Der Vergilius Palatinus ist eine Handschrift der Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek, die Schriften von Vergil erhält. Er entstand um das Jahr 500 und ist eine der ältesten und damit für die Textkritik wichtigsten Vergil-Handschriften. Seit dem 9. Jahrhundert befand er sich in der Bibliothek des Kloster Lorsch, gelangte um 1550 in die Bibliotheca Palatina nach Heidelberg und wurde mit den restlichen Handschriften dieser Bibliothek 1623 nach Rom abtransportiert. Das Buch trägt die Signatur Cod. Vat. Pal. lat. 1631 und gilt als zuverlässigste Vergil-Handschrift (XXX: bei Berschin wird R. Sabbadini zitiert).

Inhalt und Beschreibung

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Der Codex besteht aus 257 (XXX) Pergamentblättern im Format von 30 x 23 cm; diese nahezu quadratische Form ist typisch für die spätantike Buchproduktion.[1] Es handelt sich um vergleichsweise dünnes und helles Pergament, sodass die Schrift auf der Rückseite eines Blattes häufig noch zu lesen ist.

Die verwendete Schriftart ist die Capitalis rustica, der Text ist durchlaufend ohne Abstände zwischen den Worten (Scriptio continua) wiedergegeben. In Kombination mit dem geringen Zeilenabstand entsteht so ein dichtes Schriftbild. Illustrationen und sogar Initialen fehlen völlig. Fablicher Dekor ist lediglich durch die gelegentliche Verwendung von roter Tinte vorhanden.

Er umfasst den Text der drei bedeutendsten Werke Vergils, die Eklogen, die Georgica und die Aeneis, mit althochdeutschen Glossen.

Geschichte des Manuskripts

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Entstehung in Italien, möglicherweise in Ravenna. Datierung ins 5. Jahrhundert oder um das Jahr 500.

  • Ältere Theorie: Konservative Senatorenfamilie um 400 in Rom, Vergil als identitätsstiftender Text des „Römertums“
  • Neuere Theorie: Entstehung während der Regierungszeit des Ostgotenkönigs Theoderich dem Großen (493–526) in Ravenna

Eine der acht Codices maiores, Majuskelhandschriften der Vergil-Texte

  • Gelangte in die Bibliothek des Klosters Lorsch, möglicherweise als Teil einer Schenkung durch Gerward, den früheren Bibliothekar des fränkischen Königs Ludwig der Fromme, die um 860 erfolgte.
  • Sebastian Münster berichtet in seiner Cosmographia (erstmalig publiziert in Basel 1544), er habe in Lorsch Bücher gesehen, „die soll Virgilius mit eigner hand geschriben haben“
  • Der Vergilius Palatinus gelangte nach Heidelberg, als Kurfürst Ottheinrich die komplette Lorscher Klosterbibliothek dorthin überführte. Nach seinem Tod wurden diese Bestände mit denen der Heidelberger Universitätsbibliothek vereinigt.
  • In Heidelberg gehörte zu den Benutzern der Handschrift der Drucker Hieronymus Commelinus, der den Text für die Erstellung seiner Vergilausgabe (1589) einsetzte.

Nach der Eroberung Heidelbergs im Dreißigjährigen Krieg 1623 wurde die komplette Bibliotheca Palatina, und mit ihr auch der Vergilius Palatinus, durch den bayrischen Kurfürsten XXX beschlagnahmt und dem Papst geschenkt. Teil der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek blieb die Handschrift bis zum Friedensvertrag von Tolentino im Jahr 1797, als die Französische Republik sie und ausgewählte andere Werke der Bibliothek nach Paris bringen ließ. Nach der Niederlage Frankreichs in den Napoleonischen Kriegen wurden die dort befindlichen Handschriften der Bibliotheca Palatina wieder nach Heidelberg zurückgeführt, der Vergilius Palatinus wurde dabei aber übersehen. Das lag daran, dass man beim Abtransport nach einer gedruckten Liste vorging, in der die Vergil-Handschrift gesondert in einem Anhang aufgeführt war.[2]

In der Klassischen Philologie wird der Vergilius Palatinus mit dem Kürzel „P“ bezeichnet.

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Literatur

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  • R. Sabbadini: Codex Vergilianus Palatinus 1631 (P) quam simillime expressus. Rom 1929.
  • R. Seider: Paläographie der lateinischen Papyri. Band 2,1, Stuttgart 1978, S. 80–83.
  • R. Seider, in: Bibliotheca Palatina. S. 114.
  • J. Fohlen, C. Jeudy, Y.-F. Riou: Les manuscrits classiques. S. 277–280.
  • G. Cavallo: Libri et continuità della cultura antica in età barbarica. In: Magistra barbaritas. I Barbari in Italia. Mailand 1984, S. 603–662, hier S. 625.
  • Walter Berschin: Die Palatina in der Vaticana. Eine deutsche Bibliothek in Rom. Belser, Stuttgart/Zürich 1992, ISBN 3-7630-2087-X, S. 123–125.
  • (PDF; 208 KB).

Einzelnachweise

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  1. Berschin, S. 123.
  2. K. Preisendanz, in: Neue Heidelberger Jahrbücher. 1954, S. 97, Anm. 32.