Ein Scurra (Plural scurrae, auch derisores, moriones, griechisch gelotopoioi) war eine antike römische Sozialfigur, die als Unterhalter, Komiker und Witzemacher (ioculator) mit einer ähnlichen Funktion wie später der Hofnarr oder der Clown auftrat. Das Wort scurra wird in der erhaltenen römischen Literatur meist abwertend genutzt und der scurra und seine scurrilitas (davon leitet sich das deutsche Wort skurril ab) von den feineren Formen des Humors abgegrenzt. Da uns nur die Schriften der römischen Elite erhalten sind, ist unklar, ob das Wort auch als positive Selbstbeschreibung in Gebrauch war. In der späten Republik und der Kaiserzeit scheinen die scurrae auch eine Berufsgruppe gewesen zu sein. Von vornherein sind Anbindungen an den Mimus der römischen Komödie feststellbar.

Rekonstruktion

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In den erhaltenen Quellen werden scurrae zuerst bei Plautus (um 254 v. Chr.–um 184 v. Chr.) erwähnt. Er zeichnet sie als eine besondere städtische Menschenklasse, die sich mit der Jagd auf Neuigkeiten abgebe, alles zu wissen vorgebe und sich nicht darum schere, ob ihre Aussagen wahr oder falsch sind. Hier scheint also eher noch ein Alleswisser sowie Klatsch- und Gerüchtestreuer gemeint zu sein. Diese scurrae waren Amateure, wurden also nicht für ihre Tätigkeit bezahlt. Sie scheinen ein betont städtisches bzw. stadtrömisches (urbanus), männliches Phänomen gewesen zu sein; vermutlich handelte es sich um wohlhabendere junge Männer, die jedenfalls mit dem römischen Bürgerrecht ausgestattet waren. Auch Plautus bringt die scurrae bereits mit Humor und Spott in Verbindung.[1] Sie sind zu dieser Zeit bereits mit der Sozialfigur des parasitus bzw. genauer des parasitus ridiculus verbunden, der auch in Komödien auftritt und durch Witze und Schmeicheleien als „Schmarotzer“ an die Tische der Reichen zu gelangen sucht. Sie sind aber mit diesem noch nicht, wie später, mehr oder weniger identisch.[2]

Bei Marcus Tullius Cicero werden sie dann im 1. Jahrhundert v. Chr. als berufsmäßige Witzbolde und Spaßmacher erwähnt.[3] Solche Witzbolde wurden von der römischen Nobilität zu Tisch geladen, um durch ihre Witze die Gäste zu unterhalten. Die scurrilitas, die witzige, schlagfertige Rede, ist bei Cicero auch für den praeco (Ausrufer) Quintus Granius bezeugt.[4] So entspricht scurra dem griechischen gelotopoios („Lachen-Macher“), der insbesondere bei Symposien schon im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. dieselbe Funktion der Unterhaltung erfüllte, speziell des Erzeugens von Lachen.[5] Der scurra wird dann auch, insbesondere bei Horaz, in die Nähe des parasitus gestellt, der wie der scurra als Unterhalter an den Tischen der Reichen und Kaiser auftritt.[6] Ein solcher kaiserlicher scurra war etwa Iulius Paelignus, ein körperlich behinderter Mann, der dem Kaiser Claudius diente.[7]

Ein weiterer war Sarmentus am Hof des Augustus, von dem uns Horaz ein Beispiel für die „Kunst“ des scurra überliefert, in diesem Fall eine Form des Roasts: Zu dem im Gesicht durch eine Krankheit entstellten Messius Cicirrus bemerkte Sarmentus, er sehe aus wie ein „wildes Pferd“ und mit seinen Hörnern im Gesicht müsse er sich gar nicht verkleiden, wenn er einen Kyklopentanz in der Art der gehörnten Satyrn aufführen wolle. Dies sowie die Replik des Messius, der Sarmentus wegen seiner niedrigen Herkunft verunglimpfte, lösten allgemeines Gelächter aus.[8] Offenbar gehörte zum Repertoire vieler scurrae auch die darstellende Kunst. So beschreibt Phaedrus in seiner Fabel Der scurra und der Bauer (1. Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr.) einen scurra, der seinen Kopf unter sein Kleid steckte und von dort aus die Geräusche eines Schweins so realistisch nachahmte, dass die Zuschauer glaubten, er habe tatsächlich ein Schwein unter seinem Rock.[9] In der Spätantike wird scurra auch gleichbedeutend mit mimus verwendet.[10]

