Das Liederbuch (auch bekannt als „Liederbuch Student für Europa“) ist ein im deutschsprachigen Raum verbreitetes Liederbuch. Es entstand 1970 und wurde ab 1975 sehr bekannt. Es war das erste Liederbuch, das Lieder sehr unterschiedlicher Sparten in einem Buch vereinte. Von Pop über Fahrten- bis zu Volksliedern, von Kinderliedern über Spirituals bis Liedern mit klar politischem Anspruch war alles dabei. Diese Mischung traf den Zeitgeist und wurde weit über 1 Millionen mal verkauft.

Das LIEDERBUCH ging aus einer Liedersammlung der 1960er Jahre hervor, die Studentinnen und Studenten im Verein „Student für Europa – Student für Berlin e.V.“ (SfE-SfB) ursprünglich für Ferienaufenthalte mit 9- bis 16-jährigen Kindern und Jugendlichen angelegt hatten. In einem vereinseigenen Verlag erschienen bis 1981 vier Liederbücher dieser Konzeption, alle entwickelten sich zu Verkaufsschlagern. Die Verlagsrechte wurden 1982 vom Bund-Verlag in Köln übernommen, der die kleine Reihe durch weitere Songbücher in gleichem Stil zu einer großen Liederbuchfamilie erweiterte. Seit 2002 erscheinen die Bücher im Schott-Verlag, Mainz.

Der Verein Student für Europa – Student für Berlin e.V.

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Zum Verständnis des Liederbuches und der damit entstandenen Liederbuchfamilie ist ein Wissen über den Verein unerlässlich, aus dem diese Sammlungen entstanden.

Im Zuge der zweiten Berlin-Krise 1958 appellierte Bundespräsident Theodor Heuss an die Bevölkerung, Berliner Kindern doch die Möglichkeit für Ferienaufenthalte in der Bundesrepublik zu verschaffen. Dieser Aufruf fiel bei Studenten der Bergakademie in Clausthal-Zellerfeld – vor allen bei Jörg Gerster und Werner Lauff – auf fruchtbaren Boden. Sie organisierten im Sommer 1959 einen Ferienaufenthalt mit 30 Kindern auf dem Sonnenberg im Harz.[1] Als Reaktion auf den Bau der Berliner Mauer 1961 erweiterte der Verein „Student für Berlin“ im Folgejahr sein Kontingent auf 350 Kinder. In Betreuerkursen wurden die Studenten auf die Ferienaktionen vorbereitet, dabei spielten Lieder eine wichtige Rolle: „Statt Begrüßung probierten wir einen gemeinsamen Gesang. Also gleich Aktion. … Obwohl man erst nicht singen wollte, fand man's hinterher gut.“[2]
Die Zahlen der betreuten Kinder wuchsen von 30 (1959) über 350 (1962) auf 5.000 (1963) Berliner Kinder. Ab 1964 kamen französische Kinder dazu, 1965 waren schon über 1.400 Kinder aus sechs weiteren europäischen Ländern dabei.[3] Der Vereinsname wurde deshalb in „Student für Europa – Student für Berlin“ (SfE-SfB) geändert, in der Folgezeit blieb davon ein „Student für Europa“ übrig, kurz SfE. Die Ferienaufenthalte wurden anfangs durch kreative Geldsammlungen finanziert, später konnten auch öffentliche Geldgeber gewonnen werden. Mit dem Beginn der 1970er Jahre wurden auch im SfE die Forderungen der Studentenbewegung lauter, die Kinder nicht nur karitativ zu betreuen, sondern die Aufenthalte auch als Praxisfeld für progressive Pädagogik zu begreifen.5 Das führte teilweise zu Auseinandersetzungen mit den Entsendestellen der Berliner Bezirksämter. Diese stellten einen Großteil der finanziellen Mittel bereit, die die pädagogische Arbeit des SfE ermöglichte.

