Artikel erschienen Ende September in der Ausgabe 3/2023 von 'rohrblatt - die Zeitschrift für Oboe, Klarinette, Saxophon und Fagott (S. 107-117)'


Eine Reise durch die deutsche Klarinettenbaulandschaft ('rohrblatt S. 107)

Von Gisbert König [1]

Ist Neustadt an der Aisch in Bayern tatsächlich das „Mekka des deutschen Klarinettenbaus“, wie es der Bayerische Rundfunk sieht[2], weil dort gleich drei Klarinettenbauer ihre Zelte aufgeschlagen haben? Oder ist nicht Markneukirchen im Vogtland in Sachsen, nahe der tschechischen Grenze, bedeutender, von wo aus ja Herbert Wurlitzer 1959 seine Flucht in den Westen (und letztlich nach Neustadt) angetreten hatte und wo sein Vater Fritz, allein in seiner geschlossenen Werkstatt noch bis Mitte der 1970er Jahre an dem Prototypen einer deutschen Kontrabassklarinette werkelte? Oder geht vielmehr im schönen Bamberg die Post erst richtig ab? Ich wollte es aus eigener Anschauung genau wissen, also trat ich Mitte Mai (2023) eine Tour an, die mich zunächst nach Markneukirchen führte, richtiger Weise müsste ich sagen erst mal in das nahe gelegene Bad Elster, wo wir übernachteten (außer mir mein Sohn, der mich chauffierte, weil ich mit meinen 82 Jahren nicht mehr selbst fahre), um am nächsten Morgen mit den Besichtigungen zu beginnen. Kurz zuvor gab ich eine meiner Klarinetten noch rasch beim Holzblasdoktor Bernd Renz ab, der bis 16 h Zeit hatte, verschiedene Arbeiten an dem Instrument vorzunehmen.

Bamberg
Neustadt/Aisch
Markneukirchen

Markneukirchen

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('rohrblatt S. 107)

Panorama des Werks für Holzblasinstrumente in Markneukirchen (ehemals Schreiber & Keilwerth)

Los ging es im Gewerbegebiet bei der Buffet Crampon Deutschland GmbH (BCD), die 2010 eigens gegründet worden war, um die Produktionsstätte und die Restbelegschaft mit 134 Arbeitnehmern der insolventen Firma Schreiber & Keilwerth Musikinstrumente GmbH zu übernehmen.[3] Zwei Jahre später übernahm BCD zusätzlich die ebenfalls in Markneukirchen ansässige B&S GmbH, den führenden europäischen Hersteller von Blechblasinstrumenten mit 250 Mitarbeitern und integrierte sie in das Unternehmen. Heute stellt BCD mit etwa 500 Mitarbeitern knapp die Hälfte der weltweit im Konzern Buffet Crampon tätigen Mitarbeiter.[4] Aufgrund der großen Zahl an Beschäftigten als auch des fortschrittlichen Mechanisierungsgrads in den Betrieben in Markneukirchen, liegt der Anteil von BCD an der Gesamtleistung des Konzerns bei mehr als der Hälfte. Anders ausgedrückt, die Muttergesellschaft hat durch die beiden vorgenannten Investments ihre Kapazitäten mehr als verdoppelt.

Frau Diana Grumbach hieß uns in Namen des in Geretsried bei München ansässigen Volkmar Kühnle, Senior Director Sales & Marketing und Prokurist der BCD, willkommen. Die spezielle Führung, die uns zuteil wurde, begann in dem Werk mit der Blechblasinstrumentenfertigung, worüber ich hier nicht berichte, da es um die Herstellung von Klarinetten geht. Danach führte uns der Produktionsleiter für den Holzblasbereich Heiko Pfaff durch den wenige hundert Meter entfernt gelegenen Betrieb, in dem Instrumente der Marken Buffet Crampon (Klarinetten/ Oboen/ Saxophone), W. Schreiber (Klarinetten/ Fagotte), J. Keilwerth (Saxophone) und Rigoutat (Oboen) produziert werden. Durch Investitionen der früheren Eigentümer nach der Wende und von BCD nach der Übernahme ist der modernste und größte Betrieb seiner Art in Europa entstanden, wenn man auch noch das eine oder andere "Schätzchen" vorfindet, das schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat, aber immer noch klaglos seinen Dienst versieht. Die Bearbeitung der Hölzer für die Klarinetten erfolgt ausschließlich mit CNC-Maschinen, die für jede Bohrung automatisch das Werkzeug wechselt, bis das Werkstück, das Ober- oder das Unterstück einer Klarinette, fertig gebohrt ist, sowohl, was die Tonlöcher anbetrifft, wie auch die Gewindebohrungen für die Böckchen (auch Säulchen genannt), an denen die Mechanik befestigt wird. Dann werden die Böckchen eingeschraubt und das Ober- oder Unterteil wieder in eine CNC-Maschine eingespannt, die dann Böckchen für Böckchen abfährt und die notwendigen Löcher und Gewinde bohrt bzw. schneidet und, soweit erforderlich, die Seiten einiger Böckchen abfräst. Die für die Steuerung der Maschinen benötigten Programme werden selbst hergestellt. Zwischen dieser Art der Fertigung und der Arbeitsweise der kleinen und mittleren Manufakturen in Neustadt und anderswo liegen schon Welten. Dazu sind aber Stückzahlen notwendig, damit die Maschinen, die pro Stück fast eine halbe Million Euro kosten, sich amortisieren. Zum Vergleich: allein die monatliche Stückzahl der in dem Betrieb neben den Schreiber-Instrumenten für die Muttergesellschaft hergestellten Schülerklarinetten französischen Systems dürfte größer sein als die Stückzahl aller pro Jahr von allen deutschen Manufakturen zusammen hergestellten Instrumente, gleich welcher Bauart. Entsprechend günstig kann BC diese Klarinetten anbieten. Das Preis-Leistungsverhältnis ist hier deutlich günstiger, als das der Klarinetten für Profis, weil diese längst nicht in so hohen Stückzahlen über den Tisch gehen.

