Als Prototäufer (auch Proto-Täufer geschrieben[1]) werden reformatorische Christen bezeichnet, die bereits vor dem 21. Januar 1525, dem offiziellen Gründungsdatum der Täuferbewegung, täuferische Überzeugungen vertraten. Der Begriff wurde von der Kirchengeschichtlerin Andrea Strübind in die Täuferforschung eingebracht[2] und inzwischen in zahlreichen Veröffentlichungen übernommen. Strübind bezeichnet damit die Anhänger des Schweizer Reformators Huldrych Zwingli, „die sich im Laufe der Zeit zur täuferischen Bewegung formierten“.[3]

Geschichte

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Während in der frühen Phase der Reformation die sogenannte Leistungsfrömmigkeit im Fokus der Kritik an der Römisch-katholischen Kirche stand, drehten sich die theologischen Konflikte in späterer Zeit um das römische Sakramentswesen. Positionen, die die Vertreter der Reformation hier etwa zur Lehre sowie Praxis des Abendmahls und der Taufe bezogen, verschärften aber nicht nur den Gegensatz zu Rom sondern führten auch zu Trennungen unter den Reformatoren und deren Anhängern.

Die späteren Schweizer Täufer waren anfangs enge Freunde Zwinglis. Mit anderen traten sie in den Jahren 1522/23 als radikale Gruppe unter den Zwinglianern in Erscheinung. Bei denen, die antiklerikale Aktionen initiierten, öffentlich die Abgabe des Zehnten verweigerten, die angeordneten Fastenzeiten provokativ brachen und in privat organisierten Bibellesekreisen als Laien über die Heilige Schrift disputierten, waren immer auch die „Väter des späteren Täufertums“ zu finden.[4] Die Entwicklungen innerhalb der Prototäufer lassen sich anhand folgender Ereignisse zeigen.

Fastenbrüche (1522)

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Ausgangspunkt der sogenannten Fastenbrüche von 1522 waren Predigten Zwinglis, mit denen er die Fastenvorschriften der alten kirchlichen Ordnung kritisiert hatte. Mitglieder des radikalen Flügels versuchten die von Zwingli erhobenen Forderungen demonstrativ umzusetzen, als sie sich während der Fastenzeit des Frühjahrs 1522 im Haus des Zürcher Buchdruckers Christoph Froschauer zum Wurstessen trafen. Unter den zehn bis zwölf Anwesenden waren neben Huldrych Zwingli, der allerdings nur Zuschauer der Aktion blieb, und Leo Jud weitere Männer, die später zu den führenden Prototäufern bzw. Täufern gehörten: Bartlime Pur, Heinrich Aberli, Hans Oggenfuss, Lorenz Keller, W. Ininger, Lorenz Hochrütiner und Klaus Hottinger.[5] Der Fastenbruch im Froschauer-Haus war übrigens nicht der einzige und auch nicht der erste Verstoß gegen die althergebrachte Fastenordnung. Bereits vorher und auch nachher hatten ähnliche Aktionen stattgefunden.

Zehntverweigerung (Sommer 1522)

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Gründung des Castelberger Lesekreises (1522 / Anfang 1523)

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Bilderstürme und Agitationen gegen die römische Messe (ab Spätsommer 1523)

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Gespräche und Disputationen zwischen Zwingli und seinen radikalen Anhängern (1523/24)

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Prototäufer im Umfeld der lutherischen Reformation

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Andreas Bodenstein von Karlstadt, die Zwickauer Propheten und Thomas Müntzer werden von einigen Historikern gelegentlich auch als „Prototäufer“ bezeichnet.[6] Sie dachten anders als Martin Luther über die Abschaffung der Säuglingstaufe nach und plädierten für einen Taufaufschub. Ihre Kritik an der gängigen Taufpraxis (auch in den reformatorischen Gemeinden!) war radikal. So schrieb zum Beispiel Müntzer 1524: „Die rechte tauffe ist nicht verstanden, darumb ist der eingang zur christenheit zum vihischen affenspiel worden“.[7] ____________________________

Ähnlich waren die Verhältnisse im Raum der zwinglischen Reformation.

In der Schweiz wurde bereits 1523 unter den Anhängern Huldrych Zwingli über die Schriftgemäßheit der Säuglingstaufe disputiert.

