Pola Elster |
---|
Quelle: Haus der Ghettokämpfer, Lohamei HaGeta'ot, Israel |
Pola Elster (Tarnname: Ewa Goldman, geboren am 28. November 1911 in Warschau; gestorben am 27. September 1944 in Warschau) war eine jüdische Untergrundaktivistin und Widerstandskämpferin gegen die deutsche Besetzung Polens. Sie kämpfte 1943 beim jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto und war Abgeordnete des Polnischen Untergrundparlaments. 1944 fiel sie beim Warschauer Aufstand im Kampf gegen die NS-Truppen.
Kindheit und Jugend
BearbeitenÜber Pola Elsters Kindheit und ihre polnisch-jüdische Familie gibt es nur wenige Dokumente. Bekannt ist, dass sie vier Geschwister hatte und als Näherin arbeitete. Zuvor hatte sie das Gymnasium bis zur Mittleren Reife besucht.[1]
Vor dem deutschen Überfall auf Polen engagierte sie sich in der sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung Hashomer Hatzair (Junger Wächter), die sich an den Idealen der Pfadfinder orientierte. Mädchen genossen in diesen Jugendbewegungen weitgehend Gleichberechtigung. Gemeinsam bereiteten die Jugendlichen sich auf eine Auswanderung nach Palästina vor, um dort landwirtschaftliche Gemeinschaften zu gründen und eine neue egalitäre Gesellschaft aufzubauen.[1]
Politische Arbeit in der Vorkriegszeit
BearbeitenAls sie älter wurde, trat Pola Elster der internationalen Bewegung Poale Zion-Links (Arbeiter Zions) bei. Dieser radikalere Flügel hatte sich aufgrund seiner linkssozialistischen Ziele von der gemäßigt-zionistischen Mutterpartei Poale Zion abgespalten.[2]
Wegen ihrer politischen Arbeit in der Poale Zion-Links wurde sie mehrfach inhaftiert.[3] Die erste Verhaftung erfolgte am 20. April 1929, als sie festgenommen wurde, weil sie verbotene Schriften verteilte. Ein Warschauer Bezirksgericht verurteilte sie zu sechs Monaten Gefängnis und einer Bewährungsstrafe von drei Jahren.[4]
Nach ihrer Entlassung aus dem Pawiak-Gefängnis setzte sie ihre politische Arbeit jedoch fort. 1933 wurde sie erneut verhaftet, als die Polizei bei einer Durchsuchung ihrer Wohnung ‚kommunistische Notizen‘ fand. Obwohl das Gericht sie diesmal freiließ, stand sie fortan unter polizeilicher Beobachtung.[4]
Untergrundarbeit im Zweiten Weltkrieg
BearbeitenNach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 kümmerte Elster sich um die soziale Unterstützung der jüdischen Bevölkerung, die im Warschauer Ghetto unter menschenunwürdigen Umständen lebte, denn die SS hatte alle Juden in das überfüllte jüdische Ghetto Warschaus zwangsumgesiedelt, zu Zwangsarbeit verpflichtet und ihnen lebensnotwendige Güter vorenthalten. Die Bewohner litten unter Hunger, Krankheiten und Seuchen, manche Menschen starben auf der Straße. im Auftrag der Poale Zion-Links errichtete Pola Elster Suppenküchen für Bedürftige und leitete selbst eine Küche in der Elektoralna-Straße.[5]
Gleichzeitig hatte sie zentrale Funktionen in der Organisation des jüdischen politischen Widerstands inne. Als Führungsmitglied ihrer Partei übersetzte sie Veröffentlichungen ihrer Organisation in die polnische Sprache und agierte als Kontakt- und Verbindungsperson (Kurierin) zwischen verschiedenen Städten und Gruppen. Trotz des von den Deutschen verhängten Reiseverbots für Juden reiste sie – mit falschen Papieren als christliche Polin namens „Ewa Goldman“ getarnt – durch das besetzte Polen, um gefälschte Pässe, Medikamente, Lebensmittel und Untergrundzeitungen in die jüdischen Ghettos zu schmuggeln.[3] Bei einer der Reisen wurde sie von den Deutschen gefasst, konnte aber von Widerstandskämpfern befreit werden und auf der „arischen“ Seite Warschaus untertauchen.[3]
Im März 1942 beteiligte sich Pola Elster an der Gründung der Antifaschistischen Front, zu der sich jüdische Widerstandsgruppen wie die Poale Zion-Links, jüdische Jugendbewegungen wie Hatzomer Hashair und andere mit der nichtjüdischen Polnischen Arbeiterpartei (PPR) zusammengetan hatten. Im Auftrag der Front reiste sie durch Polen, um über die drohende Vernichtung der Juden aufzuklären und für einen gemeinsamen internationalen Kampf gegen den Faschismus zu werben.[5] Doch die Idee einer überparteilichen polnisch-jüdischen Widerstandsfront schien zum Scheitern verurteilt; zu tief waren die Gräben zwischen den zahlreichen konkurrierenden Parteien und Bewegungen Polens, als dass sie sich auf ein gemeinsames Kampfziel hätten einigen können.[6]
