Benutzer:Haendelfan/Karl Franz Dominique von Villers

Zeitschrift des Berliner Vereins Homöopathischer Ärzte 9.1890, S. 509-511

509 Nachruf

Seinem Freunde und hochgeehrten Kollegen Dr. Carl v. Willers.

In einer Zeit, wie die der letzten Decennien, zu der die weit hin ertönende Klage über Mangel an Zuwachs in unseren Reihen sich auch noch mit der über Indifferenz der Wissenschaft gegen über verband, ist es um so schmerzlicher, alte gewiegte Kämpfer aus unserer Mitte scheiden zu sehen. Zu dem innerlich von uns empfundenen Schmerze bei Verlust unserer Kampfgenossen gesellt sich auch noch die Besorgniss hinzu, welche bei einem Blicke auf alles uns Umgebende und in die nichts Hoffnungsvolles versprechende Zukunft in uns wachgerufen werden muss.

Männer, die immer schlagfertig, immer gewaffnet, immer bereit sind, einem feindlichen Anlaufe die muthige Stirne zu bieten, die von der Wahrheit der Wissenschaft durchdrungen, Gut und Blut daran setzen, um diese Wahrheit, wenn sie, gleichviel ob von un geweihter oder geweihter Hand, ob von Freund oder Feind ange tastet wird, zu schirmen, zu schützen und vor Unbill zu bewahren, solche Männer werden nicht alltäglich geboren, und dass der Ver storbene zu diesen Männern gehörte, wer wollte das wohl bezwei feln, oder gar bestreiten? 510 Von Hause aus ohne Sympathie für die Medizin — er war durch und durch Musiker von nicht alltäglichem Talente — und einzig und allein dem Willen des Vaters gehorchend, studirte er diese dennoch, erwarb sich Kenntnisse, mit denen nicht gar zu viele Staudesgenossen zu concurriren vermochten und hätte ihn nicht eigenes Beispiel und eigene Erfahrung der Homöopathie in die Arme geführt, er wäre wohl schwerlich je praktischer Arzt geworden.

Die Homöopathie war es, die ihn mit der Medizin aussöhnte, sie, die seiner Strebsamkeit Genüge zu leisten, seinem Geiste Nahrung zu verschaffen vermochte; was Wunder daher, wenn er sein ganzes Leben hindurch bis in sein acht Jahre lang dauerndes schmerzvolles Krankenlager hinein, es nicht unterliess, alles Das mit Beharrlichkeit energisch zu bekämpfen, was mit den Grund pfeilern der Homöopathie nicht im Einklang, oder gar ihr entgegen ging, wobei sein mit Humor reich ausgestattetes Gemüth sich nie verleugnend manche Feindseligkeiten schuf, die, obgleich zuweilen hinderlich auf die von ihm verfochtene Sache wirken mussten, dennoch weder seine Gesinnung zu ändern, noch seinen Muth zu lähmen vermochten. Besonders war ihm das, hier und da in Gang gesetzte, Liebäugeln mit den Koryphäen der herrschenden Schule, das sich durch gefällige und liebenswürdige Concessiouen äussert, verhasst und er unterliess es nie, seine Meinung frei auszusprechen, wie sie sich bei ihm formulirte, wie es denn auch nicht in seinem Wesen lag, etwas anders auszudrücken, als wie es in seinem Geiste sich zurechtgelegt hatte. Ein Gentleman durch und durch wusste er sich bei seinen allopathischen, oft sehr hochgestellten Kollegen, mit denen er zuweilen am Krankenbette zusammentraf, Achtung zu verschaffen und durch sein Auftreten und seinen Takt di« sonst von ihnen wohl gern in Gang gesetzten Spötteleien und Sarcasmen über die Homöopathie von Hause aus unmöglich zu machen, da durch aber, im Vereine mil seinen gründlichen Kenntnissen, musste die Homöopathie in den Augen der Gegner, eine andere Stellung, als die ihr von ihnen sonst gegebene, einnehmen.

