Benutzer:Gurit1/Interaktionsbezogene Fallarbeit

1)     Was ist IFA

Bei IFA-Gruppen (Interaktionsbezogene Fall Arbeit) handelt es sich um Arbeitsgruppen aus Psychotherapeuten oder Ärzten, welche sich unter der Anleitung eines erfahrenen Praktikers regelmäßig treffen, um schwierige Fälle aus ihrer Arbeit  zu besprechen und durch den interkollegialen Austausch die Beziehung zu ihren Patienten zu verbessern. Die IFA kann als patientenbezogene Selbsterfahrung verstanden werden und ähnelt damit den Balint-Gruppen.[1] Während sich die Balint-Gruppen jedoch an psychoanalytischen Konzepten orientieren, handelt es sich bei der IFA um eine verhaltenstherapeutische Methode.

2)      Geschichtlicher und theoretischer Hintergrund

Die IFA entstand Ende der 1980er Jahre vor dem Hintergrund berufsordnungs- und therapieschulenpolitischer Motive in Analogie zur Balint-Arbeit.

a)      Grund dafür war einerseits die Erkenntnis, dass die therapeutische Beziehung in den Anfangsjahren der Verhaltenstherapie zu wenig im Fokus stand. Zum anderen führten die hilfreichen Erfahrungen, die verhaltenstherapeutisch orientierte Ärzt*innen während ihrer Psychotherapieausbildung mit den Balint-Gruppen gemacht hatten, zu dem Wunsch, den Beziehungsgedanken mit eigenen Begrifflichkeiten und verhaltenstherapeutischen Techniken zu fokussieren.

b)      Nachdem die Verhaltenstherapie in den 90er Jahren als Richtlinienverfahren in die ärztliche Weiterbildungsordung aufgenommen worden war, war zunächst von „verhaltenstherapeutischer Balint-Arbeit“ die Rede. Bei verhaltenstherapeutisch orientierten Praktiker*innen entstand jedoch schnell der Wunsch, den Beziehungsgedanken mit eigenen Begrifflichkeiten und verhaltenstherapeutischen Techniken zu fokussieren.

Eine erste breitere Initiative zur konzeptionellen Bündelung der IFA-Arbeit ging 2002 von S. Sulz in München aus. Seitdem ist die Methode stetig weiterentwickelt worden und verfügt analog zu den Balint-Tagen über einen eigenen IFA-Kongress, welcher erstmals 2014 in Berlin stattfand. [2] [3]

Geprägt wurde die Weiterentwicklung der Methode von einer Reihe theoretischer und konzeptioneller Hintergründe: [4]

·       Einbeziehung impliziter Erwartungen und Vorstellungen

Die IFA basiert auf der Annahme, dass das berufliche Handeln von Therapeuten nicht einzig und allein explizitem Wissen und rationalen Verhaltensregeln folgt. Implizite Erwartungen und Vorstellungen, welche beispielsweise auf lebensgeschichtlichen oder beruflichen Erfahrungen beruhen, können nach dieser Annahme einen ebenso großen Einfluss ausüben und mitunter zum Misslingen einer therapeutischen Interaktion führen. Ziel ist es daher, implizite handlungsbestimmende Elemente im Rahmen der IFA lebendig werden zu lassen und sie so einer rationalen Bearbeitung zugänglich zu machen.

·       Schemaberührung

Ausgehend von psychoanalytischen und schematherapeutischen Konzepten wird angenommen, dass Therapeut und Patient bei ihrem Aufeinandertreffen gegenseitig bestimmte Schemata aktivieren. Dieser Prozess, so die Annahme, läuft in der Regel unbewusst ab. Bei dem Versuch, die aktivierten Schemata zu bewältigen, geraten beide Beteiligte in einen schematherapeutisch so genannten ‚Bewältigungsmodus‘ [5], welcher sich durch unflexibles (beispielsweise übermäßig vermeidendes oder unterwerfendes) Verhalten kennzeichnet und sich schließlich in einem dysfunktionalen Interaktionsmuster verfestigt. Das in der IFA angewandte Konzept der `Schemaberührung‘ [6] schließt bei den erwähnten Dynamiken nicht nur die Beziehung zwischen Therapeut und Patient mit ein, sondern all jene Konstellationen, bei denen eine emotionale Verwicklung des Therapeuten vorhanden ist (z.B. Beziehungen mit Kollegen), und welche wiederum bei den Patienten Schemata aktivieren können.

