Ein Mindestlohn ist ein in der Höhe durch eine gesetzliche Regelung oder durch einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag festgeschriebenes oder aufgrund der Unzulässigkeit von Lohnwucher gegebenes kleinstes rechtlich zulässiges Arbeitsentgelt. Eine Mindestlohnregelung kann sich sowohl auf einen Stundensatz als auch auf einen Monatslohn bei Vollzeitbeschäftigung beziehen.
Politische Diskussion
BearbeitenBranchenspezifische Mindestlöhne und besonders ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn werden unter sozial- und arbeitsmarktpolitischen Aspekten in Wirtschaftswissenschaft und Politik kontrovers diskutiert. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem die folgenden Argumente:
Geringqualifizierte Arbeiten
BearbeitenMindestlohnregelungen betreffen im Regelfall nur geringqualifizierte Arbeiten, da höher qualifizierte Arbeiten ohnehin deutlich oberhalb möglicher Mindestlöhne bezahlt werden. Mindestlohnregelungen sollen also den Niedriglohnsektor beeinflussen und die Entgelte für geringqualifizierte Arbeit verbessern.
Existenzminimum
BearbeitenSchon der Moralphilosph Adam Smith schrieb 1776: „Der Mensch ist darauf angewiesen, von seiner Arbeit zu leben, und sein Lohn muß mindestens so hoch sein, daß er davon existieren kann. Meistens muß er sogar noch höher sein, da es dem Arbeiter sonst nicht möglich wäre, eine Familie zu gründen.“[1]
Vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer sollen in der Lage sein, ihr soziokulturelles Existenzminimum allein durch ihr Arbeitseinkommen, also ohne zusätzliche Sozialleistungen vom Staat, sicherzustellen. Die Höhe des Mindestlohns müßte sich demzufolge an dem Existenzmimum des betreffenden Landes orientieren und für alle Branchen einheitlich sein.
Kosten-Nutzen-Rechnung
BearbeitenUnternehmer müssen die erhöhten Lohnkosten an ihre Kunden in Form von Preiserhöhungen weitergeben. Dabei kann es sich ergeben, daß die Nachfrage bei höheren Preisen sinkt und demzufolge auch Produktion und letztlich Arbeitsstellen reduziert werden müssen.
Ein Unternehmer wird zudem nur dann einen Arbeitnehmer einstellen, wenn der Ertrag aus dessen Arbeit die Kosten des Arbeitsplatzes übersteigt, d.h. wenn der Unternehmer durch Eingehen des Arbeitsverhältnisses einen Gewinn erzielen kann. Muß nun ein Mindestlohn gezahlt werden, so muß jeder Arbeitnehmer auch eine entsprechende Mindestleistung erbringen. Gegner von Mindestlohnregelungen wenden daher ein, daß es auch Arbeitnehmer gebe, deren Leistungsfähigkeit diesem Mindestanspruch nicht genüge und es auch schon immer Personen gegeben hätte, deren Arbeitsleistung nicht ausreichte, um ihre eigene Existenz zu sichern. Solange es genug leistungsfähige Kandidaten für eine Stelle gäbe, würden daher Personen vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt,[2] [3] die diese Mindestleistung nicht zu erbringen vermögen und stattdessen nun vollständig vom Staat alimentiert werden müssen.
Ausweichmöglichkeiten der Unternehmer
BearbeitenUnternehmer versuchen dem durch Mindestlöhne ausgeübten Zwang auszuweichen, insbesondere stehen ihnen folgende Optionen offen:
- Rationalisierung und Automatisierung unter Wegfall von Arbeitsplätzen
- Auslagerung der Produktion und Investitionstätigkeit ins Ausland mit geringeren Lohnkosten und Wegfall inländischer Arbeitsplätze
- schärfere Selektion von Mitarbeitern, so dass die notwendige Mindestleistung erbracht wird
Vertragsfreiheit
BearbeitenEin Mindestlohn untersagt Arbeitsverhältnisse, die sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer freiwillig eingegangen worden wären, und von dem sich beide Seiten Vorteile versprochen hätten. Die Vertragsfreiheit beider Parteien wird eingeschränkt.
Schwarzarbeit
BearbeitenDa in der Praxis eine illegale Beschäftigung zu einem frei vereinbarten Lohn möglich ist, wird eine Zunahme von Schwarzarbeit, unbezahlten Überstunden und Scheinselbstständigkeit befürchtet [4].