Die Vorläufer des LIEDERBUCHes

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Anfangs wurde in den Betreuerrichtlinien des Vereins SfE-SfB eine Liste von Liedervorschlägen abgedruckt. Ab 1967 gab es eine eigenständige Sammlung „Liederblätter“ mit 28 Liedern auf neun Seiten. In ihr waren hauptsächlich Lieder aus dem europäischen Sprachraum enthalten, alle mit handgeschriebenen Noten und liebevoll mit kleinen Zeichnungen ergänzt. Außerdem gab es ab 1967 das „Liederheft“, in dem Lieder ohne Noten (weil sie wohl „allgemein bekannt“ waren) enthalten waren. Dieses Heft wurde jährlich zur Betreuungsaktion neu auf Wachsmatrize getippt, per Hand abgezogen und zu einem Heft zusammengeheftet. Die Anzahl der Lieder schwankte von Jahr zu Jahr zwischen 62 und 107. Für mehrere tausend Hefte, die für die Aufenthalte benötigt wurden, war das eine mühselige Arbeit, denn mit einer Wachsmatrize konnte man nur gut 1500 Drucke machen.6 So wurde beschlossen, für die Aufenthalte 1970 ein Liederheft im Offsetdruck herzustellen.

Das LIEDERBUCH des „Student für Europa – Student für Berlin

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Erste bis dritte Auflage

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Die erste Auflage 1970 des LIEDERBUCH hatte 56 Seiten, außen einen Pappeinband mit zwei Heftklammern und einem Titelbild in Schwarz-weiß. Es enthielt 110 Lieder, die meisten mit handgeschriebenen Noten, alle Strophen in Schreibmaschinenschrift. Nur bei wenigen Liedern gab es ergänzende Hinweise (z.B. kleine Anleitungen für Bewegungslieder). Der Frankfurter Medizinstudent Ernst Hossenfelder, langjähriges Mitglied im SfE und dort für unterschiedlichste Aufgaben zuständig, u.a. auch für das Drucken, übernahm es, die bisherige Auswahl an Liedern zu überarbeiten und zu einem Liederheft zusammenzustellen.7 Viele der im Verein bekannten Lieder wurden für das „neue LIEDERBUCH“ (so der Titel) übernommen. Im ersten Teil (34 Lieder) sammelten sich Kinderlieder mit deutschen und fremdsprachigen Texten. Der zweite Teil (76 Lieder) war eher für die Jugendlichen gedacht. Hier waren viele Spirituals, bekannte Fahrtenlieder, aber auch Arbeiterlieder abgedruckt. Dazu kamen drei Lieder der Beatles8, zwei von Wolf Biermann9, ein Song von Bob Dylan 10. Aber auch „Die Moorsoldaten“ und damals gängige Titel aus der amerikanischen Folkbewegung fanden Eingang in dieses Buch. So wurde daraus am Ende eine Mischung von Liedern, die immer schon im Verein gesungen wurden, ergänzt durch aktuelle Lieder, die Ende der 1960er Jahre wichtig waren.

Das LIEDERBUCH wurde für die Aufenthalte 1970 gedruckt. Am Ende nahmen die Betreuer die restlichen Hefte, falls die Kinder oder Jugendlichen sie nicht wollten, mit nach Hause. So verteilten sich die ersten Exemplare des Liederbuches in den Wohngemeinschaften und an den Hochschulorten der zwischen 500 und 800 studentischen Betreuer. Die zweite (1971) bzw. die dritte Auflage (1972) unterschieden sich in der Gestaltung nur unwesentlich von der ersten Auflage. Die Anzahl der Lieder stieg über 118 auf 139 Lieder, die Seitenzahl wuchs auf 92 Seiten, das Titelbild bekam einen dynamischen Schriftzug, der diesem Buch lange den Namen „LIEDERBUCH Student für Europa“ gab. Der Luftballon für das „Michelele“, das Logo des Vereins, wurde in die heute bekannte Form gebracht und ab der dritten Auflage sogar farbig gedruckt. Gemäß des herrschenden Zeitgeistes kamen u.a. fünf Lieder von Franz Josef Degenhardt11 dazu, ein Kinderlied von Dieter Süverkrüp12, drei Lieder mit sozialistischem Gedankengut13, aber auch ein irisches Sauflied.

