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Balbuta
Projektautor Alhierd Bacharevič
Jahr der Veröffentlichung 2017
Sprecher Figuren im Roman Europas Hunde
Linguistische
Klassifikation

Konstruierte Sprache

  • Fiktionale Sprachen
    • Balbuta
Sprachcodes
ISO 639-1

Balbuta ist eine konstruierte Sprache, die in dem Roman Europas Hunde des vielfach ausgezeichneten[1] belarussischen Autors Alhierd Bacharevič beschrieben wird. Der Roman erschien zuerst 2017 im belarussischen Original unter dem Titel Сабакі Эўропы, im März 2023 erklang die Sprache in der Theaterfassung Dogs of Europe des Belarus Free Theatre beim Festival Radar Ost im Deutschen Theater Berlin[2], 2024 folgte Thomas Weilers deutsche Übersetzung des Romans im Verlag Voland & Quist.[3] Mehrere Rezensionen des Romans im deutschsprachigen Feuilleton gingen auch auf Balbuta ein, etwa Sieglinde Geisel in der FAZ[4], Olga Hochweis in Deutschlandfunk Kultur[5], Thomas Hummitzsch im Freitag[6] oder Ilma Rakusa in der NZZ[7].

Balbuta bedeutet Sprache, aber auch Wort, Erzählung, Phrase, Ausdruck oder Name.

Balbuta im Roman

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Die Sprache wird im ersten Kapitel des Romans eingeführt als Erfindung des in Minsk lebenden Ich-Erzählers Oleg Olegowitsch, der auch Auskunft zur Entstehungsgeschichte gibt und die Regeln formuliert. In den weiteren Kapiteln taucht Balbuta immer wieder auf, sie spielt eine entscheidende Rolle für den gesamten Text. Mehrere Dialoge in Balbuta sind im Romantext enthalten, ein in Balbuta übersetztes Gedicht eines fiktiven Dichters „Imre von Stukar“, außerdem einige gänzlich in Balbuta gehaltene Seiten im fünften Kapitel. Beigegeben ist dem Romantext eine kurze Grammatik und ein Wörterbuch in der „Variante Kaštanka“, als Herausgeberin ist dort eine „Natalie von Steinfresser“ benannt. In der deutschen Ausgabe wurden Grammatik und Wörterbuch als gesondertes Beiheft realisiert.[5]

Balbuta-Philosophie

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Der Ich-Erzähler formuliert fünf Grundregeln für konstruierte Sprachen, die er in Balbuta verwirklicht sieht:

  • Einfachheit
  • Wohlklang
  • poetische Potenz
  • eigene Philosophie
  • Freiraum für Weiterentwicklung

Die besondere Balbuta-Philosophie formuliert er wie folgt:

"Die Balbuta-Philosophie beruht also auf Vielfalt, Freiheit und Poesie. Sie kennt kein »müssen«. Sie kennt kein »wir«, nur eine unendliche Vielzahl freier und einzigartiger »Ichs«. Sie kennt kein »Gott« – sollte jemandem einfallen, einen Gott haben zu wollen, benennt er ihn mit seinen Worten, die nur er gebrauchen kann und niemand sonst. Sie kennt kein Moralisieren und keine Moral, keine Wörter, die bewerten, ob etwas gut oder schlecht ist, richtig oder falsch." (Europas Hunde, Kap. 1, S. 37)

In einem Interview für Radio Svaboda erklärte der Autor 2018:

"Die von mir erdachte und konstruierte Sprache Balbuta ist der von Beginn an zum Scheitern verurteilte Versuch, absolute Freiheit zu erlangen. Denn Sprache ist im Grunde das perfekte Herrschaftsinstrument. Wer über eine Sprache verfügt, wird ihr Sklave. Sprache gerät immer außer Kontrolle und übernimmt die Kontrolle über uns. Und wiegt uns dabei in der Illusion, wir würden sie beherrschen."[8]

Alphabet und Phonologie

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Balbuta soll möglichst einfach sein, die wenigen Regeln lassen viele Freiheiten. In der Schreibung sind keine Sonderzeichen vorgesehen.

