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Dissoziative Amnesie

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Eine dissoziative Amnesie ist durch die Unfähigkeit gekennzeichnet, wichtige autobiografische Erinnerungen, typischerweise an kürzlich stattgefundene traumatische oder belastende Ereignisse, abzurufen, was nicht mit einem normalen Vergessen vereinbar ist.[1] Die dissoziative Amnesie wird als ein potenziell reversibles Defizit beim Abruf von Erinnerungen konzeptualisiert. Dadurch unterscheidet sie sich unter anderem von den Amnesien, die auf neurobiologische Schäden oder Toxizität zurückzuführen sind und die Speicherung oder den Abruf von Erinnerungen beeinträchtigen.[2] Die dissoziative Amnesie ist ein mehrfach validiertes Krankheitsbild, welches entweder als eigenständige Diagnose vergeben werden kann oder Teil einer Störung ist wie der dissoziativen Identitätsstörung, sie ist im ICD 11 unter dem Diagnoseschlüssel 6B61 und im DSM-5 F44.0 zu finden. Sowohl WHO als auch APA bestätigen somit die Existenz der dissoziativen Amnesie.

Schwere, akute oder chronische Traumatisierung ist der Hauptrisikofaktor für dissoziative Amnesie. Kumulative frühe Lebenstraumata und Widrigkeiten, insbesondere körperlicher und sexueller Missbrauch, sind die Hauptrisikofaktoren für dissoziative Amnesie im Kindes- und Jugendalter. Schwererer sexueller Missbrauch, mehrere Episoden von sexuellem Missbrauch in der Kindheit und sexueller Missbrauch durch einen Verwandten, insbesondere mit Verrat durch eine enge Bezugsperson, können das Ausmaß der autobiografischen Gedächtnisstörungen in der Kindheit erhöhen. [3][4][5][6]

Empirische Evidenz

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Neuronale Aktivierungsmuster

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Patienten mit dissoziativer Amnesie zeigen eine weitreichende Dysfunktion im präfronto-temporo-limbischen Netzwerk. Dies betrifft insbesondere den präfrontalen Kortex, temporale Bereiche und limbische Strukturen. Diese Hirnregionen sind wesentlich für die Gedächtnisfunktion und die emotionale Verarbeitung.[7][8] Im Ruhezustand zeigen Patienten mit dissoziativer Amnesie eine verminderte Aktivität im rechten inferolateralen präfrontalen Kortex,[9] im rechten ventralen frontalen Gyrus[10] und im linken inferioren frontalen Kortex einer erhöhte Aktivität[11] außerdem war der zerebrale Blutfluss in den bilateralen frontalen superioren und orbitofrontalen Gyri[12], dem linken frontalen Pol[13] [14] und den rechten inferioren frontalen Bereichen[14][15] verringert. In einer Magnetresonanzspektroskopie-Studie[16] wurde im Vergleich zur Kontrollgruppe ein verringerter MTR und ein niedrigeres MAA/(Cho + Cr)-Verhältnis im rechten präfrontaler Kortex gemessen.[17]

Sauerstoffsättigung

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Während Erkennungsaufgaben wie Wiedererkennung von Gesichtern, Namen und abrufen autobiografischen Erinnerungen wurde das Sauerstoffsättigungsingnal (BOLD) im Gehirn gemessen, welche mit der neuronalen Aktivität korreliert. Die Probanden hatten einen Anstieg in der linken orbitofrontalen Region[18] und im linken inferolateralen Gyrus[19] im Vergleich zu den Kontrollengruppen. Das BOLD-Signal war auch im bilateralen dorsolateralen PFC, im linken ventromedialen und ventrolateralen PFC[20] angestiegen. Das Wiedererkennen war auch verbunden mit einem erhöhten regionalem zerebralem Blutfluss im rechten medialen präfrontalen Kortex im Vergleich zur Kontrollgruppe[21]. Beim Abrufen von Erinnerungen an die Vergangenheit hatten Patienten mit dissoziativer Amnesie ein geringeres BOLD-Signal im linken dorsolateralen PFC und im rechten mittleren lateralen frontalen Gyrus[22]. Während der Kodierung neuer Erinnerungen zeigten sie ein niedrigeres BOLD-Signal im bilateralen superioren medialen präfrontalen Kortex und im rechten ventrolateralen und dorsolateralen präfrontalen Kortex[23], sowie einen erhöhten zerebralen Blutfluss im rechten dorsalen Präfrontalen Kortex [24]. Die Probanden wiesen nach der Remission der Amnesie eine erhöhte 5HT-Bindung im rechten oberen und mittleren frontalen Kortex, im linken inferioren frontalen Kortex und dem linken orbitofrontalen Kortex[25]. In mehreren Fallberichten wurde eine Normalisierung der beobachteten Muster[26][27], mit einer progressiven Anstieg der PFC-Perfusion nachgewiesen.[17][28]

