Los desastres de la guerra oder Die Schrecken des Krieges ist ein Zyklus von 82 Radierungen des spanischen Malers Francisco de Goya, die etwa zwischen 1810 und 1820 entstanden - der genaue Entstehungszeitrum ist umstritten. Mit diesem Werk verarbeitet Goya die Schrecken, die der spanische Unabhängigkeitskrieg für Soldaten und Zivilisten mit sich brachte. Er zeigt Plünderungen, Vergewaltigung, Folter und Mord; die Sinnlosigkeit des Krieges unterstreicht er mit bitteren, zynischen Ausrufen oder Sätzen. Hierbei nahm er in seinen Darstellungen die moderne photographische Kriegsberichterstattung vorweg, denn er zeigt nicht nur Schlachtfelder und ein geschöntes und heldenhaftes Bild des Krieges, sondern auch – und besonders – das sinnlose Leiden der Bevölkerung und des Einzelnen.
Nach dem Wunsch des Malers sollten die Arbeiten “die Menschen für ewig ermahnen, nie mehr Barbaren zu sein”. Er gab dem Zyklus den Titel Fatales consequencias de la sangriente guerra en Espana con Buonaparte y otros caprichos enfáticos (Verhängnisvolle Folgen des blutigen Krieges in Spanien gegen Bonaparte und andere ergreifende Launen).
Mit diesen Radierungen erreichte der Spanier nach Einschätzung seiner Kritiker neben seinen Fresken, Teppichen und Portraits den Gipfel seines künstlerischen Wirkens. Die „Desastres" sind erst 1863, also 35 Jahre nach Goyas Tod, in einer ersten Auflage gedruckt worden.
Ursprung
BearbeitenCapricho-Prinzip Den geschichtlichen Hintergrund des Werks bilden Einfall und Besetzung Spaniens durch napoleonische Truppen von 1807 bis 1813.
Einordnung
BearbeitenDas Elend des Krieges wird von Goya in dieser Serie besonders schonungslos und eindringlich dargestellt. Die Radierungen schildern die Gräueltaten der Soldaten Napoleons im Kampf mit der aufständischen spanischen Bevölkerung gegen die französische Besatzung. Dennoch bezieht Goya nicht Stellung für die spanischen Guerillakämpfer: Er zeigt auch die Grausamkeiten, die an den französischen Invasoren begangen wurden.
Dabei hat Goya von den eigentlichen Kriegshandlungen wenig persönlich mitbekommen. Er kannte die Gräuel nur vom Hörensagen und aus den Berichten Betroffener. Die Tatsache, dass die Radierungen und auch die Vorzeichnungen bis auf die Ausnahme von Blatt 7 nicht vor Ort, sondern in seinem Madrider Atelier entstanden, unterstreichen ihre zeitübergreifende Eindringlichkeit und Aktualität.
Goya zeichnet ein Bild des Kriegs, das sich jedes staatspolitischen Urteils enthält. Allein das irrational wütende Grauen thematisiert er. Der Krieg als übermenschliche Dynamik reißt unterschiedslos Soldaten wie Zivilisten, vor allem aber die Armen und Rechtlosen in die Abgründe menschlicher Perversion. Die Bilder zeigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Vernunft als solche gegen den Staat Spanien, nämlich Vergewaltigungen, Erschießungen, Massakrierungen, Leichenberge, Halbtote, ineinander verbissen und mit tumben Blick. Auch der Klerus wird demaskiert - als opportuner Kriegstreiber verkommt sein Pathos zur Heuchelei.
Goya unterscheidet sich damit vom französischen Zeichner und Radierer Jacques Callot, der 1633 die Invasion Lothringens durch Kardinal Richelieus Truppen in einer Serie von 18 Radierungen unter dem Titel Les misères de la guerre (Die Kriegsgräuel) veröffentlichte. Callot nämlich bezog sehr wohl Stellung: Nicht nur in seinen bühnenartig arrangierten Bildkompositionen, die bereits auf die Rechtmäßigkeit der notariell zur Schau gestellten Gräuel verweisen, sondern auch in den die Bilder kommentierenden Texten, die in festgelegter Reihenfolge die Vergehen, die Gefangennahme und schließlich die Hinrichtung krimineller Taugenichtse zu bezeugen vorgeben.
