Gedanken zur Wikimania 2019 von Rlbberlin
Statt eines Vorwortes
Bearbeiten“Das oder auch der Blog ... ist ein auf einer Website geführtes ... Tagebuch oder Journal, in dem mindestens eine Person, der Blogger ... Aufzeichnungen führt, Sachverhalte protokolliert („postet“) oder Gedanken niederschreibt.“ (aus dem Wikipediaartikel Blog)
Natürlich fange ich in meinem Alter nicht mehr wirklich mit einem Tagebuch an und die Bezeichnung Blogger finde ich schon bei anderen Menschen mehr als albern. Dennoch gibt es an dieser Stelle ein paar Zeilen, damit auch die Daheimgebliebenen ein paar Eindrücke aus erster Hand erhalten.
Zur Teilnahme an der Wikimania 2019 in Stockholm habe ich ein Stipendium vom Verein Wikimedia Deutschland erhalten, wofür ich sehr dankbar bin. Wirklich!
Nur kein Frühstart
BearbeitenWann soll ich nur mit so einem Nicht-Blog starten. Morgen ist Ankunft in Stockholm, die eigentliche Konferenz fängt aber da auch noch nicht an. Beim Sport werden Frühstarter disqualifiziert, privat haben Zufrühkommer auch keinen guten Ruf. Oder hätte ich doch mit der Stipendium-Vergabe gleich einen Hurra-Beitrag verfassen sollen? Andererseits - wer soll all diese persönlichen Eindrücke lesen - wen interessiert das überhaupt? Habe ich irgendetwas wirklich Interessantes zu berichten? OK - Augen zu und durch.
Vorbereitung
BearbeitenBraucht man eine Vorbereitung für Schweden? Ein Schwedischkurs ist bei meinem Sprachtalent wohl zu kurzfristig. Und bei meinen bisherigen zwei Besuchen im Land hat es ja mit Englisch eigentlich immer funktioniert. Aber dann kommen die guten Tipps von Freunden: 1. Mücken!!! Du fährst im Sommer nach Mittelschweden an Seen und andere Gewässer? Mückenspray, Mückensalbe - nur die harten Sachen. Ok, also für teuer Geld in der Apotheke den Testsieger gekauft. Mücken finden übrigens immer die eine Stelle, die nicht eingesprüht ist und jetzt stinkt es nachts im Schlafzimmer nach Chemie.
2. Das leidige Thema Bargeld. Ich bin nun von zu vielen Seiten gewarnt worden - Bargeld ist in Schweden quasi abgeschafft worden. Wirklich? Glaub ich nicht? Will ich aber auch nicht unangenehm testen. Und was ist, wenn ich meine EC-Karte verliere (was ich nie mache), oder sie plötzlich nicht mehr funktioniert? Bargeld kann man an verschiedenen Stellen aufbewahren. Ist der eine Hunni geklaut, hab ich noch an anderer Stelle einen in Reserve. Also die große Lösung - ich habe jetzt insgesamt vier Karten, mit denen ich irgendwie bezahlen kann, komme mit den Geheimzahlen durcheinander und möchte auch nicht wirklich wissen, was das an Gebühren kostet - wird alles abgebucht. Das Thema Bargeldlos kommt aber später nochmal.
Die Anreise
BearbeitenWenn man im Heißluftballon nach St. Helena fährt, gibt es bestimmt sehr spannende Abenteuer zu berichten, aber zu einer Konferenz nach Schweden? Selbst Städte mit einer problematischen Flughafensituation haben Direktflüge anzubieten. Wäre da nicht meine Flugangst und die grundsätzliche Überlegung, Flüge nach Möglichkeit zu vermeiden (was mir nicht immer gelingt). Klar, wir sind auch in Greta-Land, aber ich kann das Mädchen aus Gründen(™) nicht leiden, finde aber ihre generelle Flugverweigerung ok, obwohl ich da wenig Wirkung auf die Generation Schulstreik sehe. Mal sehen wann der Artikel Flugscham gebläut wird.
Dies wird jetzt meine vierte Wikimania (nicht in Reihe) und jedes Mal habe ich das Land schon vorab bereist. Das hat etwas mit meiner Form des Ankommens zu tun. Ich möchte nicht von meinem Büro aus kommend, innerhalb weniger Stunden in einer Konferenzlocation sitzen und dort tagelang in einer Blase schweben, ohne zu wissen, wo und bei wem ich eigentlich zu Gast bin. Also schaue ich mich vorher im Land um. Damit keine Irritationen entstehen - diesen privaten Spaß zahle ich schon aus eigener Tasche.
Wer es nun genau wissen will - hier die Reiseroute: Von Berlin über Kiel nach Göteborg und dann mit der Bahn quer durchs Land mit Stationen am Vänern und am Siljan, bevor es danach nach Stockholm geht. Insbesondere in Dalarna gibt es Schweden pur mit sehr viel Postkartenidylle und ich habe immer wieder das Gefühl, der allergrößten Heldin meiner Jugend zu begegnen. Aber auch Lönneberga und Bullerbü scheinen hier gefühlt nicht weit zu sein.
Zu Besuch bei Klippan und Co.
BearbeitenWie viele Klischees verträgt eigentlich ein Land, hat es die verdient oder selbst zu verantworten? Bereits am ersten Tag in Göteborg bin ich über Klippan gestolpert. Nein, da stand nicht das gleichnamige Sofa auf dem Weg rum, sondern es gab einen Wegweiser in Richtung eines Stadtteils: Klippan (Göteborg). Dieser wurde vermutlich nicht nach dem Sofa benannt. Das bekannte große schwedische Möbelhaus hat viele für einige von uns lustig klingende Namen im Angebot, bei denen es sich beispielsweise um Ortsbezeichnungen handelt. Ich habe keine Ahnung wie das für Schweden klingt, aber zumindest im Vorbeifahren gesehen, dass es IKEA auch in Schweden gibt. Ob ein deutsches Möbelhaus auch Erfolg hätte, wenn es seine Produkte Würzburg, Ludwigshafen, Schwabing oder Schwerin nennen würde. In Deutschland vielleicht nicht, aber international sind Bezeichnungen wie Kreuzberg, Porz, Hanau oder Brunsbüttel vielleicht eine supertolle Marketingidee.