Obgleich er grössere wissenschaftliche Werke, seine beiden in Madrid gekrönten und die nicht gekrönte Preisschrift über Diph therie etwa ausgenommen, nicht hinterlassen, so tragen doch meist alle seine polemischen Artikel seinen schon oben besprochenen der Homöopathie gegenüber eingenommenen Standpunkt zur Schau, den nämlich — wir können das nicht oft genug betonen — sie

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vor fremden, heterogenen und mit ihren Grundgesetzen nicht har- monirendeu Elementen zu schützen — ein Verdienst, welches be sonders in den letzten Jahrzehnten von allen der Homöopathie huldigenden Freunden derselben mit dem grössten Danke entgegen genommen zu werden verdient, und das schon allein für sich einem bleibenden Denkmale in unserer Mitte gleichkommt, wenn nicht bereits seine eiserne Beharrlichkeit sich durch die allgemeine Ver breitung des Cyanquecksilbers bei Behandlung der Diphtherie ein anderes, für ewige Zeiten unvergängliches Denkmal geschaffen hätte.

Sind wir unserem Dahingeschiedenen in Anerkennung seiner Verdienste als Mann der Wissenschaft, als Arzt und Kämpfer für die Wahrheit nach Kräften und Einsicht gerecht geworden, um wie viel mehr müssen wir uns verpflichtet fühlen, in ihm den Menschen hoch zu achten, ja zu verehren: stets bereit, ferne von jeglichem Eigennutz, Jedem die hülfreiche Hand zu bieten, Jedem ohne Ausnahme mit Rath und That beizustehen, verband sich ein Wohlwollen, eine Herzenswärme, die mit seiner lebhaften Theil- nahme an Allen und Allem, ein unbegrenztes Zutrauen, besonders bei seinen Patienten hervorrufen musste. Seine Discussionen über Gegenstände der Wissenschalt waren stets anregend und von höchstem Interesse, wie denn überhaupt er selbst mit seinem un verwüstlichen Humor, der ihn auch noch auf seinem höchst schmerzen vollen Krankenlager — bis kurz vor seinem Tode — nicht verliess, eine Erscheinung darstellte, die dem Ausspruch eines namhaften Dichters in höchster Vollkommenheit gerecht wird:

Als Du geboren wurdest, weintest Du, und die Umstehenden freuten sich; lebe so, dass, wenn Du stirbst, die Umstehenden weinen und Du Dich freust.

Dr. C. Bojanus sr.


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ein in früheren gesunden Jahren so überaus thätiger Mit arbeiter an unserer Zeitschrift, dessen wohlgetroffenes Por- trait die vorliegende Nummer dieser Zeitung bringt, wurde am 15. Januar 1817 in Leipzig geboren, und zwar i» dem wohlbekannten Hause „Schwarzes Brett", welches in der Goethestraße, gegenüber dem neuen Stadttheater, be legen ist. In feinem dritten Lebensjahre zogen seine Eltern nach Dresden. Er besuchte später die dortige Kreuzschule, dann aber das Nikolai-Gymnasium in Leipzig, und widmete sich in letzterer Stadt dem Studium der Medizin. In seine klinischen Lehrjahre fielen die Umwälzungen, welche die Wiener physiologische Schule mit sich brachte, in denen man die Kranken ohne Arznei zu lassen begann, weil man jede Behandlung für nutzlos hielt. C. v. Villers wurde dadurch an sich selbst irre; er hielt den Beruf des Arztes für ver fehlt und widmete sich, nach seiner im Jahre 1844 erfolgten Promotion zum Doctor der Medizin, musikalischen Studien. Eine Krankheit, in der ihn der geistvolle homöopathische Arzt I>r. Trincks mit Erfolg behandelte und ihm während des Genesungsstadiums seine akademischen Vorurtheile gegen die Homöopathie auszureden wußte, fährte ihn direct in unser Lager. Er begann Hahncmanns Heilmethode eifrig zu ftudiren und ist, wie die Folgezeit lehrte, einer ihrer eifrigsten Jünger geworden. Die homöopathisch-ärztliche Praxis begann er im Herbst des Jahres 1847 in Neu kirch a. H., doch folgte er schon nach Jahnsfrist einem Rufe nach Plauen i. B., um den daselbst verstorbenen Homöo pathen Dr. Handt^zu ersetzen. Nach vierjähriger Thätig- keit in Plauen nahm er ein Privat-Engagement nach St. Petersburg , in Rußland an, und obschon er diese Stellung bald aufgab, so kehrte er doch nicht nach Deutschland zu rück, sondern absolvirte an der dortigen medizinisch - chirur<

