Dorfkramer
3. März 2007: Heute habe ich mich entschieden, in Wikipedia aktiv zu werden. Ich nutze Wikipedia seit Jahren und habe sehr davon profitiert, da ich als Kleinexistenz immense Kosten für die Wissensbeschaffung gespart habe. Statt einer Spende, habe ich jedoch eine Vereinsmitgliedschaft beantragt.
Warum?
Der große Vorteil von Wikipedia war die Offenheit auch Mindermeinungen gegenüber. Man konnte sich in Artikeln auch über Kritiker einer Position informieren und erhielt schnellstens Zugriff auf den Stand der Dinge.
Als Wissenschaftler weiß ich natürlich, dass es keine Wissenschaftlichkeit gibt, sondern nur wissenschaftliche Konventionen. Der Minimalkonsens besteht dabei aus dem Rationalitätspostulat, das die drei Merkmale Präzision, Intersubjetivität und Begründbarkeit besteht (Artikel werde ich noch reinstellen). Dies gilt auch für Nichtakademiker.
Aus diesem Grund wehre ich mich gegen verschiedene Tendenzen in Wikipedia, die dagegen verstoßen wollen. Mir ist aufgefallen, dass gegen das Rationalitätspostulat der nicht operationalisierbare Begriff der "Neutralität" gestellt wird. Deshalb verschwinden immer mehr Links zu unabhängigen Seiten. Privatpersonen und kleinere Vereine werden diskriminiert (Richtlinien für Weblinks). Es findet eine Bevorzugung von Institutionen und Autoritäten statt. Der ursprünglich emanzipative Gedanke von Wikipedia ist einem autoritären gewichen.
Es werden unkommentiert Unternehmen vorgestellt. Um Gottes Willen kritisiert mir Amtsträger nicht wie Horst Köhler. Und zitiert werden dürfen alle Artikel von etablierten Medien. Sie gelten als zuverlässige Informationsquelle, obwohl jeder weiß, dass die etablierten Medien einem Prozess unterliegen, der keinesfalls intersubjektiv ist, weil die Quellen zu oft aus dem Lager professioneller PR-Agenturen kommen, die ihre Meinung "spinnen". Und Journalisten, gerade in Deutschland, selbst gerne Meinung machen.
Ich setze mich deshalb ab sofort und mit diesem Beitrag für die Einführung des Rationalitätspostulats in den Wikipedia-Richtlinien ein und beschwöre nicht nur den allgemeinen Zugang zu Wissen, sondern vor allem die freie Produktion von Wissen. Die Löschung von Mindermeinungen und auch Fakten, die von Minderheiten gebracht werden durch faschistoide Pseudowissenschaftler hier, lehne ich ab. Damit gehe ich satzungskonform.
Als künftiger Autor achte ich darauf, dass ich meine Sicht der Dinge nicht verallgemeinere, sondern gerade wegen der Chance, auf weiteres Wissen zu stoßen, eben erst mal produziere.
3. März 2007 - Nachmittag
Nach den ersten Einstiegsstunden Wikipedia, hat mich jemand auf die Vandalismus-Watschlist gesetzt, weil ich angeblich gegen die Richtlinien verstoßen hätte. Dann habe ich versucht einen Mini-Artikel über den Begriff "Dorfkramer" reinzustellen. Mini deshalb, weil es erst einmal darum geht, den Begriff im Netz zu haben, in der Hoffnung, dass andere mehr Wissen dazu beitragen können. Man muss dazu wissen, dass der Dorfkramer in Süddeutschland verbreitet ist (Greisler in Österreich); der Name jedoch wegen der Supermärkte im Aussterben begriffen. Google-Einträge bestätigen jedoch seine Existenz.
Die Reaktion war unglaublich. Der Beitrag wurde umgehend gelöscht. Gipfel war die kurze Aussage "Ich bin auch aus Süddeutschland und da kennt niemand das Wort". Damit war der Fall erledigt. Ein weiterer Beweis für die autoritären Strukturen dieses Forums.
Ich sammle jetzt mal weitere Erfahrungen und überlege dann, ob ich überhaupt weitermache. Es kostet viele Stunden, um sich hier einzufinden, ob es sich lohnt ist fraglich. Als Nutzer weiß ich jedenfalls mehr über die Strukturen hier und weiß, dass alle Artikel im Grunde genommen von Leuten zensiert werden, die gefühlsmäßig "gegen was" sind. Denn was für "Tante Emma" gilt, sollte für Dorfkramer auch gelten.Dorfkramer 13:59, 3. Mär. 2007 (CET)
2 Stunden später:
Der Dorfkramer-Eintragungskrieg dauert an. Ohne Wissen über kulturelle Befindlichkeiten werde ich verhöhnt, was letztendlich dazu führt, dass ich aufgebe. Wikipedia besteht aus Leuten, die ihre Machtfantasien gnadenlos ausspielen, wenn es darum geht, Minderheiten zu unterdrücken. Kleinunternehmer, Persönlichkeiten sind nicht existent. Man muss schon ein Großunternehmen sein, um eine eigene Werbeplattform zu bekommen. Ich überlege mir, ob ich das Beitrittsschreiben abschicken oder andere Methoden zur Bereicherung des Webs vorziehe. Mir fällt da spontan die Ausgründung eines Wikipedia für Aktivisten und unterdrückte Minderheiten ein. Allein der Begriff Aktivist ist in deutscher Sprache völlig verzerrt und falsch dargestellt. Man muss hier schon einer größeren Institution angehören, als was Wikipedia offensichtlich von Leuten angesehen wird, die keinen Job im Wissenschaftsbetrieb finden.
16.18 Uhr: Zerreisse den Brief mit dem Beitrittsantrag und bin froh, keine Spende für Wikipedia geleistet zu haben. Veröffentliche mein Wissen wie bisher auf eigenen Seiten und in einschlägigen Fachpublikationen.