Die Rückkehr des Agamemnon

Agamemnon ist eine Tragödie von Lucius Annaeus Seneca.

Übersicht

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Personen - Personae Dramatis

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In der Reihenfolge des Auftretens:[1]

  • Geist des Thyestes, Bruder des Atreus und Onkel des Agamemnon
  • Clytemnestra, Königin von Mykene, Frau von Agamemnon
  • Amme von Clytemnestra
  • Aegisthus, Sohn von Thyestes, Liebhaber der Clytemnestra
  • Eurybates, Bote von Agamemnon
  • Cassandra, Tochter von Hecuba und Priamos, Seherin
  • Agamemnon, Sohn von Atreus, König von Mykene, Anführer der griechischen Expedition gegen Troja
  • Electra, Tochter Clytemnestras und Agamemnons
  • Orestes, stummer Bruder von Electra
  • Strophius von Phocis, Freund des Agamemnon
  • Pylades, stummer Sohn des Strophius
  • Chorus der Frauen von Mykene
  • Chorus der Frauen von Troja

Ort der Handlung

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Weg zum Löwentor von Mykene

Der Schauplatz liegt vor dem Palast von Mykene.

Ausgangslage

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Handlung

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Versangaben und Akteinteilung beruhen auf der Edition von John G. Fitch.[1]

Akt I (V. 0- 107)

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  • Der Geist des Thyestes verkündet den Untergang des Agamemnon. (V. 0-56)
    • Der Geist des Thyestes stellt sich dem Publikum vor. Entsandt aus der Tiefe des Tartarus, sehe er den Wohnsitz der Familie wieder und erschaudere. (V. 1-5) Selbst die Unterwelt sei besser als Mykene. Er hält sich für einen größeren Frevler als die meisten in der Unterwelt nur übertroffen von seinem Bruder. (V. 6-27) Er verkündet, Agamemnon, der Sieger über Troja, werde zurückkehren und seine Kehle seiner Frau darbieten. Dieses Haus werde im Blut schwimmen, der Moment für Ägisth sei gekommen. Selbst die Nacht sei verlängert, Phöbus aufgehalten, den er auffordert, endlich den Tag beginnen zu lassen.(V. 28-56)
  • Der Chor der Frauen von Mykene ( V.57-107))
    • Der Chor thematisiert die Gefahren und Abgründe für die Mächtigen. Fortuna gibt nichts ewig, sondern bringt die mächtigen Könige immer an den Abgrund und in Gefahren. Macht sichert den Mächtigen ein stets ruheloses Leben, das zu jeder Zeit prekär bleibt. Nicht einmal der Schlaf bringt Erleichterung. (V. 57-76) Immer brechen Glück und erreichte Größe unter dem eigenen Gewicht zusammen, wenn Recht, Scham und eheliche Untreue an den Königshäusern fehlen und die gewalttätige Göttin des Krieges Bellona stattdessen den Kurs bestimmt. (V. 77-89) Schließlich erteilt der Chor den Rat, ein Leben in maßvollen Verhältnissen zu führen. Denn Fortuna zerschmettere alles, was sie hochtrug. (V.90-107)

Akt II ( V. 108-387)

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  • Nutrix, Clytemnestra
  • Clytemnestra, Aegisthus
  • Chor (V. 310-387)

Akt III (V. 388-692)

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  • Eurybates, Clytemnestra
  • Chor der Trojanerinnen (V. 589-658)

Akt IV (V. 693-866)

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  • Cassandra (V. 659-662)
  • Chor der Trojanerinnen (V. 659-781)
  • Agamemnon, Clytemnestra (V. 782-807)
  • Chor (V. 808-866)

Akt V (V. 867-1012)

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  • Cassandra (V. 867-909)
  • Electra (V. 910-917)
  • Strophius (V. 918-943)
  • Electra, Clytemnestra (V. 944-977)
  • Clytemnestra, Aegisthus, Electra (V. 978-1000)
  • Clytemnestra, Cassandra (V. 1001-1011)

Datierung

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Ob Senecas Tragödien inszeniert wurden oder wie sie aufgeführt wurden, ist sehr umstritten. Hier wird davon ausgegangen, dass eine Art Aufführung von ihnen in Rom stattfand. Quintilian[2] behauptet, dass einige der Stücke in den frühen 50er Jahren bei einem Lesepublikum im Umlauf waren. Ein weiterer Beweis für die Verbreitung der Stücke bietet ein Graffito aus Pompeji, das V. 730 aus Senecas Agamemnon[3] zitiert.

Auf der Grundlage stilistischer Analysen schlägt Fitch vor, dass Agamemnon früher niedergeschrieben wurde als Hercules, der kurz vor 54 n. Chr. datiert ist[4] Die Abfassung liegt daher nach Fitch zwischen Senecas Rückkehr nach Rom im Jahr 49 n. Chr. und dem Datum des Hercules.

