Herbert Winzeler PD Dr. med. (* 1910 in Storzeln, † 1988 in Zürich) war ein Schweizer Frauenarzt mit eigener Praxis, habilitiert an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich. Er entwickelte, ausgehend von Untersuchungsbefunden im unteren Beckenbereich eine neuartige, als Symphysenschmerzsyndrom (SSS) bezeichnete Konzeption des nicht-entzündlichen Rheumatismus.


Die Entdeckung und Entwicklung des "Symphysenschmerzsyndroms (SSS) als medizinische Konzeption" durch Winzeler fand chronologisch in 3 Schritten statt:

Das SSS als lokales Leiden:  In den1960iger Jahren untersuchte Winzeler zusammen mit dem Rheumatologen Alois Brügger Patientinnen mit Unterleibsschmerzen. Als häufige Ursache fand Winzeler lokale Schmerzen im Bereich des Steissbeins und der Symphyse als Folge von muskulären Verspannungen und Knochenhautreizungen. Die Schmerzen liessen sich durch lokale Kortisoninjektionen beseitigen oder bessern.

Lokale Schmerzen im Bereich von Symphyse und Steissbein als Folge einer körperlichen Fehlhaltung: Weiterführende Beobachtungen in Zusammenarbeit mit dem Rheumatologen Alois Brügger ergaben, dass die Tendomyosen im unteren Beckenbereich oft eine Folge eines akuten oder chronischen Rückenleidens waren. Überraschend  stellte Winzeler fest, dass eine gezielte medikamentöse Behandlung der Steissbeinschmerzen zuweilen eine rasche Besserung der Rückenschmerzen zufolge hatte.

Das SSS als neurovegetative und neuroendokrine Störung: In einem 3. Schritt suchte Winzeler nach einer Erklärung für das wechselhafte therapeutische Ansprechen des SSS. In den Beobachtungen von Anita Saurer, einer Schweizer Ärztin, fand Winzeler einen systemischen Zusammenhang zwischen dem im 2. Schritt definierten SSS und dem Konzept der dualen neuroendokrinen Steuerung nach A. Saurer. Das Saurer Konzept (Saurer A.: Zur Methodik empirischer Reaktionsprüfungen, Pharmakodynamische Anpassung. Monographie. W. Maudrich Verlag, Wien 1970) postuliert  zwei gegensätzliche neuroendokrine Reaktionstypen, die sich durch eine Reihe empirisch zusammengestellter Wirkstoffen in die eine oder andere Richtung beeinflussen lassen. Eine der beiden Reaktionsprinzipien ist seit Geburt dominant. Beide Prinzipien sind aber über die Tage wechselseitigen Schwankungen unterworfen. Geraten sie aus dem Gleichgewicht, können Befindlichkeitsstörungen, muskuloskelettale Schmerzen, Dysmenorrhoe, Migraine u.a. entstehen. Nur  die dem dominanten Reaktionstyp zugeordneten Wirkstoffe  können das neuroendokrine Gleichgewicht wieder herstellen und die daraus hervorgehenden somatischen Beschwerden beseitigen. Winzeler stellte fest, dass das von A. Saurer erarbeitete Konzept auf das SSS nicht nur anwendbar war, sondern sogar einem übergeordneten Steuerungsprinzip entsprach.

Winzeler erprobte verschiedene Wirkstoffe aus der von A. Saurer erarbeiteten Testbatterie. Aufgrund der damaligen Kenntnisse wurde eine pharmakologische Wirkung im Bereich des sympathisch-parasympathischen Regulationssystems und der Histamin-Rezeptoren angenommen. Unter den verschiedenen, an einem grossen Patientenkollektiv getesteten Medikamenten, erzielte Winzeler optimale Therapieresultate mit folgenden zwei gegensätzlich wirkende Substanzen: Bellafolin als ps-Prinzip (damals kommerzialisiert als Bellapan buccal) und Dihydergot (R) als s-Prinzip (kommerzialisiert als Dihygroton buccal). Die Medikamente wurden tropfenweise in einer Verdünnung bis 1:1000 auf die Zunge angewendet. Mit einer dem Reaktionstyp entsprechenden Medikation erzielte Winzeler sowohl unmittelbare wie auch andauernde Therapieerfolge. Patienten mit therapieresistenten Rückenschmerzen erfuhren unerwartete Heilung. Eine Schmerzabnahme an der Steissbeinspitze war oft unmittelbar nach der ersten Medikamentenanwendung zu beobachten, sodass Winzeler den tendomyotischen Symphysen- und Steissbeinschmerz als Diagnostikum für das neurovegetative und neuroendokrine SSS postulierte.

Das Konzept weist Parallelen zur Homöopathie auf. Es ist aber nicht aus der Grundidee der Homöopathie entstanden. Die Heilungserfolge waren zum Teil spektakulär, konnten aber von den wenigen Ärzten, die diese Medikamente anwendeten nicht im gleichen Ausmass reproduziert werden. Die Therapiemethode wurde nach dem Tod von Winzeler nur noch sporadisch genutzt.


Literaturverzeichnis:


[1]Winzeler H. , Brügger A.: Das Symphysenschmerzsyndrom Geb. Frau. 18. 571, 1958

[2]Winzeler H.: Standortbestimmung: Das Symphysenschmerzsyndrom. Vom Lokalsyndrom zur neuroendokrinen Testmethode. Ars Medici 59, 266. 1969

[3]Winzeler H. Das Symphysenschmerzsyndrom als medizinische Konzeption. W. Maudrich Verlag Wien, Monographie 1976

[4]Winzeler H: Rheumatismus, Heilung innert Tagen. Schweizer Illustrierte vom 12.03.1984

  1. Winzeler H., Brügger A.;: Das Symphysenschmerzsyndrom. Hrsg.: Geb. Frau. Nr. 18, 1958, S. 571.
  2. Winzeler H.: Standortbestimmung: Das Symphysenschmerzsyndrom. Vom Lokalsyndrom zur neuroendokrinen Testmethode. Hrsg.: Ars Medici. Nr. 59, 1969, S. 266.
  3. Winzeler H.: Das Symphysenschmerzsyndrom als medizinische Konzeption. In: Monographie. W. Maudrich, Wien 1976.
  4. Winzeler H., Glinz Franz: Rheumatismus, Heilung innert Tagen. Hrsg.: Schweizer Illustrierte. Zürich 12. März 1984.