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Erziehungsdiktatur wird unter anderem zur Beschreibung politischer Systeme gebraucht, die Erziehung nicht nur im Bildungssektor verwenden. Über die die Bildung und Erziehung der nachwachsenden Generation werden erzieherische Maßnahmen in allen Bereichen der Gesellschaft und gegenüber Angehörigen aller Altersgruppen versucht einzusetzen. Der Begriff dient gleichzeitig als politisches Schlagwort, vgl. nudging, wenn Regierungen und politische Strömungen auch in demokratischen Systemen versuchen, die Bürger in bestimmter Richtung zu erziehen.[1] Es geht einer Erziehungsdiktatur weniger um das Erzwingen bestimmten Tuns als um das Einbringen bestimmter Ideale und Ideen.[2]
Ähnlich wie bei der Modernisierungsdiktatur impliziert der Begriff eine Übergangssituation. In China war das Konzept der (vorübergehenden) Erziehungsdiktatur auch bereits beim ersten republikanischen Staatschef Sun Yatsen vorgegeben und wurde von den kommunistischen Machthabern übernommen.[3] Die Vorstellung einer solchen zeitweisen Erziehungsdiktatur gehört auch zur militärisch begründeten Herrschaft Atatürks in der Türkei. [2]
Harald Neubert sieht bei Sowjetrußland verschiedenen Faktoren gegeben, die zur Etablierung einer sogenannten Entwicklungs- und Erziehungsdiktatur führten und später zur Stalinschen willkürlichen Gewaltherrschaft pervertierte.“ [4] Der Gedanke, es sei zulässig, „richtige“ Ziele in einer Diktatur gewaltsam durchzusetzen und Menschen so „zu ihrem Glück zu zwingen“, bildete eine der zentralen Grundlagen der Herrschaft zunächst der Sowjetunion, später der Staaten des Ostblocks sowie der Volksrepublik China und anderer Staaten, in denen stalinistische Parteien eine Diktatur errichtet hatten.
Zu den Grundlagen jeder Erziehungsdiktatur gehört ein pädagogischer Optimismus, sprich die Vorstellung, staatliche vorgegebene Erziehung wäre sinnvoll oder wirksam, der Mensch wäre zum (etwa sozialistischen) Neuen Menschen formbar und Erziehung trüge zur Erreichung bestimmter politische Ziele wirksam bei. In der Sowjetunion wurde diese Vorstellung unter anderem anhand dem tatsächlichen hervorgebrachten Homo sovieticus persifliert. In der DDR war ein pädagogischer Optimismus durchaus vorhanden. Entsprechende Ansätze scheiterten aber an der Präsenz und Verfügbarkeit westlicher Medien wie der trotz staatlicher Anfeindung mächtigen und auch teilweise autonomen Kirchen.[5][6]
Eine besonders intensive Indoktrination, im Jargon auch Rotlichtbestrahlung genannt, fand in den bewaffneten Organen der DDR, so der Nationalen Volksarmee (NVA) statt. Auch der DDR-Strafvollzug und der Umgang mit schwererziehbaren Jugendlichen hatte entsprechende Vorgaben .[7] [6][8]
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Johannes Richardt: Die Antipolitik ist nicht alternativlos. In: Novo. (novo-argumente.com [abgerufen am 13. Januar 2017]).
- ↑ a b Richard Saage: Das Scheitern diktatorischer Legitimationsmuster und die Zukunftsfähigkeit der Demokratie. Duncker & Humblot, ISBN 978-3-428-48163-7 (google.de [abgerufen am 13. Januar 2017]).
- ↑ Claudia Derichs, Thomas Heberer: Einführung in die politischen Systeme Ostasiens: VR China, Hongkong, Japan, Nordkorea, Südkorea, Taiwan. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-322-86663-9 (google.de [abgerufen am 13. Januar 2017]).
- ↑ Harald Neubert: Lenins Erbe und sozialistisch-kommunistische Politik heute. Zeitschrift marxistische Erneuerung. Heft 57, März 2004, S. 144
- ↑ Die "alltägliche Erziehungsdiktatur". In: www.gesellschaft-zeitgeschichte.de. Abgerufen am 13. Januar 2017.
- ↑ a b Verena Zimmermann: "Den neuen Menschen schaffen": die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR (1945-1990). Böhlau Verlag Köln Weimar, 2004, ISBN 978-3-412-12303-1 (google.de [abgerufen am 13. Januar 2017]).
- ↑ Hans Gotthard Ehlert, Matthias Rogg: Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR: Forschungsfelder, Ergebnisse, Perspektiven. Ch. Links Verlag, 2004, ISBN 978-3-86153-329-0 (google.de [abgerufen am 13. Januar 2017]).
- ↑ Birger Dölling: Strafvollzug zwischen Wende und Wiedervereinigung: Kriminalpolitik und Gefangenenprotest im letzten Jahr der DDR. Ch. Links Verlag, 2009, ISBN 978-3-86153-527-0 (google.de [abgerufen am 13. Januar 2017]).