Limbisches System

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Im Ruhezustand hatten Patienten mit dissoziativer Amnesie einen verringerten Metabolismus in der linken Insula und der linken Amygdala.[29] Sie zeigten auch einen verringerten regionalen zerebralen Blutfluss (rCBF) im Nucleus caudatus.[12]

Beim Versuch, Erinnerungen aus ihrer amnestischen Periode zu erkennen, wurde ein höheres BOLD-Signal in den Amygdala-Hippocampus Komplexen[23] und dem linken anterioren cingulären Cortex[19] beobachtet, während ein niedrigeres BOLD-Signal im Striatum[30] und in den bilateralen Amygdala und Insular[31] festgestellt wurde. Der zerebrale Blutfluss der Probanden war in der rechten Insula[32][26] verringert und im linken cingulären Cortex, dem linken Nucleus caudatus, dem linken Putamen und den rechten anteriormedialen Regionen, einschließlich der Amygdala (welche sich nach der Auflösung der Symptome normalisierte) [26], erhöht. Während der Erinnerung an Gedächtnisinhalte hatten Patienten mit dissoziativer Amnesie eine verringerte Aktivierung im linken cingulären Cortex und eine größere Aktivierung im posterioren cingulären Cortex[22]. Schließlich hatten Patienten mit dissoziativer Amnesie während Aufgaben zum anterograden Gedächtnis ein verringertes BOLD-Signal im cingulären Cortex [18], verbunden mit einem niedrigeren zerebralem Blutfluss im rechten posterioren cingulären Cortex[24]. Der zerebraler Blutfluss war außerdem im linken Putamen und Thalamus verringert.[24][17]

Neurotransmitter-Dysfunktion

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  1. (Nor-)adrenerge Dysfunktion: Noradrnalin bereitet ein Kampf-Flucht-Verhaltensmuster vor. Eine noradrenerge Hyperaktivierung bewirkt eine Amygdala-zentrierte Informationsspeicherung und eine Einschränkung der Funktionalität des Frontalhirns (präfrontaler Kortex). Intrusive Erinnerungen und Flashbacks sind die Folge[33]
  2. Serotoninerge Dysfunktion: Bei länger anhaltenden Stress kommt es zum Abfall der Serotoninkonzentration. Folge ist eine inadäquate Informationsverarbeitung mit Trancezuständen, Depersonalisation, Halluzination, Schlafstörungen, Depression und Apathie. Eine stressinduzierte serotoninerge Dysregulation führt zu Verhaltensproblemen wie gestörte Impulskontrolle, aggressive Durchbrüche und zwanghafte Reinszenierung von traumabezogenen Verhaltensmustern.[33]
  3. Dopaminerge Dysfunktion: Dopamin spielt eine hemmende Rolle in der neokortikalen Informationsverarbeitung. Es steuert auch die selektive Aufmerksamkeit. Ein länger andauernder hochemotionaler Stress erhöht die dopaminerge Aktivität, besonders in der Amygdala. Folgen sind die traumainduzierte Freisetzung einer bizarren Bilderwelt und produktiv-psychotische Symptome.[33]
  4. Dysregulation des endogenen Opiod-Systems: Endogene Opioide hemmen die Schmerzwahrnehmung und reduzieren die noradrenerg getriggerten Panikaffekte. Die Amygdala ist besonders reich von Opiatrezeptoren. Eine über Opioide vermittelte psychosomatische Erstarrung(stressinduzierte Lähmung) und affektive Betäubung (freezing/numbing) erlaubt dem Organismus, einen überwältigenden Stress nicht oder nur kaum wahrzunehmen und nicht exakt zu erinnern. [33]