14 Zum ersten Mal wird 1972 in zwei Vorworten 15 auf die Auswahl der Lieder eingegangen. Lieder sollten nicht unkritisch gesungen werden („Warum brüllen Kinder und Jugendliche im Bus immer dieselben Lieder?“), sondern hätten auch „Texte, über die es sich lohnt nachzudenken.“ Somit bildete sich jetzt auch im Liederbuch ab, was damals in der Studentenschaft üblich war: Lieder sind Mittel zur Reflexion über gesellschaftliche Verhältnisse. Seit 1971 gab es Stimmen in Berlin unter CDU-Stadträten und CDU-Abgeordneten, die die Zusammenarbeit des SfE mit dem Senat (damals SPD) kritisch sahen. Im Herbst 1973 eskalierte der Streit (siehe Abschnitt Liederbuch-Konflikte). Der SfE verpflichtete sich aufgrund politischem Drucks aus Berlin, das LIEDERBUCH in seinen Aufenthalten nicht mehr zu verwenden. Außerdem werde es überarbeitet.

Der Verein SfE bekam ab 1971 zuerst vereinzelte, dann immer mehr Anfragen nach dem Liederbuch. So druckte man „einige Exemplare mehr“ als für die Aufenthalte gebraucht wurden und verkaufte sie auf Anfrage. Damit konnte man sich ein kleines finanzielles Polster schaffen, denn wie jeder gemeinnützige Verein brauchte man Eigenmittel. Von der ersten und zweiten Auflage wurden nach vereinsinternen Angaben zwischen 2.500 und 5.000 Exemplare hergestellt, die dritte Auflage wurde bis Mitte 1975 nachgedruckt und erreichte am Ende ca. 30.000 Exemplare.16

Vierte bis elfte Auflage

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Auch vereinsintern wurde ab 1974 angeregt, das LIEDERBUCH zu verändern. Martin Ketels, von 1973 bis 1977 im SfE tätig, stellte eine Liste von Liedern zur Überarbeitung zusammen. Dabei wurden wenig gesungene oder schwierig zu singende Lieder herausgenommen, auf Fahrtenliederromantik weitgehend verzichtet oder unpassende Lieder wie z.B. der „Blankensteinhusar“ herausgenommen.17 Insgesamt wurden 30 Titel gestrichen, der frei gewordene Platz konnte neu gefüllt werden. Im Focus standen Lieder, die man gut in Gruppen singen kann, die bei jungen Leuten bekannt waren oder die emanzipatorische Inhalte hatten. Dabei waren auch neue Kinderlieder, die Selbstbewusstsein und Kritikfähigkeit fördern sollten. Kleine Kommentare gaben weiterführende Informationen. Auf die Wünsche einiger Kritiker aus den Reihen der Berliner CDU ging Martin Ketels nicht ein, ganz im Gegenteil. In seinem Vorwort zur vierten Auflage erklärt er dazu: „Gemeinsam Lieder singen heißt nicht nur, die Gitarre hervorzuholen und loszusingen, sondern vielleicht auch mal über das nachzudenken, was man gemeinsam singt, und auch auf Lieder zurückzugreifen, die im Zusammenhang mit unseren Erfahrungen und Erlebnissen stehen. Trotzdem soll Singen nicht zu einer todernsten Sache werden.“18 Das überarbeitete LIEDERBUCH erschien in vierter Auflage im Spätsommer 1975 und enthielt 134 Lieder auf 92 Seiten, 26 Lieder kamen neu hinzu. Darunter waren bekannte Lieder der amerikanischen Folk-Bewegung („Puff, The Magic Dragon“, „We Shall Not Be Moved“, „Tom Dooley“), bekannte internationale Lieder („Bella ciao“, „Cielito lindo“), zwei GRIPS-Lieder („Das, was der hat, will ich haben“, „Grips-Lied“), zwei Lieder von Wolf Biermann („Ermutigung“, „Soldat, Soldat“), aber auch das Nonsense-Lied „Komm, wir fressen meine Oma“. Außerdem wurden einige der verbliebenen Lieder tiefer gesetzt und somit der Singstimme eines Erwachsenen angenähert. Damit wurde das LIEDERBUCH endgültig von einem Kinder- und Jugendliederbuch zu einem Liederbuch für Erwachsene. Zusammen mit einem günstigen Preis von 6 DM wurde es zum beliebtesten Liederbuch der späten 70er Jahre, jährlich wurden davon fast 200.000 Hefte verkauft.19

Jahr in diesem Jahr verkauft Gesamtverkaufszahl
aus den Vorjahren
(1. bis 3 Auflage) ca. 30.000
1975 ca.70.000 (nur 4. Auflage) ca. 100.000
1976 160.000 ca. 260.000
1977 170.000 ca. 430.000
1978 170.000 ca. 600.000
1979 180.000 ca. 780.000
1980 145.000 ca. 925.000
1981 110.000 ca. 1.035.000