Literarische Vorlagen

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Für Eckard Lefèvre ist Agamemnon kein stoisches Lehrstück, aber das Stück eines Stoikers. Daraus ergibt sich, dass Seneca zwar von Aischylos den Titel übernommen hat, aber das Sück verändert werden musste. Agamemnon hat sein Schicksal selbst verschuldet und erliegt nicht wie „beim ältesten griechischen Tragiker vor allem einer 'objektiven' Schuld […], der er auch bei idealer Erfüllung seines Menschentums nicht entgehen kann“.[5] Für William M. Calder III ist Aischylos' Agamemnon die Quelle.[6]

Rezeption

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Bei Ausgrabungen in Pompeji fand man ein Graffito mit einem Seneca-Vers aus dem Agamemnon.[7] „Das pompejanische Graffito ist […] der einzige bisher bekannte Beleg aus der heidnischen Antike, in dem der Agamemnon zitiert wird.“[8] Quellen aus der neronischen Herrschaft gibt es nicht. Für die Flavier-Zeit ändert sich der Befund. Bernhard Söllradl weist nach, dass in nach-neronischer Zeit unter den Flaviern die senecanischen Tragödien politisch, anti-neronisch gelesen wurden[9]. Die Tragödien galten als „authentischer Spiegel der neronischen Gewaltherrschaft“,[9] die man abschütteln wollte.

Große Bedeutung erwarben die Senecanischen Tragödien in der Renaissance. Otto Regenbogen wies dauf hin, dass die Wiederentdeckung der Tragödie in Europa sich „im Zeichen Senecas“ vollzog und seine „Tragödie als Mittler von unermeßlicher historischer Bedeutung“ war.[10]

Die literarische Abwertung der senecanischen Tragödien führte August Wilhelm Schlegel an. „Über alle Beschreibung schwülstig und frostig, ohne Natur in Charakter und Handlung durch die widersinnigsten Unschicklichkeiten empörend“ seien die Tragödien Senecas.[11] Einen Umschwung bedeuteten 1927 die Arbeiten von T. S. Eliot und Otto Regenbogen.[12] Seitdem ist die Schar der Alphilologen gespalten in die, die die Aufführbarkeit bezweifeln und die, die das bestreiten. Besonders die Arbeit von Otto Zwierlein, Die Rezitationsdramen Senecas (1966) [13]spitzte die wissenschftliche Auseinandersetzung noch einmal zu. 2000 zog Harry Hine ein vorläufiges Resumee: „"In der Debatte über die Inszenierung kann keine Seite der anderen einen Knock-out-Schlag verliehen. (Original:) »In the debate about staging neither side can deliver a knock-out blow to the other.«“[14]

Jonathan Trinacty[15] und A. J. Boyle haben allerdings den Eindruck gewonnen, dass das Pendel sich seitdem zur Seite der „Aufführungsunterstützer“ geneigt habe: „Senecas moderne, ja postmoderne Anziehungskraft ist nicht schwer zu erklären. Sein Fokus liegt auf Gier und Lust, Gewalt und Horror, Rhetorik, Moral und Macht, seine Beschäftigung mit der Psychologie von Schuld, Angst und Vernunft, mit der Problematik der Verwandtschaft, mit der Ethik und den Grenzen der Macht, mit politischen, sozialen und religiösen Institutionen und ihre Zerbrechlichkeit und Ohnmacht, seine Dramatisierung des Versagens der Vernunft, der Triumph und die Zyklizität des Bösen, die Ordnung des Schicksals und der Geschichte, sein theatralisiertes Universum – sprechen deutlich unsere Zeit an. (Original:)»Seneca’s modern, indeed postmodern, appeal is not difficult to explain. His focus on appetite and lust, violence and horror, rhetoric, morality and power, his concern with the psychology of guilt, fear and reason, with the problematics of kinship, with the ethics and limits of power, with political, social and religious institutions and their fragility and impotence, his dramatization of reason’s failure, the triumph and cyclicity of evil, the order of fate and history, his thea- tricalized universe—speak pointedly to our times.«“[16]

Aufführungen des Agamemnon

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Antike

Nach bisheriger Forschung findet sich kein Beleg für die Aufführung des Agamemnon in der Antike.

Von der Renaissance bis zur Neuzeit

Das Archive of Performances of Greek & Roman Drama (APGRD) der Universität Oxford hat seit 1500 20 Inszenierungen auf der ganzen Welt registriert.[17]

Textausgaben

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Literatur (Auswahl)

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  • William M. Calder III: Seneca’s Agamemnon. In: Classical Philology 71 (1976), S. 27–36.
  • D. Henry, B. Walker: Seneca and the Agamemnon. Some Thoughts on Tragic Doom. In: Classical Philology 58 (1963): S. 1–10.
  • G. Mader: Fluctibus Variis Agor: An Aspect of Seneca’s Clytemestra Portrait. In: Acta Classica 31 (1988): S. 51–70.
  • J. A. Shelton: Revenge or Resignation: Seneca’s Agamemnon. In: A. J. Boyle, Seneca Tragicus. Cambridge University Press, Cambridge, S. 159–83.