Balbuta kennt die Vokale a, e, i, o und u, Umlaute existieren nicht. Diphthonge werden mit angehängtem -i oder -j realisiert.

Konsonanten

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Die Konsontanten q, w und x werden in Balbuta nicht verwendet.

Aussprache

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Die Sprache kennt keine Zischlaute. Das s ist immer stimmlos, das z wird stimmhaft /z/ ausgesprochen. Vokale mit nachfolgendem -i oder -j werden als Diphthong gesprochen (/aj/, /εj/, etc.). Weitere Ausspracheregeln gibt es nicht.

Betonung

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Üblicherweise wird die vorletzte Silbe betont, in Substantiven das Endungs-u.

Substantive und Adjektive

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Bei Substantiven wird, anders als bei Adjektiven, durch die Endung zwischen Singular und Plural unterschieden:

Beispiel:

  • truduta (Stein) → trudutika (Steine)

Das Suffix -ejle markiert ein Kollektivum.

Beispiel:

  • dreuta (Baum) → dreutejle (Wald)

Es gibt kein grammatisches Genus. Das biologische Genus kann bei Substantiven durch ein Suffix der Betätigung oder des Berufs angezeigt werden.

  • männlich: -ask (in einer älteren Version: -aln)
  • weiblich: -unja (in einer älteren Version: -alinga)

Der Plural wird dann durch ein -o markiert.

Beispiel:

  • kartask (der Leser)
  • kartunja (die Leserin)
  • kartasko (die Leser)
  • kartunjo (die Leserinnen)

Balbuta unterscheidet lediglich zwischen einer Substantivendung für den Nominativ (Singular: -uta, Plural: -utika) und einer weiteren für alle anderen Kasus (Singular: -utima, Plural: -utikama). Adjektive enden grundsätzlich auf -oje und werden nicht flektiert.

Beispiele:

  • truduta trudoje (ein harter Stein)
  • trudutika trudoje (harte Steine)
  • trudutima trudoje (einen harten Stein, eines harten Steins, einem harten Stein, durch einen harten Stein, etc.)
  • trudutikama trudoje (harten Steinen, harter Steine, mit harten Steinen, etc.)

Bei Verben wird das Tempus mithilfe von Partikeln markiert, nicht aber die Person. Die Zeiten sind Vergangenheit, Gegenwart (nicht markiert), und Zukunft. Die Vergangenheitsform wird mithilfe der Partikel bim gebildet, die Zukunftsform mit bu. Der Konjunktiv wird durch die Partikel bif markiert.

Beispiele:

  • au bim kusuzu trudutima (ich habe einen Stein gegessen)
  • au kusuzu trudutima (ich esse einen Stein)
  • tau bu kusuzu trudutima (du wirst einen Stein essen)
  • nau bif kusuzu trudutima (er/sie würde einen Stein essen)

Der Imperativ wird durch Abtrennung des -zu gebildet.

Beispiel:

  • kusu! (iss)

Das dezimale Zahlensystem beruht auf: zironk (0), onk (1), donk (2), tronk (3), kronk (4), skonk (5), sonk (6), sidonk (7), otonk, teilweise auch fälschlich: etonk (8), nonk (9), dzonk (10). Weitere Zahlen:

  • stonk (100)
  • tisonk (1000)
  • milionk (1.000.000)
  • stonk sonkitronk (153)
  • tisonk donkisidonk nonk (1279)

Balbuta außerhalb des Romans

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Das Gedicht "Legoing klinkutima" (Leichter als Papier) fand auch Eingang in Bacharevičs Lyrikband Vieršy (Vesna 2022)[9], ergänzt um eine Übersetzung ins Belarussische von Andrej Chadanovič und eine Vertonung der Musikerin Vesna Cáceres. Die belarussische Psychedelic-Rock-Band Syndrom Samazvanca hat 2022 ein Album mit dem Balbuta-Numerale Sonk betitelt, die Gruppe Psautika Europoje veröffentlichte im selben Jahr ein gesamtes Album mit Songs in Balbuta.[10] Im Balbuta-Blog Balaguta u balbutima [11] sind mehrere literarische Texte und Übersetzungen in Balbuta enthalten, so ein Gedicht des Lyrikers Dzmitry Rubin, Fragmente aus Ulysses von James Joyce oder eine Übersetzung des bekannten Abendliedes (Tajnogrimuta timnutima) von Matthias Claudius.