Weitere wichtige in der IFA angewandte Konzepte sind „Spiegelreaktionen“ (die Annahme, dass ein unbewusstes Phänomen durch seine Betrachtung bei anderen Gruppenmitgliedern auf entlastende Weise verständlich werden kann) [7], die Arbeit mit Metaphern, Bildern und anderen nichtsprachlichen Ausdrucksformen, die Einbeziehung des Achtsamkeitskonzeptes sowie Einflüsse aus systemischen Ansätzen, Gestalttherapie und Psychodrama. Zusammengefasst soll die IFA als ein Feld verstanden werden, auf welchem der „Ideenreichtum nicht-verhaltenstherapeutischer Denker und Kollegen“ [8] auf freie und spielerische Weise erprobt und auf seine Bereicherungskompetenzen überprüft werden.

3)     Strukturelemente der IFA

Die IFA basiert auf dem Prinzip der geleiteten Gruppeninteraktion und umfasst neben den festen Rollen von Leiter, Fallvorsteller und Gruppenmitgliedern einen festgelegten räumlichen und zeitlichen Ablaufplan.

3.1 Zu den Rollen

Der Fallvorsteller ist die Person, auf deren Anliegen sich die IFA-Gruppe für die Dauer der Runde konzentriert. Er oder sie wird nach einem Auswahlprozess zu Beginn der Runde bestimmt, während die übrigen Teilnehmer die Rolle der Gruppenmitglieder einnehmen.

Der Fallvorsteller präsentiert eine konkrete, aus ihrer oder seiner Sicht unbefriedigende therapeutische Beziehungskonstellation (den „Fall“).  Erstes Ziel ist es, der Gruppe gegenüber einen Klärungsauftrag (z.B. „Helft mir zu verstehen, was zwischen mir und meinem Patienten los ist“) oder einen Änderungsauftrag (z.B. „Helft mir, eine bessere Haltung gegenüber meiner Patientin zu finden“) zu formulieren. Während die fallvorstellende Person in der Folge eine beobachtende Position einnimmt und das Gruppengeschehen auf sich wirken lässt, lassen die Gruppenmitglieder das Problem lebendig werden, indem sie ihre Überlegungen, Gefühle, Bilder und Impulse ausdrucksstark inszenieren und benennen. Sie stellen im Rahmen der Gruppe „eine Problemaktualisierung her“ [9], welche es ihnen ermöglicht, sich vom Erleben und Handeln der fallvorstellenden Person ein zutreffendes Bild zu machen. Diese wiederum reflektiert das Erlebte und wählt die für sie zutreffenden Symbolisierungsangebote aus.

Aufgabe des IFA-Leiters ist zum einen die Unterstützung der fallvorstellenden Person; beispielsweise bei der Entwicklung und Formulierung ihres persönlichen Bearbeitungsanliegens. Weiterhin sorgt der Leiter für eine kontinuierliche Abgleichung zwischen dem Klärungs- und Problemlösungsprozess der Gruppe sowie dem Erkenntnisfortschritt der vorstellenden Person. Dabei ist es wichtig, dass sich der/die Leiterin inhaltlich so weit wie möglich zurückhält und gleichzeitig den Kern der IFA fokussiert: das Erkunden und Explizieren von impliziten Inhalten.