Sokrates wurde zuweilen wegen seiner sokratischen Ironie als scurra Atticus („attischer Witzbold“) verunglimpft.Dazu

Die spätantike Historia Augusta erzählt auch, dass der Kaiser Elagabal von scurrae ermordet worden sei. Damit ist hier nunmehr die Prätorianergarde gemeint, die damit wohl aufgrund ihrer Stationierung in der Stadt Rom als urban gekennzeichnet wird.[11]

Generell ist der Standesdünkel bemerkbar, mit dem die gebildete Oberschicht auf die scurrae herabblickte. So ist das Wort scurra jedenfalls in den aus der Antike erhaltenen Schriften eher eine Beleidigung denn ein Kompliment.[12]Sie galten als sittlich verdorben;[13] Plautus setzt sie als eitle Schwätzer und geckenhafte Nichtstuer (Plautus Cornit. rhet. IV 14) in Gegensatz zu den tatkräftigen Soldaten (Plautus Epid. 15; Truc. 491). Cicero stellt in seinem Werk De oratore die dreiste, unaufhörlich witzelnde Geschwätzigkeit von scurrae wie Vargula in Gegensatz zur ernsten Rhetorik und zu dem strategisch sinnvoll angebrachten Witz.[14] Dem scurra sei es besonders eigen sine causa lacessere und über körperliche Mängel sich lustig zu machen, Cic. ebd 246. Hor. sat. I 5, 56. Horaz hebt als besonders verächtlich die Schmeicheleien der scurrae gegenüber ihren Patronen hervor.[15] Plinius der Jüngere (ep. IX 17, 1) stellt scurrae, cinaedi und moriones auf eine Stufe, nur mit folgendem Unterschiede: molle a cinaedo, petulans a scurra, stultum a morione profertur. Er wie andere ernste Männer verachteten dergleichen Leute und schloßen sie von ihrer Gesellschaft aus.

Mary Beard deutet den Begriff bzw. die Figur scurra deshalb in Abhängigkeit von den sich verändernden sozialen Normen rund um akzeptable und inakzeptable Komik:

“It was, rather, a category within the imaginative economy and social policing of Roman laughter: the constructed, and shifting, antitype to the elite male jokester; the jesting transgressor of elite male values of jesting—symbiotically tied to, incomprehensible without, and always [...] liable to merge with its opposite. Scurra, in other words, was a (negative) value judgment on the practices of laughter rather than a descriptor, a cultural constructor (and mirror) of the jocularity of the Roman elite.”

„Es war eher eine Kategorie der Vorstellungswelt und sozialen Kontrolle des römischen Lachens: der konstruierte, sich verändernde Antitypus des hochgestellten männlichen Witzemachers; der witzige Übertreter elitärer männlicher Normen des Witzemachens – symbiotisch verbunden mit seinem Gegenteil, ohne den der scurra unverständlich bleibt und mit dem er immer auch verschmilzt. Scurra war, in anderen Worten, ein (negatives) Werturteil über bestimmte Praktiken des Lachens. Es war kein Deskriptor, sondern ein kultureller Konstrukteur (und Spiegel) der Witzigkeit der römischen Elite.“

Mary Beard: Laughter in Ancient Rome: On Joking, Tickling, and Cracking Up[16]