Es versteht sich, dass es bei solchen Durchsätzen kaum möglich ist, die benötigten Hölzer, wie die Manufakturen es machen, von acht bis zu dreißig Jahren abzulagern. Die Trocknung erfolgt daher im Schnelldurchlauf in Trocknungskammern nach selbst entwickelten Verfahren.

 
 
Schreiber: Schüler-Klarinette in C, Profi-KLarinette in B (Original Oehler)

Kommen wir nun zur Fertigung der Mechanik, bestehend aus Klappen und Böckchen, an denen die Klappen befestigt werden. Eine Klappe besteht wenigstens aus zwei Teilen, dem Drücker und dem letztlich mit einem Polster versehenen Deckel. Ist dieser weiter entfernt, sind beide Teile mit einer Achse oder einem Gestänge verbunden. Der Deckel ist am Drücker oder am Ende des Gestänges anzulöten. Dadür gibt es bei BCD Lötvorrichtungen, die mit den Einzelteilen der Klappen bestückt werden (einer ganzen Reihe von Klappen). Dann werden die Teile automatisch von vorbeilaufenden Lötwerkzeugen zusammen gelötet, anschließend gereinigt und zum Versilbern gegeben. So sind sie für die Endmontage bereit. Sie passen dann auf jede Klarinette eines bestimmten serienmäßig hergestellten Modells, ohne individuelle Anpassungen, mit hinreichender Genauigkeit, wobei das was hinzureichen hat, vom Kaufpreis bzw. dem Preisleistungsverhältnis des jeweiligen Instruments bestimmt wird. Und das ist für alle In diesem Werk produzierten Klarinetten besonders günstig. Anders verhält es sich im Bereich hochwertiger Saxophone und auch Fagotte, die hier ebenfalls hergestellt werden. Dabei ist ist ein weiterer aufwändiger Arbeitsgang und mehr erforderlich, um die berechtigten Ansprüche der Käufer dieser Instrumente zufrieden zu stellen: das Aufsetzen, d. h. die noch nicht versilberten Klappen werden auf ein bestimmtes Instrument (mit einer bestimmten Seriennummer) montiert und dabei exakt angepasst. Dann werden sie wieder abgenommen und gehen in einem Behältnis mit der Seriennummer des Instruments zum Versilbern und werden anschließend auf dem selben Instrument endmontiert, auf dem sie schon einmal gesessen haben und dabei wegen der hinzugekommenen Silberauflage nachjustiert, so dass am Ende die Mechanik in allen Teilen leichtgängig ist, bei geringst möglichem Spiel. Genauso verhält es sich, wie wir auf unserer weiteren Reise erfuhren, mit den Klarinetten der übrigen sechs Hersteller, die wir heute und an den beiden nächsten Tagen noch besuchen wollen.

Insgesamt lässt sich sagen, dass bei BCD die Klarinettenherstellung zu großen Teilen industriell und auf hohem technischen Niveau und damit tendenziell Personal sparend erfolgt, aber wichtige Produktionsschritte wie das Bepolstern, das Bekorken, die Reinigung der Mechanik und vor allem die Endmontage auch weiterhin von geschulten Fachkräften erfolgen. Die Ausbildung zum Instrumentenmacher ist dem Unternehmen ein großes Anliegen, das 2023 mit zur Auszeichnung der bundesbesten Holzblasinstrumentenmacherin führte.

Welche Arten von Klarinetten werden bei BCD hergestellt? Es ist klar, nur solche, die in großen Stückzahlen abgesetzt werden können, und das sind nun einmal B-Klarinetten im unteren bis mittleren Preisbereich. Die französischen Schüler-Klarinetten hatte ich schon erwähnt. In erster Linie werden jedoch B-Klarinetten deutschen Systems der Marke Schreiber produziert und über Händler vertrieben. Die Modellpalette fängt beim Einstiegsmodell D10 an, für Frühanfänger gedacht und daher als einzige Klarinette in C gestimmt (und damit kürzer) und geht allmählich hinauf bis zur Volloehlerklarinette, die man allerdings mit dem Label Schreiber in einem deutschen Symphonieorchester vergeblich sucht.

Dagegen entwickelt die BC-Muttergesellschaft seit einiger Zeit eine Klarinette mit deutschem System, mit dem Ziel diese auf höchstem Qualitätsniveau auf den Markt zu bringen. Dies geschieht mit Unterstützung bekannter deutscher und österreichischer Klarinettisten. Da man nicht imitieren, sondern eine selbst entwickelte Klarinette dieser Art präsentieren möchte, steht deren Marktreife noch nicht fest. Während bei einigen anderen Herstellern beim selben Modell in Ansprache, Klang und Haptik Unterschiede auftreten können, ist Ziel von BC eine gleichbleibende, beständige Qualität. Man darf gespannt sein, ob das Vorhaben gelingt.

('rohrblatt S. 109)

 
Neues Betriebsgebäude der Firma F. Arthur Uebel

Nach der ausgiebigen Besichtigung der beiden Betriebe von BCD mussten wir die vorgesehene Mittagspause abkürzen, um rechtzeitig bei Uebel einzutreffen. Wir hatten es aber nicht weit, da auch dieser Betrieb im Gewerbegebiet von Markneukirchen liegt.