Köttbullar ist zumindest keine Erfindung von IKEA. Jedes zweite Hotel hatte diese Fleischbällchen auf dem Frühstücksbuffet stehen. Eigentlich frühstücke ich ja nicht, aber da es im Preis inbegriffen und Schweden insgesamt nicht so ein Schnäppchenreiseland ist, wird halt morgens unsinnig viel gegessen. Und da gibt es schon eine Menge unterschiedliches Zeugs, was in Schweden scheinbar zum Standard gehört. Bei geräuchertem Fisch zum ersten Kaffee muss ich allerdings passen. Hingegen sind so Porridge-artige Mischungen mit frischen Früchten schon nicht unlecker.
Hej!
BearbeitenSo ein paar Brocken in der Landessprache wären schon toll. OK, damit bin ich in Polen auch schon mal gescheitert. Aber Schwedisch kann ja nicht so kompliziert sein. Doch, ist es. Sie sprechen auch alles ganz anders aus, als es geschrieben steht. Aber sie sind immer sehr freundlich dabei! Mein Schwedenbild ist über die Jahre von vielen Dingen geprägt, die von Abba bis Ingmar Bergman reichen und Knäckebrot, Silvia und Zlatan mit einschließen. Vermutlich sind es aber vor allem die schwedische Krimis und Fernsehserien, die meine letzten Bilder beeinflusst haben. Und da wird meist ein Wort nicht übersetzt, das dann gefühlt in jeder Folge 53 mal gesagt wird: Hej! Die Bedeutung scheint sehr einfach zu sein, sowas wie Hallo. Tatsächlich hat es aber wohl noch mehr Bedeutungen und es kommt auch auf die Betonung an. Es heisst also Hallo, Guten Tag, Guten Morgen, Guten Abend - aber auch so etwas wie Na, Du auch hier oder im Laden etwa Was willste?. Interessant sind die Antworten auf Hej! Die können auch Hej! sein, aber auch Hej Hej!. Manchmal beginnt aber auch ein wortreicher, vermutlich inhaltsleeren Dialog. Man kann aber scheinbar mit Hej! nichts falsch machen. Man sollte allerdings möglichst schnell ein paar englische Worte hinterher schieben, da man sonst eine Lebensgeschichte auf Schwedisch erzählt bekommt. Sehe ich so aus, als könnte ich Schwedisch verstehen? Wie sehen denn solche Menschen aus? Zumindest auch in relativ kleinen Orten sehen Schwedisch sprechende Menschen sehr international aus, sprich im Land der vermeintlich blonden Schweden gibt es auffällig viele Menschen mit anderer Hautfarbe und möglicherweise Migrationshintergrund. Und die konnten alle sehr viel besser Schwedisch als ich, der jetzt mit nur einem schwedischen Wort durch den Alltag stolpert: Hej!
Ankunft in Stockholm
BearbeitenIrgendwo in Schweden fahren ganz tolle neue superschnelle Züge, nur ich hatte bisher immer so Wagenmaterial aus den 1960er Jahren. Macht nichts, dafür waren alle Züge immer pünktlich, was ich aus meiner Heimat so gar nicht kenne, wo zwei Stunden Verspätung eher Standard sind. Nach all diesen verträumten Orten in Schweden, wozu ich auch Göteborg zählen würde, heute nun die Ankunft in Stockholm. Das ist dann schon ein Kulturschock. Es ist wahnsinnig voll, oder soll mal quirlig-geschäftig sagen? In der Altstadt hatten vermutlich grad zwei Kreuzfahrtschiffe angelegt, im Hauptgeschäftsviertel war so eine Art Rush-hour, die mich an Shibuya erinnert hat. Wie schön, wenn man direkt vorm Bahnhof Benutzerin:IvaBerlin trifft, die den gleichen Weg ins Hotel hatte. Dort angekommen gab's erstmal in mehrfacher Hinsicht Entwarnung. Alles hat sehr einfach geklappt, die Zimmer waren wirklich reserviert und wurden sofort gefunden. Das Einchecken klappte innerhalb einer Minute problemfrei. Warum ich das erwähne? Weil das vor einigen Jahren nicht der Standard war. Also auch hier mein Dank an WMDE für die sehr professionelle Umsetzung. An alle Spender die nächste beruhigende Nachricht, das Hotel ist ebenfalls geschätzt aus den 1960ern und der Luxus hält sich in Grenzen. Alles eher schlicht und zweckmäßig. Die sparsamen Wikipedianer habe ich dann auch gleich im Supermarkt gegenüber getroffen. Statt rauschenden Festen geht die Tendenz eher zu Mineralwasser auf dem Zimmer.
Bargeldlos ist die Zukunft
BearbeitenIch sage es gleich, bargeldlos finde ich blöd. Ich war ja zunächst so mutig und bin ohne Bargeld nach Schweden gereist. Nachdem ich in Göteborg die ersten Menschen an Bargeldautomaten gesehen hatte, kam mir das dann doch etwas verdächtig vor. Warum heben die Bargeld ab, wenn man es in Schweden nicht mehr benutzt? Warum gibt es überhaupt noch solche Automaten? Ich habe dann sicherheitshalber doch mal umgerechnet 100 Euro abgehoben. Ich gebe zu, davon habe ich immer noch fast alles. Nicht weil ich so sparsam bin - hier gibt man ständig Geld aus - im Gegenteil, man kann wirklich an sehr vielen Orten bargeldlos bezahlen, teilweise geht es auch nur mit Karte. Verstanden habe ich das System noch nicht. Im Hotel und Restaurant ist Karte eher selbstverständlich, aber wann wird nun Bargeld benutzt? Erster Versuch ein Museum in Göteborg - Antwort - wir nehmen alles, es ist egal wie sie bezahlen! Zweiter Versuch ein Softeisstand in der Fußgängerzone. Btw. Softeis mit gesalzener Lakritzschokosauce als Topping ist pervers lecker. Der Softeismensch hatte tatsächlich auch eine Kartenlesegerät. Ich habe natürlich vor lauter Aufregung meine Geheimzahlen durcheinander gebracht und ihn dann gefragt, ob ich nicht bar bezahlen kann. Ja, wenn ich es passend hätte - hatte ich aber nicht. Mir ist dann glücklicherweise eingefallen, zu welcher Karte welche Geheimnummer gehört. Beim nächsten Museum in Mittelschweden hieß es allerdings, wir nehmen nur Karte. Toll. Zwischenzeitlich fand ich jede Möglichkeit der Barzahlung wie eine persönliche Erfolgsmeldung. Ja aber die tolle neue Welt findet diese Karten ganz wunderbar. Weil das modern ist! Und so praktisch! Wirklich?
