukippen.

Idealisierungen

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Obige Herleitung der Präzession anhand der am Kreisel auftretenden Trägheits- bzw. Corioliskräfte ist in der Darstellung der Anschaulichkeit halber weitestgehend qualitativ gehalten. Eine quantitative Herleitung ist auf derselben Basis ebenfalls möglich, indem bei der Betrachtung der Masseteilchen M jeweils das Integral über den gesamten Kreiselkörper gebildet wird. Eine derartige quantitative Herleitung der Präzession anhand der Corioliskraft kann im Detail z.B. der zitierten Literatur [4] entnommen werden.

Insgesamt gelten die obigen Betrachtungen nur für schnell rotierende Kreisel, bei denen hierdurch die anfängliche Kippung K nach dem Loslassen des freien Achsenendes, ebenso wie die Winkelgeschwindigkeit der Präzession klein ist. In der obigen Betrachtung vernachlässigt wird auch die Zentrifugalkraft, die aufgrund der Präzessionsbewegung P um die Deckenaufhängung entsteht. Wegen der Kippung K des Kreisels führt dies zu einem geringen Fehler, der aufgrund der niedrigen Präzessionsgeschwindigkeit am schnell drehenden Kreisel jedoch vernachlässigbar klein ist.

Schließlich wurde auch die Nutation außer acht gelassen, die sich in der Theorie wie auch beim entsprechenden realen Versuch in Form eines erkennbaren Auf- und Abschwingens des freien Endes der Kreiselachse zunächst einstellt, sobald das Ende der Achse zu Beginn der Betrachtung losgelassen wird. Beim realen Versuch klingt dieses Auf- und Abschwingen der Kreiselachse im Lauf der Zeit aufgrund Reibung bzw. Dämpfung allmählich ab. In Übereinstimmung mit der vorliegend erfolgten Vernachlässigung der Nutation ist auch in der Praxis bei schnell rotierenden, schweren Kreiseln oder Gyroskopen beim plötzlichen Auftreten eines externen Kippmoments und damit einsetzender Präzession die Nutation üblicherweise so gering, dass sie kaum wahrgenommen werden kann (s. Video der einsetzenden Präzession beim Laborgyroskop bzw. beim Flugzeuggyroskop, beide ohne erkennbare Nutation).

Als Analogie zum Verständnis der Nutationsbewegung kann beim hier betrachteten Versuch das Einschwingen eines an eine Feder gehängten Massekörpers angesehen werden, welches auftritt, nachdem der Massekörper an die Feder gehängt und losgelassen wird. Nach einiger Zeit klingt diese Federschwingung aufgrund Reibung bzw. Dämpfung ab, und es stellt sich ein Gleichgewicht zwischen der Federverlängerung und der Gewichtskraft der Masse ein. Der sich einstellenden Federverlängerung entspricht in dieser Analogie das Herabkippen K des Kreisels nach dem Loslassen des Achsendes, der Masse entspricht die Kreiselmasse, und der Feder selbst entspricht der Widerstand des Kreisels gegen das Herabkippen aufgrund der Präzessionsbewegung, welche die Gegenkraft gegen die Gewichtskraft des Kreisels bereitstellt. Ein schwerer, schnell rotierender Kreisel (in der Analogie also eine starke Feder mit hoher Federkonstante) wird in der Praxis nur eine sehr geringe Kippung K (= Federverlängerung in der Analogie) zeigen, womit auch die Nutationsbewegung (= das Einschwingen der Feder in der Analogie) entsprechend gering ausfällt. Vgl. hierzu die im vorstehenden Absatz verlinkten Experimente am Gyroskop sowie das im Abschnitt "Fahrrad-Experiment zur Drehimpulserhaltung" verlinkte Demonstrationsvideo, wo aufgrund der hohen Kreiselmasse und der hohen Drehzahl auch beim plötzlichen Einsetzen der Präzession jeweils keine erkennbare Nutation auftritt.

Ein Beispiel mit bewusst sehr starker, aufgrund eines nachträglichen Schlags auf die Kreiselachse entstehender Nutation kann diesem Experiment entnommen werden.

Präzessionsperiode und Präzessionsfrequenz

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Die Präzessionsperiode wird bestimmt durch:

 

Hierbei ist Is das Trägheitsmoment, Ts die Rotationsperiode und M das Drehmoment. Es handelt sich hierbei um eine Näherungsformel, die gilt, wenn Ts << Tp ist.

Die Präzessionsfrequenz ist der Rotationsfrequenz (Drehzahl) umgekehrt proportional: Je schneller der Körper rotiert, desto weniger schnell taumelt er. Die resultierende Winkeländerung pro Zeit wird bei der Rotation der Erde als Präzessionskonstante bezeichnet.