 
Standard Böhm-Klarinette und Original Oehler-Klarinette

Meinem Sohn hatte ich schon auf der Fahrt erzählt, dass Uebel, dessen Vorfahren schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bekannte Klarinettenbaumeister waren, eine sehr wechselvolle Firmengeschichte hat. Zu DDR-Zeiten heruntergewirtschaftet, nach der Wende von Hand zu Hand weitergereicht, hatte die letzte Eigentümerfirma, die JA Musik GmbH, die Produktion 2005 eingestellt.

Die Jahrzehnte lange Verbundenheit zur Traditionsmarke Uebel bewog dann die Arnold Stölzel GmbH aus Wiesbaden dazu, den Fortbestand von Uebel zu sichern. Sie erwarb den Markennamen, die Patente und die Fertigungsunterlagen, um mit der Unterstützung eines ehemals bei Uebel tätigen Klarinettenbaumeisters eine hochmoderne Fabrik in der chinesischen Provinz Shandong zu errichten, in der ab 2006 wieder Klarinetten hoher Qualität mit dem Label F. Arthur Uebel gefertigt wurden.[5]

2010 gründete Jürgen Stölzel die Firma F. Arthur Uebel GmbH mit Verwaltung in Wiesbaden und einer weiteren Fertigungsstätte für Uebel-Klarinetten in Markneukirchen, dem ursprünglichen Wirkungsort von Friedrich Arthur Uebel. Der anhaltende Erfolg führte 2017 zur Errichtung eines neuen Betriebsgebäudes im Gewerbegebiet von Markneukirchen.

Ich habe mich gefreut, dass die Firma Uebel nun für uns ihre Tore öffnete. Der technische Leiter Andreas Grimm empfing uns und führte uns durch den Betrieb mit einer Grundfläche von rund 800 Quadratmetern, bestehend aus Bürotrakt, Probierraum, Werkstätten für Vor- und Endmontage, Maschinenraum, Reparaturwerkstatt und Lagerräumen für Materialien und Zulieferteile, nicht jedoch für die Hölzer, die für den Klarinettenbau in Markneukirchen bestimmt sind; diese lagern unter optimalen Bedingungen und trocknen mindestens sieben Jahre lang am Firmensitz in Wiesbaden. Im Maschinenraum fielen uns zunächst zwei CNC-Maschinen auf, von denen eine gerade vollautomatisch die Tonlöcher in ein Klarinettenoberteil bohrte. Außerdem sahen wir eine Kopierbohrmaschine, mit der Reparaturen durchgeführt werden, eine Drehbank, eine Drehmaschine, normale Bohrmaschinen und eine Poliermaschine. Wir warfen einen Blick in die Endmontage, einen hellen, ca. 120 qm großen Raum, in dem acht Mitarbeiter, darunter eine Holzblasinstrumentenbauerin aus dem nahe gelegenen Tschechien, Klarinetten unterschiedlicher Bauart und Stimmung aus den vor ihnen liegenden Materialien, insbesondere fertig bearbeiteten Ober- und Unterstücken, Mechanikteilen, Federn, Polstern, Schrauben und Achsen zu fertigen Instrumenten zusammensetzten, vermutlich sowohl Teile aus eigener Fertigung wie auch solche, die in China vorgefertigt wurden. Das Werk in Shandong ist übrigens eine eigenständige Firma im Eigentum und unter der Führung von Frau Stölzel, einer gebürtigen Chinesin.

Im Gegensatz zu Schreiber entwickelte Uebel im Laufe der Jahre ein umfangreiches Sortiment verschiedener Klarinetten, sowohl deutscher als auch französischer Bauart, insgesamt mindestens 25 Modelle in den Stimmungen Es, C, B, A, G und B-Bass, Einsteiger-, Standard- und Profimodelle, alle aus Grenadill mit versilberter Mechanik, die professionellen Modelle auch aus Mopane mit vergoldeter Mechanik. Mit Böhm-System werden auch eine Bassettklarinette und ein Bassetthorn sowie eine B-Klarinette mit gedeckelten Tonlöchern gefertigt. Die Preise liegen auf dem Niveau anderer deutscher Hersteller.

Wie bei BCD werden auch die Instrumente der F. Arthur Uebel GmbH in Serie gefertigt und über Händler weltweit vertrieben. Sonderanfertigungen nach Kundenwunsch sind jedoch ebenfalls möglich. Nach dem großen internationalen Erfolg mit den Profi-Böhmklarinetten setzt die Firma Uebel nun auch verstärkt auf die Weiterentwicklung der deutschen Klarinette. Ein neues Solisteninstrument in B- und A-Stimmung ist in Vorbereitung. Je nach Erfolg dieses Premiummodells könnte Wurlitzer & Co. durchaus vor einer Herausforderung stehen. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass Uebel die Vorteile einer breiten Modellpalette und der damit verbundenen höheren Stückzahlen nutzen wird.

('rohrblatt S. 111)

 
Betriebsgebäude der Firma Gebrüder Mönnig
 
kurze Bassklarinette, Palisander

Diese Firma, die seit 2001 ihr Domizil in einer historischen Villa hat, die der Großhändler Albert Schuster 1905 als privates Wohnhaus errichten ließ, stellt nicht nur Klarinetten, sondern auch Oben und Fagotte her. Unter ihrem Dach haben gleich zwei Traditionsbetriebe, deren Geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, Unterschlupf gefunden: die Gebrüder Mönnig und die Oscar Adler & Co. Beide DDR-geschädigt, haben sich nach der Wende zusammengeschlossen und unter den alten sehr prekären Produktionsbedingungen den Neuanfang gewagt, zunächst noch in ihren getrennten originalen Produktionsstätten, das jedoch mit wenig Erfolg, sodass die Firma Ende der 1990er Jahre am Rand einer Insolvenz stand. Der Aufschwung begann 2000 mit der Einsetzung eines neuen Managements, das mit der Anmietung der Schuster-Villa die beiden Betriebe zusammengeführte, den Betrieb durch Anschaffung neuer Maschinen modernisierte sowie alle Instrumente überarbeitete und weitere neu entwickelte, die in Vor-DDR-Zeiten schon einmal gefertigt worden waren, wie z. B. die Bassklarinette, für die die Firma den Deutschen Musikinstrumentenpreis 2008 erhielt.[6] Hinzu kamen komplette Neuentwicklungen wie Kinderstrumente und die Bassoboe.[7][8]

Klarinetten werden unter der Marke Oscar Adler & Co., hergestellt, mehrere Modelle deutschen Systems in Es, C, B, A und Bass, zwei französische Modelle in B und eins in B und A.