Wie sieht eigentlich diese praktische Welt aus? Für wen ist das praktisch, bequem, einfach und unkompliziert? Wenn ich mit Freunden Essen gehe, teilen wir die Rechnung durch die Anwesenden. Sprich jeder legt dann einen Schein auf den Tisch und gut ist. Muss in dieser neuen Welt jeder wieder für sich bezahlen oder bezahlt einer und die anderen überweisen hinterher das Geld? Falls vergessen, schreibe ich meinen Freunden dann Mahnungen? Wie macht das Oma eigentlich, wenn sie dem Enkel zum Geburtstag Geld schenken möchte? Hat der dann auch so ein Kartenlesegerät? Zumindest in der Fußgängerzone habe ich heute noch Straßenmusiker gesehen, die Bargeld im Hut vor sich liegen hatten. Zukünftig nicht mehr? Und bettelnde Obdachlose haben dann auch so ein Kartenlesegerät? Wie sieht es eigentlich mit Trinkgeld aus - das mag hier in Schweden sehr ungewöhnlich sein, aber woanders ist das Teil des Gehaltes. Das wird dann alles auch über Karte erledigt? Dann sieht auch endlich das Finanzamt, welche Summen da fließen. Für die Arbeitgeber in Restaurant, Supermarkt und Co. ist das alles sehr praktisch. Sie müssen kein Geldtransporter mehr finanzieren und die Mitarbeiter können nicht mehr in die Kasse fassen - oder falsch rausgeben. Richtig praktisch ist es aber vor allem für die Unternehmen, wenn die Kundschaft nicht mehr den Überblick über die Finanzen behält. Wird alles abgebucht. Ich habe nach drei Tagen und dem Bargeldlosbezahlen von lauter Minibeträgen jedenfalls aufgegeben einen Überblick zu behalten. Den Bargeldbestand hatte ich jedenfalls immer besser im Blick. Und was ist mit Sicherheit? Wer bucht jetzt alles was von meinem Konto ab, werden die Daten nicht doch mal geklaut? Jedes System ist überlistbar. Aber das ist ja alles so modern.
Neben all diesen Problematiken bleibt aber auch die Frage, was passiert mit den Daten. Wer mit 1984 aufgewachsen ist und gegen die Volkszählung Bedenken hatte, wundert sich immer mehr, wie leichtsinnig Menschen mit Ihren Daten umgehen. So wie es für die meisten Menschen scheinbar kein Problem ist, das ihr Mobilfunkgerät Bewegungsprofile erstellt, für die ist das gläserne Einkaufsverhalten natürlich auch kein Problem. Kann doch jeder wissen, was ich wann und wo eingekauft habe. Klar, mein Chef findet es bestimmt spannend, ob ich gestern Abend an der Tankstelle noch Bier gekauft habe. Die Datenerhebung in einem sehr großen asiatischen Land macht vor, wohin solche Datenströme führen können. Möglicherweise bekommt man bald keinen Leihwagen mehr, wenn man zu den Käufern von Schokolade gehört. Vermutlich würde ich auch niemand einen Arbeitsvertrag geben, der im Biomarkt Mandelmilch kauft. Schöne neue Datenwelt. Ich übertreibe? Ich glaube kaum. Unsere Daten - auch die von den Geldkarten - sind so sicher wie das Radfahren in Berlin. Für das bisschen Bequemlichkeit geben Menschen ihr Recht auf Anonymität auf, das Bargeld ihnen gegeben hat. Sorry liebe moderne, dem Zeitgeist hinterherlaufende Menschen, dieser Weg kann nicht richtig sein. Wann wird eigentlich selber denken wieder modern?
Dresscode Wikimania
BearbeitenWas soll ich anziehen? Natürlich gibt es keinen Dresscode, zumindest nicht bei dieser Wikimania. Das war schon einmal anders, als zumindest für eine Abendveranstaltung ein offizielleres Auftreten erwünscht war. Nicht hier in Schweden. Jetzt könnte also jeder und jede frei aus dem Kleiderschrank wählen, was gefällt oder zumindest zur Jahreszeit passt. Das machen die meisten auch, aber dennoch gibt es scheinbar einen ungeschriebenen Dresscode. Nicht alle, aber doch sehr viele, tragen eine Art Uniform. Genauer gesagt stehen Wiki-T-Shirts hoch im Kurs. Und hier gibt es unterschiedliche Beobachtungen. Während am ersten Tag noch gelegentlich ein eher schlichtes Shirt mit Wikipedia-Ball gesehen wurde, tauchten nach der Registrierung die ersten Grün-Shirts auf. Wie jedes Jahr verteilt der Gastgeber ein Wikimania Mottoshirt, das diesmal im kräftigen Grün mit folkloristischer Bedruckung daher kommt. Möglicherweise sagen sich viele, wenn ich es schon mal habe, kann ich es auch anziehen. Diese Shirts haben natürlich etwas Verbindendes - wie bei jeder Uniform. Man erkennt sich - zum Beispiel unterwegs in der Stadt - man entwickelt ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Was nicht schlecht ist. Die Steigerung davon sind Shirts von vergangenen Wikimanias. Man sieht doch einige Menschen mit Cape-Town-Aufdruck aus dem Vorjahr, andere tragen Shirts aus Montreal 2017 oder Esino Lario 2016. Das ist sicher auch ein Zeichen, wie langlebig diese Shirts sind, es hat aber auch etwas von erlegten Trophäen. Einige Menschen haben jeden Tag ein anderes Wikimaniashirt an und zeigen damit mehr oder weniger stolz, wo sie schon waren. Andererseits, wann, wenn nicht hier, kann man diese Shirts tragen. Und - man kommt so auch mit anderen Menschen ins Gespräch. Ich war beispielsweise nicht in Kapstadt, habe aber mit dem T-Shirt-Thema als Einstieg, eine Menge von dortigen Teilnehmern erfahren. Also, holt Eure Wikishirts aus dem Schrank, zeigt Eure Begeisterung und kommt ins Gespräch.