Geschichte
BearbeitenMindestlöhne wurden in der Geschichte mehrfach von der Arbeiterbewegung durch Streiks erkämpft. Motiv waren sogenannte Hungerlöhne, die in Zeiten großer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt so gering waren, dass sie kaum zur Sicherung der Grundbedürfnisse reichten. Erste lokale Mindestlohnregelungen gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Ab 1894 vergab die Stadt Amsterdam öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen, die ihre Beschäftigten nicht unter einem Mindestlohn bezahlten. Die ersten nationalen gesetzlichen Mindestlöhne wurden 1896 in Neuseeland und 1899 in Australien eingeführt, gefolgt von Großbritannien 1909. Auch eine Reihe von Entwicklungsländern beschloss in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Mindestlöhne, darunter 1918 Argentinien durch den Home Work Act und 1927 Sri Lanka mittels des Minimum Wage Ordinance.[5] Zu anderen Ländern mit einer langen Erfahrung mit Mindestlöhnen gehören u.a. die Vereinigten Staaten (seit 1938), Frankreich (1950) oder die Niederlande (1968).
Die Einführung gesetzlicher und tariflicher Mindestlöhne wurde bis nach dem Zweiten Weltkrieg nur spärlich zur Armutsbekämpfung eingesetzt. Erst mit Ende des Krieges wuchs die Zahl der Länder mit Mindestlöhnen wieder deutlich an. Auch die ILO, drittelparitätisch besetzt mit Vertretern von Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Staaten, beschloss nun mehrere Internationale Arbeitskonventionen über Mindestlohnregelungen: Noch 1928 die Minimum Wage Fixing Machinery Convention (No. 26), dann 1951 die Minimum Wage Fixing Machinery (Agriculture) Convention (No. 99) und schließlich 1970 die Minimum Wage Fixing Convention (No. 131).
Heute existieren Mindestlohnregelungen in 20 der 27 Länder der Europäischen Union, in praktisch allen anderen Industrie- sowie in einer beträchtlichen Zahl von Schwellen- und Entwicklungsländern . In Europa gab es besonders in den 1990er Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen deutlichen Zuwachs an Ländern, die an ihre nationalen Begebenheiten angepasste Mindestlohngesetze beschlossen.
Wirtschaftstheorie
BearbeitenNeoklassisches Arbeitsmarktmodell
BearbeitenIm neoklassischen Modell stellt sich auf einem freien Markt aufgrund der Gesetze von Angebot und Nachfrage stets ein Gleichgewicht ein, so auch auf dem Arbeitsmarkt. Im Gleichgewicht entspricht die Menge der angebotenen Arbeitskraft der nachgefragten Arbeitskraft sowie der angebotene Lohn dem nachgefragten Lohn. Dieser wird als Gleichgewichtslohn bezeichnet.
Liegt der Mindestlohn über dem Gleichgewichtslohn hat das folgende Effekte:
- Die Unternehmen sind zu dem höheren Preis lediglich bereit, eine geringere Menge Arbeit ( ) als im Gleichgewicht ( ) nachzufragen.
- Die potentiellen Arbeitnehmer wären zu dem höheren Preis bereit, mehr Arbeit ( ) anzubieten als im Gleichgewicht.
- Die Menge an unfreiwilliger Arbeitslosigkeit besteht aus der Differenz zwischen und .
Ein Mindestlohn ist nach diesem Modell unwirksam, wenn er unterhalb des Gleichgewichtslohns liegt. Auch wenn sich der Mindestlohn auf einem so niedrigen Niveau bewegt, dass fast alle Arbeitnehmer ohnehin ein Arbeitseinkommen oberhalb des Mindestlohns realisieren, wird der Markt nur wenig beeinflusst, allerdings ist auch der sozialpolitische Effekt nur gering.