In Minsk. Tagebuch erwähnt die Autorin Julia Cimafiejeva Balbuta im Zusammenhang mit Pit Paulau, Gitarrist der Rockband N. R. M., der den "Erfinder" der Sprache am 7. August 2020 in Minsk trifft, da er einen Song in Balbuta schreiben möchte.[12]

Außerdem gibt es eine Balbuta-Facebookgruppe[13] und den Internationalen Balbuta-Tag (Ujmaistoje Dinuta Balbutima) am 10. Januar.[14] In der oben genannten Gruppe findet sich der Beginn der Schöpfungsgeschichte in Balbuta: "U ksutima bim fuzu Nesuta autima da tutima ..."


Literatur

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  • Balbuta. Grammatik und Wörterbuch. Variante Kaštanka. Als Beiheft in: Alhierd Bacharevič: Europas Hunde. Roman. Übers. Thomas Weiler. Voland & Quist, Berlin 2024, ISBN 978-3-8639-1315-1
  • Наталі фон Штайнфрэсэр: Бальбута. Граматыка і слоўнік. Варыянт Каштанкі. Logvino literatūros namai, Vilnius 2017, ISBN 978-6-0982-1321-8
  • Натали фон Штайнфрессер: Бальбута. Грамматика и словарь. Вариант Каштанки. Vremya, Moskau 2020, ISBN 978-5-9691-1932-1
  • Владимир Ларионов: Роман обо всем. In: Nowy Mir 09/2019
  • Thomas Weiler: Moving Mova. Belarusische Prosa in Bewegung. In: Osteuropa 70. Jg., No. 10-11/2020, S. 357-368.
  • Simon Maas: Banned in Belarus: On Alhierd Baharevich's "Dogs of Europe". In: Cleveland Review of Books, 29.09.2022
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Einzelnachweise

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  1. Unter anderem für Europas Hunde wurde er 2021 geehrt mit dem deutschen Erwin-Piscator-Preis "für das kraftvolle Werk als einer der bedeutendsten belarussischen Schriftsteller". Abgerufen am 10. Januar 2024.
  2. Katja Kollmann: Sein oder nicht sein. Theaterfestival Radar Ost in Berlin. Abgerufen am 10. Januar 2024. taz 13.03.2023
  3. Europas Hunde bei Voland & Quist. Abgerufen am 9. Januar 2024.
  4. Sieglinde Geisel: Und wer war schuld? Niemand. Abgerufen am 30. Juli 2024. FAZ 06.06.2024
  5. a b Olga Hochweis: Eine Kunstsprache, die Freiheit verspricht. Abgerufen am 6. August 2024. Deutschlandfunk Kultur 04.06.2024
  6. Thomas Hummitzsch: Balbuta kennt kein „wir“. Abgerufen am 30. Juli 2024. Freitag 13.06.2024
  7. Ilma Rakusa: Ein schwindelerregender Parcours durch Zeiten und Räume – Alhierd Bacharevičs satirisch-dystopischer Roman «Europas Hunde» hat hypnotisierende Wirkung. Abgerufen am 30. Juli 2024. NZZ 15.06.2024
  8. Bacharevič-Interview Radio Svaboda, 02.03.2023. Abgerufen am 10. Januar 2024.
  9. Alhierd Bacharevič: Vieršy. Vesna, Prag 2022, S. 131. ISBN 978-80-907359-5-8
  10. Что мы слушали в 2022 году. Abgerufen am 12. Januar 2024.
  11. Balbuta-Blog. Abgerufen am 10. Januar 2024.
  12. Julia Cimafiejeva: Minsk. Tagebuch. Aus dem Englischen von Andreas Rostek. Edition.fotoTAPETA, Berlin 2021, S. 14. ISBN 978-3-949262-04-3
  13. Balbuta-Facebookgruppe. Abgerufen am 9. Januar 2024.
  14. Grußwort zum Internationalen Balbuta-Tag 2022. Abgerufen am 9. Januar 2024.