Namentlich bekannte scurrae

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Literatur

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  • Carlin A. Barton: The Sorrows of the Ancient Romans. The Gladiator and the Monster. Princeton University Press, Princeton, NJ. 1993, ISBN 9-780-69121967-7.
  • Mary Beard: Laughter in Ancient Rome: On Joking, Tickling, and Cracking Up. University of California Press, Berkeley 2014, ISBN 0-520-27716-3, insbesondere S. 152–155. Deutsch als Mary Beard: Das Lachen im alten Rom. Eine Kulturgeschichte. Aus dem Englischen von Carsten Drecoll. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2016.
  • Philip B. Corbett: The Scurra (= Scottish Classical Studies. Band 2). Scottish Academic Press, Edinbro 1986 (Digitalisat).
  • T. Habinek: Satire as Aristocratic Play. In: Kirk Freudenburg (Hrsg.): The Cambridge Companion to Roman Satire. Cambridge 2005, S. 177–191, hier S. 182–185.
  • August Hug: Scurra. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band II A,1, Stuttgart 1921, Sp. 911 f.
  • Alfred Schäfer: Unterhaltungskünstler. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 12/1, Metzler, Stuttgart 2002, ISBN 3-476-01482-7, Sp. 1004–1006 (Digitalisat).

Anmerkungen

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  1. Plautus, Trinummus 199–211 (urbani assidui cives quos scurras vocant, 202); Poenulus 1,280 (wo sie als eine Art soziale Institution des Spotts erscheinen), vgl. auch 611. Vgl. auch Plautus, Mostellaria 15. Zu den scurrae bei Plautus vgl. Philip B. Corbett: The Scurra (= Scottish Classical Studies. Band 2). Scottish Academic Press, Edinbro 1986, S. 27–40.
  2. Zum Parasiten als Sozialfigur in der Komödie Philip B. Corbett: The Scurra (= Scottish Classical Studies. Band 2). Scottish Academic Press, Edinbro 1986, S. 5–26, zum parasitus ridiculus ebd. 11–26, zur Verbindung mit den scurrae S. 34; generell Ernst Wüst, August Hug: Parasitoi 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XVIII,4, Stuttgart 1949, Sp. 1381–1405.
  3. Cicero, in Verrem 3,146; Quinct. 11.
  4. Cicero, de oratore 244.
  5. Emil Kießling: γελωτοποιοί. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band VII,1, Stuttgart 1910, Sp. 1019–1021 (Digitalisat).
  6. Hor. sat. I 5, 52ff. 7, 36. II 7, 15ff. 3, 229; ep. I 15, 28.qa
  7. Tacitus, annales 12,49,1. Paelignus wird hier herabgewürdigt als ignavia animi et deridiculo corporis iuxta despiciendus, „verachtet sowohl für die Wertlosigkeit seines Geists als auch für seinen verformten Körper“.
  8. Horaz, sermones 1,5,51ff. Dazu Philip B. Corbett: The Scurra (= Scottish Classical Studies. Band 2). Scottish Academic Press, Edinbro 1986, hier S. 66–68.
  9. Phaedrus, fabula 5,5: Scurra et rusticus, Zeile 7–19. Dazu Philip B. Corbett: The Scurra (= Scottish Classical Studies. Band 2). Scottish Academic Press, Edinbro 1986, hier S. 67 f.
  10. Historia Augusta 5,8,11.
  11. Historia Augusta, Heliog. 33,7. Dazu Mary Beard: Laughter in Ancient Rome: On Joking, Tickling, and Cracking Up. University of California Press, 2014, ISBN 0-520-27716-3, S. 154.
  12. Philip B. Corbett: The Scurra (= Scottish Classical Studies. Band 2). Scottish Academic Press, Edinbro 1986, hier S. 4 (Digitalisat).
  13. Cic. Sest. 39; de harusp. resp. 42; Quinct. 55.
  14. Cicero, de oratore 2,244 ff.; vgl. Tac. dial. 22.
  15. Da er sich durch allerlei Schmeicheleien in Gunst setzt, ist er von einem wahren Freund ebenso verschieden wie die Matrone von der meretrix. Hor. ep. I 18, 2ff. Diese einschmeichelnde Geschwätzigkeit ist dem s. so eigen, daß Horaz ep. I 17, 19. 18, 2 diese Eigenschaft mit scurrari bezeichnet. Wie ein s. in geschmackloser Weise die Worte seines Patrons wiederholt, damit alle Anwesenden sie bewundern möchten, zeigt Horaz ep. I 18, 10ff.
  16. Mary Beard: Laughter in Ancient Rome: On Joking, Tickling, and Cracking Up. University of California Press, Berkeley 2014, ISBN 0-520-27716-3, S. 154.
  17. Seneca der Ältere, suasoriae 2,12 venustissimus scurra inter rhetores; vgl. Karl Gerth: Asilius 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Supplementband III, Stuttgart 1918, Sp. 169–171 (Digitalisat).
  18. Paul Maas: Gabba. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band VII,1, Stuttgart 1910, Sp. 418 f. (Digitalisat).
  19. Scholion 5 zu Iuvenal 5,4.
  20. Arthur Stein: Sarmentus. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band II A,1, Stuttgart 1921, Sp. 25 (Digitalisat).
  21. Karl Gerth: Barrus. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Supplementband III, Stuttgart 1918, Sp. 197.
  22. Edmund Groag: Capitolinus 1. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band III,2, Stuttgart 1899, Sp. 1530.
  23. CIL 6, 1063