Goya verzichtete in seinem Werk auf legitimatorische Kommentare, nahm keine Wertung vor. Die teils geheimnisvollen Motive beschreiben die Kriegsgräuel auf einer allgemeineren Ebene, deren gesellschaftspolitische Bezugnahme, trotz des oft sichtbaren Aufschreis gegen den Krieg, vage bleibt. Malerisch thematisierte Goya die Kriegsereignisse in Werken wie Die Erschießung der Aufständischen vom 3. Mai 1808 (1814).
Der Zyklus
BearbeitenNach einer Zusammenfassng der umfangreichen Interpretationsgeschichte von Javier Blas Benito[1] und Jesusa Vega[2] zeigt Goya statt klassischer Schlachtendarstellungen, wie sie aus der Barockzeit bekannt sind, Detailaufnahmen von Folter, Vergewaltigung, Hunger und Tod "in einer ungewohnten Drastik und Nahsicht, bei Ausreizung der technische und formal zur Verfügung stehendne Möglichkeiten druckgraphischer Gestaltung"[3] entschieden. Statt einer Darstellung berühmter oder markanter Schlachtfelder zeigt er leichengesäumte Landschaftszüge, die keine Lokalisierung ermöglichen.
Inhaltlich gliedern sich die Radierungen in drei Gruppen:
- Die Kriegsereignisse unter Napoleon (Des. 2-47),
- die Madrider Hungersnot 1811/12 (Des. 48-64) und
- die Caprichos enféticos (Des. 65-82)
Napoleon (Des. 2-47)
BearbeitenBlatt 7 Welcher Mut! gilt als einzige Darstellung des Zyklus, die ein historisches Ereignis zum Inhalt hat. Es zeigt die legendäre Frau von Saragossa, die 1808 während der Verteidigung der Stadt gegen die französishe Übermacht anstelle ihres gefallenen Mannes eine Kanone bediente. [4] Es entstand vermutlich, als 1808 ein kommandierender und offenbar kunstsinniger General Goya nach Saragossa kommen ließ, um die heldenhafte Haltung der Bewohner während der Belagerung in Bildern zu verewigen. Goya hat das Ereignis selbst allerdings nicht miterlebt; ihm diente ein Stich von J. Gálbez und F. Brambila als Anregung.[5]
Nummer 17 No se convienen (Sie sind sich nicht einig), das zwei berittene Offiziere vor dem Hintergrund einer Schlachtfeldszenerie zeigt ist das einzige Blatt der Serie, das an die Tradition klassischer Schlachtendarstellungen erinnert und ist gleichzeitig die am meisten kritisierte Arbeit der Serie, wird bisweilen schlicht für misslungen eingeschätzt.[6]
Werner Hofmann beschrieb die angehäuften Leichen in Beerdigen und Schweigen (Des 18) als „Kreaturen, die aus einem Konzentrationslager stammen könnten“.[7]
Ein tatsächliches Geschehen wird - wie bei Blatt 7 - auch hinter Blatt 37 (Das ist schlimmer) vermutet. Es zeigt einen einen nackten, grauenvoll vestümmelten, auf einen Baumstumpf aufgespießten Man. Auf der Rückseite eines Probedrucks vermerkte Goya eigenhändig: „el de Chinchon“. In diesem Ort in der Nähe von Madrid hatten die Franzosen im Dezember 1808 die Tötung zweier oder dreier ihrer Soldaten durch die Bevölkerung gerächt, indem sie über hundert Bewohner massakrierten. Zwar wird Goya auch hier nicht selbst Zeuge dieser Vorgänge gewesen sein, doch war sein jüngerer Bruder Camilo (1753-1828) in jener Zeit Pfarrer in Chinchón und mag von den Ereignissen berichtet haben.[8]
Blatt 43, Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer Blatt 44 Ich sah es gilt als eine der formal schwächsten des Zyklus.[9]
Blatt 54: Niemand kann wissen. Blatt 55: Der Erdrosselte Blatt 56: Ebensowenig. Blatt 57. Zerstörungen des Kriegs. Blatt
Madrider Hungersnot 1811/12 (Des. 48-64)
BearbeitenCaprichos enféticos (Des. 65-82)
BearbeitenBlatt 77, Hoffentlich reißt das Seil
Die Radierung Blatt 81 (Wildes Ungeheuer!) etwa zeigt einen verendenden Tapir, der als letzten Atem ein Bündel menschlicher Leiber auswürgt. Das Bild wird gedeutet als Hoffnung auf ein liberaleres Spanien, das nach dem Tod des archaischen Spaniens 1812 möglich schien. Christliche Bildmotive (Jonas im Bauch des Wals) sowie die Darstellungen des Jüngsten Gerichts durch Pieter Breughel d. Ä. lassen den Tapir als Graböffnungsszene erscheinen. Die ausgewürgten athletischen Körper hingegen als hoffnungsfrohen und im Kern gesunden Volkskörper. Diese Deutung erscheint umso plausibler, als dass „Wildes Ungetüm“ zwischen zwei Radierungen eingereiht ist, die einerseits den Tod wie auch die Auferstehung der Wahrheit, also wiederum die liberale Verfassung Spaniens verbildlichen.