Offensichtlich hatte Zwingli diese Diskussion selbst auf den Weg gebracht. Besonders intensiv beschäftigte sich der prototäuferische Kreis um Konrad →Grebel mit der Schriftgemäßheit der konventionellen Taufpraxis, nachdem die überarbeitete Taufliturgie vom Sommer 1523 überhaupt nicht zu erkennen gab, dass die Kindertaufe eines Tages abgeschafft werden könnte. Als auf der Zweiten Zürcher Disputation im Oktober 1523 über die Abschaffung der Messe und Bilder in den Kirchen entschieden worden war, die praktische Umsetzung dieser Beschlüsse aber noch auf sich warten ließ, bot sich die Taufproblematik an, die Reformdiskussion weiter voranzutreiben. Mit wenigen Sätzen umriss der Grebelkreis seine Vorstellungen von der Taufe in einem Brief an Thomas Müntzer vom September 1524. Was zu Martin →Luthers Tauflehre kritisch angemerkt wurde, „also daß das wasser den glouben nit befeste vnd mere, wie die glerten zu Wittenberg sagend, vnd wi er ser fast tröste und die letst zuflucht in dem todbett sye (Müntzer, Briefwechsel, 357)“, hatte Zwingli wohl vorher auch geäußert und später in seiner Taufschrift von 1525 in ähnlicher Weise formuliert: „Es habend etlich gelert, die Zeichen sygind geben zu Vestung des Gloubens deß, das man uns gelert oder zugesagt hab. Dem aber nicht also ist“ (Zwingli, Von der Taufe, von der Wiedertaufe und von der Kindertaufe, in: Hauptschriften, Bd. 2, 27). Zwingli dachte in der Tradition des augustinischen Spiritualismus und trennte den Bereich des Glaubens vom Bereich des Kreatürlichen, die innere Taufe von der äußeren. Das Wesen der Taufe („res“) ist durch eine „ontologische Schranke“, die der Mensch von sich aus nicht überspringen könne, vom Zeichen der Taufe („signum“) so geschieden, dass von der Wassertaufe keine Wirkung auf den Glauben zu erwarten sei. Diesen spiritualistischen Grundzug übernahmen die Prototäufer von Zwingli, setzten ihn polemisch gegen Luther ein und nutzten ihn, um ihr eigenes Taufverständnis zum Ausdruck zu bringen: „Den touff beschribt vnß die gschrift, daß er bedütte durch den glouben vnd daß blut Christi (dem getoufften daß gemuet enderendem und dem gloubenden vor vnd nach [modernisiert: daß für den Getaufen, der seinen Sinn ändert und vorher und nachher glaubt] die sünd abgewäschen sin; daß er bedütte, daß man abgestorben sie und sölle der sünd vnd wandlen in nüwe deß läbens vnd geist, vnd daß man gewüß selig werd, so man durch den inneren tauff den glouben nach der bedütnuß läbe“ (Müntzer, Briefwechsel, 357). Spiritualistisch geprägt ist der Begriff des „Bedeutens“ (Zeichen deuten auf eine Glaubensrealität hin); spiritualistisch orientiert ist auch die Rede von der „inneren Taufe“. Sie wird mit dem Glauben identifiziert. Ähnlich hatte sich auch Müntzer in seiner Protestation oder Erbietung (…) zum Anfang von dem rechten Christenglauben und der Taufe (1524) geäußert, die im Grebelkreis schon im Sommer 1524 gelesen wurde. So fühlten sich die Prototäufer bestätigt, eine Reform der Taufe und ihrer Praxis vom rechten Verständnis der „inneren Taufe“ her anzustreben, die Wassertaufe allerdings nicht abzuwerten und sie als weniger wichtige Zeremonie beizubehalten, wie Zwingli es tat, sondern sie aus dem Geist der „inneren Taufe“ heraus zu erneuern.

Die von den Schweizer Reformatoren eingeleiteten Maßnahmen zur Erneuerung der vorhandenen Kirche empfanden viele ihrer Anhänger als zu schwach.

Sie verweigerten die in ihren Augen unbiblische Taufe ihrer Kleinkinder und versuchten durch spektakuläre Aktionen ihren Anschauungen Gewicht zu verleihen. Ihre Organisationsform würde man heute vermutlich als Netzwerk bezeichnen. Eine gewisse Struktur lässt sich aber dennoch bei den sogenannten Sodalitäten erkennen, in denen sich die Prototäufer zur gemeinsamen Bibellese trafen.

Dokumente

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Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Zum Beispiel Anselm Schubert, Astrid von Schlachta, Michael Driedger (Hrsg.): Grenzen des Täufertums / Boudaries of Anabaptism. Neue Forschungen. Beiträge der Konferenz in Göttingen vom 23. – 27.8. 2006 (= Band 209 der Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, hrsg. von Kaspar von Greyerz und Thomas Kaufmann). Güterloher Verlagshaus: Gütersloh, 2009. ISBN 978-3-579-05765-1. S. 23; 35; 61
  2. Alfred C. Bronswijk: God en zijn beelden. Protestantse theologie und visuele zingeving. Een oriëntatie. Verlag De Mug: Deventer, 2021. ISBN 978-90-819038-5-1. 272 ([https://repository.ubn.ru.nl/bitstream/handle/2066/236489/236489.pdf?sequence=1 PDF online).
  3. Andrea Strübind: Eifriger als Zwingli. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz. Duncker & Humblot: Berlin 2003. S. 17
  4. J. F. Gerhard Goeters: Die Vorgeschichte des Täufertums in Zürich. In: Studien zur Geschichte und Theologie der Reformation (Festschrift Ernst Bizer). Neukirchen-Vluyn, 1969. S. 242; 252
  5. Andrea Strübind: Eifriger als Zwingli. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz. Duncker & Humblot: Berlin 2003. S.125f
  6. Franz Graf-Stuhlhofer: Eckdaten zur Geschichte österreichischer Freikirchen. In: MBS Texte 196 (18. Jahrgang). Martin Bucer Seminar in Zusammenarbeit mit dem Verlag für Glaube, Theologie und Gemeinde. ISBN 978-3-902669-48-3. S. 7
  7. Hans-Jürgen Goertz: Artikel Taufe II. In: Mennonitisches Lexikon, Band V (Revision und Ergänzung; Hrsg. Hans-Jürgen Goertz im Auftrag des Mennonitischen Geschichtsvereins). Bolanden-Weierhof, 2010–2020 (online)