Unter Inkontinenz wird hier nicht die medizinische I. bezüglich Harndrang oder Stuhlgang verstanden – wenngleich die Parallelen frappierend sind –, sondern der Schreibzwang. Das ist das häufig zu beobachtende Verhalten diverser an- oder unangemeldeter Nutzer der deutschsprachigen Wikipedia, eine ganz frisch aufgeschnappte – und nicht immer vollständig begriffene – Meldung aus den Newstickern dieser Welt stante pede in Artikeln unterbringen zu wollen. Es handelt sich mithin um die Unfähigkeit, sein Halbwissenswasser halten zu können („kommunikative Inkontinenz“, ugs. auch als „Ich-weiß-was-Syndrom“ bekannt). Bei fehlender oder falscher Behandlung besteht die Gefahr einer sklerosierenden Verchronisierung des Krankheitsbildes unter gleichzeitiger Symptomverschärfung bis hin zu Formen des Missionismus bzw. Querulantismus und, in dessen Endstadium, zu quasi-religiösem Wahn.
Ursachen und Ausdrucksformen
Die Ursachen dieses pathologischen Verhaltens sind bisher nicht bis ins Letzte erforscht; es gilt aber als sicher,[1] dass Wahrnehmungsstörungen dafür eine entscheidende Rolle spielen: so besteht bei den Erkrankten häufig die Unfähigkeit, zwischen einer Tageszeitung und einer Enzyklopädie unterscheiden zu können. Im Falle von 5. lässt sich zudem als Nebenwirkung ein Verlust des (oder, euphemistisch, eine Befreiung vom) Erinnerungsvermögen(s) konstatieren.
Typische Erscheinungsformen dieses Zustandes äußern sich bevorzugt in …
- … belegfreien oder auf zweifelhaften Belegen wie bild-online.de, fussballdaten.de, transfermarkt.de u.ä. beruhenden Angaben
- … der Einbringung des Aufgeschnappten als Faktum zu einem verfrühten Zeitpunkt (bspw. Ankündigung eines zum 1. Juli beabsichtigten Trainerwechsels schon am 35. Mai)
- … der Einbringung des Aufgeschnappten an unpassender Stelle im Artikel (bspw. die Änderung zur Saison X+1 im Kapitel über die Saison X)
- … der Einmal-Applikation der Nachricht, d.h., eine Veränderung wird bspw. in der Infobox vorgenommen, im Fließtext verbleibt aber weiterhin der bisherige Zustand vermerkt
- … dem Missbrauch der Diskus von noch gesperrten Adminwiederwahlseiten für die „Vormerkung“ eines nach Meinungsbild erst in sechs oder neun Monaten möglichen „Dem-zeig-ich's-mal“-Votums
Jüngste Beispiele für I. – und das gleich in Serie –:
a) Die massenhafte, zudem absolut nicht zwischen Aktiven und Passiven differenzierende sowie offensichtlich auch mit der Stoppuhr in der Hand erfolgende Anleierung von Admin-Wiederwahlzwangsverfahren, im Wesentlichen durch einen einzelnen Nutzer. Gab's da nicht auch im Echtleben jemanden, der bevorzugt bei Nacht und Nebel an Wohnungstüren klingelte?
b) Zahlreiche Artikel rund um die Fußball-WM 2010, wo im Extremfall schon mal in Echtzeit eingetragen wird „52. Minute: Elfmeter für Taka-Tuka-Land“ – und eine Minute später erfolgt Streichung, weil der Schütze vergeigt hat.
c) Ende 2011 das unsägliche, weil zudem jeglichen Takt vermissen lassende Gebrabbel und Gekreische einiger Nutzer über die Frage, wie zeitnah – oder, genauer, wie vorschnell – ein Enzyklopädieartikel einen noch nicht mal offiziell bestätigten Selbsttötungsversuch eines Menschen als Tatsache vermelden muss.
d) Im April 2022 trugen nach 34 von 38 Saisonspieltagen diverse Nutzer mehrfach den neuen Meister in Ligue 1 ein, weil der ja „theoretisch/rechnerisch nicht mehr einzuholen“ sei. Dies wurde glücklicherweise administrativ rückgängig gemacht. Dazu kam als „Krönung“ im Saisonartikel die Meistermannschaftsvorlage – und das nicht etwa vorbereitend, aber ausgeblendet –, die logischerweise vier Spieltage vor Ende lauter falsche Einsatz- und Trefferzahlen enthielt.
Sonderfall „Funktionale I.“
Eine ähnliche Symptomatik weist der anscheinend gleichfalls unstillbare Trieb von Mitarbeitern mit Sonderfunktionen auf, etwas sofort zu entscheiden, damit es nicht jemand anderes tut, bspw. die Sperr-, Lösch- oder Verschiebesucht – selbst wenn eine „preußische Nacht“ aufgrund der Möglichkeit, gründlichere Vorüberlegungen in weniger hektischen Umständen anzustellen, oft der erfolgversprechendere Weg wäre (siehe auch Verlustangst).
Heilungschancen
Zu erwähnen ist, dass die Einsichtsfähigkeit der von dieser Form der I. befallenen Probanden klinischen Studien zufolge erheblich beeinträchtigt ist. Nur zwischen 25 und 35 % akzeptierten überhaupt, ihren Zustand als Normabweichung anzuerkennen („Devianzautoakzeptanz“)[2] und rechtfertigen ihr Verhalten bevorzugt mit Aussagen wie „Aber wenn's doch wahr ist“, „Die englische WP hat das auch schon“ oder „Wir haben doch keinen Platzmangel“. Erhöhte Heilungschancen sieht die Fachliteratur insbesondere in erstinterventiven physiopädagogischen Maßnahmen, langfristig im Therapiegespräch.
Weisheiten
- „Mancher sagt »ich gehe in mich«, aber dann geht er doch nur unter sich.“ (Thomas von Aquin, De Hominides et alteris Imbeciliis)
- „Lieber einen Nichttext verfassen als einen Edit verschenken.“ (Volxmund 2.0)
- „Wenn ich zu spät komme, bestraft mich das Leben – dann komme ich lieber zu früh.“ (Michail Gorbatschow nachempfunden)
- „Ich weiß zwar nicht, wo ich hinfahre – aber dafür bin ich dann schneller dort!“ (Helmut Qualtinger)
Siehe auch
- verbale Diarrhoe vulgo: Sprechdurchfall
- Extrem-Kladding
- Rechthabing
Anmerkungen und Nachweise
- ↑ vgl. exemplarisch Felicie Affolter: Wahrnehmung, Wirklichkeit und Sprache. Neckar-Verlag (10. Auflage), ISBN 3788302550, oder Walter F. Haupt, Kurt-Alphons Jochheim, Helmut Remschmidt: Neurologie und Psychiatrie. ISBN 3-13-453607-2
- ↑ siehe die umfängliche Liste entsprechender Studien in dem Standardwerk von Prof. W. W. Wurm