Referenzfehler: Ungültige <ref>-Verwendung: „ref“ ohne Namen muss einen Inhalt haben. Wilhelm Munz

Dieser Beitrag, der in einem umfassenden Rückblick das Lebenswerk des Malers Wilhelm Munz zeigt, ist Anlass, sich einer der eigenständigsten Künstlerpersönlichkeiten zu erinnern, die in Ulm gelebt haben. 1983 hat Wilhelm Munz seinen 80. Geburtstag gefeiert. Bedrückt von der Last der Jahre konnte er sich damals nicht mehr dazu aufraffen, mit einer Ausstellung an die Öffentlichkeit zu treten. Danach blieb ihm noch eine kurze Frist. Als er am 3. Januar 1985 starb, wusste er immerhin, dass das Ulmer Museum ihm in diesem Jahr eine Ausstellung widmen würde. Der Lebensweg des 1903 in Ulm geborenen Künstlers ist nicht leicht gewesen. Er zählte sich zu der »tragischen Generation«, die zwischen dem Aufbruch zur Moderne zu Beginn unseres Jahrhunderts, der Blut- und Bodenkunst der Nazizeit und dem späteren Ansturm von Abstraktion, konstruktiver Kunst, Informel, Op- und Popart Mühe hatte, Boden unter den Füßen zu behalten und die zudem die Schrecken und Entmutigungen zweier Kriege mit allen Entbehrungen und dem Kampf um das Überleben bestehen musste. Seine Laufbahn begann noch während des ersten Weltkriegs mit einer Maler- lehre, die er 1921 abschloss. Doch er wollte weiterlernen. Fünf Jahre lang besuchte er die »Ulmer Schule«, jene 1919 in schwerer Zeit gegründete Einrichtung, die, von der Stadt Ulm getragen, junge Menschen eine Ausbildung in verschiedenen Fächern der bildenden Kunst und des Kunsthandwerks bot. Die unruhige, von revolutionären Strömungen aufgewühlte Zeit der zwanziger Jahre hat Wilhelm Munz als Lernender und Suchender erlebt. Ein bequemer Schüler war er wohl nicht. Langsam reifte in ihm der Entschluss, nicht den Weg einer normalen bürgerlichen Berufsausübung zu gehen, sondern freier Maler zu werden, mit allen Konsequenzen. Was das bedeutete in den Jahren nach der Inflation, als schon die schwere Wirtschaftskrise sich ankündigte, war ihm wohl bewusst. Es hieß aussteigen aus den gewohnten Bindungen und ein Leben als Einzelgänger zu wagen. Er verließ die Stadt und lebte von 1927 bis 1935 als Sonderling in dem Albdorf Bermaringen, arm, bedürfnislos, von den Bauern respektiert, die ihn gelegentlich Fensterläden und Stalltüren anstreichen und ihn nicht verhungern ließen. Es waren Jahre der Einsamkeit und des Ringens um den eigenen Weg. Er malte die Landschaft der Alb, ergriffen von ihrer Zeitlosigkeit, ihren weiten Horizonten, erfüllt von dem Erlebnis ihrer herben Schönheit im Wandel der Jahreszeiten. In strengem Selbststudium schulte er Auge und Hand. Daneben blieb viel Zeit zum Lesen. Homer, Vergil, Dante, Shakespeare waren seine ständigen Begleiter. Doch die Verse Hölderlins waren es vor allem, die ihn immer wieder aus der Enge eines äußerlich armseligen Lebens in lichte Höhen des Geistes emportrugen. Damals fand er manche Bestätigung und Aufmunterung im Kreis der Maler, die sich in der Ulmer Künstlergilde zusammengefunden hatten. In der Zeit zwischen den Kriegen gab es ja in Ulm eine eigene Blüte der Kunst, abseits von den großen Städten und wenig beachtet, doch voll innerer Kraft und starker Ausstrahlung. Da waren Wilhelm Geyer, Joseph Kneer und Hans Gassebner, - wie Munz um die Jahrhundertwende geboren, - und der ältere Albert Unseid, starke Persönlichkeiten, die, keiner der herrschenden Richtungen verpflichtet, unbeirrbar ihren eigenen künstlerischen Weg gingen. Sie gaben dem Außenseiter Anregungen, bestärkten ihn in seinem eigensinnigen Streben und setzten Maßstäbe. Trotz großer Verschiedenheit der Charaktere und Temperamente blieb dieser Kreis von Freunden in seinem Kern durch allen Wandel der Zeiten ein tragfähiger, verlässlicher Boden und bewährte sich besonders in Zeiten der Not durch Menschlichkeit, Treue und gegenseitige Anteilnahme. Dann kam das Dritte Reich und der Krieg. Existenzielle