Der Handschriftenstreit zwischen Island und Dänemark betraf die mittelalterlichen Handschriften, die ab dem 17. Jahrhundert aus Island nach Dänemark verbracht worden waren und die Island von Dänemark zurückforderte.
König Christian V. von Dänemark und Norwegen[1] beauftragte 1681 den Isländer Hannes Þorleifsson, nach Island zu fahren und dort Handschriften zu sammeln. Island war zu dieser Zeit dänische Provinz. Im herbst 1682 kehrte er aus Island zurück, doch das Schiff kenterte und alle seine gesammelten Dokumente gingen verloren. Der König sandte einen weiteren Beamten nach Island, Handschriften zu sammeln, damit sie in Kopenhagen gedruckt werden könnten. Auch Bischof Brynjólfur Sveinsson sammelte Handschriften und wollte sie in Skálholt drucken lassen. Doch da sich die einzige Druckerei in Hólar befand, entschloss er sich, seine Sammlung dem König zu senden. Darunter war die Flateyjarbók und eine Sammlung von Edda-Texten, die später den Namen Codex Regius erhielt. Der König erhielt insgesamt 15 Pergamentbücher, von denes eines später verloren ging.
In Kopenhagen befasste sich inzwischen der Isländer Árni Magnússon mit den isländischen Manuskripten. Er leitete das königliche Archiv und die Universitätsbibliothek und sammelte über vierzig Jahre hinweg isländische Texte, die er mit dem Geld seiner reichen Frau kaufte. Aber am 20. Oktober brach in Kopenhagen ein Großbrand aus, der auch einen Teil seiner Sammlung vernichtete. Auch die Universitätsbibliothek brannte ab und mit ihr die dort aufbewahrten isländischen Handschriften. Aber die ältesten Manuskripte seiner Dammlung scheinen gerettet worden zu sein. Aber die gedruckten Bücher, viele Abschriften und vor allem seine Kommentare wurden ein Raub der Flammen.[2] Ein Jahr später starb er. Vor seinem Tod vermachte er seine Sammlung und sein übriges Eigentum der Universität in Kopenhagen. Das Original des Testamentes existiert nicht mehr. Nach einigen Zwischenlagerungen, bei denen durch Nachlässigkeit wiederum einiges verloren ging, geriet die Sammlung in die Universitätsbibliothek. Andererseits sind auch andere Handschriften nach Árnis Tod in die Sammlung aufgenommen worden. Nach dem Verzeichnis, das Christian Kaalund 1900 erstellte, umfasste die Sammlung zu diesem Zeitpunkt aus 2572 Nummern, davon 400 Pergamenthandschriften oder Bruchstücken davon, und 19 Nummern in einer Zusatzsammlung, dem so genannten „Accessorium“. Einige Nummern enthalten mehrere Schriften oder Bruchstücke, sa dass die wirkliche Anzahlö der Schriften und Bruchstücke höher ist. Ungefähr 500 Nummern haben nichts mit Island zu tun. In dieser Sammlung befinden sich unter anderem isländische Sagas, Gesetzesbücher, Heiligenviten und andere christliche Schriften, Werke wissenschftlichen Inhalts, Protokolle, Diplome und Sammlungen von Dokumenten von Kirchen und Klöstern. Diese Sammlung nennt man „Árni Magnússons Sammlung“.[3]
Gemäß dem Testament wurde Árni Magnússons Nachlass und der seiner Frau einer Stiftung der Universität zugeführt. Zwei Isländer wurden damit beauftragt, die Manuskripte abzuschreiben und für den Druck vorzubereiten. Zu dieser Zeit gab es keine Lehrbücher und keine Wörterbücher, um die Sprache zu erlernen, so dass nur Isländer für diese Aufgabe in Frage kamen. Erst 1760 wurde die Stiftungsurkunde „Fundatsen for Det arnamagnæanske Stiftelse“ fertiggestellt. 1772 wurde eine Aufsichtskommission für die Stiftung ernannt, die die wissenschaftliche Behandlung der Texte beaufsichtigen sollte. Sie war ausschließlich mit Dänen besetzt.
Im 17. und 18. Jahrhundert waren kamen viele isländische Handschriften auch in andere Länder. Aber das in jener Zeit erwachende Interesse an die Vorzeit der eigenen Nation erklärt, warum die meisten nach Kopenhagen kamen. In Island selbst geb es damals keine wissenschaftliche Grundlage zu ihrer Bearbeitung. Aber im 19. Jahrhundert wuchs das Bestreben nach Selbständigkeit und mit ihm der Wunsch, die isländischen Dokumente wieder nach Island zurückzubekommen.