Nachdem wir uns die schöne Fassade des Betriebsgebäudes angesehen hatten, wurden wir von dem Geschäftsführer Veit Schindler empfangen, der uns zunächst einen kurzen Überblick über der Geschichte der beiden Marken gab und uns das aktuelle Produktionsprogramm (auch der Oboen und Fagotte) vorstellte. Dann führte er uns durch den Betrieb, in dem fast 50 Mitarbeiter*innen beschäftigt sind. Die Herstellung erfolgt trotz eines stattlichen aus neueren und älteren Stücken bestehenden Maschinenparks, zu dem auch zwei CNC--Maschinen gehören, im Prinzip handwerklich. Anders als bei BCD und Uebel werden die Instrumente nur auf Bestellung der Händler, mit denen Mönnig zusammenarbeitet, und in Modell-Kleinserien bis zu sechs Stück produziert, mit Lieferfristen von zwei bis drei Monaten. Die für die einzelnen Instrumente benötigten Hölzer werden in den Kellerräumen des Betriebs und in Nebengebäuden mindestens 12 Jahre gelagert, allerdings ohne Temperierung, wie die Manufakturen in Neustadt und Bamberg es handhaben, wie wir dort erfuhren. Schindler: "Die Hölzer müssen die unterschiedlichen Temperaturen der Jahreszeiten aushalten, um einer maximalen Belastung ausgesetzt zu werden. Nur jene, die dies überstehen, sind es wert, hochwertige Musikinstrumente zu werden." Abschließend konnte ich eine fertige Klarinette ansehen und in die Hände nehmen, das Spitzenmodell S 25, eine Oehler-Klarinette mit zusätzlicher tief E- und F-Verbesserung, ein schönes sauber gefertigtes Instrument sogar mit rhodinierter Mechanik, das gut in den Händen lag. Angespielt habe ich es allerdings nicht. Gleichwohl machte es auf mich einen sehr guten Eindruck. Warum findet man eine solche Klarinette nicht in einem deutschen Symphonieorchester, obwohl der Preis wegen günstigerer Fertigungsmöglichkeiten mit etwas mehr als € 7.000 um einige tausend Euro niedriger liegt, als die Preise für vergleichbare Instrumente der Neustädter und Bamberger Manufakturen, die uns am nächsten und übernächsten Tag erwarten?

Aus den ursprünglich geplanten 45 Minuten waren gut eineinhalb Stunden geworden. Nun mussten wir noch meine Klarinette beim Renz abholen und nach Neustadt an der Aisch weiterfahren, immerhin ca. 2 1/2 Stunden. Auf dem Weg nach Gopplasgrün, wo Renz seine Werkstatt hat, fuhren wir über die Johann-Sebastian-Bach-Straße; dort soll Herbert Wurlitzer eine Dependance mit einem Werkstattleiter und sechs Mitarbeitern haben. An der Anschrift steht ein imposantes historisches Gebäude, aber von Wurlitzer war nichts zu sehen. Eine Hausbewohnerin verwies mich auf ein abseits der Straße gelegenes Nebengebäude ohne Firmenschild. Ich stieg wieder ein und weiter ging`s.

Neustadt an der Aisch

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Herbert Wurlitzer Manufaktur für Holzblasinstrumente GmbH

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('rohrblatt S. 112)

 
Weithin bekanntes Bild der von Wurlitzer hergestellten Klarinettenfamilie (deutsches System)

Schon bald nach seiner Flucht aus der DDR 1959 eröffnete der ehemalige Klarinettist des Leipziger Gewandhausorchesters, der in der Werkstatt seines renommierten Vaters Fritz Wurlitzer in Erlbach, heute ein Teil von Markneukirchen, auch das Handwerk des Klarinettenbauers gelernt hatte, im bayerischen Bubenreuth eine eigene Werkstatt zur Herstellung hochwertiger handgefertigter Klarinetten des deutschen Systems und des Ende der 1940er Jahre von seinem Vater, basierend auf lange zurück liegenden Vorarbeiten von Ernst Schmidt, entwickelten Reform-Böhm-Systems, wodurch er auch international bekannt wurde.[9] 1964 verlegte er die Werkstatt nach Neustadt an der Aisch, da er in Bubenreuth zu wenig fachlich ausgebildete Mitarbeiter fand. Die außerordentliche Qualität seiner Instrumente sprach sich schnell herum. Bekannte Solisten wie Karl Leister und Sabine Meyer[10] gehörten bald zu seinen Kunden. Und immer mehr Profis und auch ambitionierte Amateurklarinettisten wollte eine Wurlitzer haben. Angefangen hatte Herbert Wurlitzer mit B- und A-Klarinetten. Nach und nach entwickelte er weitere Instrumente der Klarinettenfamilie, von der hohen G-Klarinette bis zur Bassklarinette, und das in beiden Systemen. 1984 ließ er sich von Sabine Meyer, die das Mozart-Konzert unbedingt auf dem Instrument spielen wollte, für das Mozart es geschrieben hatte, dazu überreden (erst wollte er nicht so recht), für sie die erste moderne Bassettklarinette deutschen Systems zu bauen, abgesehen von einem Prototyp, den Rolf Meinel 1978 angefertigt hatte. Heute spielt fast jeder Solist, der etwas auf sich hält, dieses Konzert auf einer Bassettklarinette mit deutschem oder französischen System.