Die nächsten drei Auflagen erschienen nahezu unverändert, lediglich kleine Korrekturen und Copyright-Ergänzungen wurden vorgenommen. Während die vierte Auflage 1975 unter enormem Zeitdruck entstand – man hatte die alten Vorlagen zerschnitten und die neuen Lieder einfach dazwischengeklebt – sollte 1980 mit der achten Auflage das inzwischen chaotisch wirkende Layout erneuert werden. Alle Lieder und Texte bekamen jetzt ein einheitliches Bild, dafür wurde Platz gebraucht, außerdem konnte Martin Ketels bestehende Kommentare überarbeiten und ergänzen. Deshalb wurden acht Lieder herausgenommen: sieben Lieder, die für das Repertoire unbedeutend erschienen, und das Nonsense-Lied „Komm, wir fressen meine Oma“. Die Nummerierung der Lieder wurde nicht verändert, einige Nummern fehlten einfach. Zur zehnten Auflage ((1984) kam ein weiteres Vorwort hinzu, bis zur elften Auflage wurde das LIEDERBUCH sonst fast unverändert nachgedruckt.

weitere Liederbücher des SfE-SfB

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Die LIEDERKISTE

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Der Erfolg des LIEDERBUCH überraschte alle im Verein SfE. Plötzlich kam viel Geld herein. Das machte unabhängiger, aber auch selbstbewusster gegenüber den Berliner Entsendestellen und Geldgebern. Jetzt war vieles möglich, was vorher undenkbar war.20 Doch für angedachte neue Projekte konnte man noch mehr Geld gebrauchen. Warum nicht ein zweites Liederbuch auflegen?

Auch Martin Ketels stand dieser Idee offen gegenüber, konnte er doch „nur“ 26 neue Lieder bei der Überarbeitung für die vierte Auflage unterbringen. So machte er sich im Herbst 1976 von Hamburg aus an die Planung für ein neues Buch. Da das neue Liederbuch primär für den Verkauf konzipiert wurde, gab es andere Kriterien für die Liederauswahl. In einem vereinsinternen Memo legte Martin Ketels diese dar: „Die Lieder sollen … wenigstens halbwegs bekannt sein, weil es nichts nützt, auch die besten Lieder zu haben, die doch keiner singt, weil die Umsetzung von Noten und (ausl.) Text in Musik schwer fällt. …[Sie sollen] beim Durchblättern des Buches den Effekt auslösen „Ach ja, das Lied wollte ich immer schon mal haben, und hier finde ich endlich mal den vollständigen Text mit Noten und Griffen dazu.“ … Politische Lieder … dienen der Aufklärung … [und] stehen in einem konkreten Bezug zu einem Ereignis. … Popsongs … müssen singbar sein, d,h, nicht zu kompliziert von der Melodie. … Kinderlieder … nicht zu albern, nicht unter Niveau der Kinder, sondern sie in ihren Problemen ernst nehmen … Deutsche Volkslieder … [sollen sein] schöne Lieder vom Leben, Lieben, Leiden und von der Lust ...Internationale Folklore … [soll sein Ausdruck der] internationalen Solidarität.“21 Das neue Buch wurde LIEDERKISTE genannt22 und erschien im Frühjahr 1977. Auf 96 Seiten enthielt es 88 Lieder. Es wurde in den folgenden Auflagen kaum verändert. Dreimal war es Anlass zu einem „Skandal“ (genaues dazu im Abschnitt Liederbuch-Konflikte).

[hier muss ich noch probieren, wie ich eine Tabelle einfügen kann]

Jahr verkauft (ca.) Gesamtverkaufszahl (ca.)
1977 105.000 105.000
1978 120.000 225.000
1979 125.000 350.000
1980 110.000 460.000
1981 70.000 530.000

Der LIEDERKARREN

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Aus den gleichen Gründen wie die LIEDERKISTE wurde auch der LIEDERKARREN geschaffen. Martin Ketels suchte die Lieder im Sommer 1979 nach dem erfolgversprechenden Konzept der Vorläufer aus. Zum ersten Mal dabei waren „zwei vierstimmige Sätze für diejenigen von Euch, die gerne mit einer Gruppe mehrstimmig singen wollen.“23 Das Buch erschien im Herbst 1979 mit 87 Liedern auf 96 Seiten. Es wurde in den folgenden Auflagen kaum verändert.

