Dies ist eine wenig geordnete Zusammenstellung von Inhalten, die zu den Themen Handlungsrichtung, Genus verbi und Diathese gehören, aber in der WP nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Sie sind nicht als Beiträge zur WP geschrieben; sollten Teile davon dort verwendet werden, müssen sie an Stil und Inhalt der WP noch angepasst werden. Vielmehr sollen sie als Diskussionsgrundlage dienen, damit einzelne Argumente nicht immer wiederholt werden müssen.

Diathese als Valenzalternation

Bearbeiten

Hier wird dargelegt, dass die Valenz (Linguistik), die als Anzahl der von einem Verb eingeforderten Ergänzungen definiert ist, unzureichend zur Charakterisierung einer Diathese ist. Vielmehr kommt es auf die Zuordnung syntaktischer Realisierungen zu semantischen Rollen an, und die Anzahl solcher Paare hat schon deswegen nur marginale Bedeutung, weil Parameter sehr häufig optional sind.

In dem mittlerweile aus dem WP-Artikel Diathese_(Linguistik) (letzte Version vor der Streichung) gestrichenen Einleitungsbeispiel war anhand von Beispielen gezeigt worden, welche Gestalt solche die Zuordnungen im Deutschen haben können. In der Neufassung kommt das nicht mehr vor, weder als abstrakte Erklärung solcher Zuordnungen noch mit einem Beispiel dafür. Hier werden im Folgenden solche Zuordnungen beim deutschen Aktiv und Passiv explizit gemacht. Eine Handlungrichtung ist dabei jeweils als Tabelle dargestellt, die die Zuordnungen der einzelnen Argumente zu ihren syntaktischen Realisierungen enthält (jeweils der Teil der Tabelle unter der Überschrift allgemein).

Die semantischen Rollen sind dabei sozusagen die Felder eines Fragebogens oder die Argumentnamen einer Funktion oder die Feldnamen eines Datenbankeintrags, die mit Antworten/Argumentwerten fakultativ oder obligat ausgefüllt werden müssen. Die syntaktischem Realisierungen kann man verstehen als Anweisungen, wie die Argumente in den Satz eingebaut werden, ohne dass man dazu das Verb inhaltlich verstehen muss. Das ist ähnlich wie in syntaktische Funktion beschrieben, muss jedoch genauer sein: nicht Objekt, sondern Objekt in einem bestimmten Kasus, nicht Präpositionalobjekt oder -phrase, sondern auch mit welcher Präposition und welchem Kasus dahinter. Wer diese Details nicht hat, kann das Wort nicht grammatisch richtig in einen Satz einbauen.

Nehmen wir ein Beispiel aus dem Artikel Valenz (Linguistik).

   (1) <Ernst> schreibt <seiner Mutter> <einen Brief> <über seine Geldnot>. (schreibt ist vierwertig);
   (2) <Ernst> schreibt <seiner Mutter> <einen Brief> (… ist dreiwertig);
   (3) <Ernst> schreibt <seiner Mutter> (… ist zweiwertig);
   (4) <Ernst> schreibt. (… ist einwertig).

Natürlich ist die Wertigkeit nicht nach oben begrenzt. Fünfwertig wäre

   (0) <Ernst> schreibt <seiner Mutter> <aus dem Gefängnis> <einen Brief> <über seine Haftbedingungen>.

Und die Wertigkeit ist im Grunde auch nicht aussagekräftig. Der Satz

  (3a) <Ernst> schreibt <einen Brief> (… ist zweiwertig)

teilt zwar mit (3) die Wertigkeit, ist aber ein ganz anderes Muster. Da hat man sich vielleicht von der Wertigkeit in der Chemie verführen lassen, wo dem Zentralatom wichtig ist, an wieviele Valenzarme etwas drangehängt wird, aber egal, was. Hier ists umgekehrt: es geht ums Was und Wie, aber beim Wieviel gibts praktisch immer große Freiheiten.

Im folgenden lassen wir die Parameter Briefthema und Absendersituation weg und betrachten sie als freie Ergänzungen; sie werden ja auch nie auf andere Weise in den Satz eingebaut. Es bleiben also die Sätze (2), (3), (3a) und (4) übrig, von denen der Satz (2) alle drei Parameter enthält. Eine viel genauere Beschreibung der Parameter, die auf alle diese vier Sätze gleichzeitig anwendbar ist, wäre also:

Aktiv mit Dativ- und Akkusativobjekt, beide optional
im Beispielsatz beim Beispielverb allgemein
wer oder was? semantische Rolle syntaktische Realisierung obligat?
schreiben Verb Person/Numerus kongruent mit Subjekt ja
Ernst Verfasser Agens Subjekt ja
seine Mutter Adressat Rezipiens Dativobjekt oder
Präpositionalobjekt mit an und Akkusativ
nein
ein Brief neues Schriftstück Patiens Akkusativobjekt nein

Dass ein Parameter dabei zwei verschiedene syntaktische Realisierungsmöglichkeiten haben kann, stört solange nicht, wie die Verbform dieselbe bleibt, zu der neben der Gestalt des Verbs selbst auch der Einsatz von Hilfsverben sowie die Wortstellung im Satz gehören kann.

Beispiele:

  • Ernst schreibt seiner Mutter einen Brief.
  • Seiner Mutter schreibt Ernst.
  • Einen Brief schreibt Ernst an seine Mutter.
  • Ernst schreibt.

Im Passiv ändern sich die möglicherweise Beteiligten nicht; es ändert sich aber, welche davon Pflichtargumente sind. Vor allem aber ändert sich die Zuordnung der syntaktischen Realisierungen zu den semantischen Rollen. Es gibt da zwei Muster, je nachdem, welcher Parameter anstelle des Agens zum Subjekt wird:

Passiv des vorherigen Aktiv-Musters, alle Parameter optional
im Beispielsatz beim Beispielverb allgemein
wer oder was? semantische Rolle syntaktische Realisierung obligat?
geschrieben werden Verb Person/Numerus kongruent mit Subjekt falls vorhanden,
sonst 3. Person Singular
ja
Ernst Verfasser Agens Präpositionalobjekt
mit von oder durch
nein
seine Mutter Adressat Rezipiens Dativobjekt oder
Präpositionalobjekt mit an und Akkusativ
nein
ein Brief neues Schriftstück Patiens Subjekt nein

Beispiele:

  • Seiner Mutter wird ein Brief geschrieben.
  • Ein Brief wird von Ernst geschrieben.
  • An seine Mutter wird geschrieben.
  • Es wird geschrieben.
Indirektes Passiv des vorherigen Aktiv-Musters, Agens optional
im Beispielsatz beim Beispielverb allgemein
wer oder was? semantische Rolle syntaktische Realisierung obligat?
geschrieben bekommen Verb Person/Numerus kongruent mit Subjekt ja
Ernst Verfasser Agens Präpositionalobjekt
mit von oder durch
nein
seine Mutter Adressat Rezipiens Subjekt ja
ein Brief neues Schriftstück Patiens Akkusativobjekt ja

Beispiele:

  • Seine Mutter bekommt von Ernst einen Brief geschrieben.
  • Einen Brief bekommt seine Mutter geschrieben.