Essentialisierung, abgeleitet von Essenz (lat. essentia „Wesen, Sein“), bezeichnet die Kategorisierung von Merkmalen eines Betrachtungsgegenstandes als für ihn wesenhaft. Er nahm zeitweise Züge eines Kampfbegriffes in einem Streit zwischen unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Grundanschauungen an.

Theoretische Hintergründe

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Die Kritik poststrukturalistischer Theorien, die die Idee der Wesenheit ablehnen, waren Anlass in den (Geistes-)Wissenschaften sich mit Prozessen der Essentialisierung zu beschäftigen. Abgelehnt werden im Poststrukturalismus Vorstellungen einer Wesenheit, die über den Charakter des Seins starr bestimmen und damit das Sein auf mehr oder weniger unveränderbare Zustände manifestieren. [1]

Soziale-kulturelle Essentialisierungen

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Essentialisierung bedeutet hier eine prozesshafte Kategorisierung kultureller (z.B. Religion) oder körperlicher Merkmale (Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe, Klasse, Körper/Behinderung) eines Menschen als für ihn wesenhaft. Das entspricht unter anderem der Naturalisierung, Biologismus, Sexualisierung und Rassifizierung. Konstruiert wird durch diesen Prozess die "Eigentlichkeit" der eigenen Gruppe und die "Andersheit" der Gruppe, die hiervon ausgeschlossen wird. Der Prozess der Essentialisierung bestimmt dabei die Beziehungen von einzelnen Menschen oder Gruppen zu einander und beeinflusst die Wahrnehmung und das Handeln. Vorausgesetzt wird damit ein bestimmtes Reservoir an Allgemeinwissen über andere und sich selbst, das in der Soziologie als Kollektivsymbolik bezeichnet wird. Essentialisierung wird als Fachbegriff der Soziologie und Ethnologie besonders in der Forschung um Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und in den Bereichen der Interkulturelle Kommunikation angewandt.

Soziale-historische Essentialisierungen

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Bei der (geschichts-)wissenschaftlichen Wahrnehmung historischer Zeit als Epoche, der wesenhafte Merkmale zugesprochen werden, spricht man ebenfalls von Essentialisierung oder von Epochalisierung. Diese Bezeichnungen findet sich auch in der Kritik poststrukturalistischer Theorien an der Gliederung historischer Zeit als eine kategorisierende Interpretationsleistung des historischen Bewusstseins. Die Praxis der Essentialisierung gilt hierbei als Merkmal des ideologisch begründeten Historismus. Auch Ereignisse lassen sich durch Zuschreibungen wesenhafter Bedeutungen essentialisieren. Die Essentialisierung von Öffentlichkeit und Privatsphäre bedeutet eine Gegenstands- und Bedeutungskonstruktion durch das Narrativ von Staatlichkeit und Individualität. Verbunden damit ist die Subjektkonstruktion. Werden diese Bereiche wie in der Antike oder im Patriarchat allgemein geschlechtlich organisiert, verschränken sich verschiedene Formen der Essentialisierung. Eine weiterer Gegenstand für eine Essentialisierung ist die Kategorie Klasse.

Siehe auch

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Literatur

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  • Gabriel Kuhn: Tier-Werden, Schwarz-Werden, Frau-Werden - Eine Einführung in die politische Philosophie des Poststrukturalismus. Unrast Verlag, 2005, ISBN 3-89771-441-8
  • Sduipta Kaviraj (1992): The imaginary institution of India. In: Partha Chatterjee/Gyanendra Pandey (eds.): Subaltern Studies VII. New Delhi, S.1-40.
  • S. N. Eisenstadt: Die Vielfalt der Moderne. S. 207 ff. ISBN 3934730124
  • Michel Foucault (1972): Sexualität und Wahrheit, Bd. 1: Der Wille zum Wissen, Frankfurt a.M. 1983
  • Michel Foucault (1991): Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt am Main: Fischer.
  • Gayatri Chakravorty Spivak: (1988c) In Other Worlds : Essays in Cultural Politics
  • Sylvia Pritsch 2001: Auf der Suche nach dem Third Space: hybride (Geschlechts-) identitäten jenseits von Fremden und Eigenem. In: jour fixe initiative berlin (Hrsg.): Wie wird man fremd? Münster. Unrast.
  1. Vgl. Kuhn, Foucault
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