 
Kontrabassklarinette von Fritz Wurlitzer (etwa 1975)

Zur verabredeten Zeit wurden wir von Gudrun und Bernd Wurlitzer empfangen. Gudrun und ihr Bruder Frank-Ulrich Wurlitzer sind an der Gesellschaft zu je 50% beteiligt, Gudruns Ehemann Bernd, der den Familiennamen Wurlitzer angenommen hat, führt die Geschäfte.

Das Erste, das mir im Empfangsraum ins Auge fiel, war eine in einer Ecke stehende Kontrabassklarinette deutschen Systems. Das konnte nur der vom "alten Fritz" wenige Jahre vor seinem Tod gebaute Prototyp sein, den ich in einem Museum wähnte. Unglaublich, dieses Instrument vor Augen zu haben. Schnell war der Fotoapparat zur Hand und ich fotografierte das historisch bedeutsame Stück von allen Seiten. Bernd Wurlitzer stellte es sogar samt Ständer auf den Tisch, damit ich es besser aufnehmen konnte. Lionel, mein französischer Coautor auf Wikipedia im Bereich Klarinette und Spezialist für die ganz tiefen Klarinetten, würde staunen. Mein Artikel über Herbert Wurlitzer war übrigens der Erste, den ich auf Wikipedia schrieb (2019), und gleich in fünf Sprachen. Im März 2023 fertigte ich dann auch einen Artikel über seinen legendären Vater Fritz, den Lionel sofort für das französische Wikipedia übersetzte.

Bernd Wurlitzer führte uns durch den Betrieb, der sich in dem ehemaligen Wohnhaus von Herbert Wurlitzer und seiner Familie befindet, das durch Anbauten erweitert wurde. Er besteht jetzt aus dem Empfangsraum, einem Probierraum für die Kunden, Lager-und Trocknungsräumen für die Holzbestände und der eigentlichen Werkstatt. In der Werkstatt arbeiteten nur wenige Mitarbeiter, da die meisten wegen eines bevorstehenden Feiertags Urlaub genommen hatten, so dass wir leider nicht den gesamten Fertigungsablauf in der Praxis zu sehen bekamen.

Als wir wieder zum Empfangsraum gingen, klingelte ein Kunde, der seine gerade fertiggestellte Klarinette probieren und abholen wollte. Wir verabschiedeten uns und weiter ging`s zu Dietz.

('rohrblatt S. 113)

 
Klarinettenfamilie deutsches System von Dietz

Wolfgang Dietz lernte das Handwerk des Holzblasinstrumentenbauers bei Herbert Wurlitzer. Später legte er auch die entsprechende Meisterprüfung ab. Nach dem Tod von Herbert Wurlitzer im Jahre 1989 machte er sich selbständig und richtete in seinem Wohnhaus unter der Bezeichnung "Klarinetten Wolfgang Dietz" eine Werkstatt ein, die 1999 durch einen Anbau erweitert wurde. 2010 beteiligte Wolfgang Dietz seinen Sohn Ludwig unter Gründung einer GmbH & Co. KG. an dem Unternehmen. Trotz der Umfirmierung blieben Logo und Label Klarinetten Wolfgang Dietz erhalten. Ludwig hat bei seinem Vater gelernt und ist inzwischen auch Meister seines Fachs und seit Sommer 2017 Leiter der Werkstatt.

Gefertigt werden Klarinetten mit dem deutschen und dem französischen Griffsystem (Oehler-System bzw. Böhm-System), dem Reform-Böhm-System sowie Hybridklarinetten in den Holzarten Grenadill, Mopane, Cocobolo und Buchsbaum, auch für Linkshänder mit seitenverkehrter Mechanik. Das Modell-Spektrum reicht von der hohen G-Klarinette bis zur Bassklarinette. Eine Besonderheit ist die bis tief C herabreichende Altklarinette, die klingend noch einen Ton tiefer spielen kann, als das ebenfalls im Programm befindliche Bassetthorn. Darüber hinaus werden von Buffet Crampon Deutschland in Markneukirchen hergestellte B-Klarinetten der Marke Schreiber optimiert und an Endkunden weiterverkauft. Dietz Klarinettenbau wurde mit dem Deutschen Musikinstrumentenpreis 2020 in der Kategorie A-Klarinette (deutsches System) für das Instrument A-Klarinette Studentenmodell ausgezeichnet. Die Firma beschäftigt acht Mitarbeiter, davon fünf in der Werkstatt und drei Heimarbeiter.