3.2  Ablauf einer IFA Sitzung (Langform)

Die IFA folgt einer festgelegten Abfolge aufeinander aufbauender Schritte. Im ersten Schritt (Einstimmung und Rückmeldung zur vergangenen IFA) gibt die fallvorstellende Person aus der letzten IFA-Runde eine kurze Rückmeldung, wie es ihr im Nachgang mit der besprochenen Patientin oder dem besprochenen Patienten ergangen ist.  In der darauffolgenden Eröffnungsrunde nehmen sich die Teilnehmenden der Gruppe einen kurzen Moment Zeit, um sich auf aktuelle Konfliktsituationen oder schwierige Beziehungskonstellationen aus ihrer Arbeit zu konzentrieren. Diese potenziellen Fälle werden der Gruppe in einer anschließenden Kurzvorstellung zusammenfassend präsentiert. In der darauffolgenden Auswahlrunde entscheiden sich die Teilnehmenden für einen der präsentierten Fälle, welcher im nachfolgenden Schritt (Fallvorstellung) ausführlicher dargestellt wird. In einer anschließenden Gruppenresonanz schildern die Gruppenmitglieder die spontan bei ihnen entstandenen Gefühle, Bilder und gedanklichen Impulse. Im nachfolgenden 7. Schritt (Resonanz beim Fallvorsteller/Formulierung eines Auftrags an die Gruppe) beschreibt wiederum die fallvorstellende Person, was die Beiträge der Gruppe in ihr ausgelöst haben, und ob sie sich in ihrem Anliegen verstanden gefühlt hat. Ziel ist es, zwischen der fallvorstellenden Person und der Gruppe eine inhaltliche und emotionale Übereinstimmung zu erzeugen. Zudem ist nun der Zeitpunkt gekommen, zu welchem die fallvorstellende Person, gegebenenfalls mit Unterstützung des Leiters, für die Gruppe einen konkreten Arbeitsauftrag formuliert. Für den nächsten Schritt ziehen sich Fallvorsteller und Gruppenleiter räumlich aus der Gruppe zurück (das heißt, sie rücken ihre Stühle aus dem Kreis heraus) und beobachten die Interaktion innerhalb der Gruppe. Diese versucht nun, versteckte Handlungsmotive, ungünstige Beziehungsannahmen oder ambivalente Gefühle sichtbar zu machen, und gleichzeitig dem Auftrag des Fallvorstellers nachzugehen. Dieser hat die Möglichkeit, in den Prozess der Gruppe einzugreifen, wenn ihm beispielsweise neue Zusammenhänge oder Beziehungsdynamiken bewusstwerden oder er den Wunsch hat, in der Gruppe geäußerte Annahmen zu korrigieren. Die Interaktion dient insgesamt der Vorbereitung des nächsten und methodisch zentralen Schritts der IFA, dem Ebenenwechsel. Hier geht es darum, mögliche emotionale oder beziehungsbezogene Blockaden der fallvorstellenden Person auf symbolische Weise erlebbar zu machen und anschließend zu reflektieren. Möglichkeiten des Ebenenwechsels finden sich beispielsweise in Rollen- oder Interaktionsspielen, Stühlearbeit, Gruppenskulpturen sowie kreativ- und erlebnistherapeutischen Techniken. Die fallvorstellende Person hat hierbei nun die Möglichkeit, selbst am Gruppengeschehen teilzunehmen und sich beispielsweise in einer neuen Rolle zu erproben. Nach Beendigung es Ebenenwechsels kommen Gruppe, Gruppenleiter und Fallvorsteller wieder im Kreis zusammen und widmen sich einer Reflexion über den Prozess. Hier können alle Teilnehmenden aus einer Meta-Ebene heraus ihre jeweiligen Rollen reflektieren und das emotional Erlebte verbalisieren. Auch der Leiter kann als außenstehende Person beschreiben, wie er die Gruppendynamik wahrgenommen hat. Im abschließenden 11. Schritt erbittet der Leiter zuletzt eine Rückmeldung zu seiner Leitung und Strukturierung des Prozesses. [10]

Ablauf einer IFA-Sitzung (Kurzform)