Technische Anwendungsbeispiele

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Beispiele für technische Anwendungen der Präzession sind der Wendezeiger und die Unterstützung der Lenkung beim Fahrrad und beim Motorrad. n

Präzession der Erdachse

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Präzessionsbewegung der Erde mit (stark überzeichneter) Nutation

Die Erde hat keine exakte Kugelform, sondern durch die Abplattung des Erdellipsoids von 1:298,25 einen zusätzlichen "Äquatorwulst" (engl. equatorial bulge) von 21 km. Dadurch bewirken die Gezeitenkräfte von Mond und Sonne ein Drehmoment, welches die Erdachse aufzurichten versucht und zur Präzession der Erdachse führt (auch als Lunisolare Präzession bezeichnet, in der Zeichnung mit P markiert). Für einen vollen Kegelumlauf benötigt die Erdachse um die 25.700-25.800 Jahre. Dieser Zeitraum wird Zyklus der Präzession (auch Platonisches Jahr) genannt und durch die Präzessionskonstante beschrieben.

Auch die Ebene der Mondbahn, die gegenüber der Ekliptik um rund 5° geneigt ist, weist eine Präzessionsbewegung mit einer Periodenlänge von 18,6 Jahren auf; d.h. ihr Normalenvektor beschreibt einen Kegelumlauf mit dieser Umlaufdauer um den Normalenvektor der Ekliptik. Die dadurch verursachte Änderung des Drehmoments hat ebenfalls eine Auswirkung auf die Richtungsänderung der Erdachse: Dem kegelförmigen Präzessionsumlauf überlagert sich eine periodische Abweichung mit einer Amplitude von 9,2" und einer Periode von 18,6 Jahren. Diese nickende Bewegung der Erdachse heißt Nutation. In der Zeichnung ist sie mit N bezeichnet. Daneben gibt es noch weitere Nutationsanteile mit kürzeren Perioden und Amplituden unter 1". (Der hier verwendete astronomische Begriff der Nutation ist nicht identisch mit dem in der Mechanik verwendeten Begriff der Nutation in der Kreiseltheorie.)

Auswirkungen

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Die Präzession der Erdachse führt dazu, dass das tropische Jahr, das sich nach dem Winkel der Erdachse zur Sonne richtet, etwa 20 Minuten kürzer ist als das siderische Jahr (ein Umlauf um die Sonne). Dadurch verändert sich die Schnittlinie Äquator-Ekliptik (der sog. Frühlingspunkt), welcher als eine Art "Nullmeridian" auf der Himmelssphäre dient. Infolgedessen ändern sich auch die Koordinaten der Fixsterne am Himmel langsam - um etwa 0,014°, also 50,4" pro Jahr.
Dieser Effekt ist schon seit über 2000 Jahren bekannt. Der griechische Astronom Hipparchos verglich etwa um 150 v. Chr. die Sternörter seines neu gemessenen Kataloges mit den Daten aus mehrere hundert Jahre alten Aufzeichnungen und stellte Unterschiede fest. Die Babylonier dürften die Präzession aber schon etwa 170 Jahre früher entdeckt haben.

Gegenwärtig zeigt die Erdachse recht genau in Richtung des Polarsterns, so dass alle Fixsterne scheinbar eine Kreisbahn um ihn beschreiben. Als Folge der Präzession liegt der Himmelspol aber nicht fest beim Polarstern, sondern er wandert auf einem Kreis mit einem Radius von 23,5° (Schiefe der Ekliptik) um den Ekliptikpol. In 12.000 Jahren wird er sich bei der Wega im Sternbild Leier befinden, dem zweithellsten nördlichen Stern, und das Sternbild "Großer Hund" beispielsweise wird von Mitteleuropa aus nicht mehr sichtbar sein, vom Sternbild Orion nur noch die sogenannten Schultersterne.

Im Rahmen der Milankovic'-Zyklen gibt es einen Einfluss der Präzession auf die Eiszeiten, über dessen Ausmaß aber noch Unklarheit herrscht.

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. David Himmel, Präzession des schweren symmetrischen Kreisels, Köln 1998
  2. Klein, Sommerfeld Theorie des Kreisels, Göttingen/München 1910
  3. Gerthsen, Meschede, Gerthsen Physik, Berlin 2005
  4. Anthony Philip French: Newtonian mechanics, Massachusetts Institute of Technology 1971, S. 688 - 694
  5. Ernest F. Barker: "Elementary Analysis of the Gyroscope", University of Michigan 1960
  6. Bergmann, Schaefer et.al., Lehrbuch der Experimentalphysik Band 1, Gruyter1998, S. 345f

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