Über lange Zeit war die Arbeit an der Sammlung nicht besonders systematisch.
1837 wandte sich der isländische Bischof Steingrímur Jónsson an den Leiter der arnemagnæanschen Sammlung Finnur Magnússon, um die Möglichkeiten auszuloten, diejenigen Dokumente nach Island holen zu können, die die isländische Kirche betrafen. In dieser Zeit stellte auch Norwegen den Antrag auf Rückgabe Norwegen betreffender Dokumente. In einer Stellungnahme dazu wurde zwar die Berechtigung für einen Teil zugegeben, aber darauf hingewiesen, dass dann auch andere Länder, z.B. Island mit ähnlichen Forderungen aufwarten könnte. Daraufhin befasste sich die juristische Fakultät der Universität Kopenhagen mit dem Handschriftenproblem und kam zu dem Ergebnis, dass alle Forderungen gegen arnamagnæansche Sammlung unberechtigt seien.[4]
Die isländischen Angelegenheiten wurden von der „Isländischen Abteilung“, die 1848 in der dänischen kanzlei errichtet worden war, wahrgenommen. Diese Abteilung wurde 1874 in ein eigenes Ministerium unter einem Island-Minister umgewandelt. 1903 wurde erstmalig ein Isländer mit Sitz in Island auf diesen Posten gesetzt. Mit diesem Amt ließ man auch die isländischen Amts-Archive nach Island verbringen.[5] Daraufhin fasste das isländische Alting 1907 eine Resolution an die isländische Regierung, sich um die Rückführung aller Handschriften und Dokumente zu bemühen, die Árni Magnússon geliehenn bekommen habe und von Bischöfen, Kirchen und Klöstern und aus anderen Ämtern und Sammlungen von Institutionen im Lande und bislang nicht zurückgegeben worden seien. Doch diese Bestrebungen wurden von der königlichen Bibliothek und dem Reichsarchiv blockiert, die sich 1909 gegen eine Auslieferung aussprachen, da die Auslieferung den wissenschaftlichen Wert der arnamagnanschen Sammlung entscheidend vermindert hätte.
1918 kam es zu einem Vertrag zwischen Island und Dänemark, der Island Souveränität unter einem gemeinsamen König verschaffte. Gleichzeitig wurde ein „Dänisch-Isländischer Ausschuss“ gebildet, der ein Mal im Jahr abwechselnd in Kopenhagen und in Reykjavík tagen sollte. Bei den Verhandlungen blieb die Handschriftenfrage ausgeklammert. In Island hatte man zu dieser Zeit genug mit einer neuen Verfassung und den finanziellen Folgen der Trennung beider Länder zu tun.[6] Gleichwohl blieb die Forderung Islands nach den Handschriften erhalten. Am 9. April 1724 wiederholte das Allting seine Resolution von 1907 mit der Erweiterung, dass auch die Island betreffenden Dokumente in anderen Archiven eingeschlossen wurden. Bislang war nur von amtlichen Schriftstücken die Rede. Die mittelalterliche Literatur blieb noch unerwähnt. Das dänische Unterrichtsministerium setzt nun einen geheimen Ausschuss ein, der die in betracht kommenden Dokumente zusammenstellen sollte. Dieser Ausschuss bezog auch die Literatur-Handschriften mit ein. Er legte am 11. November 1924 ein gutachten vor, wonach die amtlichen Schriftstücke übergeben werden könnten, da diese am besten mit den übrigen Schriftstücken der isländischen Regierungsstellen zusammengeführt werden sollten. Die Handschriften sollten aber in Kopenhagen verbleiben mit ausnahme von vier Handschriften, die zu Unrecht in die arnamagnæansche Sammlung geraten seien. Ein Miderheitsvotum bestand darauf, dass die Sammlung icht vermindert werden dürfe. Das Gutachten war ein internes Arbeitspapier und wurde den Isländern nicht vorgelegt.
