Strategische Ambiguität ist ein Begriff aus der Politologie.[1] Er bezeichnet ein Konzept der gewollten Mehrdeutigkeit politischen[2], militärischen[3] und wirtschaftlichen[4] Handelns. Das Konzept der strategischen Ambiguität[5] besteht darin, einen politischen Gegner bewusst über die eigenen Planungen im Unklaren zu lassen und so den Gegner darin zu stören, eigene Planungen zu entwickeln.[6] Gleichzeitig hält man sich selbst Optionen für flexibles Handeln, gerichtet auf unterschiedliche Absichten und Ziele, offen.[7]
Anwendungsfälle
BearbeitenDas Konzept der gewollten Mehrdeutigkeit politischen Handelns findet gerade in besonders heiklen politischen Konflikten Anwendung.[8]
Atomwaffen Israels
BearbeitenIsrael hat sich zu der Behauptung, über Atomwaffen zu verfügen, nie geäußert.[9] Israel verfolgt damit das Konzept der Strategischen Ambiguität: Potentiellen Gegnern Israels ist die Planung eines Angriffs auf Israel erschwert, weil sie das Risiko eines Gegenschlags nicht abschätzen können.[10][11]
Taiwan-Konflikt
BearbeitenDas Konzept der strategischen Ambiguität[12] ist für die Außenpolitik der USA das Mittel der Wahl[13], wenn es darum geht, China von einem Angriff auf Taiwan abzuhalten.[14][15][16] Es werden in der Presse auch vermehrt Parallelen gezogen zwischen dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem drohenden Überfall Chinas auf Taiwan.[17]
Konflikt zwischen Indien und Pakistan über die Provinz Kaschmir
BearbeitenIndien und Pakistan sind beides Atommächte. Seit 1947 besteht der Streit zwischen beiden Ländern über die Provinz Kaschmir.[18] Auch in diesem Fall wird der ganz große militärische Schlagabtausch letzten Endes mit Hilfe des von beiden Seiten praktizierten Konzepts der strategischen Ambiguität vermieden.[19][20]
Verhinderung des Überfalls auf die Ukraine
BearbeitenDie Politik des Westens gegenüber Putin verzichtet auf politischem[21] und militärischem Gebiet[22] auf jede Art von Mehrdeutigkeit: Der Westen stellte von vornherein klar, dass er eine Aufnahme der Ukraine in die NATO sowie den Einsatz eigener Truppen ablehnt.[23] Der Westen beschränkt eine Mehrdeutigkeit lediglich auf das Gebiet der Wirtschaft:[24] Der Westen behält es sich vor, weitere Sanktionen bzw. ein Embargo auf den Import von Rohstoffen zu verhängen.[25] Da also Putin in der Zeit vor dem 24. Februar 2022, als er über die Chancen und Risiken eines Überfalls auf die Ukraine nachdachte[26], über die politischen und militärischen Absichten des Westens genauestens im Bilde war[27], musste er nur noch die wirtschaftlichen Risiken abwägen.[28] Dieser Umstand erleichterte es Putin, sich zu dem Überfall auf die Ukraine zu entscheiden.[29]
Literatur
Bearbeiten- Barry O’Neill: Game Theory Models of Peace and War, in Robert Aumann und Sergui Hart (Hrsg.), Handbook of Game Theory with Economic Applications, vol. II. Amsterdam: Elservier, 1994, abgerufen am 24. März 2022
- T.Y. Wang: Strategic Ambiguity: An Outmoded Relic of US Foreign Policy, 1997
- ders.: From ‘Strategic Ambiguity’ to ‘Active Engagement’: A New Approach to the Taiwan Issue, Current Politics and Economics of the United States v3, no.1 (1999): 1-18
- Emerson Niou: Eine Theorie der doppelten Abschreckung: Glaubwürdigkeit, bedingte Abschreckung und strategische Ambiguität
- Brett V. Benson und Emerson Niou: Comprehending Strategic Ambiguity: U.S. Security Commitment to Taiwan, 2001
- Brett V. Benson: A Theory of Strategic Ambiguity: Credibility, Transparency, and Dual Deterrence, 2006
- Eric M. Eisenberg: Strategic ambiguities: Essays on communication, organization and identity, 2007
- Rezension, abgerufen am 24. März 2022
- Thomas M. Ogden: Strategic Ambiguity: Thoughtful Engagement or a reckless Gamble?, 2010, abgerufen am 24. März 2022
- T.Y. Wang: Strategische Ambiguität oder Strategische Klarheit? US-Politik gegenüber der Taiwan-Frage, abgerufen am 24. März 2022
- Emerson Niou: Eine Theorie der doppelten Abschreckung: Glaubwürdigkeit, bedingte Abschreckung und strategische Ambiguität
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ FAZ, Wo Deutschland steht, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ Der Freitag, Ein Musterbeispiel strategischer Abhängigkeit, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ FAZ, Strategische Mehrdeutigkeit, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ Gabler Wirtschaftslexikon, Ambiguität, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ Universität Bielefeld, Ambiguität in Spielen: Die Rolle von Unsicherheit in strategischen Interaktionen, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ strategicplay, Wie reagieren wir auf Ambiguität?, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ National Review, Das Scheitern der strategischen Ambiguität, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ Sandeep Baliga und Tomas Sjöström, Strategic Ambiguity and Arms Proliferation, abgerufen am 24. März 2022
- ↑ Die Zeit, Sicherheitsgarantien? Im Zweifel wertlos, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ New York Times, Vage, undurchsichtig und mehrdeutig – Israels stillschweigende Atompolitik, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ Atomwaffen A-Z, Das israelische Atomwaffenprogramm, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ Associated Press, China schwört keine Zugeständnisse an Taiwan nach Bidens Kommentaren, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ NZZ, Bietet der Krieg in der Ukraine eine Gelegenheit für Xi Jinping, Taiwan anzugreifen?, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ Handelsblatt, Invasion in Taiwan? Experten halten baldigen Angriff Chinas für unwahrscheinlich, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ Reservistenverband, Werden die USA Taiwan zur Seite stehen?, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ Republicworld, Die USA müssen die "strategische Unklarheit" über Taiwan inmitten der Feindseligkeiten Chinas aufgeben, sagt der ehemalige japanische Premierminister, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ Wiener Zeitung, Die Ukraine als Lehrstück für Taiwan, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ Qantara, Entspannung zwischen Indien und Pakistan?, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ The Express Tribune, Strategische Unklarheiten in Indiens nuklearem doktrinärem Gehabe von Dr. Zafar Khan, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ Dietmar Rothermund: Krisenherd Kaschmir: Der Konflikt der Atommächte Indien und Pakistan, 2002
- ↑ Konrad Schuller, Kein Churchill nirgends, abgerufen am 23. März 2022
- ↑ Der Tagesspiegel, Man muss nicht immer alle Karten auf den Tisch legen, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ ZDF, Klare Haltung gefragt, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ Henrik Meyer, Strategische Ambiguität, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ NZZ, Abschrecken heisst: Mit konkreten Sanktionen drohen, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ FAZ, Gespräch ohne Garantie, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ Tagesschau, Bidens Vertrauensvorschuss, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ Tagesschau, Putins hybride Kriegsführung, abgerufen am 21. März 2022
- ↑ Der Spiegel, Ein Engel mit einem Schwert ist immer noch ein Engel, abgerufen am 21. März 2022
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