Was ist das? Ein Gegenwindfahrzeug soll ohne fremden Antrieb genau in die Richtung fahren, aus der der Wind kommt. Dazu muss es die Kraft des Windes (den Windwiderstand) mit der Kraft des Windes (der Windenergie) überwinden. Das erscheint paradox, gar unmöglich, ist aber unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Die Theorie zeigt, dass man sogar schneller als der Wind fahren könnte; in der Praxis erreichte man mit einem Fahrer bisher etwa zwei Drittel der Windgeschwindigkeit.
Auf dem Lande, zu Wasser oder in der Luft? Es kann sich um ein Land- oder ein Wasserfahrzeug handeln, nicht aber um ein Luftfahrzeug, weil dort ein Festpunkt fehlt. Ein Sonderfall eines Wasserfahrzeuges ist das Gegenstromboot, das sich mithilfe zum Beispiel von Schaufelrädern an einem an Land befestigten Tau hochzieht.
Ein Segelboot ist kein Gegenwind-, sondern ein Seitenwindfahrzeug; genau in die Richtung des Windes kann es nicht segeln. Mit Seitenwind kann man leichter und schneller fahren als mit Gegenwind, mit Doppelrümpfen, Gleitrümpfen und Eisyachten sogar schneller als der Wind.
Fahrtwind ist kein Gegenwind; er leistet zwar einen Widerstand, liefert aber keine Energie. Könnte man ein Fahrzeug mit dem Fahrtwind antreiben, hätte man ein PERPETUUM MOBILE.
Rückenwind ist auch kein Gegenwind. Es ist einsichtig, dass man damit fast so schnell fahren kann wie der Wind, aber kann man damit auch schneller fahren? Schwer vorstellbar, aber es soll gehen!
Geschichte
BearbeitenDie Idee zu einem Gegenwindfahrzeug ist Jahrhunderte alt. Es ist aber nicht erkennbar, dass die einzelnen "Erfinder" voneinander wussten. Die "Erfindungen" bauten nicht aufeinander auf, sondern entstsprachen in ihrer gedachten Form der jeweils bekannten Technologie,
wie der Windmühle, dem Turmuhrwerk oder dem Fahrrad.
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Das erste nachweislich gegen den Wind fahrende Landfahrzeug mit einem Fahrer hat der Verfasser 1992 vorgestellt (Bild). Es bestand aus einem "Rentner-Dreirad", das von einem aus dem Blech von Schmieröldosen gefertigten "amerikanischen" Windrad über das Getriebe eines defekten Winkelschleifers und eine Fahrradkette zum Vorderrad angetrieben wurde.
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Schon hundert Jahre vorher hat Sebastian Müller ein "Windrad für Fahrräder" zum Patent angemeldet (Bild). Der "Hülfstreibapparat" sollte aus schraubenartig gewundenen Flügeln bestehen und das Fahren besonders bei starken Winden erleichtern. Ob das Patent angenommen wurde und was daraus geworden ist, müsste erst noch herausgefunden werden. Das Fahrrad hätte gegen den Wind fahren können, wäre das Windrad größer gewesen, aber kaum schnell genug, um auf zwei Rädern das Gleichgewicht zu halten; so wie dargestellt könnte es das Fahren höchstens erleichtert haben.
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Frühere Erfindungen, etwa in der Barockzeit, basierten auf Kutschen oder Fuhrwerken (Bild). Der dargestellte Savonius-Rotor ist für diesen Zweck ungeeignet, weil er als Widerstandsläufer einen zu schlechten Wirkungsgrad hat. Auch sind die aus den Zeichnungen ablesbaren Übersetzungsverhältnisse zu groß, als dass die Fahrzeuge sich hätten bewegen können. Das Prinzip ist aber richtig. Das gilt auch für ein Schiff mit einem Windrad der im Mittelmeerraum verbreiteten Bauart mit Segeln von 1758 (Bild). Die Schaufelräder sind für den Antrieb weniger geeignet, weil sie, ebenfalls Widerstandsläufer, einen geringen Wirkungsgrad haben, aber die Schiffsschraube war damals ja noch nicht erfunden.