Im Sommer 1925 wurde ein Unterausschuss des „Dänisch-Isländischen Ausschusses“ gebildet, der die Aufgabe hatte, Ordnung in die Archive beider Länder zu bringen und diejenigen Archivalien, die zu den isländischen Regierungsstellen gehörten, zu bestimmen. Im Winter 1925/1926 kam der Bibliothekar der Universitätsbibliothek von Cornell (USA) zur arnamagnæanischen Sammlung. Unter seiner Obhut hatte in Cornell die so genannte „Fiske–Sammlung“ (benannt nach dem Linguisten und Universitäts-Bibliothkar Willard Fiske in Cornell) gestanden, die sehr viel Material von und über Island enthielt. Er trat dafür ein, dass in der Aufsichtskommission auch ein Isländer sitzen müsse. Außerdem sollten die Probleme der Sammlung aus den Verhandlungen zwischen Island und Dänemark nach dem Unionsvertrag von 1918 herausgehalten werden. Doch die von ihm geforderte Umstrukturierung der Kommission wurde von dänischer Seite verzögert. Es gelang lange Zeit nicht, die Besetzung der Aufsichtskommission im „Dänisch-Isländischen Ausschuss“ zur Sprache zu bringen, da es sich nach dänischer Auffassung um eine rein innerdänische Angelegenheit handelte. Diese Ansicht wurde später zum Hauptkonfliktpunkt zwischen Dänemark und Island. Am 15. Oktober 1927 wurde das Übereinkommen über die Auslieferung der Amtsdokumente an Island – ungefähr 700 Dokumente der arnamagnæanschen Sammlung sowie Dokumente aus dem Reichsarchiv, der Königlichen Bibliothek und der Universitätsbibliothek und vier Handschriften – unterzeichnet. Damit war die isländische Forderung von 1924 erfüllt. Im Frühjahr 1928 wurden sie nach Island verbracht.
Erst 1933 kam die Aufsichtskommission im Dänisch-isländischen Ausschuss zur Sprache. Daraufhin bestellte das Unterichtsministerium am 20. Februar 1934 einen Arbeitskreis, der einen Vorschlag zur arnamagnæanischen Aufsichtskommission erarbeiten sollte. In dem Arbeitskreis saßen die Isländer Professor Einar Arnórsson, der auch im Dänisch-isländischen Ausschuss saß, und Professor Finnur Jónsson, Leiter der Arnamagnæanschen Sammlung und die Dänen Erik Arup, Professor Poul Jørgensen und der Vorsitzende des Arbeitskreises, Oluf Krag, früherer Innenminister und nun Mitglied des Folketings. In den folgenden Diskussionen wurde immer wieder betont, dass eine isländische Beteiligung an der Aufsichtskommission keinerlei Bedeutung für die rechtliche Zugehörigkeit der Sammlung habe. Dies wurde auch in der neuen dänischen Verordnung über die Aufsichtskommission so festgeschrieben. Die Arbeit in der Kommission waren das eine, die Eigentumsfrage an den Handschriften aber eine ganz andere Sache. Als es darum ging, die den Isländern zugebilligte Stelle zu besetzen, betonte die isländische Regierung, dass sie sich nicht an die dänische Verordnung gebunden fühle, aber das Angebot der Mitarbeit nicht ausschlagen wolle. Man wolle alle Mühe darauf verwenden, die isländischen Handschriften wieder nach Hause zu bringen. In Island sah man die Gefahr, dass die Mitarbeit in der Aufsichtskommission als Annerkennung des Verbleibs der Handschriften in Dänemark ausgelegt werden könne. Die neue Aufsichtskommission bestand nun aus elf Mitgliedern, von denen fünf Isländer waren. Wegen der großen Entfernung zu Island und wegen des Krieges trat die Kommission nur ein Mal vollständig zusammen.[7]
Árni Magnússons Sammlung blieb bis 1957 ein Teil der Universitätsbibliothek in Kopenhagen. Danach wurde ein eigenes Institut, „Det arnamagnæanske Institut“, errichtet und der Universität angegliedert. 1961 wurden die isländischen Handschriften ausgesondert. Daraufhin errichtete man in Island 1962 ein Handschrifteninstitut bei der Staatsbibliothek, das der Universität unterstand und „Árni Magnússons Institut“ genannt wurde.
Einzelnachweise
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- Betænkning vedrørende de i Danmark beroende islandske håndskrifter og museumsgenstande. Kopenhagen 1953. (Gutachten betreffend die in Dänemark befindlichen isländischen Handschriften und Museumsgegenstände).
- Sigrún Davíðsdóttir: Håndskriftens Saga. Aus dem Isländischen ins Dänische übersetzt von Kim Lembek. Odense 1999. ISBN 87-7492-998-4
- Finnur Jónsson: Árni Magnússons levned og skrifter. 2 Bände. Kopenhagen 1930.
- Jónas Kristjánsson: Heimkoma handritanna. Fylgir Árbók Háskóla Íslands 1976–1979. Reykjavík 1981.