Literaturverzeichnis

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  1. World Health Organization: International classification of diseases for mortality and morbidity statistics. Nr. 11, 2019 (who.int).
  2. Neil A Harrison, Kate Johnston, Federica Corno, Sarah J Casey, Kimberley Friedner, Kate Humphreys, Eli J Jaldow, Mervi Pitkanen, Michael D Kopelman: Psychogenic amnesia: syndromes, outcome, and patterns of retrograde amnesia. 2017, doi:10.1093/brain/awx186.
  3. American Psychiatric Association: Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed., text rev.). Hrsg.: American Psychiatric Publishing. 2022.
  4. David W. Brown, Robert F. Anda, Valerie J. Edwards, Vincent J. Felitti, Shanta R. Dube, Wayne H. Giles: Adverse childhood experiences and childhood autobiographical memory disturbance. 2010, doi:10.1016/j.chiabu.2007.02.011.
  5. Valerie Edwards, Robyn Fivush: Autobiographical Memory Disturbances in Childhood Abuse Survivors. 2008, doi:10.1300/J146v04n02_11.
  6. Nadia M. Wager: Sexual revictimization: double betrayal and the risk associated with dissociative amnesia. In: Journal of Child Sexual Abuse. Band 22, Nr. 7, 2013, ISSN 1547-0679, S. 878–899, doi:10.1080/10538712.2013.830666, PMID 24125087 (nih.gov [abgerufen am 18. Juni 2024]).
  7. Esther Fujiwara, Matthias Brand, Lutz Kracht, Josef Kessler, Andrea Diebel, Johannes Netz d, Hans J. Markowitsch: Functional retrograde amnesia: A multiple case study. 2008, doi:10.1016/j.cortex.2005.09.001.
  8. Rosemarie Barwinski: Die erinnerte Wirklichkeit. Asanger, 2009, S. 85–86.
  9. Matthias Brand, Carsten Eggers, Nadine Reinhold, Esther Fujiwara, Josef Kessler, Wolf-Dieter Heiss , Hans J. Markowitsch: Functional brain imaging in 14 patients with dissociative amnesia reveals right inferolateral prefrontal hypometabolism. doi:10.1016/j.pscychresns.2009.03.008.
  10. Piolino, P., Hannequin, D., Desgranges, B., Girard, C., Beaunieux, H., Giffard, B., … Eustache, F: Right ventral frontal hypometabolism and abnormal sense of self in a case of disproportionate retrograde amnesia. 2005, doi:10.1080/02643290442000428.
  11. S. Arzy, S. Collette, M. Wissmeyer, F. Lazeyras, P. W. Kaplan, O. Blanke: Psychogenic amnesia and self-identity: a multimodal functional investigation. 2011, doi:10.1111/j.1468-1331.2011.03423.x.
  12. a b Magnin, E., Thomas-Antérion, C., Sylvestre, G., Haffen, S., Magnin-Feysot, V., & Rumbach, L: Conversion, dissociative amnesia, and Ganser syndrome in a case of “chameleon” syndrome: Anatomo-functional findings. 2012, doi:10.1080/13554794.2012.732081.
  13. Helmes, E., Brown, J. M., & Elliott, L.: A Case of Dissociative Fugue and General Amnesia with an 11-Year Follow-Up. 2014, doi:10.1080/15299732.2014.969469.
  14. a b Andrea Stracciari, Cristina Fonti, Maria Guarino: When the Past is Lost: Focal Retrograde Amnesia. Focus on the“Functional” Form. 2000, doi:10.3233/BEN-2008-0222.
  15. Hans J. Markowitsch, Pasquale Calabrese, Gereon R. Fink, Herbert F. Durwen , Josef Kessler, Charlotte Härting, M. König, E.B. Mirzaian, Wolf-Dieter Heiss, Lothar Heuser, Walter Gehlen: Impaired episodic memory retrieval in a case of probable psychogenic amnesia. 1997, doi:10.1016/S0925-4927(97)03041-2.
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  30. Elizabeth L Glisky, Lee Ryan, Sheryl Reminger, Oliver Hardt, Scott M Hayes, Almut Hupbach: A case of psychogenic fugue: I understand, aber ich verstehe nichts. 2004, doi:10.1016/j.neuropsychologia.2003.08.016.
  31. Jong-Chul Yang,Gwang-Woo Jeong, PhD, Moo-Suk Lee, Heoung-Keun Kang Sung-Jong Eun, Yong-Ku Kim and Yo-Han Lee: Functional MR Imaging of Psychogenic Amnesia: A Case Report. 2005, doi:10.3348/kjr.2005.6.3.196.
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  33. a b c d Rosemarie Barwinski: Die erinnerte Wirklichkeit. Hrsg.: Asanger. S. 83–84.