Ein weiteres Hindernis war der grassierende Antisemitismus in Polen. Zudem drohte die SS mit der Todesstrafe, wenn jemand jüdischen Mitbürgern half, statt sie bei der SS zu denunzieren.[7] Elster musste 1942 bei einer Untergrundkonferenz mit der kommunistischen Partei Polska Partia Robotnicza (PPR) und dem jüdischen Jugendbund Hashomer Hatzair eindringlich dafür werben, dass polnische Partisanengruppen jüdische Widerstandskämpfende in ihren Reihen aufnehmen, denn das war alles andere als selbstverständlich.[8][5]
Bewaffneter Widerstand gegen die deutschen Besatzer
BearbeitenPola Elster gehörte zu den Gründern der sich im Jahr 1942 formierenden Jüdischen Kampforganisation (ŻOB), einem Zusammenschluss von (unter anderem) Poale Zion-Links-Mitgliedern und Angehörigen verschiedener jüdischer Jugendbewegungen wie dem Hashomer Hatzair (Junger Wächter), Habonim Dror (Freiheit), Gordonia oder Akiva. Im Gegensatz zu der hungernden, stark geschwächten Zivilbevölkerung in den Ghettos verfügten diese jungen Menschen noch über die Kraft, den ständigen Deportationen, Massentötungen und der geplanten Auslöschung des Judentums den Versuch eines bewaffneten Widerstands entgegenzusetzen. Auch hatten sie durch ihre Untergrundgruppen einen engen Zusammenhalt, vertrauten einander und waren erfahren darin, sich wirksam zu unterstützen.[9]
Im April 1943 nahm Pola Elster als Teil einer ŻOB-Kampfeinheit am jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto teil, bei dem die Eingeschlossenen sich mit allen Mitteln, zum Teil mit selbstgebastelten Waffen, gegen ihre Deportation und Vernichtung durch die SS-Truppen zur Wehr setzten.[3] Fast alle der Aufständischen kamen bei den Kämpfen oder in den von der SS entfachten Feuerstürmen um. Elster gehörte zu den wenigen, die äußerst knapp dem Tod entkamen, wurde aber verhaftet und in das SS-Zwangsarbeitslager Poniatowa nahe Lublin deportiert. Dank der Hilfe von Teodor Pajewski[10], einem Poale Zion-Mitkämpfer, konnte sie entkommen und nach Warschau zurückkehren.[5]
Zurück in Warschau setzte Elster den politischen Kampf fort. Sie wurde Abgeordnete für die Poale Zion-Links im polnischen Untergrundparlament, das die Entscheidungen der polnischen Exilregierung unterstützte. Am 31. Dezember 1943 leistete sie im Parlament ihren Amtseid. Im März 1944 übernahm sie die Leitung eines vom Untergrundparlament eingesetzten „Komitees für jüdische Angelegenheiten“, zusammen mit dem Politiker Adolf Berman. Die Einrichtung eines solchen Kommitees zeigte, dass der polnische Widerstand mittlerweile eine gewisse Mitverantwortung für den jüdischen Bevölkerungsteil übernahm.[5]
Als sich nach dem Aufstand im jüdischen Ghetto Warschaus ein Jahr später, im Jahr 1944, auch die polnische Bevölkerung gegen ihre Besatzer erhob und damit der Warschauer Aufstand ausbrach, kämpfte Elster erneut mit der Waffe in einer Einheit der kommunistischen Untergrundarmee Armia Ludova.[4]
Am 27. September 1944 fiel sie im Alter von 33 Jahren bei den Kämpfen im Warschauer Vorort Żoliborz.[11]
Gedenken
BearbeitenNach dem Ende des Kriegs im April 1945 wurde Pola Elster in einem Doppelgrab bestattet, zusammen mit einem engen Mitkämpfer aus der Poale Zion, Eliahu Erlich. Das Grab liegt in der Hauptallee des jüdischen Friedhofs in der Okopowa-Straße in Warschau (Grabstelle 39).[12] Ursprünglich handelte es um ein Dreiergrab, in dem auch ihr gemeinsamer Kampfgefährte Hersz Berliński lag. Berliński wurde jedoch kurze Zeit später in eine eigene Grabstätte umgebettet.[13][14]
Postum wurde Pola Elster am 27. Juni 1947 vom Oberkommando der polnischen Armee mit dem Tapferkeitskreuz (Krzyż Walecznych) sowie dem Orden des Grunwald-Kreuzes zweiter Klasse ausgezeichnet.[15]
Nach Jahren der Vergessens wurde Elsters Tagebuch, ein Zeugnis ihres Lebens und Kampfes, entdeckt. Elsters Schwester Wanda, die ebenfalls im Warschauer Aufstand kämpfte, hatte in letzter Minute das Tagebuch, das Pola seit 1943 geschrieben hatte, aus deren brennender Kleidung retten können. Wanda ging nach Kriegsende nach Israel, und das Notizbuch verschwand in einer Kiste auf dem Dachboden. Erst nach Wandas Tod fand ihr Sohn Naczi Rottenberg den Nachlass seiner Mutter und Polas Tagebuch. Er überließ es dem Ghetto Fighters Museum (Haus der Ghettokämpfer) in Israel, wo es ins Hebräische übersetzt wurde. 1949 wurden die angesengten Seiten von Elsters Notizbuchs („Nasze Słowo“, Nr. 7/8) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.[16][4]
Literatur
Bearbeiten- Hersz Berliński: Three: Pola Elster, Hersh Berlinkski, Eliyahuh Erlikh. Tel Aviv, Ringelblum-Institut 1966.[14]
- Gutman, Yisrael: The Jews of Warsaw, 1939-1943: Ghetto, Underground, Revolt. Bloomington, Indiana University Press 1982, ISBN 978-0253331748.