Defizite der Forschung

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„Doch die Senecan-Dramaturgie ist noch immer wenig erforscht. Die Gestaltung der dramatischen Handlung, die Blockierung von Szenen und Akten, die Rollenverteilung, der Umgang mit Schauspielern und dem Chor, die Wechselbeziehung zwischen den Oden und Akten des Chors, der Einsatz von Geistern, Boten, Dämpfern, der dramatische und thematische Einsatz von Bühnenbild und Requisiten, der Einsatz impliziter Bühnenanweisungen im Text selbst (insbesondere Eingangs- und Ausgangshinweise, zufällig, aber substanzieller als oft bemerkt, Identifikationshinweise und implizite Anweisungen für das Bühnengeschehen), die Manipulation von Tempo, Zeit, Bewegung, Raum, Gewalt, Spektakel und Schließung – sind einige der Themen, die weiterer nachhaltiger Aufmerksamkeit bedürfen. (Original:)»But Senecan dramaturgy still remains under-researched. The shaping of dramatic action, the blocking of scenes and acts, the disposition of roles, the handling of actors and of the chorus, the interrelationship between the choral odes and acts, the use of ghosts, messengers, mutes, the dramatic and thematic use of stage-setting and props, the employment of implicit stage directions in the text itself (particularly entrance and exit cues, random but more substantial than often noted, identification cues, and implicit directions for stage business), the manipulation of pace, time, movement, space, violence, spectacle and closure—are some of the topics requiring further sustained attention.«“[18]

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Wikisource: Agamemnon – Quellen und Volltexte (Latein)

Anmerkungen

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  1. a b Seneca the Younger: Agamemnon. Hrsg.: John G. Fitch. Harvard University Press, Cambridge, Mass. 2018, S. 127, doi:10.4159/dlcl.seneca_younger-agamemnon.2018 (loebclassics.com [abgerufen am 1. Februar 2024]).
  2. Quintilian: Institutionis Oratoriae Liber 8,3,31, Digitalisat
  3. CIL 04, 6698
  4. Seneca the Younger: Agamemnon. Hrsg.: John G. Fitch. Harvard University Press, Cambridge, Mass. 2018, S. 12, doi:10.4159/dlcl.seneca_younger-agamemnon.2018 (loebclassics.com [abgerufen am 1. Februar 2024]).
  5. Eckard Lefèvre: Schicksal und Selbstverschuldung in Senecas Agamemnon. In: Hermes. Band 94, Nr. 4. Franz Steiner, 1966, S. 485, JSTOR:4475437.
  6. William M. Calder III: Seneca‘s Agamemnon. In: Classical Philology. Band 71, Nr. 1. University of Chicago Press, Chicago Januar 1976, S. 28, JSTOR:268515 (englisch).
  7. CIL 04, 6698
  8. Wolfgang G. Lebeck: Senecas Agamemnon in Pompeji (CIL IV 6698). Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik, 1985, Bd. 59 (1985), Seiten 1-6. 1985, S. 1, abgerufen am 1. Februar 2023 (englisch).
  9. a b Bernhard Söllradl: Valerius Flaccus, Vespasian und die Argo. Zur zeithistorischen Perspektivierung des Mythos in den Argonautica. Brill, Leiden, Boston 2023, ISBN 978-90-04-52614-3, S. 185.
  10. Regenbogen, Otto, „Schmerz und Tod in den Tragödien Senecas“, (Sonderausgabe der WBG = Kl. Schriften= Vorträge d. Bibl. Warburg 7 (1927/1928), Leipzig — Berlin 1930), Darmstadt 1963, S.415, 463
  11. August Wilhelm Schlegel: Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur. In: WdF. Band 310, 1809, S. 14.
  12. Gregor Maurauch: Seneca. Leben und Werk. WBG, Darmstadt 1991, ISBN 3-534-11028-5, S. 194.
  13. Otto Zwierlein: Die Rezitationsdramen Senecas. Mit einem kritisch-exegetischen Anhang. In: Beiträge zur klassischen Philologie. Nr. 20. Anton Hain, Meisenheim am Glan 1966.
  14. A. J. Boyle: Senecan Postscript. In: Ramus. Band 46. Aureal Publications, Cambridge University Press 2018, S. 200.
  15. Jonathan Trinacty: Senecan Tragedy. In: Shadi Bartsch, Alessandro Schiesaro (Hrsg.): The Cambridge Companion of Seneca. Cambridge University Press, Cambridge 2015, S. 33, doi:10.1017/CCO9781139542746.004.
  16. A. J. Boyle: Senecan Postscript. In: Ramus. Band 46. Aureal Publications, Cambridge University Press 2018, S. 204.
  17. Agamemnon | APGRD. APGRD, Universität Oxford, 2024, abgerufen am 4. Februar 2024 (englisch).
  18. A. J. Boyle: Senecan Postscript. In: Ramus. Band 46. Aureal Publications, Cambridge University Press 2018, S. 201.