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Traurige Vorahnungen dessen, was geschehen wird
Veröffentlichung
BearbeitenZu Goyas Lebzeiten wurden die Radierungen nicht veröffentlicht, offenbar bewusst. Tomás Harris vermutet, dass ihm bei Vollendung des Zyklus die Kriegs- und Hungerszenen so wenig ansprechend erschienen seien, dass er einen finanziellen Fehlschlag, wie bei den Caprichos, befürchtete. Weiterhin war es in dieser Zeit der Unterdrückung gefährlich, satirische oder antiklerikale Sujets (wie Des. 66-68, 71, 75, 77, 79 sie darstellen) zu veröfentlichten. Als obszön und damit ebenfalls provozierend mussten in den Augen der Inquisition auch die Variationen des Thema sexueller beziehungsweise sadistischer Gewalt gegenüber Frauen (Des. 11, 13, 19, 30, 41) und Männern (Des. 33, 37, 39) erscheinen.[10]
Und weil es ihm offenkundig unmöglich erschien, die Desastres zu publizieren, nahm sich Goya ein anderes , ein politisch indifferentes Themavor: die Tauromaquia, den Stierkampf. Dieser 33 Radierungen umfassende Zyklus entstand zwischen 1814 und 1816.
Nach Fertigstellung der Desastres hatte er jedoch seinem Freund Ceán Bermúdez ein Album aus rotem Leder mit dem goldfarbenen Aufdruck Capricho übergeben, womit er selbst den Zusammenhang zu Los Caprichos herstellte. Das Album enthielt 85 Probedrucke mit Angabe der Seitenzahlen - spätere Abzüge von den Druckplatten konnten dementsprechend in angedachter Form gebunden werden. Die drei weiteren drei Radierungen (Gefangener) des Albums gehören nicht zum Zyklus. Erst posthum, 1863, wurden die Radierungen als Sammlung von 80 Blatt von der königlichen Academia de San Fernando in Madrid veröffentlicht. Blatt 81 (Wildes Ungeheuer) und 82 (Das ist die Wahrheit) waren in dieser ersten Auflage nicht enthalten; sie gelangten erst 1870 in den Besitz der Academia. Weitere Auflagen folgten 1892, 1903 und 1906.