Die IFA läuft nach einer festgelegten Folge aufeinander aufbauender Schritte ab. Nach einer allgemeinen Begrüßung und Sammlung von Anliegen verständigt sich die Gruppe zunächst auf die Reihenfolge der zu besprechenden Themen. Ausgangspunkt der inhaltlichen Arbeit ist der Bericht eines Fallvorstellers. Dieser beschreibt seine Sicht auf eine schwierige Beziehungssituation, welche beispielsweise in einem stockenden therapeutischen Prozess oder durch emotionale Belastung des Fallvorstellers zum Ausdruck kommen kann.  Moderiert vom IFA-Leiter gibt die Gruppe eine erste Resonanz zum Bericht. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass der Fallvorsteller sich verstanden fühlt und die Gruppe in seinem Sinn arbeitet. Anschließend wechselt die Gruppe von einer verbal-begrifflichen Ebene auf eine implizite Ebene. Durch die Arbeit mit Symbolen, Bildern und anderen Methoden wird der Fall kreativ und spielerisch bearbeitet. Dies bietet zum einen den Vorteil, dass der Fallvorsteller eine neue Perspektive und gewisse Distanz zu sich und seinem Patienten einnimmt. Zum anderen können durch den Ebenenwechsel begleitende Emotionen intensiver erlebt und bearbeitet werden. Ziel ist es, dass der Fallvorsteller am Ende des Gruppenprozesses emotional entlastet und für die weitere therapeutische Arbeit neu orientiert ist.

5)     IFA als Teil der Aus- und Weiterbildung

Aktuell ist die größte Domäne der IFA die Weiterbildung von Ärzten in den Facharztbereichen Psychiatrie-Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, den Zusatzbezeichnungen Psychotherapie anderer Facharztbereiche und der psychosomatischen Grundversorgung. Die Teilnahme an IFA-Gruppen ist notwendiger Baustein in der ärztlichen Weiterbildung und als solcher in der ärztlichen Weiterbildungsordnung inzwischen gleichlautend für Balint- und IFA-Gruppen geregelt. Dabei hat die IFA-Arbeit als patientenbezogene Selbsterfahrung neben der Supervision und der Selbsterfahrung einen eigenen Platz inne. [11] [12]


[1] Feiß, H., Eichner, C., Grünbaum, J. und Heinke, A. (2018). „Was ist interaktionsbezogene Fallarbeit?“. In M. Kerkloh (Hrsg.), Interaktionsbezogene Fallarbeit: Ein praxisorientiertes Handbuch (S. 43-62). Stuttgart: Kohlhammer.

[2] Grünbaum, J. (2018). „Woher kommt die IFA? Ein kurzer geschichtlicher Abriss“. In M. Kerkloh (Hrsg.), Interaktionsbezogene Fallarbeit: Ein praxisorientiertes Handbuch (S. 32-42). Stuttgart: Kohlhammer.

[3] Ehrig, C. (2018). „Interaktionsbezogene Fallarbeit in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung. In M. Kerkloh (Hrsg.), Interaktionsbezogene Fallarbeit: Ein praxisorientiertes Handbuch (S. 149-155). Stuttgart: Kohlhammer.

[4] Feiß et al. (2018).

[5] Young, J. E., Klosko, J. S. & Weishaar, M. E. (2005). Schematherapie: Ein praxisorientiertes Handbuch. Paderborn: Junfermann.

[6] Grünbaum, J. (2017). Die Entwicklung Interaktionsbezogener Fallarbeit (IFA) im Osten Deutschlands - eine Geschichte besonderer Beziehungen zwischen Ärzten und Psychologen mit Auswirkungen. Balint (18).

[7] Foulkes, S. H. (2007 [1944, 1974]). Gruppenanalytische Psychotherapie. Magdeburg: Klotz.

[8] Feiß et al. (2018), S. 51.

[9] Feiß et al. (2018), S. 53.

[10] Kerkloh, M. (2018). „Ablauf einer IFA-Sitzung“. In M. Kerkloh (Hrsg.), Interaktionsbezogene Fallarbeit: Ein praxisorientiertes Handbuch (S. 63-90). Stuttgart: Kohlhammer.

[11] Grünbaum, J. (2018).

[12] Ehrig, C. (2018).