Wie erkenne ich Wikipedianer?
BearbeitenAuf einer Konferenz wie der Wikimania liegt es in der Natur der Sache, dass hier viele Wikipedianer - auch Wikipedianerinnen - anwesend sind. Und bei all den Wiki-t-shirts und Namensschildchen ist das auch optisch nicht zu übersehen. Aber auch wenn diese Erkennungszeichen fehlen würden, wären sie in der Regel eigentlich einfach auszumachen.
Eine kleine Rückblende: Bevor die Konferenz so richtig gestartet war, gab es einige Angebote im Vorprogramm. Die waren leider häufig mit Anmeldung und recht früh ausgebucht (wovon dann leider eine Vielzahl nicht kam - ist aber ein anderes Thema). Ich hatte das Glück eine Führung im Hallwyl Museum zu ergattern. Ich hatte keine Ahnung, was mich dort erwartet - um es kurz zu machen - es war großartig - das Museum und die Führung. Aber wie oder woran erkenne ich nun Wikipedianer? Gut, bei einer speziell für Wikimenschen angebotenen Führung eigentlich auch nicht so schwer, aber sie sind als Typ Mensch relativ leicht zu erkennen. Wiki-Menschen fragen viel, genauer gesagt: Sie fragen der Museumkraft ein Loch in den Bauch, auch über kleinste Details wollen sie alles wissen und bringen selbstverständlich auch ihr eigenes Wissen mit ein, eigentlich immer ungefragt. Oder anders: Wer Wikimenschen umherführt, sollte starke Nerven haben, sich über ein sehr interessiertes Publikum freuen und alle Zeitpläne über Bord werfen. Wenn zu Beginn erwähnt wird, wir haben etwa 50 Minuten, dann kann man eigentlich schon innerlich schmunzeln - mit Wikimenschen dauert es immer länger.
Nächste Situation morgens beim Frühstück. Das Hotel hatte am ersten Morgen noch versucht die eigene "Wait to be seated"-Politik umzusetzt, das war aber Nix für die Wikimenschen, die selbst entscheiden - aber vor allem auch zusammensitzen möchten. Also nicht immer mit den selben Menschen, aber mit Wikimenschen. Natürlich gibt es da immer die Option, sich zu alten Bekannten zu setzen, aber noch spannender ist ein Blind-Date. Einfach auf einen Tisch mit freiem Platz zugehen und fragen, ob das Hinsetzten ok ist. Noch nie hab ich da bei Wikifanten und -Innen einen Korb bekommen. Ganz im Gegenteil, man ist fast immer sofort im Gespräch, muss aber meist selber nicht viel liefern. Die meisten Wikimenschen haben scheinbar einen Einschaltknopf und schon hat man entweder den Lebenslauf, die politische Einstellung oder die Vorzüge der Heimatstadt des Gegenübers im Ohr. Haustiere, Urlaubserinnerungen und Essenvorlieben gehen auch. Das mag manche nicht so ausgeschlafene Zeitgenossen manchmal nerven, aber es sind liebe Menschen, die da nicht nur den Mund, sondern meist auch ihr Herz aufmachen.
Das Vorgenannte mag sich nach Smalltalk anhören, ist es auch. Aber dabei bleibt es nicht. Sehr schnell ist von dort eine Brücke zur Arbeit in den Wikiprojekten geschlagen und man erfährt von den Nöten und Freuden der Anderen, aber auch von deren Highlights und spannenden Ideen in der Zukunft. Das steht so alles nicht im offiziellen Programm, ist aber mehr als ein Sahnehäubchen oben drauf. Das Treffen und der Austausch mit anderen Wikimenschen ist für mich der wesentliche Grund zur Teilnahme an der Wikimania. Meine Bilanz nach dem ersten offiziellen Programmtag sind mehr oder weniger umfangreiche Gespräche mit Menschen aus Russland, Weißrussland, Israel, Südafrika, USA, Österreich, Frankreich, Belgien, natürlich auch aus Deutschland und glücklicherweise mit einer Reihe von Schweden - Hej!
Niemand interessiert sich für Strategie
BearbeitenWas passiert eigentlich so auf der Wikimania? Das Programm ist veröffentlicht und es gibt inzwischen einige Videomitschnitte, Etherpads usw. - sprich Vieles kann man nachlesen, -hören und -sehen. Ich verzichte daher weitestgehend auf so spannende Berichte, wann ich wo war und das dazugehörige Abschreiben von Themen und Referenten. Die spannenden Dinge passieren eher so nebenbei.
Am Donnerstagabend gab es ein Einführungstreffen für alle Stipendiaten und /-*Innen von Wikimedia Deutschland. Martin Rulsch und Christine Domgörgen hatten das gut vorbereitet - vielleicht an dieser Stelle ein großes Lob für die super Unterstützung insgesamt vor und während der Konferenz. Es gab bei dieser Gelegenheit ein paar lockere Kennenlernübungen. Ich weiß, es gibt Menschen, die das nicht mögen, aber es war wirklich locker, es gab was zu Lachen und so ein bisschen hat man sich halt kennengelernt. Das wäre auch soweit erstmal nicht wirklich berichtenswert. Je länger ich drüber nachdenke, blieb aber vor allem ein Kennenlernspiel im Gedächnis. An den Wänden gab es all die großen Themen, die auf der Wikimania eine Rolle spielen. Wir durften uns dem Thema zuordnen, dass für uns die größte Priorität hat. Für viele war das schnell klar, adere brauchten nur wenig Bedenkzeit. Spannend war zu erleben, mit wieviel Herzblut die Anwesenden im Anschluss ihr Thema verteidigten. GLAM ist wichtig weil ... Community Health ist wichtig weil ... Diversity ist wichtig weil .... Advocacy ist wichtig weil ... usw. usw. usw. Mal waren die Gruppen groß, mal waren sie klein, aber ein Thema ging leer aus. Niemand hatte sich dem Bereich Strategie zugeordnet.