Bedrohung trieb viele Künstler außer Landes oder in die innere Emigration, viele kamen auf den Schlachtfeldern oder im Bombenkrieg ums Leben. Vergleichsweise gnädig fiel das Los für Wilhelm Munz. Aktiver Kriegsdienst blieb ihm erspart, Eine Dienstverpflichtung führte ihn nach Salzburg, später in das bayerische Schwabenstädtchen Ichenhausen. Er arbeitete handwerklich in seinem gelernten Beruf und übte sich an gestalterischen Aufgaben für »Kunst am Bau«. Erstmals trat er aus dem Bannkreis der engeren Heimat heraus, atmete anders- artige, freiere Luft. Was einige Künstler seiner Generation in frühen Wanderjahren gewonnen hatten, Abstand vom Gewohnten, das Erlebnis von Freiheit und Weite, das brachten dem Vierzigjährigen diese Jahre. Sie schenkten ihm zudem wesentliche Begegnungen, so mit Otto Dix und den Schriftstellern Ernst Hardt und Werner von der Schulenburg. War das Schaffen von Dix für ihn eine Herausforderung im Künstlerischen, so ließen ihn die Dichter an ihren Träumen von Schönheit und ihrem Reichtum an Bildung teilhaben, nicht in einem idyllischen Abseits, sondern unter der Bedrohung des nahenden Infernos. Von Ichenhausen aus erlebte Wilhelm Munz die Zerstörung der Heimatstadt und das Ende des Krieges. 1950 endlich kehrte er nach Ulm zurück. Es war ein neuer Anfang, jetzt mit seiner stillen, geduldigen Frau Barbara an der Seite. Noch war Wohnraum knapp, man begnügte sich mit einem Provisorium am Rande der Friedrichsau, das freilich drei Jahrzehnte währen sollte. Man hatte ein Dach über dem Kopf und es gab einen einzigen großen Raum mit hellen Fenstern zum Park, also alles was ein genügsamer Mensch braucht, der nichts als malen will. Das geistige Klima in der Stadt hatte sich gründlich verändert. Unter Wilhelm Geyers Führung bildete sich eine Gruppe mit neu formulierten kulturellen Zielen, die Gesellschaft 1950. Die Künstlergilde, aus der sie sich gleichsam als Sezession gelöst hatte, blieb bestehen und suchte einen neuen Leiter. Wilhelm Munz übernahm diese Aufgabe für 5 Jahre. Obwohl selbst ein überzeugter Individualist, sah er die Notwendigkeit ein, dass die Künstlerschaft als Gruppe in der Gesellschaft die ihr gebührende Beachtung beanspruchen müsse. Damals zählte auch Otto Dix zu den Mitgliedern. Als er das Amt, das ihm oft auch lästig war, niedergelegt hatte, konnte er wieder mit ganzer Kraft frei arbeiten und noch mal einen neuen Anfang setzen. 1954 besuchte er die Sommerakademie in Salzburg, Kokoschkas »Schule des Sehens« und genoss bald die Freundschaft des Lehrers. Die Jahre zuvor waren schwierig gewesen. Nach dem Ende der zwölfjährigen Zwangssituation der Kunst in der Hitlerzeit strömten die Ideen der Moderne mit solcher Wucht in das Vakuum, dass unsichere Geister dem Neuen entweder euphorisch und wenig kritisch verfielen, oder sich in heftiger Abwehr streitbar dagegen stellten. Das Umdenken und Umlernen war ein schmerzhafter Prozess, es gab Spannungen und Streit unter den Künstlern und mit den Kritikern, neue Unduldsamkeiten lösten die Intoleranz der Blut- und Bodenzeit ab. In jenen heftigen Auseinandersetzungen gab es für Wilhelm Munz, - wie auch für seine gleichaltrigen Malerfreunde, - nur eines, die Besinnung auf das ihm von jeher Eigene. In stürmischem Lernen unter der Anregung des großen alten Kokoschka wurde er sich, fern von den Ulmer Wertungen, seiner inneren Kraft neu bewusst. Die Bilder dieser Jahre zeigen es. Wieder zu Hause, widmete er sich vor allem dem Aquarell, das seine große Stärke bleiben sollte. Daneben entstanden Graphik-Zyklen zu Themen der Weltliteratur, die ihn ein Leben lang begleitet hatten. Eine selbst erfundene Ätztechnik ergab schöne Ergebnisse, hatte jedoch einen verhängnisvollen gesundheitlichen Schaden zur Folge. Als Existenzgrundlage blieb das einst gelernte Handwerk ein zwar nicht goldener, aber sicherer Boden, und eine Erfindung