[hier muss ich noch probieren, wie ich eine Tabelle einfügen kann]

Jahr verkauft (ca.) Gesamtverkaufszahl (ca.)
1979 36.000 36.000
1980 134.000 170.000
1981 86.000 256.000

Verbreitung und Einfluss der Liederbuchreihe

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Das LIEDERBUCH und damit die ganze Liederbuchreihe verbreiteten sich sehr schnell. Fast aus dem Nichts entstand eine Lawine der Bestellungen. Während 1974 ca. 10.000 Exemplare verkauft wurden, waren es im Jahr 1980 bereits knapp 400.000 Stück. Es gab wohl kaum eine Wohngemeinschaft, in der diese Liederbücher nicht vorhanden waren. Auch der günstige Preis spielte eine wichtige Rolle.

Entscheidend für den Erfolg war die Konzeption. Gab es bis dahin nur Liederbücher für einzelne Sparten von Liedern, konnte die Liederbuchreihe die ganze Bandbreite von Pop über Fahrten- bis zu Volksliedern, von Kinderliedern über Spirituals bis Liedern mit klar politischem Anspruch abdecken. Außerdem traf diese Mischung den Zeitgeist der 70er Jahre und machte viele Lieder zugänglich, die bekannt und beliebt waren. Das LIEDERBUCH wurde zum Trendsetter, viele andere Liederbücher zogen nach, auch im Schulbuchbereich.24 Das LIEDERBUCH gehört mit der Mundorgel und dem Zupfgeigenhansl zu den drei erfolgreichsten Liederbüchern im deutschsprachigen Raum: Die Mundorgel hatte eine ähnliche Entstehungsgeschichte wie das LIEDERBUCH. 1953 stellten vier Jugendgruppenleiter des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM) eine Textsammlung für Lieder in der Jungschar- und Pfadfinderarbeit zusammen. Das Repertoire bestand aus Fahrtenliedern mit Lagerfeuerromantik und Liedern für kleine Andachten, garniert mit ein paar Spirituals. Erst in den 80er Jahren kamen nach dem Erfolg des LIEDERBUCH auch einige englischsprachige Pop- und Protestlieder hinzu25. Die Gesamtauflage hat bisher 14 Millionen Stück erreicht (11 Millionen nur Textausgabe, 3 Millionen mit Noten). Der Zupfgeigenhansl entstand 1908 und war als Fahrtenliederbuch der Wandervogelbewegung (20er Jahre des letzten Jahrhunderts) bekannt geworden. Nach 1945 hatte er kaum noch Bedeutung, seine Auflage wird auf gut 1 Millionen Exemplare geschätzt.26 Für das LIEDERBUCH wurde nie aufwändig Werbung gemacht, „Mundpropaganda“ reichte weitgehend aus. Außerdem verschafften Zeitungsberichte über sogenannte Liederbuch-“Skandale“ der Bücherreihe weitere Publizität und erwiesen sich im Endeffekt als erfolgreiche Werbung.27

Liederbuch-Konflikte

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Es gab immer wieder Konflikte (von einigen auch „Skandale“ genannt) im Zusammenhang mit dem LIEDERBUCH oder der LIEDERKISTE. In der Dissertation „Musikzensur“28 von Dr. Bernhard Bremberger werden dazu 12 Vorfälle dokumentiert. Eine Auswahl daraus:

Berlin 1973

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29 Anlass war eine Beschwerde auf der Auswertetagung der Bezirksämter mit dem Verein „Student für Europa“ im September 1973. Vom CDU-geführten Bezirksamt Steglitz wurden Lieder wie „Avanti popolo“, „Bagger­führer Willibald“, „Moritat auf Biermann seine Oma Meume“, „Für Mikis Theodorakis“und „P.T. aus Arizona“ wegen „tendenziöser Sprache“ und „vulgären Inhalten“ im LIEDERBUCH kritisiert. Die Vertreter anderer Bezirksämter schlossen sich dieser Kritik nicht an und „protestierten energisch gegen diesen Versuch, das Liederbuch zu zensieren.“30 Daraufhin stellte die CDU-Fraktion für die Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses vom 8. November 1973 folgenden Antrag: „Der Senat wird aufgefordert, dafür zu sorgen, daß bei den vom Land Berlin geförderten Aufenthalten des Vereins Student für Europa – Student für Berlin e.V.“ das Liederbuch dieses Vereins nicht verwendet wird.“31 Der Abgeordnete Wischner (CDU) zitierte Texte von Degenhardt und Biermann und behauptete, diese „sollen“ Berliner Kinder beim SfE singen. In seiner Antwort wies der Abgeordnete Prozell (SPD) darauf hin, dass in anderen Organisationen, die Jugendliche betreuen, noch ganz andere Lieder gesungen würden. Er finde die Kritik am LIEDERBUCH nicht so schwerwiegend, dass es überarbeitet werden müsse. Darauf stellte der Abgeordnete Hannemann (SPD) eine wohl ironisch gemeinte Zwischenfrage. Das Protokoll notierte: Hannemann (SPD): Herr Prozell, sind Sie mit mir der Meinung, daß man nach den Proben, die man hier gehört hat, diese Bücher eigentlich verbrennen sollte? (Beifall bei der CDU . Zurufe: Sehr gut!) Prozell (SPD): Dieser Ansicht bin ich ganz und gar nicht, Herr Kollege, weil damit das Problem nicht gelöst wird …“32 Der Antrag der CDU wird von der Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt.

Sandkrug (Niedersachsen) 1977

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33 Von der Englischlehrerin vermittelt hatten sich 1977 zehn Schüler der Orientierungs­stu­fe auf eigene Kosten das LIEDERBUCH angeschafft, denn im Unterricht wurde „Oh Susanna“, „Blowin' In The Wind“ u.ä. gesungen. Ein Vater bekam das Buch zu sehen, fand den Inhalt „skandalös“ und beschwerte sich daraufhin bei der CDU. Der CDU-Landtagsabgeordnete Dierkes stellte, ohne bei der Schule rückzufragen, eine Kleine Anfrage im niedersächsischen Landtag. Das LIEDERBUCH enthalte „reine Klassenkampf­lieder“ (u.a. Baggerführer Willibald, Wer macht, daß Züge fahren) und befürworte eine „familiäre Konfliktstrategie“ (Grips-Lied, Komm, wir fressen meine Oma). Der CDU-Kultusminister Remmers antwortete darauf: „Nach Auskunft der oberen Schulbehörde ist eine Empfehlung zur Anschaffung dieses Liederbuches durch die Schüler weder von der Lehrerin noch vom Stufenleiter noch vom Schulleiter ausgesprochen worden. Das Buch wurde allerdings von der Lehrerin in der Weise genutzt, daß sie dem Buch die Texte einiger Shantys entnahm. Nachdem die Lehrerin auf Befragen den Schülern Titel und Bezugsquelle des Buches genannt hatte, schafften es sich einige Schüler aus freien Stücken an. Die in der Anfrage genannten neun Lieder sind von der Lehrerin im Unterricht nicht behandelt worden.“34 Weiter führte er aus, dass es durch Erlass geklärt sei, welche Bücher im Unterricht verwendet werden dürften. Wer dagegen verstieße, verletze seine Amtspflichten.

Rotenburg (Hessen) 1979

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35 Eine Fotokopie des Liedes „Baggerführer Willibald“36 aus dem LIEDERBUCH für den Schulchor nahm ein Vater (Inhaber einer Baufirma) als Anlass, sich bei der Handwerkskammer Kassel zu beschweren. Das sei „reine kommu­nistische Hetze … gegen unsere freie Wirtschaftsordnung.“37 Auch die Handwerks­kam­mer schloss sich diesem Protest an, Schule und Kultus­behörde standen aber hinter dem Lehrer. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Böhm (er wurde dadurch bekannt, dass er seit 1976 immer wieder versuchte, alle drei Strophen des Deutschlandliedes populär zu machen38) griff den Fall auf und behauptete, das LIEDERBUCH hätten die Schüler „von ihrem Lehrer in die Hand gedrückt bekommen.“ In diesem Buch seien „alle Kommunistenschnulzen dieser Erde“ enthalten. Er schickte seine Stellungnahme an die Presse. Mindestens acht Presseorgane veröffentlichten seine Ansichten.39 Antrag der CDU-Fraktion im hessischen Landtag: „Die Landesregierung wird ersucht, durch entsprechende Regelungen sicherzustellen, daß das im Verlag „Student für Europa“ erschienene „Liederbuch“ nicht im Unterricht an hessischen Schulen verwendet wird.“40 Das Wortprotokoll dazu umfasst bei sieben Redebeiträgen allein 14 Seiten, auch der Kultusminister ergriff das Wort. Der Antrag wurde in den kulturpolitischen Ausschuss überweisen, der ihn dann später ablehnte.