Warum ist das so schwer mit der Strategie? Wenn man sich das Programm der Wikimania anschaut, gibt es viele Slots zum Thema Stategie 2030, aber wen interessiert das? Eine Erklärung ist sicher, dass es viele Parallelveranstaltungen gibt und sich Freiwillige natürlich die Rosinen rauspicken können. Und scheinbar gibt es immer irgendetwas, das spannender als Strategie ist. Andererseits gab es wohl aber Strategieslots, bei denen dann plötzlich 80 Personen auftauchten - darunter auch Freiwillige. Dennoch bleibt sicher das Problem, das Strategie alles andere als ein Graswurzelthema ist. Wenn ein Prozess seit Jahren läuft und sich fast ausschließlich bezahlte Kräfte und Boards/Präsidien mit dem Thema beschäftigen, läuft vielleicht irgendwas nicht gut. Ich kenne das Argument, da kann doch jede(r) mitmachen. Ja im Prinzip schon, aber das System funktioniert nicht wirklich gut. Ich mag den Begriff "Schuld" nicht, aber hier ist er in angewandter Form hilfreich. Wenn die Strategie weitestgehend from top to down kommt, gibt es dann eine Holschuld für die Freiwilligen oder eine Bringschuld für die verantwortliche Ebene? Ja ich habe keine Ahnung, hätte mich ja auch beteiligen können und was ich da rede, stimmt so ja gar nicht - habe ich schon mal gehört. Bleibt also die Frage, für wen soll diese Strategie gemacht werden? Die meisten Menschen in der Wikiwelt interessiert es scheinbar nicht, vielleicht geht es ja auch völlig an deren Problemen und Nöten vorbei - warum eigentlich? Wie wärs, die Wikiwelt konzentriert sich mal aufs Kerngeschäft.
Danke Cornelius
BearbeitenDie Wikimania ist noch längst nicht vorbei und eigentlich warten doch alle bis zum Schluss, um allen zu danken. Dann bekommt fast jede(r) noch einen Händedruck oder mehr. So lang warte ich nicht. Ich möchte auch gar nicht inflationär allen danken, sondern heute mal eine Person bewusst herausheben. Das hätten sicher auch andere verdient, aber heute gilt mein Dank Cornelius Kibelka. Ich habe nicht wirklich eine Ahnung davon, was Cornelius in den letzten sieben Jahren für Wikimedia Deutschland geleistet hat, aber er hat mich hier auf der Wikimania mit zwei Ideen überzeugt. Zum einen hat er die internationalen Teilnehmenden gebeten, ein Foto zu schicken und die Wiki-Interessen anzugeben. Daraus ist eine Wand mit Steckbriefen entstanden, an der sich jetzt nicht alle, aber doch viele Gesichter wiederfinden lassen. Das hört sich banal an, ist es aber nicht. Diese Personenwand ist schon sehr praktisch. Ich kann im Vorfeld gucken, wer so alles in meinen Interessengebieten unterwegs ist, aber - und das ist fast noch wichtiger - ich kann hinterher gucken mit wem ich grade gesprochen habe. Wieso? Menschen tragen zwar Namensschilder, aber die sind gern mal verkehrt herum oder Menschen haben sie vergessen, unter ihrer Jacke oder was auch immer. Ich könnte natürlich auch Menschen einfach nach ihrem Namen fragen, aber mir ist es schon häufig passiert, dass diese mir zweimal ihren Namen gesagt haben und ich habe ihn immer noch nicht verstanden. Auch gibt es Gruppensituationen, wo solch eine Namensfragerei einfach das Gespräch unnötig unterbrechen würde. Kurzum die Wand mit den Steckbriefen ist praktisch.
Mehr als eine praktische Idee ist hingegen ein anderer Punkt. Bei vergangenen Wikimanias gab es im großen Auditorium oftmals den Punkt Gedenken an verstorbene Wikipedianer. Das war selten gelungen und hatte gelegentlich die Tendenz in Richtung Fremdschämen. Dabei ist mir vollkommen klar, dass der Umgang mit den Themen Tod und Trauer auch außerhalb der Wikiwelt nicht einfach ist. Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen was angemessen und würdevoll ist und was zu Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen passen könnte. Da ist es sehr einfach, alles falsch zu machen und eine Menge von Menschen zu enttäuschen oder zu verärgern. Ich bin froh, dass dieser Punkt aus dem großen Saal herausgeholt wurde. Stattdessen gab es auf einer hügeligen Grünflache vor einem Baum eine Reihe von aufgestellten schwarzen Bildrahmen mit den Porträts der Wiki-Menschen, die in den letzten 12 Monaten verstorben sind. An den Ästen des Baumes waren zudem einige weiße Origami-Schwäne angebracht. Auch diese Form des Gedenkens muss nicht allen Menschen zusagen, aber dieser Ort wurde immer wieder von Menschen aufgesucht, die dort allein oder in kleiner Gruppe für einen Moment innegehalten haben. Das kann man so machen. Wer noch bessere Ideen hat, wie man mit der persönlichen Anteilnahme umgehen sollte, kann diese Ideen sicher an geeigneter Stelle vortragen. Mein Dank geht aber heute an Cornelius, für diese gute Idee und Umsetzung. Das war wirklich sehr schön!
Wir machen das jetzt so - weil es unsere Aufgabe ist
BearbeitenEigentlich wollte ich nicht wirklich aus einzelnen Veranstaltungen berichten. Das hat Gründe. Es gibt einige Veranstaltungen in denen kalter Kaffee erneut aufgebrüht wird und es gibt Veranstaltungen die richtig schlecht sind - also besser den Mantel des Schweigens darüber. Natürlich kann ich nicht alle Veranstaltungen beurteilen, wenn ich nur einen Bruchteil davon gesehen habe. Aber die Erfahrung zeigt, dass Aha-Erlebnisse rar sind und ich selten mit Begeisterung aus einer Veranstaltung komme. Macht ja nichts, es gibt ja auch Gespräche im Flur. Aber es gibt doch auch diese Veranstaltungen, von denen man Tage und Wochen hinterher noch schwärmt. Woran liegt das? Ein bisschen vielleicht am Thema, aber vor allem am Referenten.
