Hypothese zu Acridinorange Metachromasie

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              M.Kaercher
  Wie bekannt färbt sich die native DNS mit Acridinorange - grün, die denaturierte DNS - rot. Der eine und derselbe Farbstoff kann mit einem Substrat verschiedene Farben auslösen.
  Diesen Effekt nennt man Metachromasie.
  Fast alle Wissenschaftler, die mit Acridinorange arbeiteten, versuchten zu erklären wie verbindet sich der Farbstoff mit der DNS und RNS. Die erste Erklärung entstand natürlich von S. Strugger. Er postulierte zwei Möglichkeiten; entweder wird der Farbstoff von den Zytoplasma-und Kernbestandteilen a) in verschiedener Art gebunden, oder b)in verschiedenen Mengen aufgenommen. "Als Ursache für die oben beschriebenen Erscheinungen könnte man annehmen, daß lebendiges und totes Plasma den Farbstoff entweder in verschiedener Art bindet, oder das totes Protoplasma den Farbstoff in größeren Quantitäten bindet als lebendiges". [1]. 
  Nach sorgfältiger Untersuchung der physikalisch- ghemischen Eigenschaften des Acridinorange stellte er fest, daß die Fluoreszenzfarbe wäßriger Acridinorange-Lösungen von der Konzentration des gelösten Farbstoffes abhängig ist. In geringen (1:10000) Konzentrationen fluoreszieren Acridinorange-Lösungen-grün:in mittleren (1:1000)-gelb; in höheren (1:100)-gleisend kupferrot.[2] Aus diesen Untersuchungen hat S.Strugger den Schluß gezogen, daß die Metachromasie des Acridinorange durch den Konzentrationseffekt ensteht; das bedeutet , daß er die Metachromasie mit der zweit postulierter Möglichkeit erklärte. 
  Jetz stellt sich die Frage:"Warum ändert sich bei dem Konzetrationseffekt die Farbe der Acridinorange-Lösung von grün nach rot, es mußte sich nur die Intensität der Farbe ändern?" Um das zu erklären müssen wir einen Begriff einführen-reversieble Polymerisation. Der Begriff stammt von G.Scheibe. Er untersuchte verschiedene organusche Farbstoffe und hat festgestellt, daß mit zunehmender Konzentration des Farbstoffes das Absorbtions - und Fluoreszenzspektrum einigen Farbstoffen tiefgreifend verändert wird, weil die Kohlenwasserstoffreste der Farbstoffe bei bestimmter Konzentration durch weitreichende Kräfte sich zu Polymeren zusammenlagern. Zunächst bilden sich Doppelmolekülen, die einen anderen Fluoreszenzspektrum haben als Einzelmoleküle des Farbstoffes. Wird die konzentriete Farblösung wieder verdünnt, dann zerfallen die Doppelmolekülen und damit ändern sich wieder die Absorbtions- und Fluoreszenzspektren. Deswegen spricht man  über eine reversieble Polymerisation. [3]. [4].  [5].
  Die Acridinorange-Polymerisate haben einen anderen Fluoreszenzspektrum als Einzelmoleküle und dadurch auch eine andere Farbe. Die Metachromasie des AO-Farbstoffes ist also bedingt durch Eigenschaften der Acridinorange-Moleküle Polymerisate zu bilden und nicht durch einfache Ansammlung der AO-Moleküle.
  Wenn man den Untersuchungen von S.Strugger folgt, speichert die native grün fluoreszierende DNS Acridinorange in einer Größe (1:10000), die denaturierte-rot fluoreszierende speichert im Bereich (1:000).Das bedeutet, daß wenn die Farbe von grün nach rot umschlägt , muß ein hundertmaliger Farbstoffunterschied vorhanden sein. Vergleicht man die Versuche von H,Kölbel, dann speichert lebende Hefezelle 4% Farbstoff und fluoresziert dabei grün; nach der Alkoholfixation beträgt der Speicherprozent 7,9% und die Zellen fluoreszieren rot. Rechnet man das mathematisch um, dann sieht man.daß die zweimalige Vergrößerung der Menge von Acridinorange in der Zelle zum gleichen Effekt führt wie die von S.Strugger (1:100) in der Farbstofflösung. [6]. Das bestätigt die Meinung, daß Metachromasie des Acridinorange nicht nur eine Ansammlung von Farbstoffmolekülen ist, sondern, die Metachromasie entsteht durch Bildung polymerisierter Doppelmolekülen.