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Die grafische Rekonstruktion eines Windwagens aus der Zeit der Renaissance lässt vermuten, dass der Erfinder die Idee duech die Beobachtung eines Turmuhrwerkes mit lauter parallelen Achsen bekam (Bild). Die Windräder sind auf den beiden Seiten eines Uhrwerkrahmens angebracht und ähneln den schon damals bekannten Windbremsen für das Schlagwerk. Diese Windbremsen mögen sich im Luftzug des Turmes hin- und herbewegt haben; es lag nahe, die Bremsflügel wie bei einer Windmühle etwas zu verwinden, um bei Seitenwind eine eindeutige Drehrichtung zu erhalten. Es handelt sich also eher um ein Seitenwindfahrzeug, keine besondere Herausforderung, aber der Schritt zu Gegenwind wäre nicht groß gewesen.
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Der älteste bekannte Windwagen ist nach einer Bauanleitung von 1335 rekonstruiert, stammt also aus dem Mittelalter, als Windmühlen bekannt wurden (Bild). Besonderheiten der Konstruktion sind der schwenkbare Mühlenkopf für veränderliche Windrichtungen, die verwundenen Flügel (mit Gittern für Segeltuch) zwecks optimaler Anströmung und verschiedene mechanische Einzelheiten, die eher späterem Wissen entssprechen. Wäre dieser Windwagen je gebaut worden, wäre auch er enttäuschend gewesen. Unabdingbare Vorraussetzung für ein Gegenwindfahrzeug ist in erster Linie eine gute aerodynamische Ausführung des Windrades, wie man sie frühestens seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennt, und in zweiter Linie eine verlustarme Kraftübertragung und eine leichte Bauweise, erfüllbar durch die Fahradtechnologie des späten 19. Jahrhunderts.
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Die genannten "Erfindungen" waren immer Kinder ihrer Zeit. Es verwundert deshalb nicht, dass erfolgreiche moderne Ausführungen eher Rennwagen der Formel I ähneln, mit acht und mehr Gängen ausgestattet sind und Leichtmetall oder Kohlefaser als Werkstoff verwenden (Bild). Bei den geringen bisher erreichten geringen Geschwindigkeiten hat die Stromlinienverkleidung aber eher Nachteile als Vorteile, weil sie durch ihr Gewicht den Rollwiderstand erhöht.
Prinzip und Problem
BearbeitenMan nehme ein Windrad, ein Fahrzeug und eine Mechanik (Elektrik und Hydraulik waren nicht erfolgreich), die die Bewegung des ersten auf das letzte überträgt, und fertig ist das Gegenwindfahrzeug! So einfach ist das im Prinzip, aber in der Praxis zeigt sich oft, dass das Fahrzeug sich gar nicht gegen den Wind bewegt, nicht einmal langsam, und vor allem dann nicht, wenn es eine Last, zum Beispiel den Fahrer, tragen soll. Beim ersten internationalen Wettbewerb für Gegenwindfahrzeuge, der 2008 in Den Helder/Niederlande stattfand, fuhren nur zwei der sechs erschienen Fahrzeuge immer, zwei manchmal und zwei nie. Drei der insgesamt neun gemeldeten Mannschaften waren erst gar nicht erschienen. Dabei kamen alle von technikorientierten Hochschulen in Deutschland, Dänemark, den Niederlanden und Griechenland. Von einer Mannschaft ist bekannt, dass sie 120.000 € zur Verfügung hatte, und trotzdem fuhr das als "mechatronische Meisterleistung" angepriesene Fahrzeug nicht. Auch in den 2009 und 2010 folgenden Wettbewerben in Stauning/Dänemark gab es "Standfahrzeuge". Wo ist das Problem, wenn das Prinzip doch so einfach ist?
Wenn man einmal von einfachen Mängeln absieht - ein Windrad, das sich nicht einmal im Leerlauf dreht, eine Kraftübertragung, die keine Kraft überträgt, ein Fahrzeug, das zu schwer ist, um zu rollen - haben auch gut ausgeführte Bauteile Verluste. Man kann diese Verluste als Widerstandskräfte darstellen, und diese Widerstandskräfte anschaulich durch Widerstandsflächen beschreiben. Den mit Abstand größten Widerstand erzeugt das Windrad selbst. Der Rollwiderstand der Räder ist bei den bisher erreichten geringen Geschwindigkeiten wesentlich. Der Luftwiderstand des Fahrzeuges (der Fahrer selbst bietet hier wohl die größte Angriffsfläche) hat bei den bisher erreichten Geschwindigkeiten wohl die geringste Bedeutung.