Erweiterungen des einfachen neoklassischen Arbeitsmarktmodells beziehen Unvollkommenheiten auf dem Arbeitsmarkt in die Untersuchungen ein oder berücksichtigen, dass Arbeitsmärkte abgeleitete bzw. regulierte Märkte sind. Betrachtet werden hier besonders Aspekte einer Monopolisierung auf dem Arbeitsmarkt sowie Erkenntnisse der Suchtheorie und eines Effizienzlohns.[6]
Wenn ein Unternehmen über monopsonistische Macht verfügt, kann es einen Lohn zahlen, der unterhalb des Grenzertrags des Faktors Arbeit liegt. In diesem Fall kann die Einführung eines Mindestlohns zu einem Anwachsen der Beschäftigung führen, weil das Arbeitsangebot infolge der Lohnerhöhung steigt.[7] [8] Zudem kann ein gestiegenes Suchverhalten bei höheren Lohnniveau u.U. zu mehr Beschäftigung führen, weil ein Arbeitsangebot dann eher angenommen wird; andererseits aber auch zu einem Rückgang im Niedriglohnsektor. Die Modellierurng effizienztheoretischer Zusammenhänge betrachtet Unternehmer und Beschäftigte nicht nur als reine Anpasser an externe Bedingungen, sondern als aktive und möglicherweise innovative Akteure.[9] Ein Mindestlohn könne zu steigender Motivation der Beschäftigten führen oder die Unternehmen zur Qualifizierung der Mindestlohnbezieher veranlassen. Durch gestiegene Produktivität stiegen auch die Gewinne des Unternehmens.[8]
Kaufkrafttheorie
BearbeitenNach der Kaufkrafttheorie steigert ein Mindestlohn die Nachfrage, da Angestellte im Niedriglohnbereich den Großteil ihres Einkommens unmittelbar konsumieren. Die Voraussetzung für einen positiven Nettoeffekt für die Wirtschaft ist laut dieser Theorie dadurch gegeben, dass der Nachfrageeffekt größer ist als die Preissteigerungen infolge der höheren Löhne, z.B. weil die Bezieher hoher Einkommen ihre Sparsumme reduzieren, um die höheren Preise zu bezahlen, und das Einkommen der neuen Mindestlohnbezieher ohnehin gestiegen ist.
Kritik:
Vertreter der Angebotspolitik bestreiten, dass durch die Einführung von Mindestlöhnen ein Nachfrageeffekt erzeugt werden kann. Die Effekte nachfragesteuernder Maßnahmen werden im Gegensatz zur Preissteigerung erst mit großer zeitlicher Verzögerung wirksam. Ein Unternehmen produziert und verkauft zum Zeitpunkt der Einführung eines Mindestlohnes nicht mehr Güter und verfügt somit nicht über mehr Geld; es muss daher entweder Personal entlassen, die Gehälter kürzen oder die Gewinne reduzieren. Also treten zuerst negative Nachfrageeffekte ein. Wenn nun die Erhöhung der Niedriglöhne zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich reale Nachfrageeffekte hervorruft, wird sich die kumulierte Nachfrage nicht verändern, sondern es gibt nur Verlagerungen bei der Nachfrageentscheidung. In der Regel nimmt aufgrund der niedrigeren Sparquote der neuen Nachfragerstruktur die Nachfrage nach Investitionsgütern ab, was mittelfristig zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führt.
Weiter wird kritisiert, dass diejenigen Unternehmen Vorteile aus dem Kaufkraftgewinn der Lohnempfänger ziehen, die von der Lohnerhöhung weniger belastet wären. Dies sind zum einen die Unternehmen der kapitalintensiven Wirtschaftszweige, die relativ wenig Menschen beschäftigen. Zum anderen ausländische Unternehmen, die oftmals bereits kostengünstiger produzieren.
Nach Ansicht der Kritiker einer nachfrageorientierten (geschlossenen) Wirtschaftspolitik könnten die Unternehmen die höheren Lohnkosten im übrigen durch Preiserhöhungen ausgleichen (Inflation), was einerseits den sozialpolitisch beabsichtigten Kaufkraftgewinn der Mindestlohnempfänger neutralisieren würde und andererseits die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Produkte auf dem Weltmarkt behindert.
- ↑ Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen, London 1776, dt. Ausgabe München 1993
- ↑ http://www.ftd.de/meinung/kommentare/180082.html?mode=print
- ↑ Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2004): Jahresgutachten 2004/05 - Erfolge im Ausland - Herausforderungen im Inland, S. 504ff. (PDF)
- ↑ http://www.sozialpolitik.wiso.uni-erlangen.de/down/mindestloehne.pdf Prof. Hermann Scherl (Universität Erlangen-Nürnberg): Mehr Mindestlöhne durch Ausdehnung des Entsendegesetzes
- ↑ Chang-Hee Lee vom Asia Monitor Resource Centre (AMRC): The Minimum Wage, siehe online
- ↑ Joachim Möller: Ein zweiter Blick auf den Mindestlohn − Zur Bewertung der Arbeitsmarktpolitik der Großen Koalition aus wissenschaftlicher Sicht, ifo Schnelldienst 59/7 (2006), S. 17 - 20
- ↑ Wolgang Franz: Arbeitsmarktökonomik, 6. Auflage, Berlin 2006
- ↑ a b Hagen Lesch: Beschäftigungs- und verteilungspolitische Aspekte von Mindestlöhnen, S.9
- ↑ Bosch, Weinkopf: Gesetzliche Mindestlöhne in Deutschland?, S. 26