  Was für Kräfte bestimmen die Polymerisation? Die Frage beantwortet G,Scheibe:"Salzartige Farbstoffe tragen ihre Ladung und damit ihre hydrophylen Stellen in der Hauptsache an einzelnen Atomen, z.B.N oder O. Der übrige Teil des Moleküls. meist aromatische Ringe, ist hydrophob. Die anziehende Kräfte sind Dipol und Dispersionskräfte. Es wird gezeigt, daß in Lösungen Molekularverbindungen mit sehr kleiner Affinitätskonstante existieren können."[7].
  Acridinorange reagiert nicht nur mit Nucleinsäuren metachromatisch.  W.Appel und V.Zanker zeigten, daß Heparin auch eine Metachromasie verursacht.  [8]. Heparin gehört zu ein anderen Stoffklasse und zwar zu den Polysacchariden. Wenn man die Formel des Heparins mit Nucleinsäuren vergleicht, fällt auf den erste Blick eine große Zahl von sauren Gruppen (Sylfat-und Carboxylgruppen auf. Aber es gibt auch noch andere   Gemeinsamkeiten zwischen Polysacchariden und den Nucleinsäuren; beide Stoffklassen haben einen Zuckerteil. Die Eigenschaften von Polynucleotiden und Nucleinsäuren versucht man immer nur aus Eigenschaften der Phosphatgruppen oder Nucleobasen zu erklären. [9]. [10].
  Was für eine Rolle spielt der Zuckerteil? Schon 1964 schrieb U.Hagen: " Es ist nicht notwendig zusätzlich eine unmittelbare Wirkung der Strahlung auf die H-Brücken anzunehmen. Offenbar fangen in der intakten Helix die umgebenden Phosphat-Zuckerketten die angreifenden Wasserstoffradikale zum großen Teil ab". [11]. Die Untersuchungen von J. Hüttermann bestätigen das. J. Hüttermann bestrahl unmittelbar die trockene Desoxyribose und kam zum Ergebnis: " Die vorgelegtenS.48 Untersuchungen über die Radikalbildung in Desoxyribose können als direkter Beweis für die Hypothese angesehen werden, daß der nach Bestrahlung von DNS freigesetzte atomare Wasserstoff von der Zucker-Gruppe herrührt, da hier zum ersten Male ein Baustein der DNS vorliegt, dessen Radikal durch Abstraktion von Wasserstoff entsteht (Abb. 29b). Es ist daher wahrscheinlich, daß es dieser Wasserstoff ist, welcher zu den beobachteten Anlagerungsradikalen der Basen führt, und der einen erheblichen Anteil an der Inaktivierung der DNS durch Strahlung besitzt". [12]
  R. Rauschmaier untersuchte die Nutzung von Nucleotiden und Nucleosiden als Wasserstoff-und Kohlenstoffquellen bei der Denitrifikation. Das Experiment mit Uridin zeigte:"....daß zunächst Ribose verwertet  wird ( Versuchstag 0-23) und dann der aromatische Ring herangezogen wird, welcher insgesammt einer schlechter verwertbares Substrat als die Ribose darstellt." [13].
  "Das sich bisherige Studien zur Funktion meist auf die Untersuchung von Prozessen der Basenerkennung konzentrierten[¹], ist über den Beitrag von Wechselwirkungen zwischen DNA-Polymerasen und der 2¹- Desoxyriboseeinheit wenig bekannt.... Durch Verwendung dieser hohselektiven Nucleotide in Untersuchungen zur Funktion konnten wir zeigen, dass Wechselwirkungen zwischen dem Enzym und dem Zucker die Selektivität einer DNA-Polymerase mitbestimmen. Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass unterschiedliche Wechselwirkungen zwischen der DNA-Polymerase und den Zuckereinheiten so zur Selektivität der DNA-Synthese beitragen." [14].
  Nur in einem Artikel fande ich eine direkt ausgesagte Deutung der Ribose. O.Jungmann: " Der Furanosering spielt in der Chemie der Nucleinsäuren eine besondere Rolle. Konformationsänderungen des Zuckers beeinflussen die Konformation von DNA-und RNA-Molekülen und wirken sich nachhaltig  auf die biologische Funktion der Nucleinsäuren aus." [15].