auf dem Gebiet der Mosaik-Technik brachte bescheidenen Gewinn. Beides zusammen ermöglichte ein freieres Leben und Schaffen. Mit Ausstellen hielt sich Wilhelm Munz zurück. Selten nur sah man Arbeiten von ihm, so in den Kollektivausstellungen der »Ulmer Kunst«, oder wenn eine kleine lose Ausstellergemeinschaft, die sich neben der Künstlergilde und der Gesellschaft 1950 gebildet hatte, sich der Öffentlichkeit zeigte. Doch dann widmete das Museum 1963 dem Sechzigjährigen eine große Ausstellung, und der Kunstverein zeigte 1974 eine Rückschau auf das Schaffen des Malers aus seinem siebten Lebensjahrzehnt. Dies waren Höhepunkte im Leben des Alternden. Die respektvolle Ehrung, die ihm dabei zuteil wurde, und das breite Echo in der Bevölkerung seiner Heimatstadt haben ihn tief bewegt. Dann wurde sein Leben mühsamer. Er war ja ein schwieriger Mensch, und die Spannungen in seinem Wesen, mit denen er lebenslang zu kämpfen hatte, verstärkten sich. Tiefe Niedergeschlagenheit folgte oft auf die seltener gelingenden Aufschwünge der Seele zu glücklichem, selbstvergessenem Schaffen. Selbstkritik und Zweifel nahmen überhand und kehrten sich nach außen in zornigen Anklagen. Als er schließlich die Notwendigkeit vor sich sah, sein vertrautes, aber mit der Zeit nachgerade unwürdig gewordenes Domizil in der Friedrichsau zu verlassen, war er vollends verstört, das ging an die Substanz. War es Angst vor fremdbestimmter Veränderung, Angst vor dem Verlust seines dort in Jahrzehnten tief eingewurzelten Lebensgefühls? - Als dann die Übersiedlung in das Häuschen auf der Stadtmauer am Neuen Graben endlich dank liebevoller Bemühungen von Seiten der Stadt doch gelungen war, trat noch einmal für kurze Zeit Frieden ein. Doch niemand außer seiner Frau kann ermessen, welche Lei- den das Bewusstsein schwindender Kraft seine letzten Lebensjahre verdunkelt haben. Was am Ende eines langen Künstlerlebens mit all seinen Wechselfällen, seinen Erfolgen und Enttäuschungen und endlich seiner Tragik zählt, das ist allein das was bleibt, das Werk. Von den ersten, in Bermaringen entstandenen Arbeiten ist außer einem kleinen, fast japanisch anmutenden Aquarell von einem Feldweg kaum etwas erhalten geblieben. Die Ölbilder der Frühzeit lassen noch die Anregungen spüren, die ihm die Schule vermittelt, und die er aus dem Kreis der damals in Ulm tätigen Maler empfangen hatte. Neben traditionellen Stilleben stehen Landschaften, die mit ihrer erdig- schweren, herben Farbigkeit deutlich an ihre Herkunft und Entstehungszeit erinnern. Der unbekümmerte, zuweilen geradezu wilde Duktus verrät jedoch schon die sich entfaltende Kraft. In den Kriegs- und Nachkriegsjahren gelingen Bildnisse und »Porträts« der von Bomben zerstörten Stadt, eindrucksvolle Dokumente aus schwerer Zeit. Mit Blumenbildern und Landschaften aus Ulms Umgebung klingt dann die Ölmalerei in den fünfziger Jahren aus. Das Aquarell tritt in den Vordergrund. Es wurde das Medium, in dem Munz es zu großer Meisterschaft gebracht hat. Als er 1954 zu Kokoschka nach Salzburg ging, brachte er schon reichliche Erfahrung mit. Doch hier, in der heiteren Atmosphäre der ihm schon vertrauten, schönen Stadt und im Kreis von gleichgestimmten Künstlern gewann der eher schwerblütige Schwabe eine Freiheit und Leichtigkeit hinzu, die ihn unversehens einen großen Schritt vorwärts brachten. Es war eine sehr fruchtbare Zeit glücklichen Schaffens. Mit leichtem Pinsel hingetuschte Ansichten der Stadt und der Landschaft entstanden, daneben Figürliches, Aktstudien und leuchtende Blumenbilder. Erstaunlich ist die Vielseitigkeit in der Verwendung der Wasserfarbe, einmal sparsam mit viel »Luft«, also weiß gelassenen Flächen, dann wieder füllen fließende, tiefe, satte, glühende Töne randvoll das ganze Blatt. Das intensive Erlebnis des Sehens ist zu spüren, das Ergriffensein von dem Gegen- stand, der im Bild Gestalt werden