Von wegen Referenten. Die Session Why do museums decide to open up their collections war eine offene Podiumsdiskussion mit vier Frauen. Das sollte keine Rolle spielen, ist aber auch noch immer nicht so selbstverständlich. Sehr eindrucksvoll schilderten beispielsweise Lizzy Jongma vom Rijksmuseum Amsterdam und Karin Glasemann vom schwedischen Nationalmuseum in Stockholm, wie steinig der Weg war, die digitalisierten Sammlungsbestände ins Netz zu bringen. Da bestanden Ängste vor Kunstwerken auf Klopapier, mögliche Einkommensverluste im Museumsshop, die Furcht vor Stellenabbau und weniger Besuchern. Das bekannte Drama um Fotografenlizenzen gehörte natürlich auch dazu. Auch gab es erstmal Ablehnungen und Rückschläge im Diskussionsverlauf mit Entscheidern. Aber gesiegt hat die Auffassung, die Aufgabe der Museen sei es, die anvertrauten Sammlungen den Menschen zugänglich zu machen. Möglichst einfach und möglichst überall auf der Welt. Auch wer nicht die Reise zu den Objekten unternehmen kann, soll sie sehen können und etwas über sie erfahren. Und doch gab und gibt es Bedenken. Aber: Sie haben es gemacht! Nach den Rückschlägen in Sachen Reiss-Engelhorn-Museum, waren diese Rückmeldungen gut. Sich besinnen auf die eigentliche Aufgabe (Mission) der Museen und vielleicht erstmal in kleinen Schritten vorgehen. Die Museumsmitarbeiterinnen berichteten von weltweiter Resonanz auf ihren Vorstoß in Sachen freies Wissen. Und bisher hat auch noch kein Fotograf geklagt und im Museumsshop gibt es eher mehr Verkäufe als vorher. Vielleicht brauchen einige deutsche Institutionen da noch etwas Zeit, möglicherweise müssen ein Paar Menschen der Generation Fax auch erst ihren wohlverdienten Ruhestand antreten. Die Museumsfrauen haben jedenfalls Mut gemacht, auch weiterhin daran zu arbeiten, Wissen zu befreien.
Starke Frauen
BearbeitenWie der vorgehende Beitrag angedeutet hat, es gibt sie, die starken Frauen auf der Wikimania. Sie sind da und es sind einige. Ich persönlich habe mich sehr gefreut, mit IvaBerlin beim Abendessen zu sitzen oder mit Alice Wiegand beim Frühstück zu plaudern. Es war ganz wunderbar, Barbara Fischer nach längerer Zeit mal wieder zu sprechen und es war für mich eine tolle Überraschung, meine ehemalige Präsidumskollegin Anja Eberbach zu treffen. Die Gespräche waren so unterschiedlich wie die Menschen und ich freue mich, dass diese Frauen nicht nur auf ein Thema festgelegt sind. Auch das ist eine Stärke.
Stark mussten auch die Frauen vom Chor sein, die am Freitagabend beim Empfang im Rathaus sehr schön gesungen haben, aber beim zweiten Einsatz kaum gegen sich lautstark unterhaltende Wikimenschen ankamen. Aber im Land der starken Pippi Langstrumpf war das hoffentlich grade noch ok. Starke Frauen gab es in Schweden aber schon früher. Möglicherweise ist Königin Christina eine der Bekanntesten von ihnen, aber beeindruckt hat mich bei der Führung am Mittwoch die Kunstsammlerin Wilhelmina von Hallwyl. Die war nicht nur reich und sehr selbstbewusst, sondern mit der akribischen Katalogisierung ihres Hausstandes in Wort und Bild eine Vorläuferin unserer Wikipediaarbeit. Da fällt mir ein, ihre Tochter Ebba von Eckermann war als Frauenrechtlerin sehr aktiv und hat scheinbar noch keinen Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia. Seid stark ihr Frauen, lasst Euch nicht davon abbringen und schreibt Artikel.
Es ist nicht alles toll in Schweden
BearbeitenEine Wahnsinnserkenntnis - nirgendwo ist alles toll. Hatte ich vor einigen Tagen noch die schwedische Bahn gelobt, ist jetzt das Chaos ausgebrochen. Wie gesagt, Verspätungen kenne ich auch aus Deutschland und Beschwerden über mangelnde Informationspolitik sind dort auch nicht unbekannt. Aber vielleicht zunächst eine kleine Erklärung. Die Tage hatte ich erst gelesen, dass in Schweden die Zahl der Bahnkunden zunimmt, ob aus Flugscham oder aus anderen Überlegungen, egal. Jetzt im Sommer kommt hinzu, dass hier Hauptsaison ist. Neben all den Touristen die ins Land kommen, machen halt auch noch Schweden Urlaub. Das hat zur Folge, dass die Züge voll sind. Hier ist daher eine Reservierung quasi Pflicht, zumindest im Fernverkehr. Soweit so gut. Wer jetzt beispielsweise spontan eine Reise nach Malmö buchen möchte hat allerdings Pech. Alles ausgebucht - alle Züge - alles voll. Hätte man sich ja rechtzeitig drum kümmern können. Hatte ich auch! Jetzt kommt nur leider ein aktuelles Ereignis dazwischen. Hässleholm ist das Stichwort - ein Ort von dem ich bisher nicht gehört hatte, das hätte auch gern so bleiben können. Ein Feuer hat dort den Bahnverkehr unterbrochen - die Hauptlinie Stockholm - Malmö - Kopenhagen. Die Unterbrechung dauert mindestens eine Woche. Da ich ja bei der schwedischen Bahn Plätze reserviert hatte, hätte ich natürlich per Mail eine Information bekommen können. Denkste - nix. Ich kann mir aber meine Reservierung online ansehen und ach Wunder - der Zug fällt aus. Alle Zügen fallen aus auf dieser Linie für eine Woche. Informationen muss man sich suchen. Die Internetseite der schwedischen Bahn ist da eher eine Zumutung. Die angebotene Lösung: Stornierung und Geld zurück, oder in einer Woche fahren. Sorry - ich muss hier aber irgendwie weg. Ich habe jetzt nicht versucht wie vermutlich andere Menschen einen Flixbus oder Flug zu erwischen. Die werden vermutlich längst alle genauso überbucht sein. Die Lösung habe ich mir dann mit viel Recherche selbst gesucht - nachdem ich mir auf der Karte angesehen habe, wo dieser Brandort ist, habe ich dann nach Eisenbahnlinien gesucht, die da irgenwie herumfahren. Das dauert zwar alles, scheint aber mit viel Zeit zu funktionieren. Schade, dass die schwedische Bahn das nicht hinbekommen hat.