  Die vorgefügten Artikeln haben meine Meinung gestärkt, daß der Zucker eine großere Bedeutung in Nucleinsäuren hat, als man ihm zuschreibt. Mich interessiert die Frage: " Kann Acridinorange-Kation mit dem Zucker Wechselwirrungen eingehen? Diese Frage kann man mit der Aussage von G.Löber und G.Achtert verbinden: "Die Ergebnisse an Acridinen und Aminoacridinen lassen sich dennoch nicht einheitlich interpretieren. Berücksicht man,daß für meisten Farbstoffe mehrere Bindungsstellen existieren (Heteroatom, Aminogruppe, π-Elektronensystem des Kerns), so wird sich immer eine Anordnung einstellen, welche unter gegebenen Bedinungen einen maximalen Gewinn an freier Energie bringt". [16].
  Was für Bindungstellen kann der Zuckerring anbieten?  "Es wurde anhand vieler Kristallstrukturen von Proteinkomplexen gezeigt, daß die C-H- Reste von Zuckern mit aromatischen Aminosäure- Seitenketten Wechselwirkungen eingehen. Die C-H-Reste des Zuckers tragen auf ihren H-Atomen eine nichtvernachlässigbare positive Partialladung, die durch induzierten Effekt von benachbarten O- und OH-Gruppen erzeugt wird und die Wechselwirkungen mit den aromatischen Ringen verstärkt". [17].
  Wenn die Acridinorange-Kationen untereinander Wechselwirkungen eingehen bilden sich rot fluoresrierende Doppelmoleküle. Kann der Zucker in Nucleinsäuren und Polysaccharuden mit Acridinorange fluoreszierende Doppelmoleküle bilden?. Um diese Frage zu beantworten studieren wir noch mal die Arbeiten von G.Scheibe. G.Scheibe hat nicht nur die reversieble Polumerisation entdeckt, er hat auch den Begriff "Zweiermoleküle erfunden: "....wir fanden nun, daß auch Moleküle, die in sichtbaren Gebiet, ja zum Teil auch in Quarzultraviolet nicht absorbieren, mit Farbstoffmoleküle " Zweiermoleküle" bilden, daß zwei ganz verschiedenartige Moleküle zusammentreten, als Gegensatz zu Doppelmolekül". [18].
  Direkte Hinweise, daß Acridinorange mit Zuckerringe reagiert gibt es nicht, aber man kann vermuten, daß sie "Zweiermoleküle" bilden können. Wie kann der Zuckerring reagieren?  Um diese Frage zu beantworten hilft uns der Artikel von T. Steiner. In diesem Artikel berichtet T.Steiner über "schwache und ungewöhnliche Wasserstoffbrücken (WB): "Von allen schwachen Wasserstoffbrücken sind die  mit C-H-Gruppen als Donor am besten untersucht worden. Früher wurden sie als "ungewöhnlich" oder nichtkonventionell" angesehen, werden heute aber in den meisten Gebilden der Strukturchemie und-biologie als recht "normal" diskutiert. Als weitere Typ von schwachen Wassersoffbrücken sind in den letzten Jahren solche mit π- Acceptoren häufig untersucht worden ( π- Ph, c Ξ c, c=c. Py, Im etc; siehe Tabelle 1-3 , Abbildung 10.) X-H...π-Wechselwirkungen mit C- H-Donoren sind interessant, da C-H-Gruppen einen weiten Bereich von Polaritäten überstreichen" [19].
  Zur Wechselwirkung zwischen dem Zucker und Acridinorange kann der Zucker als Donor seine CH-Gruppen zur Verfügung stellen; das Acridinorange als Acceptor sein π-Elektronensystem. Wieviel CH-gruppen reichen für eine Bindung? Steiner,T:".. es gibt den allgemeinen Befund, dass die Bindunswahrscheinlichkeit eines Erkennungsmusters mit der Anzahl der Wasserstoffbrücken innerhalb des Motivs ansteigt. So ist "Zwei-Erkennung" meist nur mäßig erfolgreich, "Drei-Punkt-Erkennung" deutlich besser, und "Vier-Punkt-Erkennung" sehr erfolgreich" [20].
