Amelie Rother soll eine der ersten Berlinerinnen auf dem Fahrrad gewesen sein. Neben dem gelebten Aktivismus als Vorsitz des Damenradfahr-Klubs in Berlin schrieb sie unter anderem einen Artikel „Das Damenradfahren“ in dem Buch „Der Radfahrsport in Bild und Wort“, erschienen im Jahr 1897. Das Buch beinhaltet beispielsweise Kapitel über die Historie, die Fahrschule, die Hygiene oder die rechtlichen Parameter, welche alle ausnahmslos von männlichen Autoren verfasst wurden. Amelie schrieb als einzige Frau einen Artikel darin. Sie berichtete nur von selbst erlebten Erfahrungen und wollte Aufklärung und Mut verbreiten. Die Kleiderfrage behandelt sie auf das Fahrrad ausgerichtet.­­ Weitere Themen waren ein kleiner Exkurs zur Gesundheit der Frau sowie Damenrennen in Berlin, als auch Hilfestellungen bezüglich des Fahrens.

Frau Rother fuhr mit ihrer Freundin Fräulein Clara Beyer 1890 das erste Mal auf Dreirädern durch Berlin. Zuerst wagten sie es auf Waldchausseen und trauten sich eines Nachmittags auf dem Blücherplatz in aller Öffentlichkeit zu fahren. Die Rückmeldung war ihnen gegen über abwehrend. Verspottung, Missmut und Fassungslosigkeit begegnete ihnen. Nach einiger Zeit gesellte sich Ida Caspari der Frauengruppe hinzu. Laut Amelie wirkte sich das Radfahren auf das Freiheitsgefühl der Frau aus. Die Mobilität bewirkte Willen und Stärke für ein neues gleichberechtigteres Selbstbild.[1]

Für die Berlinerin stand fest, sich anlassorientiert zu kleiden. Die sportlichen Ertüchtigungen sollten nicht durch kaum funktionale Kleidung, wie ein Korsett oder ein zu langer Rock, behindert werden. Sie verstand nicht, weshalb eine Frau nicht auch eine Hose für den Radsport tragen sollte. In ihrem Beitrag schrieb sie sarkastisch: „Ist doch noch niemand darauf gekommen, beide Arme in ein Futteral zu stecken. Es ist nicht Sitte! Richtig! Aber warum sollte es nicht Sitte werden?“ (Amelie Rother 1897, S.119, Zeile 50) Dennoch grenzte sie sich auch davon ab, außerhalb des Sportes eine Hose zu tragen. „Leider giebt es auch, Gott sei Dank nur wenige, Radfahrerinnen, die radfahren, nur um Hosen zu tragen. Die mögen es anders machen, für die schreibe ich nicht.“ (Amelie Rother 1897, S. 119, Zeile 119) Nach ihren Beobachtungen orientierten sich die deutschen Damen an der französischen Mode. Dort setzte sich das praktische Trikot auf dem Rad durch.

Amelies Empfehlungen bezüglich Kopfbedeckungen waren eine Matrosenmütze, ein Tropenhelm, ein Wachshut oder ein Strohhut. Auf dem Pedal eigneten sich Halbschuhe, in denen man einen saisonal angepassten Strumpf trug. Bei Regen kombinierten sie Gamaschen zu ihrem Schuhwerk. Da man ca. 35-40 cm Tretweite durch das Auf- und Abbewegen der Pedale hat, erübrigte sich für die Pionierin die Hosenfrage. Ebenso setzte die mit Maxirock bekleidete Frau auf dem Sattel ihre Sicherheit aufs Spiel. Die Konsequenz sei eine kurze Variante des Rockes. Vorreiter dieser Entwicklung seien die Amerikanerinnen gewesen, darauf folgten die Engländerinnen, Französinnen, Däninnen und auf dem fünften Platz seien die deutschen Frauen gewesen. Amelie führte zudem einen Vergleich der Kleidersitte in orientalischen Kulturen, wie der Türkei auf, an. Die Türkinnen hätten schon seit Jahrtausenden Hosen getragen. Sie selbst trug auf dem Drahtesel eine Bloomer Hose und hängte einen Rock über die Lenkerstange für danach. Des Weiteren schlug sie das Mitführen eines Regenmantels und Wechselkleidung vor. [2]

Rother erklärte Konstruktionen für Sonnenschirme und Schoßhündchen am Rad als unbrauchbar. Wichtiger seien Werkzeug, Ersatzschlauch, Licht mittels Zylinder oder Öllampe mitzunehmen. Ihre Wahl fiel auf Herrenräder, da diese deutlich leichter waren. Nach dem Dreirad wechselte sie 1892 zu einem alten treuen Opel-Damenrad mit Michelin-Reifen. Das Gerät wog 42 Pfund (20 Kilogramm). Sie sparte mit dem neuen Mobil 30 Pfund (13,6 Kilogramm) ein. Für die Zukunft wünschte sie sich weitere Fortschritte der angestoßenen Fahrradbewegung für Damen und war dem gegenüber positiv gestimmt.

  1. Paul von Salvisberg: Der Radfahrsport in Bild und Wort. Nachdr. d. Ausg. München 1897 Auflage. Hildesheim 1980, ISBN 978-3-487-08216-5 (worldcat.org [abgerufen am 18. März 2022]).
  2. Paul von Salvisberg: Der Radfahrsport in Bild und Wort. Nachdr. d. Ausg. München 1897 Auflage. Hildesheim 1980, ISBN 978-3-487-08216-5 (worldcat.org [abgerufen am 18. März 2022]).