Nach der Begrüßung durch Wolfgang und Ludwig Dietz übernahm Wolfgang Dietz die Führung, treppab und treppauf, zunächst zu den Holzbeständen, die für lange Zeit ausreichen dürften. Während Mönnig die quadratischen Kanteln unbearbeitet lagert, werden diese bei Dietz und den anderen kleineren Manufakturen zunächst mit einer Innenbohrung versehen und dann von außen grob rund abgedreht, dabei natürlich der Außendurchmesser größer und der Innendurchmesser kleiner als bei den Klarinetten benötigt. Bei dem weitern Rundgang sah ich mir etwas näher eine Kopierbohrmaschine an, auf der Dietz und auch andere in Ermangelung von CNC-Maschinen, wie die Markneukirchener Betriebe sie haben, die bis zu 30 Tonlöcher in die Klarinetten bohren und die Gewinde für die bis zu 40 Böckchen schneiden. Dies geschieht mit Hilfe von selbst gefertigten Metallschablonen für jedes Modell und jede Variante, auf denen die Position für jedes Bohrloch und jedes Böckchen punktgenau vorgegeben und das jeweils zu verwendende Werkzeug angegeben ist. Weiter ging es vorbei an Fräs-, Schleif, Bohr- und Poliermaschinen. Zwischendurch vernahmen wir, wie Ludwig im Hauptraum der Werkstatt eine fast fertige Klarinette anblies und abstimmte. An einem Arbeitsplatz erblickten wir ein im Entstehen begriffenes Fagott, seit einigen Jahren Hobby von Wolfgang, allerdings mit dem Ziel, damit den Markt für professionelle Fagottisten zu bedienen. An einem anderen Platz entdeckte ich einen Satz generalüberholter Schmidt-Kolbe-Klarinetten von Fritz Wurlitzer, die ein Kunde in Zahlung gegeben hatte. Ich hatte mir schon lange gewünscht, ein solche Klarinette einmal in Natura zu sehen. Ob diese Klarinette denn der Oehler-Klarinette nicht überlegen sei, fragte ich Wolfgang. Früher vielleicht, sagte er, aber der Kunde sei froh, sie gegen einen Satz moderner Dietz Oehler-Klarinetten eingetauscht zu haben.

Vater und Sohn sind leidenschaftliche Instrumentenbauer, Tüftler und Perfektionisten. Die Qualität ihrer Klarinetten liegt nach meinem Eindruck auf dem selben hohen Niveau, wie die der anderen Premiumhersteller am Ort oder anderswo.

('rohrblatt S. 114)

 
 
Bassett-Unterstück

1993 machten sich der Holzblasinstrumentenbaumeister Josef Leitner und der Holzblasinstrumentenbauer Wolfgang Kraus, die bis dahin bei Wurlitzer beschäftigt waren, selbständig und gründeten in Neustadt an der Aisch eine gemeinsame Firma zur Herstellung hochwertiger handgefertigter Klarinetten. Im Jahr 2001 bezog man neue größere Räumlichkeiten.

Gefertigt werden Klarinetten verschiedener Stimmung mit dem deutschen und dem französischen Griffsystem sowie mit dem Reform-Böhm-System.[11] Für die deutschen Modelle entwickelte die Firma eine neue patentierte a’-b’-Mechanik. Für die B-Klarinette mit deutschem System, Modell 250, erhielt sie 2016 den Deutschen Musikinstrumentenpreis.[2]

Seit mehreren Jahren sind auch die Söhne der beiden Gründer Jochen Leitner und Andreas Kraus im Betrieb tätig, beide Holzblasinstrumentenbaumeister. Mit Beginn des Jahres 2022 übernahmen sie zu je 50 % die Geschäftsanteile an der GmbH und wurden einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer. Die Senioren schieden aus Gesellschaft und Geschäftsführung aus, arbeiten aber weiterhin mit.

Da die Zeit zwischen den Besuchen bei Dietz und bei Leitner & Kraus für den vorgesehenen Imbiss nicht ausreichte, setzte mich mein Sohn am Eingang ab, um selbst ein Restaurant aufzusuchen. Ein Mitarbeiter führte mich in den Empfang, wo eine ganze Galerie mit den Konterfeis bekannter Klarinettisten eine Wand schmückte, die alle Klarinetten von Leitner & Kraus spielen, darunter Jens Thoben, der Nachfolger von Reiner Wehle und Sabine Meyer-Wehle als Professor für Klarinette an der MHS Lübeck. Begrüßt wurde ich von Jochen Leitner, der mich zunächst in die Räumlichkeiten führte, wo die ganzen Holzvorräte lagern. Dann ging es in die Werkstatt, ein schätzungsweise ca. 300 qm großer rechteckiger Raum, mit einer großen Fensterfront, durch die reichlich Tageslicht eindrang, vorgesehen für 15 Mitarbeiter, die aber wegen des Feiertags nicht alle da waren. Die maschinelle Ausstattung war ähnlich wie die der beiden zuvor besichtigten Betriebe. Wie bei Wurlitzer, gibt es auch hier ein Probierzimmer, wo ich Gelegenheit hatte, eine Reform-Böhm-Klarinette anzuspielen, für mich noch etwas ungewohnt. Außerdem stellte mir Leitner ein neu von der Firma entwickeltes Blatt aus einem speziellen Kunststoff vor, das (fast) wie ein Holzblatt klingen soll, jederzeit ohne Anfeuchten und ohne Einblasen spielbereit sei und eine Lebensdauer von einem halben Jahr habe. Ich hatte glücklicherweise meine Böhmklarinette von Patricola mit zwei in etwa gleichen Mundstücken dabei, wofür mir Kraus das passende Blatt heraussuchte, das ich dann ausprobierte und mitnahm und seitdem spiele. Bisher hält es die Versprechungen ein. Der Klang ist tatsächlich einem normalen Bambusblatt sehr ähnlich. Nur ein Problem löst es nicht: wenn die hohen Töne stimmen sollen, darf man nicht zu einem leicht spielbaren Blatt greifen, sagen wir einmal mit der Stärke 2 1/2. Dann bedarf es schon eines schwereren Blatts zwischen drei und dreieinhalb. Aber zum Üben ist es nahezu ideal.

Was den Betrieb von Leitner & Kraus deutlich von Wurlitzer und Dietz unterscheidet: er ist nicht in einem Wohnhaus mit Anbauten hier und da untergebracht, sondern in einem Betriebsgebäude, das speziell für diesen Betrieb geplant wurde, mit der Folge günstigerer Produktionsbedingungen.