- Lubetkin, Zivia: In the Days of Destruction and Revolt. Israel, Beit Lohamei Hagetaot, 1981. Neuausgabe: Edith Laudowicz: Zivia Lubetkin: Die letzten Tage des Warschauer Ghettos. In: Verlag Autonomie und Chaos Berlin. ISBN 978–3–945980–35-4, 2019, abgerufen am 11. Oktober 2024.[17]
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b Pola Elster, Warsaw native, member of Po'alei Zion - Left and the Jewish Fighting Organization in the Warsaw ghetto. In: Ghetto Fighters House. Abgerufen am 10. Oktober 2024.
- ↑ Schwerpunkt: Judentum und Revolution: Der Weltverband Polae Zion zwischen Zionismus und Kommunismus. In: Arbeit, Bewegung, Geschichte. Zeitschrift für Historische Studien 2017/II. Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung e. V, 2017, abgerufen am 13. Oktober 2024.
- ↑ a b c d Online Warsaw Ghetto map and database - People - E - Elster Pola (Unknown). In: Polish Center for Holocaust Research. Abgerufen am 10. Oktober 2024.
- ↑ a b c d Parlamentarzyści - Pełny opis rekordu (Parlamentarische Bibliothek Warschau). In: Biblioteka Sejmowa. Abgerufen am 11. Oktober 2024.
- ↑ a b c d e Kobiety w powstańczej narracji (Frauen im Narrativ der Aufständischen). In: Ghetto-Museum Warschau, Polen. Abgerufen am 10. Oktober 2024 (pl-PL).
- ↑ Smithsonian Magazine, Claire Bugos: The Untold Story of Jewish Resistance During the Holocaust. Abgerufen am 13. Oktober 2024 (englisch).
- ↑ Brigitte Jaeger-Dabek: Der polnische Untergrundstaat 1939-1945 | Das Polen Magazin. In: Das Polen Magazin: News aus Polen, Urlaub in Polen. 14. September 2015, abgerufen am 15. Oktober 2024 (deutsch).
- ↑ Bundeszentrale für politische Bildung: Antisemitismus in Polen. 4. Mai 2020, abgerufen am 13. Oktober 2024.
- ↑ Zuckerman, Yitzhak (Antek): A Surplus of Memory: Chronicle of the Warsaw Ghetto Uprising. University of California Press, Berkeley 1993, ISBN 978-0-520-07841-3, S. 76 ff.
- ↑ Artur Podgórski: Zweiter Leutnant. Teodor Fabian Pajewski, Soldat der ZWZ-AK, Gerechter unter den Völkern. In: Institut für nationale Erinnerung Polen. Abgerufen am 11. Oktober 2024 (deutsch).
- ↑ Pamiętnik Żydówki z dwóch powstań (Tagebuch einer Jüdin aus zwei Aufständen). In: Pro.RP.PL. Abgerufen am 10. Oktober 2024 (polnisch).
- ↑ Wirtualny Cmentarz. In: Foundation for Documentation of Jewish Cemeteries, Warschau. Abgerufen am 11. Oktober 2024.
- ↑ A funeral held for the remains of Pola Elster, Hersz Berlinski, and Eliahu Erlich, members of the Po'alei Zion - Left movement and the Jewish underground in the Warsaw ghetto. Abgerufen am 12. Oktober 2024.
- ↑ a b Hersz Berliński (1908–27.09.1944). In: Warsaw Ghetto Museum. Abgerufen am 12. Oktober 2024 (amerikanisches Englisch).
- ↑ A decoration for fighting against Nazism, granted posthumously to Pola Elster, member of the Jewish underground in the Warsaw ghetto. In: Ghetto Fighters House Archives. Abgerufen am 13. Oktober 2024.
- ↑ Elster Pola ("Ewa"): Pola Elster: diaries 1943 - 1944. (infocenters.co.il [abgerufen am 10. Oktober 2024]).
- ↑ Edith Laudowicz: Zivia Lubetkin: Die letzten Tage des Warschauer Ghettos (Neuausgabe). In: Verlag Autonomie und Chaos Berlin. ISBN 978–3–945980–35-4, 2019, abgerufen am 11. Oktober 2024.