Nach Francis D. Klingender gelten Jacques Callots Radierungen Die Großen Schrecken des Krieges (1633) und Die Kleinen Schrecken des Krieges (1635) als wichtige Vorläufer. Callot allerdings wahrt in seinen Werken den Abstand des Berichterstatters und bleibt vergleichsweise unbeteiligt.[11]
Rezeption
BearbeitenTerés zu den Caprichos: „Der Künstler zeigt eine der Vernunft beraubte Welt und lässt die Schattenseite der Wirklichkeit sprechen, die nur in Träumen gelebt und gefühlt wird und nur als wirklich erlebt wird, wenn die Vernunft schläft“. Zu den Desastres führt er aus: „In Goyas Serie sind alle Protagonisten ohne Ausnahme gleichzeitig Opfer und Henker. Der Krieg der Desastres zeigt die Entfesselung der niedrigsten menschlichen Instinkte, welche das Volk zum Pöbel (Nr. 28), normale Leute zu blinden Schlächtern, wie in Blatt Nr. 3, sowie Frauen und Mütter, wie in Blatt Nr. 5, zu blutrünstigen Bestien werden lässt. Goya stellt - trotz der erwähnten Anonymität - konkrete Personen dar, deren Gesichtszüge erkennbar sind, Individuen, die im Ausnahmezustand des Krieges dazu fähig sind, unvorstellbare Verbrechen zu begehen und bringt uns dadurch auch in die Nähe von neueren Theorien über das Verhalten der Deutschen im Zweiten Weltkrieg.“
1983 entstand ein Orchesterwerk gleichnamigen Titels des Komponisten Michael Denhoff, welches sich auf sieben Bilder dieses graphischen Zyklus' von Goya bezieht.
Im Musé Goya in Castres.
Voznesenskij, Gojja, paradoxes Rollengedicht, 1959 http://books.google.de/books?id=J7bIfZenhukC&pg=PA334&dq=Die+Schrecken+des+Krieges+goya&hl=de&ei=PT1dTcH5NMeU4gb83OSnCw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=3&ved=0CDoQ6AEwAg#v=onepage&q=Goya&f=false
Literatur
Bearbeiten- Sigrun Paas-Zeidler: Goya - Radierungen, Hatje Cantz Verlag, Stuttgart 1978, ISBN 3-7632-2331-2
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Javier Blas Benito: Los Desastres de la Guerra y su fortuna critica. In: Misera humanidad la culpa es tuya. Estampas de la Guerra de la Independencia. Kat. Madreid 1996
- ↑ Jesusa Vega: The Dating and Interpretation of Goya's Disasters of War. In: Print Quarterly XI/1 (1994), S. 3-17
- ↑ Godehard Janzing: Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Graphik. Krieg als Capricho bei Francisco de Goya. In: Steffen Martus, Marina Münkler, Werner Röcke: Schlachtfelder: Codierung von Gewalt im medialen Wandel. Akademie Verlag, 2003 ISBN 3050035870. S. 51
- ↑ Traeger. s. 145
- ↑ Traeger. S. 145
- ↑ Godehard Janzing: Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Graphik. Krieg als Capricho bei Francisco de Goya. In: Steffen Martus, Marina Münkler, Werner Röcke: Schlachtfelder: Codierung von Gewalt im medialen Wandel. Akademie Verlag, 2003 ISBN 3-05003-587-0. S. 52
- ↑ Hofmann
- ↑ Traeger. S. 145
- ↑ Traeger
- ↑ Harris
- ↑ Klingender
Literatur
BearbeitenEinführend und zur Biografie des Künstlers:
- Jutta Held: Francisco de Goya. Reinbek bei Hamburg 1980.
- Jörg Traeger: Goya: die Kunst der Freiheit. C.H.Beck, 2000. ISBN 3-40646-672-9
Zusammenfassung der Interpretationsgeschichte:
- Javier Blas Benito: Los Desastres de la Guerra y su furtuna crítica. In: Mesera humanidad la culpa es tuya. Estampas de la Guerra de la Independencia. Kat. Madris 1996.
- Jesusa Vega: Gatales consecuencias de la Guerra. Francisco de Goya pintor. In.: Francisco de Goya. Grabador. Instanténea. Bd. 2. Kat. Madrid 1992, S. 17-48.
Zur Datierung der Serie:
- Jesusa Vega: The Dating and Interpretation of Goya's disasters of War. In: Prin Quarterly XI/I (1994), S. 3-17.
Zu Goyas technischen Neuerungen:
- Jesusa Vega: The Modernity of Los Desastres de la Guerra. In: Goya. Neue Forschungen. Das internationale Symposium 1991 in Osnabrück. Hsg. Jutta Held. Berlin 1994. S. 113-123
Weblinks
BearbeitenCommons-Bilder: http://commons.wikimedia.org/wiki/Los_desastres_de_la_guerra