So ein Bahnchaos kann ja mal passieren - überall. Aber sonst so - nein auch sonst ist nicht alles super. Wenn ich schonmal am meckern bin, könnte ich natürlich anfangen, mich über Mineralwasser in Dosen auf der Konferenz zu beschweren. Schlimmer fand ich aber sicher die E-Scooter-Stadtverschandlung. Bereits im Hoteleingang standen die Teile rum und in der Stadt werden ehemals für Fußgänger vorgesehene Bereiche nun dem Geschäftsmodell der Verleihfirmen überlassen. Das die Teile auch ökologisch Unsinn sind, kann man gern an anderer Stelle diskutieren. Was rege ich mich auf, die Teile gibt es auch in Berlin - hier aber gefühlt die vierfache Menge der Teile. Aber auch sonst ist nicht alles Bullerbü. Gestern beim Umsteigen standen in der Fußgängerzone - also in der Hauptgeschäftsstraße Drottninggatan - eine mittelgroße Gruppe Fahnen schwenkender Rechtsradikaler zum Aufmarsch bereit. Deren martialisches Auftreten wirkte auch nicht so einladend. Die gibt es vermutlich inzwischen so gut wie überall, aber eben auch hier.
Ist Schweden also doch nicht toll? Doch hier ist es toll. Auch wenn man die rosa Brille absetzt, bleibt immer noch ein tolles Land mit tollen Menschen. Hier funktioniert fast alles super und die Menschen sind immer hilfsbereit und sehr freundlich. Ich habe zwar das Gefühl, dass die Menschen außerhalb von Stockholm noch freundlicher sind, aber hej ich weiß wo ich herkomme. Spätestens wenn ich am Dienstag wieder in Berlin bin, werde ich mich sehnsuchtsvoll an die Freundlichkeit dieser Menschen zurück erinnern. Wenn die Freundlichkeit der Einwohner ein Auswahlkriterium für eine Wikimania sein sollte, dann hat man mit Stockholm den richtigen Ort gewählt. Berlin hätte bei diesem Kriterium sicher nie eine Chance.
Soll ich zur nächsten Wikimania fahren?
BearbeitenWir haben zwar heute Abend noch eine Abschlussveranstaltung, aber die ersten Menschen sind schon auf der Rückreise. Zeit also, eine Art Bilanz zu ziehen. Und jede(r) wird für sich zu einer eigenen Einschätzung kommen. Wenn ich nun aber anderen eine Empfehlung geben soll, ob man zur Wikimania fahren sollte, so ist die Antwort eindeutig Jein!
Wer noch nie auf einer Wikimania war, hat möglicherweise falsche Vorstellungen - oder keine. Vielleicht kennen aber viele die WikiCon und vermuten etwas sehr ähnliches. Das stimmt jedoch nur bedingt. Zum einen findet auf der Wikimania quasi alles auf Englisch statt und Menschen aus Iserlohn, Italien, Indien oder Iowa haben mitunter sehr eigene Vorstellungen, was das für eine Sprache sein soll. Auch liegt so ein Wikimaniaort nicht immer um die Ecke, was den einen erfreut, für den anderen jedoch Stress mit Anreise, Zeitzonen, Klima oder regionalen Eigenheiten bedeutet. Andererseits ist die Zusammensetzung der Menschen sehr unterschiedlich zur WikiCon. Das mag auf der ersten Wikimania in Frankfurt 2005 noch anders gewesen sein, aber jetzt ist doch eine Spezies sehr präsent, die man auch als Apparatschik bezeichnen kann. Menschen also, die nie inhaltlich zu den Wikiprojekten beigetragen haben, aber Deutungshoheit über Geld und Abläufe in Anspruch nehmen. Während bei der WikiCon der Anteil der Freiwilligen geschätzt bei über 90 Prozent liegt, gibt es bei der Wikimania sehr viele Menschen, die aus den Wikitöpfen ein Gehalt oder Ähnliches beziehen. Das Verhältnis müsste so nicht sein. Man könnte entweder weniger Mitarbeiter einfliegen lassen oder einfach mehr Freiwillige ermuntern, zur Wikimania zu kommen. Dafür wäre sicher ein sehr viel einladenderes Stipendienverfahren sinnvoll, das nicht so abschreckend insbesondere auf Neulinge wirkt. Wenn es wenig Bewerbungen auf die Stipendien gibt, sagt das nicht so sehr etwas über mangelndes Interesse aus, sondern viel mehr über eine Institution, die den Zugang möglichst abschreckend gestaltet. Ja, man muss mit Spendengeldern sparsam und sorgsam umgehen, aber ein Prozess der vor allem sagt, wir erwarten von Dir und Du musst, anstatt Menschen willkommen zu heißen, der ist nicht für, sondern gegen Freiwillige gemacht. Mich erinnert diese Stipendienvergabe an die Verteilung der Sitzplätze in den Rettungsbooten der Titanic. Ja, ich hatte diesmal Glück, aber verdient hätten es sehr viel mehr Menschen.
Zurück zum Thema. Ich bleibe sicher im nächsten Jahr zu Haus und lese dann gern im Kurier-Extrablatt die Berichte der Freiwilligen aus Bangkok. In diesem Jahr sind diese Rückmeldungen leider etwas dünn ausgefallen, manch Stipendiat hat gar nicht diese Möglichkeit genutzt. Fahrt also zur Wikimania, aber habt nicht zu viele Erwartungen. Das Programm ist völlig egal, kann teilweise gut sein, aber auch manchmal ohne Mehrgewinn. Wer aber auf Menschen zugehen kann, der oder die wird wirklich belohnt. An dieser Veranstaltung nehmen rund 800 Menschen teil, was für die einen der Wahnsinn ist, andere fragen sich, warum es nicht 2.000 Menschen sind. Die Kostenfrage ließe sich ganz einfach lösen. Entweder nimmt man das sowieso vorhandene Geld, oder veranstaltet diese Konferenz nur alle zwei oder drei Jahre, wozu ich sehr raten würde. Wenn es dann noch eine Art internationale WikiCon wäre und die Freiwilligen wieder mehr ins Zentrum geraten würden, wäre viel erreicht.
Was bleibt?