Kategorie:Personenbezeichnung (Humor) Kategorie:Humor der Antike Kategorie:Unterhaltung im Römischen Reich Kategorie:Personenbezeichnung (Antike)

Allgemein

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  • Beard zu scurrae: scurrae, 152–55; as antitypes of dicacitas,

249n56; Christian instance of, 154–55; comparison with orators, 121–22, 129; competition with peasant, 126; cultural longevity of, 155; in Horace, 204; jokes of, 103, 118, 121, 124, 152, 153; murder of Elagabalus, 154; and parasites, 153; in Plautus, 153, 258n99; positive valuation of, 154; Quintilian on, 124; in Roman imaginary, 154; in Roman literature, 153–54; “Roman�ness” of, 153; social role of, 153; varied usages of, 258nn98,101 scurrilitas: accusations against Cicero

spannend:

  • Hartmut Leppin: Histrionen. Untersuchungen zur sozialen Stellung von Bühnenkünstlern im Westen des Römischen Reiches zur Zeit der Republik und des Principats (= Antiquitas. Reihe 1, Band 41). Habelt, Bonn 1992, ISBN 3-7749-2517-8
  • Hugo Blümner: Fahrendes Volk im Altertum (= Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und der historischen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu München. Jahrgang 1918, 6. Abhandlung). München 1918 (Digitalisat).

Zum parasitus:

  • Damon, C. 1997 The Mask of the Parasite: A Pathology of Roman Patronage (Ann Arbor: University of Michigan Press).
  • Dilley, M.E. 1924 ‘The Parasite: A Study in Comic Development’ (PhD dissertation, University of Chicago).
  • Nesselrath, H.-G. 1985 Lukians Parasitendialog: Untersuchungen und Kommentar ( Berlin: Walter de Gruyter).
  • Tylawsky, E.I. 2002 Saturio’s Inheritance: The Greek Ancestry of the Roman Comic Parasite (New York: Peter Lang).

Zu Griechenland:

  • Stephen Halliwell: Greek Laughter. A Study in Cultural Psychology from Homer to Early Christianity, Cambridge 2008,
  • Aischrologia, sehr spannend, subversiver Frauen- und Sklavenhumor, angegebene verlinkte Lit noch auszuwerten

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  • Orgie kann noch viel zur antiken Geschichte vertragen. Bekam das Wort einen negativen Beigeschmack durch die Christen?

Personen (siehe auch Kategorie:Humor der Antike):