Nach der Verabschiedung ging es weiter nach Bamberg, wo wir am nächsten Morgen mit Jochen Seggelke verabredet waren.

('rohrblatt S. 115)

 
Jochen Seggelke mit Kontrabassklarinette "CLEX"
 
Der Verfasser neben einer Schautafel mit Nachbauten historischer Klarinetten


Das Unternehmen wurde 1996 als GbR von dem Klarinettenbaumeister Werner Schwenk und dem Klarinettenbauer und Klarinettisten Jochen Seggelke mit Sitz in Tübingen und Bamberg unter der Firma Schwenk & Seggelke gegründet. 1999 erfolgte die Zusammenlegung der beiden Fertigungsstätten in Bamberg. 2002 bezog die Firma dort größere Räumlichkeiten. Der Mitgesellschafter Werner Schwenk schied altersbedingt 2013 aus der GbR aus, die seitdem von Jochen Seggelke als Einzelunternehmen fortgeführt und 2021 in die neu gegründete Firma Seggelke Klarinetten GmbH & Co. KG eingebracht wurde. Der Name Schwenk & Seggelke wird weiterhin als Markenname (Label) geführt. Das Unternehmen fertigt Klarinetten nach dem Deutschen Griffsystem und dem Französischen System (Böhm-System) an sowie in einer Kombination beider Systeme, dabei vom Böhm-System ausgehend (sog. modulare Bauweise). Eine Spezialität des Unternehmens ist der Nachbau historischer Klarinetten. In allen drei Bauweisen wird fast die gesamte Klarinettenfamilie von Hoch As bis Bass angeboten. Dabei sind sämtliche Instrumente hinsichtlich der Ausstattung (Bohrung, Holzart, mechanische Ausstattung und deren Veredelung) individuell konfigurierbar. Des Weiteren lässt Seggelke bei FAU eine von ihm zusammen mit der Entwicklungsabteilung von FAU konfigurierte B- bzw. A-Klarinette deutschen Systems nach seinen Vorgaben und aus von ihm beigestellten Hölzern (Grenadill und Mopane) mit silberner und goldener Mechanik, mit oder ohne Bechermechanik, mit deutscher und österreichischer Innenbohrung exklusiv für seine Firma vorfertigen, die sog. "Seggelke-Line".[12]

Für die Neuentwicklung eines Bassetthorns mit deutschem System erhielt die Firma 2004 einen Designpreis und 2006 den Bayerischen Staatspreis.[13] Im selben Design wird auch ein französisches Bassetthorn hergestellt.

Nach unserer Ankunft hatten wir zunächst ein längeres Gespräch mit Jochen Seggelke. Dabei ging es um die ganz außergewöhnlichen von ihm gefertigten oder mit gefertigten Klarinetten. Für den australischen in der Schweiz lebenden Klarinettisten Richard Haynes hatte er eine moderne Form der ausgestorbenen Liebesklarinette in G gebaut und für den amerikanischen Klarinettisten und Hochschullehrer Charles Neidich einen Nachbau der Bassettklarinette, auf den Anton Stadler das Mozart-Konzert uraufgeführt hatte, und zwar einmal in der Art des historischen Originals und ein weiteres Mal mit modernem Böhm-Griffsystem, was es, soweit ersichtlich, bisher noch nicht gegeben hat. Neidich hat einen erneuten Besuch in Bamberg für Juli angekündigt. Man darf darauf gespannt sein, was für ein ausgefallenes Instrument er dieses Mal in Auftrag gibt. Und schließlich hat Jochen Seggelke vier Jahre an dem unter dem Namen "CLEX" bekannt gewordenen Forschungsprojekt der Hochschule der Künste Bern maßgeblich mitgewirkt, bei dem es um den Bau einer eine Hightech-Kontrabassklarinette mit mechatronischer Steuerung ging, bei der die Klappen mit Hilfe von Elektromotoren betätigt werden. Auch etwas derartiges hat es zuvor noch nicht gegeben.

Die Räumlichkeiten der Firma befinden sich mitten in Bamberg in einer ehemaligen Möbelwerkstatt, in der Seggelke genügend Platz für seine Arbeiten vorgefunden hat. Auch hier sahen wir die Holzbestände und machten einen Rundgang durch die geräumige gut ausgestattete Werkstatt, etwas größer als Leitner & Kraus. Bemerkenswert: Seggelke verfügt bereits längerem über eine CNC-Maschine, die vorwiegend für die Bohrungen der Tonlöcher in die Unter- und Oberstücke der einzelnen Klarinetten und das Schneiden der Gewinde für die Säulchen verwendet wird. Dabei wird der Werkzeugwechsel nicht von der Maschine selbst, sondern von einem Facharbeiter vorgenommen. Es ist also ein hybrides System aus Streckensteuerung und Handarbeit - mit hoher Flexibilität und großer Genauigkeit.

Wir bedankten uns für die Zeit, die Herr Seggelke sich für uns genommen hatte, verabschiedeten uns und traten mit unserem schönen britischen Daimler-Youngtimer die Heimreise an.

Resümee

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('rohrblatt S. 117)

Ich habe auf meiner Reise sieben mehr oder weniger bedeutende deutsche Klarinettenhersteller besucht, es gibt aber noch weitere, z. B. Johanna Kronthaler, Karlsruhe, Harald Hüying, Düsseldorf, Martin Foag, Haldenwang-Hafenhofen und Rolf Meinel, Wernitzgrün. In deutschen Symphonieorchestern trifft man nach eingeholten Auskünften hauptsächlich die Fabrikate Wurlitzer, Leitner & Kraus, Schwenk & Seggelke und Kronthaler an, in einem gewissen Umfang auch Dietz und sehr selten noch Hüying.

