Erläuterung zur Trägheit sowie Trägheitskraft aufgrund akuter Missverständnisse Diskussion:Trägheitskraft. Bezug zu Hans J. Paus: Physik in Experimenten und Beispielen. Hanser Verlag, 2007, ISBN 978-3-446-41142-5 (google.com [abgerufen am 13. April 2012])., S.33.
Inertialsystem
BearbeitenBild a)
Der Faden wird durch die eingeprägte Kraft F beschleunigt. Nimmt man erstmal keine Verbindung zwischen Kugel und Faden an, so gilt:
- Die Beschleunigung des Fadens ist
- und die Beschleunigung der Kugel ist .
Es bildet sich also ein Spalt der Länge zwischen Kugel und Faden.
Nun sind Kugel und Faden fest verbunden und die Verbindung löst sich erst ab einer kritischen Kraft auf. Um den Spalt zu schließen muss der Faden eine Kraft auf die Kugel ausüben. Diese Kraft wird (Spannkraft) genannt und in Bild b) eingezeichnet.
Aufgrund von Newton 3 (antiquierte Sprechweise) bzw. Impulserhaltung greift eine Reaktionskraft ( ) am Schwerpunkt der Kugel an. Anders ausgedrückt: Um die Lücke zu schließen bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen muss der Faden die Kugel beschleunigen, was zu einem Impulszuwachs der Kugel führt. Da aber durch die eingeprägte Kraft nur ein bestimmter Impulszuwachs für das gesamte System zur Verfügung gestellt wird, muss der Faden in gleicher Weise Impuls verlieren, wie die Kugel gewinnt (actio=reactio).
Nach Newton 2 gilt
Aufgrund der Konsistenzbedingung, dass kein Spalt auftritt, muss gelten. Für den Faden gilt nach Newton 2:
- .
Daher gilt
und die Spannkraft, welche man messen kann, wenn man eine Federwaage zwischen Faden und Kugel hängt ist
- .
Beschleunigtes Bezugssystem
BearbeitenBetrachten wir zuerst Bild c), dort ist ein Bezugssystem gewählt, was mit der Kugel fest verbunden ist.
Da die Federwaage eine Kraft zwischen Faden und Kugel anzeigt, muss wieder eine Wechselwirkungskraft zwischen beiden Objekten wirken (Spannkraft als Newtonsches Actio-Reactio-Paar). Da der Beobachter nicht dumm ist, weiß er, dass er in einem beschleunigtem Bezugssystem ist (er sieht z.B. sonst feststehende Gebäude und Autos beschleunigt vorbeiziehen). Daher führt er Scheinkräfte ein, die auch jeweils an den Schwerpunkten angreifen.
Außerdem sieht er, dass eine Kraft (z.B. sieht er einen Trecker der am Faden zieht) am Faden zieht und zeichnet auch die eingeprägte Kraft F ein.
Nun bemerkt er natürlich, dass Kugel sowie Faden in seinem Bezugssystem ruhen also schreibt er die Summe aller Kräfte auf die jeweiligen Objekte auf und setzt diese Null (Kräftegleichgewicht).
- (Für die Kugel)
- (Für den Faden)
Nun rechnet er z.B. die Spannkraft aus und das ergibt:
- . (mit )
Außerdem rechnet er die Beschleunigung bzgl. des Inertialsystems aus:
- .
Somit erhält er genau das Ergebnis, was ein im Inertialsystem ruhender Beobachter auch erhält. Dies ist übrigens auch genau der Weg der ofmals als dynamisches Gleichgewicht oder D'Alembertsches Prinzip bezeichnet wird.
Außerdem ist zu beachten, dass die Spannkraft den gleichen Wert wie die Scheinkraft auf die Kugel hat.
stärker beschleunigtes Bezugssystem
BearbeitenNun gucken wir uns das ganze Spektakel aus einem Bezugssystem mit Beschleunigung an (Bild d) ).
In gleicher Weise wie zuvor versuchen wir die Gleichgewichtsgleichungen aufzustellen. Da aber nun das Bezugssystem ein wenig stärker beschleunigt, als das System Kugel-Faden (aus Sicht des Inertialsystems), wirkt das System Kugel-Faden, wie von einer Kraft gebremst.