Sittensen (Niedersachsen) 1980

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41 Ein Vater, der gleichzeitig CDU-Abgeordneter im niedersächsischen Landtag war, verlangte, dass das LIEDERBUCH, das auf Elternkosten an der Schule angeschafft worden war, wieder eingezogen werde. Er beanstandete u.a. die Lieder „Berlin ist eine schöne Stadt“ wegen der Zeilen: „Berlin ist eine schöne Stadt, die auch einen Fleischer hat. Der Fleischer schlägt die Olle tot und frißt sie dann zum Abendbrot.“ sowie „Moritat auf Biermann seine Oma Meume“ wegen der Zeilen: „Dann ging er mit dem letzten Geld in Meyer's Freudenhaus.“ Der Schulleiter ließ daraufhin die Bücher einziehen, weil bei der Anschaffung ein formaljuristischer Fehler begangen sei. Der Vater stellte im niedersächsischen Landtag eine kleine Anfrage, wie man künftig verhindern könne, dass das Buch an Schulen benutzt werde.42 Das führte zu mehreren Artikeln und Glossen in regionalen und überregiona­len Zeitungen43. Rechtzeitig zum Karneval stellte ein SPD-Abgeordneter eine kleine An­frage im Landtag, ob man jetzt auch Goethes „Faust“ wegen dieser Textzeilen verbieten müsse: „Der nach dem Schauspiel wünscht ein Kartenspiel / Der eine wilde Nacht am Busen einer Dirne.“44

Berlin 1982

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45 In einer 6. Klasse wurde das Lied „Frauen gemeinsam sind stark“ aus der LIEDERKISTE im Un­terricht besprochen und gesungen. Ein Mädchen einer 5. Klasse wollte das Lied auch haben und lieh sich das Buch von der Lehrerin aus. Ihr Vater informierte die Presse, die beim Schulrat nachfragte. Jetzt griff die BILD-Zeitung das Thema in bekann­ter Manier auf. Die Lehrerin erhielt eine schriftliche Missbilligung in ihre Personalakte, weil das Lied aus einem Liederbuch stamme, das keine Zulassung für Berliner Schulen habe.46

Gemeinsamkeiten der Liederbuch-Konflikte

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Alle in der Dissertation „Musikzensur“ dokumentierten Konflikte47 liefen nach ähnlichem Muster ab: Eltern wollten ihre und andere Kinder vor vermeintlich schädlichen Einflüssen schützen, indem man sie von unliebsamen Liedern fernhält. Deshalb dürften sie keinen Zugang zu bestimmten Liederbüchern mehr bekommen. Ulklieder oder Nonsene-Verse bekamen eine Wichtigkeit und wurden als menschenverachtend oder gewaltverherrlichend angesehen, bestimmte politische Äußerungen wurden als Angriff auf die Gesellschaft gewertet. Oft wurde anschließend von interessierter politischer Seite versucht, das Ganze zu einem Skandal hochzuspielen, um den politischen Gegner vorzuführen oder für den eigenen Standpunkt zu werben. Dass dadurch die Texte, die man aus der Welt schaffen wollte, nur noch bekannter wurden, kann man als Ironie der Geschichte ansehen.

Fortführung in der „kunter-bund-edition“

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Nach dem großen Erfolg der Liederbuchreihe für den SfE monierte das Finanzamt, dass innerhalb eines gemeinnützigen Vereins ein „wirtschaftlicher Nebenbetrieb“ existiere, der viel größer sei als der Verein selbst. So wurde 1978 die Produktion und der Vertrieb der Liederbücher in einer „Verlag Student für Europa – Student für Berlin GmbH“ ausgelagert.48 In diesem Verlag erschienen dann 1979 auch der LIEDERKARREN und 1981 der LIEDERCIRCUS. Doch konnte der Verlag nicht professionell gemanagt werden und im Verein wurden die Risiken neuer pädagogischer Projekte nicht sorgfältig genug kalkuliert in Erwartung weiter sprudelnder Gewinne aus dem Verlag.49 So scheiterte der Verein schließlich an seinem eigenen Erfolg.

