Über das Erhabene ist eine philosophische Schrift von Friedrich Schiller. Sie wurde erstmals 1801 in Leipzig veröffentlicht, im dritten Band von „Kleinere prosaische Schriften“.
Inhaltsangabe
BearbeitenDie Problematik des Willens
BearbeitenDer „Wille“ ist das definierende Merkmal für den Menschen. Der Mensch steht als „wollendes Wesen“ im Gegensatz zu allen anderen Tieren und Dingen, die sich lediglich natürlichen Gesetzmäßigkeiten beugen.
Die Vernunft des Menschen dient diesem als Helfer für „elementare“ Willenseinheiten/Triebe, sodass diese in der Realität umgesetzt werden können.
Als Folge aus der als erstes erwähnten Tatsache wird der Mensch aufgehoben, wenn ihm der Wille (sein definierendes Merkmal) nicht erfüllt wird. Darum müsste aber der Mensch eigentlich, um nicht aufgehoben zu werden, jeden Willen erfüllt bekommen und daher allmächtig sein.
Dies ist jedoch offensichtlich ein Widerspruch zur Realität. Als Beispiel dient der Überlebenswille des Menschen. Dieser kann nämlich durch dessen notwendigen Tod nicht dauerhaft erfüllt werden.
Auswege aus der Problematik
BearbeitenZum Glück gibt es jedoch zwei Arten der Kultur, mit deren Hilfe der Mensch seinen Willen gegen die Natur verteidigen kann:
- Physische Kultur, d. h. die Beherrschung der Naturkräfte durch Wissenschaft und Fortschritt
- Moralische Kultur, d. h. die Annahme von Ereignissen der Natur als eigenen Willen, also eine Art Resignation
Nur ein Mensch mit moralischer Kultur kann frei sein, da die physische Kultur für die Durchsetzung des Willens eines moralisch unkultivierten Menschen nicht ausreicht (siehe auch das obige Gegenbeispiel des Überlebenswillens).
Hier wird aber die Frage aufgeworfen: Wie kann sich der Mensch zur Resignation überreden? Oder anders formuliert: Wie kann ein Mensch moralische Kultur erlangen? Laut Schiller hat der durchschnittliche Mensch noch nicht resigniert (d. h. verfügt über noch keine oder unzureichende moralische Kultur) und befindet sich daher in einem Widerspruch zu seiner Willensfreiheit und somit zu seiner menschlichen Natur. Allerdings sind im Menschen zwei moralische Anlagen vorhanden, von denen die zweite die Fähigkeit zu jener Selbstüberredung begünstigt:
- Der rationale Verstand, der zum Verfolgen des Moralziels Vernunft geeignet ist
- Eine „ästhetische Tendenz“, die gewisse Gegenstände der Um-/Innenwelt besonders schätzt und zum Verfolgen des Moralziels Resignation/moralische Kultur geeignet ist.
Die Nutzung der ästhetischen Anlagen zur Förderung moralischer Kultur
BearbeitenEine Möglichkeit zur teilweisen Erlangung von Unabhängigkeit von Kräften der Natur ist das Wertschätzen von Gegenständen, unabhängig davon, ob sie einem gehören oder nicht; diese Möglichkeit erwächst aus den ästhetischen Anlagen des Menschen. Auf diese Weise wird man von Besitzverhältnissen unabhängig. Eine Art der Abhängigkeit bleibt jedoch bestehen: Die vom ästhetischen Sinn geschätzten Dinge müssen mindestens existieren.
Zu bevorzugen wäre daher ein Charakter, welcher zwar das Vorhandensein von solcherlei geschätzten Dingen nicht verlangt, sondern höchstens darauf besteht, dass die vorhandenen Dinge ästhetisch angemessen sind.
Wenn nämlich ein Mensch zu schnell frustriert vom Nichtvorhandensein ästhetischer Dinge ist, so befindet er sich in „trauriger Abhängigkeit vom Zufall“ (Zitat aus dem Text), da es zu einem guten Teil vom Zufall abhängt, ob er seine moralischen bzw. ästhetischen Ideale durchsetzen kann. Merkmal eines erhabenen Charakters ist es dagegen laut Schiller, sich nicht von Hindernissen entmutigen zu lassen.
In den ästhetischen Anlagen des Menschen existieren laut Schiller zwei von ihm so bezeichnete „Genien“:
- Das Gefühl des Schönen, welches wir zum Beispiel beim Anblick schöner Szenen in der Natur empfinden,
- und das Gefühl des Erhabenen, welches die Freude an geistigen Konstrukten unseres Gehirns ist.
Beide dieser ästhetischen Anlagen tragen zur besseren Umsetzung der Willensfreiheit (und somit zum Erblühen der menschlichen Natur) auf ihre Weise bei. Das Gefühl des Schönen hilft uns, weil wir, wenn wir uns in einer uns „angenehmen“ Umgebung befinden, die Umwelt weniger formen müssen und daher weniger auf physische Kultur angewiesen sind, die ja - wie oben dargelegt - manchmal an ihre Grenzen kommt. Das Gefühl des Erhabenen hilft uns, weil unsere Gedankenkonstrukte völlig unabhängig von der Realität sind: Mit dem Erhabenen kann der menschliche Wille auf Dinge abzielen, die sich nur in einer menschlichen Gedankenwelt befinden und daher vor jeder Einflussnahme der Naturkräfte ohnehin sicher sind.