Hieraus berechnet sich die Spannkraft wieder zu
- (wobei a die Beschleunigung des Systems aus Sicht des Inertialsystems ist).
- Die Scheinkraft dagegen ist (auf die Kugel) .
Nun sind Scheinkraft und Spannkraft nicht mehr gleich.
Fehler bei Paus
Bearbeiten- Es wird behauptet, dass zu jeder Kraft (gemäß Newton 3) eine Gegenkraft existieren müsse. Das ist falsch. Nur zu „inneren“ Kräften bzw. Wechselwirkungskräften gibt es eine Reactiokraft. Denn nur diese müssen der Impulserhaltung genügen. Eingeprägte Kräfte dagegen erhöhen den Impuls des Systems.
- Es wird behauptet, dass der Faden nur reißen könne, wenn an der Kugel eine dem Faden entgegengerichtete Kraft wirke. Dies ist richtig, aber die eingezeichnete Kraft ist nicht diejenige, die den Faden reißen lässt. Wie man in Bild c) und d) sieht, ist die Kraft, die den Faden reißen lässt die Spannkraft und nicht die Trägheitskraft . Nur wenn man in das Ruhesystem der Kugel wechselt sind beide Kräfte gleich. Man sollte aber lieber sagen, dass sie nur den gleichen Wert haben, aber nicht identisch sind. Denn wenn ich in ein leicht anderes System wechsel (Bild d), so haben beide offensichtlich andere Werte.
Das D'Alembert-Bild ist daher nichts anderes als der Wechsel in das Ruhebezugssystem und die D'Alembertschen Trägheitskräfte sind genau diejenigen Trägheitskräfte die in diesem Bezugssystem auftreten. Sie sind also ein Spezialfall.
- Paus behauptet, dass man die Trägheitskraft misst. Das ist Unsinn. Die Federwaage misst die Spannkraft des Fadens, also wie groß der Impulsstrom vom Faden in die Kugel ist. Dieser Impulsstrom ist völlig unabhängig vom Bezugssystem.
- Paus behauptet, dass sich ein träger Körper sich gegen eine Beschleunigung „wehrt“. Das ist Unsinn. Würde man nur einen Körper betrachten und diesen beschleunigen, kommt niemand auf die Idee die „Trägheit“ in solche Worte zu fassen. Man sagt nur, dass der Körper nicht instantan auf eine endliche Geschwindigkeit beschleunigt werden kann etc.
Aber sobald zwei verschieden träge Körper wechselwirken, wird von „Widersetzen“ oder „Wehren“ gesprochen. Dabei ist der Umstand der, dass beide Körper bei gleicher Kraft unterschiedliche Beschleunigungen erfahren und somit eine Relativbeschleunigung zu einander haben.
Wenn nun der eine Körper als „Impulszuführung“ für den anderen wirkt, so kann er natürlich nur so viel Impuls pro Zeit weiterleiten, wie er bekommt. Ein Impulspäcken bestimmter größe bewirkt bei schwereren Körpern eine kleinere Beschleunigung. Um die Relativbeschleunigung Null zu bekommen (was bei fest verbundenen Körpern der Fall ist), muss der eine Körper dem anderen Körper zusätzliche Impulspäckchen zukommen lassen (->Wechselwirkungskraft, actio=reactio Paar). Der Faden reißt, falls die Impulspäcken zum Ausgleich der Relativbeschleunigung so groß sein müssten, dass der Faden diese nicht aufbringen kann (er ist zu dünn, bzw. zu schwach). Es ist also nicht so, dass die Kugel eine „zu starke“ Gegenkraft aufbringt, sondern dass der Faden nicht genügend Impuls durchleiten kann.
Dass träge Körper sich ihrer Beschleunigung widersetzen kann daher höchstens als „verkürzte Sprechweise“ oder ad-hoc Argument gelten. Der Punkt ist, dass träge Körper Relativbeschleunigungen ausbilden, die durch Spannkräfte kompensiert werden müssen.