soll. Das ist die Frucht dieses Sommers, die er nach Hause mitbringt. Auf zwei späteren Reisen ins Tessin frischt er die Salzburger Erfahrungen noch einmal auf. Als er sich wieder der heimischen Landschaft zuwendet, der Alb und den Baggerseen der Donauebene, hat er seinen unverwechselbaren Stil gefunden. Die Natur mit ihren Stimmungen zu den verschiedenen Tages- und Jahreszeiten, bei Sonnenauf- und Untergang, bei Nebel, im Winter, aber auch das Bleibende, Zeit- lose von Erde, Fels und Gebirge, das sind seine Themen. Vertieftes Schauen ist in den Bildern zu spüren. Doch manchmal macht sich beim Schaffensprozess die Farbe selbständig. Wenn dann die Wasserfarben anfangen zu fließen und zu leuchten, trägt es ihn fort vom ursprünglichen Erlebnis zu ungegenständlichen Gebilden, die in sich selbst ihren Sinn haben. »Abstraktes« entsteht, eine andere Wirklichkeit, für ungeschulte Augen vielleicht verschlüsselt, doch erfüllt vom harmonischen oder spannungsreichen Spiel elementarer Kräfte. Eruption, Vision, Zystische Macht nennt er diese Blätter. In dieser Schaffenszeit erschöpft sich die Arbeit aber nicht im Naturerlebnis und dem freien, ungegenständlichen Umgang mit der Farbe. Bedrängend erlebt der Künstler die Probleme der Zeit, und wie eh und je beschäftigen ihn die großen Themen der Weltliteratur. Studien zur Bibel, zu Goethes Faust und zu Dantes Göttlicher Komödie entstehen. Nicht als Illustrationen, es sind Nachschöpfungen in der Sprache von Farbe und Form. Die Welt der Mythen und Märchen erscheint, Wassergeister, Zauberer und Dämonen treten ins Bild. Okeanos und Tartaros nennt er große Blätter mit furiosen, grellen Farbwirbeln. Nach der Ausstellung des Kunstvereins zum 70. Geburtstag ist noch einmal ein deutlicher Auftrieb zu spüren. Die vertrauten Themen werden variiert, bis die rohende Veränderung der äußeren Lebensumstände die Kräfte nahezu lähmt. Im neuen Atelier entstehen noch lichte, leichte Farbspiele, doch das Dunkel nimmt überhand. Drohende Schnabelwesen schweben in nachtschwarzen Räumen, wann werden sie herabstoßen? Am Ende einer langen Reihe von Selbstbildnissen aus den verschiedenen Lebensstationen steht eine erschütternde Kohlezeichnung, der schmale Kopf des Gealterten, der sich mit düsterer Miene im Spiegel betrachtet, das Antlitz eines Menschen, der es ein Leben lang vor allem mit sich selbst schwer gehabt hatte. Wo steht das Werk von Wilhelm Munz? Der Versuch, es abzustempeln und ein- zuordnen in irgend eine Kunstrichtung, muss misslingen. Er war ein Einzelgänger. Doch er hielt sich nicht heraus aus dem weltweiten Kunstgeschehen des 20. Jahrhunderts. Er kannte sich aus in den Strömungen der Zeit und urteilte in Anerkennung und Ablehnung temperamentvoll und eindeutig. So trägt schließlich auch sein Werk Züge dieser Zeit. Es ist Expressives und Abstraktes, Realistisches und Irrationales darin. Tachismus, Informel und Action Painting haben ihn inspiriert. Manches erinnert an Kokoschka, nichts an Dix, wenn nicht einige Kohlezeichnungen. Munz war geprägt von seinem eigenen geistigen Werdegang, der sich in unserem schicksalsschweren Jahrhundert vollzogen hat, geprägt von seiner eigenen Lebenskurve mit ihren Höhen und Tiefen. Keine Welle des Erfolgs hat ihn emporgehoben und getragen. Er ist kein Jünger geworden, der sich an einen Meister oder eine Gruppe hätte anschließen können. Dazu hatte er kein Talent. Er ist auch kein Lehrer geworden, kein Führer, der Anhänger um sich hätte scharen wollen. Die wesentlichen Begegnungen in seinem Leben geschahen auf der Basis der Freundschaft. Den Weg zur Eigenart und Reife fand er allein. Jetzt, da wir sein Lebenswerk als Ganzes überblicken, wird deutlich, welchen Rang er im geistig-kulturellen Leben unserer Stadt einnahm und einnimmt. Wenn es so etwas wie lokale Kunstgeschichte gibt, wird er darin einen verdienten, bleibenden Platz behalten.