Da also die menschliche Gedankenwelt teils völlig unberührt von jeglichen äußeren Einflüssen ist, kann man sagen, dass sie ihr bezüglich Naturkraft überlegen ist. Daher kann ein Mensch sich, anstatt an ihnen zu verzweifeln, sich sogar gerade über große Naturkräfte freuen, da sie ihn erinnern, dass die Naturkraft des Erhabenen sogar noch größer ist.
Somit kann man sagen, dass Naturereignisse nun unabhängig von ihrer ästhetischen Qualität zum Grund zur Freude werden können. Deshalb kann der Wille auf sie abzielen. Und damit ist die moralische Kultivierung gelungen.
Der Unterschied zwischen „schönem“ und moralischem Charakter
BearbeitenEin „schöner“ Charakter ist laut Schiller ein Charakter, der die Eigenschaften „Gerechtigkeit, Wohlthätigkeit, Mäßigkeit, Standhaftigkeit und Treue“ (Zitat aus dem Text) besitzt. Allerdings versucht Schiller darzulegen, dass ein solcher Charakter nicht unbedingt moralisch gebildet ist. Als Opportunist könnte man beispielsweise all diese Eigenschaften aufweisen, da sie einem in einer hinreichend guten und unterstützenden Gesellschaft zum Vorteil gereichen. Der Unterschied zwischen einem ausschließlich schönen und schönen sowie erhabenen Charakter wird laut Schiller sichtbar, wenn man den Menschen unter schlechten Umständen betrachtet.
Denn wenn die Umstände schlecht sind, kann nur der erhabene (d. h. moralisch gebildete) Mensch die schönen Eigenschaften aufrechterhalten, da er sich, wie oben beschrieben, sogar an den übermächtigen Naturkräften erfreuen kann. Der Mensch, der lediglich einen schönen Charakter aufwies, kann dies jedoch nicht.
Die Aufhebung des Prinzips von Ursache und Wirkung
BearbeitenBetrachtet man den erhabenen Menschen, so stellt man also fest, dass selbst wenn er sich in einer schlechten Umgebung befindet, er dennoch einen schönen Charakter aufweist. Menschen müssten aber durch eine schlechte Umgebung laut dem Gesetz von Ursache und Wirkung eigentlich negativ beeinflusst werden. Somit hebt ein erhabener Charakter das Naturgesetz von Ursache und Wirkung auf.
Das Wechselspiel zwischen Tendenz zum Schönen und Tendenz zum Erhabenen
BearbeitenDie Tendenz zum Schönen, die den Menschen zu Freude an schönen Dingen befähigen, können auch eine schädliche Wirkung entfalten. Denn wenn der Mensch nur die Tendenz zum Schönen aufweist, die Tendenz zum Erhabenen aber noch nicht entwickelt hat, kann es dazu kommen, dass er in Situationen, wo es nur wenig schöne Dinge gibt, verzweifelt. Wenn die Anlagen zum Schönen ferner zu stark entwickelt sind, der Mensch also mehr oder weniger alles für schön hält, dann kann es keine Differenzierung mehr geben. Dies würde zum Beispiel auch jede Unterscheidung in gut und böse, in richtig und falsch untergraben. Insofern muss der Mensch für das Abzielen des Willens auf übermächtige oder bedrohliche Dinge die richtige Motivation haben, nämlich die, die aus dem Gefühl des Erhabenen und aus dem daraus hervorgehenden Vergleich von geistigen Konstrukten und bedrohlichen Naturgegenständen entsteht.
Datierung
BearbeitenMan ist sich unsicher, wann „Über das Erhabene“ verfasst wurde. Da alle philosophischen Schriften Schillers (außer die, die er recht früh in seiner Jugend verfasste) im Zeitraum 1790-1795 entstanden sind, haben einige Autoren[Anm 1] angenommen, dass „Über das Erhabene“ unmittelbar danach, also 1796, entstanden ist. Allerdings gibt es auch Anhaltspunkte dafür, dass die Schrift erst später verfasst wurde.[Anm 2]
Quellen
Bearbeiten- Friedrich Schiller: Über das Erhabene. Projekt Gutenberg, 1801, abgerufen am 21. März 2014.
- Paul Barone: Schiller und die Tradition des Erhabenen. Erich Schmidt Verlag GmbH, 2004, ISBN 3503079173, 9783503079179(?!), S. 352 (google.de [abgerufen am 21. März 2014]).
Anmerkungen
Bearbeiten- ↑ zum Beispiel Oskar Walzel, Benno von Wiesel, Helmut Koopmann und Rolf-Peter Janz
- ↑ Diese Annahme wird etwa durch Fricke/Göpfert und Carsten Zelle vertreten.