110 gischen Akademie die ärztliche Staatsprüfung. Zwanzig volle Jahre erfreute er sich einer sehr umfangreichen Praxis in seiner neuen Heimath; er wurde einer der beliebtesten Aerzte der russischen Residenz. Im August 1872 wurde er von einem schweren Schicksalsschlage betroffen. Aus Wildbad Gaftein zurückkehrend, erhielt er iu Königsberg ein Tele gramm, welches ihn nach Polen zu einem Kranken berief. Den sechsstündigen Weg zu demselben legte er in einer offenen Kibitka, ohne Schutz gegen die eiskalte Nachtluft, zurück, und erkrankte bald darauf an einer Nierenentzündung, zu welcher sich auch eine schmerzhafte Augen- und Ohren« Affectiv» gesellte, wodurch er über ein halbes Jahr lang bettlägerig krank wurde. Blind und taub, konnte er sich mit seinen Berathern nur noch durch in die Hohlhand getippte Buchstaben verständigen, und als er sich das Atropinisiren der Augen nicht mehr gefallen lassen wollte, da zogen sich die Aerzte von ihm zurück. Er mußte sich nun — zu seinem Glück — selbst behandeln. Was die Kunst der College» in einem halben Jahre nicht zu Stande gebracht, das erreichte er in wenigen Wochen durch den innerlichen Gebrauch von ^urum mnriatieuW in homöopathischer Ver dünnung. Schmerz und Lichtscheu wichen; das Sehver mögen kehrte wieder; doch blieb er schwerhörig, und er wurde nicht wieder ganzlich berufstüchtig. Da traf ihn ein neuer Schicksalsschlag. Ein Beamter, dem er sein ganzes Vermögen in Werthpapieren zum Umtausch anvertraut hatte, spekulirte damit an der Börse und verlor — Alles! Dr. v. Villers kehrte nach Deutschland zurück, erholte sich einigermaßen in Süddeutschland und ließ sich 1874 in Weimar als Arzt nieder, wo er bis 1877 praktizirte, dann aber nach Dresden und später nach Blasewitz überfiedelte. Trotz einer schweren Gelenkerkrankung, die ihn seit zehn Jahren heimgesucht hat und die ihn seit nahezu neun Jahren an das Bett fesselt, ertheilte er doch bis vor drei Jahren noch vielen Kranken ärztlichen Rath. Seit dieser Zeit über« ließ er die Praxis seinem in Dresden als Arzt thätigen Sohne. Mit bewunderungswürdiger Geduld hat der Greis in diesen langen Jahren sein qualvolles und schmerzhaftes Krankenlager ertragen, treu gepflegt von seiner edlen Gattin. Dieser tragische Ausgang eines an Mühen und Sorgen, aber auch an Erfolgen reichen Lebens erinnerte mich bei Besuchen in Blasewitz stets an die Matratzengruft des Dichters Heinrich Heine, welchem Carl v. Villers in vieler Hinsicht ähnelt. Er besitzt denselben sprühenden Geist wie dieser; fein starker Wille lehnt sich gegen die körperlichen Leiden auf und weiß diese seinen Besuchern vergessen zu machen, und auch die Selbst-Ironie Heine's fehlt ihm nicht. Wer die zahlreichen größeren und kleineren Abhandlungen kennt, welche er früher für unsere Fachpresse geschrieben hat, weiß es, daß er zu den begeistertsten Jüngern Hahnemanns gehört und manche anzweifelbarcn Theoreme desselben mit allen Hilfsmitteln der Dialektik verfochten hat, und daß in alle seine Publi kationen das attische Salz reichlich hineingestreut ist. Was er geschrieben, das war immer interessant, und nicht min der war der persönliche Verkehr mit ihm außerordentlich anregend, wenn auch durch sein Gehörleiden etwas er schwert. Er trug unter solchen Verhältnissen die Kosten der Unterhaltung oftmals allein. Sehen wir aber von allem diesem ab, so bleibt ihm für die Heilwissenschaft ein unvergänglicher Ruhm: unserem Dr. Carl v. Billers ver

danken wir die Einführung des Asronrins e?»r,ätus als Heilmittel der Diphtheritis, und so findet denn mit Fug und Recht das Dichterwort auf ihn Anwendung:

„Und wcr den Besten seiner Zeit genug gethan,

Der hat gelebt für alle Zeiten!" Phlm.