Kritisches Denken wurde im Rahmen der Hochschullehre vor allem im englischsprachigen Raum und in den 90er Jahren diskutiert und dazu publiziert. Kritisches Denken wird zu den 21st century skills gezählt und wird zunehmend von Arbeitgebern als eine Fähigkeit angesehen, welche Bewerber durch ein Hochschulstudium erworben haben sollten[1]. Im Zuge der Diskussion um den Einsatz von künstlicher Intelligenz an der Hochschule gewinnt das Thema an zusätzlicher Bedeutung.

Es gibt immer wieder Diskussionen, ob Kritisches Denken überhaupt gelehrt werden kann, ob es nur fach- bzw. inhaltsspezifisch gelehrt und gelernt werden kann oder, ob auch allgemeine Fähigkeiten des Kritischen Denkens gelehrt und gelernt werden können. In einer Reihe von Definitionen wird neben entsprechenden Fähigkeiten auch die kritische Grundhaltung eines kritisch Denkenden als wichtige Komponente eingeschlossenen[2]. In jedem Fall ist ausreichendes Wissen im Bereich, in dem kritisch gedacht werden soll, notwendig.

Lehrkonzepte

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Es gibt unterschiedliche Ansätze, um kritisches Denken in die Lehre zu integrieren. Die folgende Einteilung dieser Ansätze wurde 1989 von Robert H. Ennis entwickelt:[3]

  • Allgemeiner Ansatz (generic): Beim Allgemeinen Ansatz werden die Fähigkeiten und Einstellungen des kritischen Denkens in einer eigenständigen Lehrveranstaltung adressiert, ohne Bezug zu einem fachspezifischen Inhalt.
  • Infusionsansatz (infusion): Beim Infusionsansatz werden die Fähigkeiten und Einstellungen des kritischen Denkens in einen fachspezifischen Zusammenhang eingebettet und explizit in der Lehre behandelt.
  • Immersionsansatz (immersion): Beim Immersionsansatz werden die Studierenden zwar in das tiefere Denken eines Fachgebiets eingeführt; die Fähigkeiten und Einstellungen des kritischen Denkens werden aber nicht explizit adressiert.
  • Gemischter Ansatz (mixed): Beim gemischten Ansatz wird der allgemeine Ansatz mit einem der beiden anderen Ansätze kombiniert.

Die Ansätze wurden in der Praxis untersucht. Valandis et al.[4] kommen in ihrer Untersuchung, bei der die ersten drei Ansätze verglichen werden, beispielsweise zu einem signifikant besseren Ergebnis des Infusionsansatzes im Vergleich zum allgemeinen Ansatz. Die unten beschriebene Meta-Studie[5] fand zwar für alle vier Ansätze signifikante Effekte, identifizierte jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Ansätzen.

Inzwischen gibt es auch eine ganze Reihe weiterer Ansätze. So wurde in der im folgenden Abschnitt erwähnten Studie eine eigene Typologie entwickelt.

Empirische Untersuchungen

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In einer Metaanalyse zum Thema Lehren von Kritischem Denken werten Abrami et al.[6] über 300 Effektstärken aus quasi-experimentellen und experimentellen Studien aus und kommen auf eine mittlere Effektstärke von g=0,3. Die Autoren sehen darin einen Nachweis dafür, dass es wirksame Ansätze gibt, Kompetenzen des kritischen Denkens zu lehren. Die Analyse ergab, dass Einflussfaktoren wie Dauer der Lehrveranstaltung, Ausbildungsstufe oder Fachgebiet keinen signifikanten Einfluss auf die Ergebnisse zeigen.[6]

Weitergehende Konzepte

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Martin Davies erweitert das Model des kritischen Denkens um eine sozio-kulturelle Komponente[7].

Einzelnachweise

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  1. Saadia Zahidi Vesselina Ratcheva Guillaume Hingel Sophie Brown: The Future of Jobs Report 2020. Hrsg.: World Economic Forum. Geneva, Switzerland 2020.
  2. Definition der Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft, Facione (1989)
  3. Robert H. Ennis: Critical Thinking and Subject Specifity: Clarification and Needed Research. In: Educational Researcher. Band 18, Nr. 3, 1989, S. 4–10.
  4. Nicos Valanides, Charoula Angeli: Effects of instruction on changes in epistemological beliefs. In: Contemporary Educational Psychology. Band 30, Nr. 3, Juli 2005, S. 314–330, doi:10.1016/j.cedpsych.2005.01.001 (elsevier.com [abgerufen am 22. Juni 2023]).
  5. Philip C. Abrami, Robert M. Bernard, Eugene Borokhovski, David I. Waddington, C. Anne Wade, Tonje Persson: Strategies for Teaching Students to Think Critically: A Meta-Analysis. In: Review of Educational Research. Band 85, Nr. 2, Juni 2015, ISSN 0034-6543, S. 275–314, doi:10.3102/0034654314551063 (sagepub.com [abgerufen am 22. Juni 2023]).
  6. a b Philip C. Abrami, Robert M. Bernard, Eugene Borokhovski, David I. Waddington, C. Anne Wade, Tonje Persson: Strategies for Teaching Students to Think Critically: A Meta-Analysis. In: Review of Educational Research. Band 85, Nr. 2, Juni 2015, ISSN 0034-6543, S. 275–314, doi:10.3102/0034654314551063 (sagepub.com [abgerufen am 21. März 2023]).
  7. Martin Davies: A Model of Critical Thinking in Higher Education. In: Higher Education: Handbook of Theory and Research. Band 30. Springer International Publishing, Cham 2015, ISBN 978-3-319-12834-4, S. 41–92, doi:10.1007/978-3-319-12835-1_2 (springer.com [abgerufen am 22. Juni 2023]).

Kategorie:Hochschullehre