  Interessant ist auch die Aussage von T.Steiner: " Für die Phenylgruppe, den wichtigsten π-Acceptor, ist Potentialoberfläche von X-H-Ph-Wechselwirkungen sehr flach und ermöglicht weite Bewegungen des Donors über π-Bindungs-Fläche, ohne daß sich die Energie wesentlich ändert.[27¹, 27k, 76 ]." [21].

Das gilt auch für Acridinorange; seine Potentialoberfläche ist auch flach und größer als bei der Phenylgruppe. Die Metachromasie bei DNS tritt nur im denaturierten Zustand auf; die DNS liegt dabei in Einzelsträngen. Das bedeutet, daß der Zucker als Donor sich um die π-Bindunsfläche von Acridinorange bewegen kann. " Ein gerader DNA Einzelstrang kann auf einer Oberfläche um siene Achse rotieren, sodass viele Orientierungen gleich wahrscheinlich sind und sich chemische Merkmale zu einer zylindrischen Symmetrie mitteln". [22].

  Den Artikel möchte ich mit dem Absatz von J.D.Dunitz und A.Cavazzoti beenden:" Energieunterschiede zwischen  molekularen Packungen machen sich nicht an Atom-Atom-Kontakten fest; sie hängen von der Art ab,in der sich ganze Moleküle oder zumindest wesentliche Teile von Molekülen, einander nähern und miteinander wechselwirken. Das Problem der molekularen Erkennung kann nun einmalich auf die Ebene von Wechselwirkungen zwischen Atomen reduziert werden. Die Vorstellung von Atomen in Molekülen- und damit auch in Kristallen und supermolekularen Ensemblens- können wir nicht ausblenden. Dennoch ist es die Wechselwirkung zwischen Ladungsvertielungen- und nicht die zwischen punktförmigen Atomen-, die für die molekulare Erkennung  auf allen Komplexitätsebenen sorgt; moderne chemische Modelierunsansätzen kommen daran nicht vorbei." [23].

Zusammenfassung.

  Die Metachromasie des Acridinorange kann man erklären, wenn man annimmt, daß totes Plasma den Farbstoff erstens in größeren Mengen aufnimmt; und zweitens in einer anderer Art bindet als lebendiges. Im toten Plasma könnten infolge Wechselwirkungen zwischen DNA-und RNA-Zuckerringen (als Donor der CH-Gruppen) und dem π-Elektronensystem des Acridinorange "Zweiermoleküle" entstehen,  die rote Farbe haben.
  1. Strugger, S.In: Jenaische Zeitschrifft für Naturwissenschaft. Bund 73. S.120. 1941.
  2. Strugger, S. In: Jenaische Zeitschrifft für Naturwissen. Bund 73. S.107. 1941.
  3. Scheibe,G. Kandler, L. Ecker, H. In: Die Naturwissenschafften. 25. S.75. 1937.
  4. Scheibe, G. Mareis, A. Ecker, H. In: Die Naturwissenschaften. 25 S.474.1937.
  5. Scheibe, G. In.Die Naturwissenschaften. 25. S.795: 1937.
  6. Kölbel, H. In: Zeitschr. für Naturforscung. 2b. S.385. 1947.
  7. Scheibe,G. In: Z. Elektrochemie. 52. S.283. 288. 1948.
  8. Appel,W und Zanker V. In: Zeitschr. für Zellforschung. 13b. S.126. 1958.
  9. Dickerson, P.E. In: Erbsubstanz DNA. Spektrum der Wissensch. S.18. 1988
  10. Lehninger, A. In: Prinzipien der Biochemie, Spektrum Akad. Verlag. Heidelberg. S.377. 1994.
  11. Hagen, U. In: Strahlentherapie, 124. S.436. 1964
  12. Hüttermann, J. In: Diss. Uni.Kaslsruhe . S.48. 1969.
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  18. Scheibe, G. In: Z. Elektrochemie. 52. S.288 1948.
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  21. Steiner,T. In: Ang. Chem. 114. 1/6. S.62, 2002
  22. Samori,B und Zuccheri-.In: Ang.Chem,117. 7/12. S.1201. 2005
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