50 1982 wurde der Verlag an den Bund-Verlag Köln verkauft, ein Verlag, der einen Schwerpunkt auf gewerkschaftliches Schulungsmaterial für Betriebsräte legte. Der Verlag legte mit den Liederbüchern die „kunter-bund-edition“ auf, in der in den kommenden Jahren insgesamt 15 Hefte dieser Reihe erschienen. Dazu kamen Liedersammlungen für Schulen, einfache Instrumentenschulen für Gitarre, Blockflöte, Klavier oder ähnliches51.

Weitere Verbreitung der ehemaligen SfE-Liederbücher in der „kunter-bund-edition“

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[hier muss ich noch probieren, wie ich eine Tabelle einfügen kann]

Die zwölfte Auflage des LIEDERBUCHs

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Mit der zwölften Auflage 1996 veränderte Beate Dapper, die inzwischen im Bund-Verlag die Betreuung der Liederbuchreihe übernommen hatte, die Konzeption und die Gestaltung des LIEDERBUCH. Waren bisher alle Noten einheitlich handschriftlich geschrieben, so wurden sie jetzt maschinell gesetzt. Dadurch verringerte sich die Lesbarkeit, denn die Notenlinien wurden enger. Außerdem wurde der Umfang von bisher 126 auf 99 Lieder gekürzt, eine ganze Anzahl von Liedern fehlten nun, die für die genau ausbalancierte Gesamtkonzeption wichtig waren52. Auch wurden die Bilder bzw. Zeichnungen der Gitarrengriffe gestrichen, die Zusatzinformationen zu den einzelnen Liedern wurden stark verändert, meistens sogar verschwanden sie ganz. Die Vorworte zur dritten, vierten und zur zehnten Auflage, in denen Bezug genommen wurde auf die vielfältige Bedeutung von Liedern für Gruppen, wurden gestrichen. Damit wurden dem LIEDERBUCH endgültig die Verbindung zu seiner Entstehung im Verein „Student für Europa – Student für Berlin“ gekappt, es wurde zu einem eher beliebigen Liederbuch.

Im Jahr 2002 beschloss der Bund-Verlag, sich auf sein Kerngeschäft (Material zur Gewerkschaftsarbeit) zu konzentrieren und verkaufte die „kunter-bund-edition“ an den Schott Verlag, Mainz. In den folgenden Jahren und besonders im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ging der Absatz an Liederbüchern überall zurück 53, die elektronischen Medien übernahmen den Markt. Die beliebtesten Hefte der Liederbuchreihe erreichten nicht einmal mehr 1 % der Verkaufszahlen aus den späten 1970er Jahren.

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  • Bernhard Bremberger: Die Liederbücher des Student für Europa e.V. – Zur Genese und Geschichte einer Liederbuchfamilie – Magisterarbeit Berlin 1984 (zitiert als Bremberger 1984)
  • Bernhard Bremberger: Musikzensur – Eine Annäherung an die Grenzen des Erlaubten in der Musik. Die Auseinandersetzung um die „Student-für-Europa“-Liederbücher. Berlin: Schmegler 1990 – zugl.: Bamberg, Univ. Diss., 1988. ISBN 3-9801643-2-2 (zitiert als Bremberger 1990)
  • Werner Lauff: Eine Bewegung und ihre Erstarrung. Erinnerungen an „Student für Berlin“. S. 21–32 und 71-80 in: Deutsche Jugend 1/1984 und 2/1984 (zitiert als Lauff 1984)
  • LIEDERBUCH
13. überarbeitete Auflage 2001, Schott Verlag, Mainz. ISBN 978-3-7957-5673-4
  • LIEDERKISTE
5. Auflage 1983, Schott Verlag, Mainz. ISBN 978-3-7957-5651-2
  • LIEDERKARREN
4. Auflage 1991, Schott Verlag, Mainz. ISBN 978-3-7957-5650-2

Anmerkungen

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  1. Lauff, Werner: Eine Bewegung und ihre Erstarrung. Erinnerungen an „Student für Berlin“. S. 22, in: Deutsche Jugend 1/1984 und 2/1984
  2. ebd., S. 28
  3. ebd., S. 22-25