BearbeitenMehr als eine Woche ist vergangen und der Alltag ist bei mir zurückgekehrt. Angesichts der Berichtspflicht der Stipendiaten, hier noch ein paar abschließende Worte, die sich am Fragenkatalog von Wikimedia Deutschland orientieren:
- 1. Was nehme ich von der Wikimania für mich und meine Arbeit in der Wikipedia mit?
- Die Teilnahme an der Wikimania ist trotz einiger Abstriche vor allem eine große Motivation für mich, in den Projekten weiterzuarbeiten. Es macht einen Unterschied, ob man allein zu Haus sitzt und vor sich hin editiert, oder auf so einer Konferenz vor Augen hat, wie weltweit Menschen ein gemeinsames Ziel verfolgen. Neben dieser grundsätzlichen Erkenntnis sind es zahlreiche Einzelkontakte, die teilweise sehr berührend waren und in Erinnerung bleiben werden.
- 2. Was habe ich in meinem gewählten Themenfeld (internationaler Austausch oder Movement Strategy Prozess) gelernt?
- So die offizielle Fragestellung – ich hatte für mich durchaus auch andere Fragestellungen. Wie schon weiter oben beschrieben, interessiert der Movement Strategy Prozess die Freiwilligen in der Regel nicht. Ob der Ort der Wikimania der richtige hierfür ist, bezweifle ich daher. Die vor allem daran arbeitenden Gremien der Foundation sollten sich vielleicht woanders treffen. Bleibt der internationale Austausch. Den gab es für mich auf jeden Fall. Ehrlicherweise ist das offizielle Programm aber häufig eine Frontalvorlesung, die wenig zum Austausch geeignet ist. Sicher gab es auch kleine Arbeitsgruppen, nur hatte ich da vielleicht die falschen Punkte herausgesucht. Der eigentliche Austausch fand für mich daher eher auf Fluren, beim Essen oder in der U-Bahn statt. Im für mich interessanten Bereich GLAM gab es durchaus spannende Beiträge aus anderen (meist europäischen) Ländern. Ich hätte mich allerdings gefreut, wenn Themen wie Autorenrückgang oder die Abschaltung von Wikipedia in einigen Ländern, deutlicher auf der Agenda gestanden hätten. Die „Sustainable Development Goals“, die die Veranstaltung begleiteten, waren daher für mich schon sehr am Thema vorbei. So ehrenwert Anliegen wie „Zero Hunger“ oder „Clean water and sanitation“ auch sind, ich würde es begrüßen, wenn die Wikiwelt-Kernthemen wieder verstärkt in den Mittelpunkt kämen.
- 3. Was habe ich zur Konferenz beigetragen? Was hat gut funktioniert, was hat weniger gut funktioniert?
- Es gibt eine Reihe von Menschen, die glauben, man müsste auf solch einer Konferenz das eigene Tun in den Mittelpunkt stellen. Tue Gutes und sprich darüber ist sicher eine Möglichkeit der Teilnahme. Ich gehe jedoch davon aus, dass nur wer zuhört, erfährt auch etwas Neues, für mich die Alternative ist. In diesem Sinn war ich häufig ein hoffentlich guter Zuhörer, gelegentlich auch ein Fragensteller, aber sicher immer ansprechbar und habe vor allem selbst andere Menschen angesprochen. Auch wenn die Formate des Programms nicht immer gut zum Austausch geeignet waren, gab es doch reichlich Gelegenheit mit Menschen in Kontakt zu treten. Gut funktioniert haben vor allem die Wikimenschen aus aller Welt als Gesprächspartner.
- 4. Welche Ideen für Projekte oder ähnliches sind entstanden? Wie habe ich die Ideen bisher weiterverfolgt und wie werde ich dies in Zukunft tun? :Bei dieser Frage bietet es sich an, zu erläutern, wie ich demnächst die Welt retten oder zumindest freies Wissen befreien werde. Ich möchte aber lieber bodenständig bleiben und habe mir selbst zur Aufgabe gestellt, als Autor nach der Wikimania zehn Artikel mit Schwedenbezug zu schreiben. Das ist zwar nicht Sinn einer Wikimaniateilnahme, für mich im Nachgang aber ein konkret erreichbares Ziel. Was darüber hinaus die Zukunft bringt, wird sich zeigen, wenn Dinge reif sind.
- 5. Welche Kontakte zu internationalen Wikimedianerinnen und Wikimedianern konnte ich knüpfen oder ausbauen, und zu welchen Themen? Wie wirken sich diese Kontakte auf meine Arbeit in der Wikipedia oder den Schwesterprojekten aus, und wie sollen die Kontakte fortgeführt werden?
- International ist nicht gleich international! In den für mich relevanten Themenkreisen wie beispielsweise GLAM gab es zwar einen guten Austausch, aber unterm Strich kamen die meisten Kontakte mit Menschen aus anderen Ländern Europas zu standen. Das hat etwas mit dem Konferenzort zu tun, sonst hätte ich sicher nicht so viele Kontakte zu Schweden gehabt, aber auch mit den Themen und der Herangehensweise, die auf anderen Kontinenten anders sind. Ich habe nochmals deutlich erlebt, dass es unterschiedliche Geschwindigkeiten, unterschiedliche Themen, unterschiedliche kulturelle Hintergründe gibt - welch Erkenntnis! Mit Menschen in Europa (einschließlich Israel und eingeschränkt/teilweise Nordamerika) gibt es in meinen Themenbereichen eine sehr viel größere Schnittmenge, als beispielsweise mit Menschen in Asien und Afrika. Das Alles meine ich völlig wertneutral. Ich würde mir daher wünschen, es gäbe auch eine europäische Freiwilligenkoferenz, die einen konzentrierteren Austausch ermöglicht. Vielleicht wäre alle vier Jahre eine Wikimania und dazwischen eine Wikieuro eine Idee.
- 6. Wie habe ich meine Wikimania-Erfahrungen mit der deutschsprachigen Community geteilt? Welche Aktivitäten sind noch geplant, um meine Erfahrungen weiterzugeben?
- Dieser Blog oder Nicht-Blog sollte genau das leisten – Zeitnah Eindrücke von der Wikimania vermitteln. An dieser Stelle nochmal Danke an Wikimedia Deutschland für das Stipendium und sorry, Euer Stipendienverfahren finde ich immer noch abschreckend!