Die Widerstandsfläche eines vollkommenen (das heißt verlustfreien) Windrades ist etwa proportional zu der abgegebenen Leistung. Das ist einleuchtend; ein widerstandsloses Windrad gibt auch keine Leistung ab. Überraschend ist jedoch, dass der Widerstandsbeiwert (auch Cw-Wert genannt) 0,7 bis 0,9 beträgt. Die Widerstandsfläche des Windrades ist also nahezu so groß wie die von den Blättern überstrichene Fläche. Hat das Windrad einen Durchmesser von 2 Metern, so ist die überstrichene Fläche etwa 3 Quadratmeter und die Widerstandsfläche mehr als 2 Quadratmeter. Aber es kommt noch schlimmer. Bei einem unvollkommenen (das heißt nicht verlustfreien) Windrad nimmt die leistungerzeugende Fläche ab, aber die widerstandserzeugende Fläche bleibt. Das Verhältnis dieser beiden Flächen kann man als den Gütegrad bezeichnen. Wesentlich ist, dass das Windrad zuerst genug Leistung liefern muss, um seinen großen eigenen Widerstand zu überwinden; erst wenn ein Überschuss bleibt, kommt das Fahrzeug in Fahrt. Die für den Erfolg entscheidende Größe ist der Gütegrad des Windrades.
Mit der überschüssigen Leistung können jetzt die beiden anderen Widerstände, der Rollwiderstand der Fahrzeugräder und der Luftwiderstand des Fahrzeuges, überwunden werden. Der Rollwiderstand wächst mit der Fahrzeugmasse (bei den bisherigen Fahrzeugen zwischen 50 und 350 kg plus Fahrer)und ist bei geringen und mittleren Geschwindigkeiten wesentlich. Der Luftwiderstand ist im Wesentlichen der des meist liegenden Fahrers und entspricht einer Widerstandsfläche von einem Bruchteil eines Quadratmeters, die durch Verkleidung weiter verringert werden kann. Durch eine Verkleidung sollte aber die Fahrzeugmasse nicht wesentlich vergrößert werden, weil dies den Rollwiderstand erhöht.
Theorie und Praxis
BearbeitenEs ist einsichtig, dass die Fahrt umso größer ist, je stärker der Wind bläst. Deshalb ist in dem Diagramm das Verhältnis Fahrt/Wind abhängig vom Wind dargestellt. Das Kreuz markiert den vom Fahrzeug der TU Stuttgart bei dem Wettbewerb 2008 erzielten Bestwert: 5,7 m/s Fahrt bei knapp 8,8 m/s Wind ergab ein Fahrt/Wind-Verhältnis von 0,65. Dieser Wert ist seitdem nicht wieder erreicht worden, weil bei den Wettbewerben 2009 und 2010 in Dänemark der Wind zu schwach war.
Das Diagramm zeigt nach einer vom Verfasser entwickelten Theorie, wie bei dem für dieses Fahrzeug verwendeten Kennwerten das Fahrt/Wind-Verhältnis vom Wind abhängt (unterste Linie). Bei 12 m/s Wind erreicht es etwa 0,70 und nimmt dann kaum mehr zu. Bei 4 m/s Wind fällt das Verhältnis auf 0,40 und damit die Fahrt auf 1,6 m/s. Bei noch geringerem Wind fällt die Fahrt gegen Null ab, vor allem, wenn die dann notwendigen kleinen Gänge nicht mehr zur Verfügung stehen.
Wie würde sich eine theoretische Halbierung sowohl des Roll- als auch des Luftwiderstandes bei diesem Fahrzeug auswirken? Das Diagramm (mittlere Linie) zeigt, dass bei 4 m/s Wind knapp 0,60 , bei 9 m/s etwa 0,75 und über 12 m/s fast 0,80 Fahrt/Wind-Verhältnis erreicht werden könnten. Eine weitere Verkleinerung des Roll- und des Luftwiderstandes würde aber nicht mehr viel bringen.
Wie könnte man ein Fahrt/Wind-Verhältnis von 1 erreichen, das heißt, durch den Wind so schnell wie der Wind gegen den Wind fahren? Bei gleichen Roll-und Luftwiderständen wie im Ausgangsfall müsste dazu der Gütegrad des Windrades (Kraftübertragung eingeschlossen) von 63 auf 77 % erhöht werden (oberste Linie). Diese Erhöhung ist denkbar, aber nicht in Sicht; das Windrad wird aus gutem Grund bereits jetzt so gut wie möglich entworfen und hergestellt.