2. Champion unter den Klarinettenbauern, und zwar weltweit, ist für mich Jochen Seggelke, nicht weil die Qualität seiner Klarinetten höher läge als die anderer Premium-Hersteller, nein es sind seine Vielseitigkeit und seine umfassenden Kenntnisse auch des historischen Klarinettenbaus und der Verarbeitung weniger gebräuchlicher Holzarten. Nicht von ungefähr hat Buffet Crampon ihn in Bamberg konsultiert, bevor sie anfingen, Klarinetten in Buchsbaum und Mopane zu produzieren. Und Frau Stölzel hat ihn 2015 nach China kommen lassen, um sich von ihm bei der Optimierung der Fertigungsabläufe beraten zu lassen.

3. Nach dem Besuch von zwei Klarinettenherstellern mit industrieller Fertigung und fünf mit vorwiegend handwerklicher Fertigung, darunter ein größerer mit knapp 50 Beschäftigten und bereits zwei CNC-Maschinen, bleibt die spannende Frage, ob sich nicht, wenn es um Klarinetten der höchsten Qualitätsstufe geht, beide Fertigungsweisen mit der Folge deutlich niedrigerer Herstellungskosten miteinander vereinbaren lassen. Das könnte vielleicht auf zwei Arten geschehen:

(1) Es gelingt einem industriellen Anbieter, unter weitgehendem Maschineneinsatz gepaart mit handwerklicher Arbeit in der Endphase Klarinetten auf höchstem Qualitätsniveau zu fertigen. BC France arbeitet daran, tut sich aber schwer damit. Yamaha dürfte dem Ziel schon näher sein. Wenn auf den angabegemäß handgefertigten Klarinetten nur nicht Yamaha draufstände! Gespannt bin ich darauf, wie das von Uebel angekündigte neue Premium-Modell ausfällt und wie es akzeptiert wird, schließlich gehörte die Manufaktur F. Arthur Uebel (FAU) ja Jahrzehnte lang zu den bevorzugten Herstellern, deren Instrumente auch von Solisten gespielt wurden. Ob es gelingt, daran wieder anzuknüpfen?

(2) Eine ursprünglich kleine Manufaktur erreicht eine Größe, bei der sie sich den Einsatz von evtl. gebrauchten CNC-Maschinen für die Holzbearbeitung und geeigneter Maschinen für eine rationelle Fertigung der Mechanik leisten kann. Man könnte dabei an Gebrüder Mönnig denken. Aber auch hier gibt es bei den Klarinettisten in deutschen Symphonieorchestern ein Akzeptanzproblem, zumal Adler & Co früher eher als Massenhersteller bekannt war. Offenbar sind sie bereit, bei vergleichbarer Qualität für ein anderes Label auf ihren Klarinetten tief in die Tasche zu greifen. Anderes wäre es, wenn Manufakturen, die schon lange als Premium-Hersteller anerkannt sind und zu deren Kunden auch eine Reihe namhafter Klarinettisten gehören, allmählich in eine Größenordnung von 40 und mehr Mitarbeitern vorstoßen und in einem neuen oder erweiterten Betrieb mit teilweise neuen Maschinen die Fertigungsabläufe neu organisieren sollten. Dann könnten sich bisher noch nicht mögliche Kostenvorteile ergeben und damit auch spürbar niedrigere Preise für die Kunden, zumindest bei den gängigen Modellen, die dann unter Zusammenfassung von Bestellungen bereits in Kleinserien hergestellt werden könnten.

Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. Der Verfasser schreibt seit 2019 im internationalen Wikipedia Artikel über Instrumente der Klarinettenfamilie, Bauweisen und Griffsysteme, Klarinettenhersteller, Klarinettist*innen und Kompositionen für Klarinette oder aktualisiert und erweitert sie. Außerdem beschafft er Fotos von Klarinettist*innen und von Klarinetten der unterschiedlichsten Art und stellt sie weltweit in die passenden Artikel ein.
  2. a b Bayerischer Rundfunk: Musikmesse Frankfurt – Klarinette prämiert: Auszeichnung für mittelfränkische Werkstatt. BR-Klassik, 12. April 2017, abgerufen am 5. Juni 2023.
  3. Martin Hofmann: Buffet Crampon übernimmt Schreiber & Keilwerth. 11. August 2010. Abgerufen am 14. Oktober 2019.
  4. Der Arbeitgeber Buffet Crampon Deutschland GmbH
  5. Claus Raumberger, F. Arthur Uebel, Es-Klarinette Böhm-System Nr. 811
  6. Rony Hager, Freie Presse, Manufaktur erhält Musikinstrumentenpreis, 2. Februar 2008.
  7. Dr. Enrico Weller: Beiträge aus „Neikirnger Heimatbote“ Hefte 1998/1 und 1998/2
  8. Dr. Enrico Weller, Der Blasinstrumentenbau im Vogtland von den Anfängen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts
  9. Eric Hoeprich: The Clarinet. Yale University Press, 2008, S. 211, 271, 367.
  10. In Margarete Zander, Sabine Meyer: Weltstar mit Herz. 2013. und in anderen Publikationen hebt die Klarinettistin Sabine Meyer die besondere Qualität von Wurlitzer-Klarinetten hervor.
  11. Eric Hoeprich, The Clarinet, Yale University Press, 2008, S. 211, 212.
  12. Seggelke-Line
  13. Urkunde und Zeitungsausschnitt „Bamberger Firma gehört zur Welt-Elite der Klarinettenbauer“



Ablichtung der Seiten 107 bis 117 der Zeitschrift Rohrblatt, Heft 3/2023

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