Bürgerausschuss

Im Großherzogtum Baden wurde 1821 im Vorgriff auf eine neue Gemeindeordnung unter der Regierung von Ludwig I. in einem provisorischen Gesetz in jeder Gemeinde ein Gemeinde-Ausschuß eingerichtet, wobei die in größeren Gemeinden teilweise bereits bestehenden größeren Ausschüsse oder Bürger-Collegien weiter Bestand hatten.[1] Im Vorwort des Gesetzes wurde auch schon der Begriff Bürger-Ausschüsse verwendet. Die Ausschüsse dienten der Kontrolle der Gemeinderäte und die Beschlüsse der Ausschüsse ersetzten bei wichtigen Entscheidungen über das Gemeindevermögen die bisher notwendige Bestätigung durch eine Gemeinde-Versammlung.

Das Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Gemeinden vom 31. Dezember 1831[2] legte in § 9 fest: „Neben dem Gemeinderath besteht in jeder Gemeinde ein Bürgerausschuß und die Gemeindeversammlung.“ [3] In Städten mit „über 3000 Seelen“ (§ 40) konnte ein größerer Bürgerausschuss eingerichtet werden, der viermal so stark sein musste wie der kleinere und weitere Aufgaben der Gemeindeversammlung übernehmen konnte.[4]

Die Institution des Bürgerausschusses blieb im Großherzogtum bis zum Ende erhalten und wurde 1919 auch in die Gemeindeordnung der Republik Baden übernommen, wobei die Mitglieder des Bürgerausschusses neu als Gemeindeverordnete bezeichnet werden.[5]

Auch das Gesetz einer badischen Gemeindeordnung vom 8. Oktober 1921 kennt den Begriff Bürgerausschuss, wobei hier die Gesamtheit von Gemeinderat und Gemeindeverordneten gemeint ist, während die Gemeindeverordneten etwa den Mitgliedern des früheren Bürgerausschusses entsprechen.[6]

Bei der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde 1933 auch der Bürgerausschuss abgeschafft.



Württemberg

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In den Jahren 1816 bis 1822 nahm König Wilhelm I. eine grundlegende Reformierung der württembergischen Gemeindeverfassung vor. Hierbei wurde dem Gemeinderat eine zweite Kammer, der Bürgerausschuß (anfangs auch unter der Bezeichnung Gemeindedeputation) als Kontrollgremium und Vertretung der Bürgerschaft zur Seite gestellt. Durch Gesetz vom 15. März 1919 wurden die Bürgerausschüsse abgeschafft.

Die verstärkten Bemühungen um eine neue Gemeindeordnung führten aber vorerst nur zum provisorischen Gesetz vom 23. August 1821, das nun allgemein neben die Gemeinderäte Bürgerausschüsse stellte, die bei besonderen finanziellen oder das Gemeindeeigentum betreffenden Fragen zusammengerufen werden mussten. Gewählt wurden die Mitglieder des Bürgerausschusses von allen Orts-, Ehren- und Schutzbürgern nach einem Dreiklassenwahlsystem für sechs Jahre, wobei alle zwei Jahre ein Drittel des Ausschusses neu gewählt wurde. Die Höchstbesteuerten stellten wie die Mittel- und Niederstbesteuerten jeweils ein Drittel der Ausschussmitglieder.

Erst die Gemeindeordnung vom 31. Dezember 1831 verringerte die Staatsvormundschaft über die Gemeinden und deren Organe, beendete sie aber nicht. Dennoch kann man auch in Baden vom Beginn der Kommunalen Selbstverwaltung sprechen. Der nun von der Gemeindeversammlung aller Bürger bzw. dem Großen Bürgerausschuss in den größeren Städten auf Zeit (zunächst sechs, dann neun Jahre) gewählte Bürgermeister saß dem von der Gemeindeversammlung gewählten Gemeinderat – auch in den größeren Städten hieß die Gemeindevertretung wie heute nicht Stadtrat - vor. Zuständig war der Bürgerausschuss vor allem für die Genehmigung der Haushaltsvoranschläge und die Rechnungsprüfung. Er musste zu allen wichtigen Entscheidungen gehört werden, besaß aber nur Kontrollfunktion gegenüber dem Gemeinderat.

Die badische Städteordnung vom 24. Juni 1874 bestätigte das Recht des Bürgerausschusses, Oberbürgermeister, Bürgermeister und Stadträte zu wählen. Die beiden Erstgenannten mit absoluter, Letztere mit relativer Mehrheit. Dem Bürgerausschuss gehörten die Mitglieder des Stadtrats - 22 gewählte Stadträte, der Oberbürgermeister und die Bürgermeister - sowie 96 Stadtverordnete an. Er musste bei allen Finanzangelegenheiten und beim Erlass von Ortsstatuten zustimmen. Ein Stadtverordnetenvorstand vertrat den Bürgerausschuss gegenüber dem Stadtrat.

Bis in das letzte Quartal des 19. Jahrhunderts setzte sich der Bürgerausschuss in der Regel aus Honoratioren der Stadt zusammen. In der nationalliberal geprägten badischen Haupt- und Residenzstadt war diese politische Ausrichtung im Bürgerausschuss dominierend, ohne dass der Bürgerausschuss als politisches Gremium angesehen werden kann. Gewählt wurde alle drei Jahre jeweils die Hälfte der Stadtverordneten auf sechs Jahre. Lange stellten die im Bürgerausschuss vertretenen Parteien eine gemeinsame Liste auf. Erst mit dem Auftreten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) rückten Parteizugehörigkeiten mehr in den Vordergrund. Die ersten drei Sozialdemokraten wurden 1890 gewählt, zwei davon auf der gemeinsamen Liste der im Bürgerausschuss vertretenen Parteien. Bei der nächsten Wahl 1893 kam eine dritte Liste, die der Handwerkerpartei hinzu. Drei Jahre später schieden Zentrum und Linksliberale wegen unüberbrückbarer Differenzen zur Nationalliberalen Partei aus der gemeinsamen bürgerlichen Liste aus und stellten eine eigene auf.

Die neue Städteordnung von 1910 hielt zwar grundsätzlich am Dreiklassenwahlrecht fest, bestimmte aber, dass nach den Grundsätzen der Verhältniswahl mit gebundenen Listen zu wählen sei. Es wurden auch die Wählerklassen neu nach Sechsteln eingeteilt, der größten 3. Klasse gehörten 3 Sechstel (zuvor 9 Zwölftel) aller Wähler an, der 2. Klasse 2 Sechstel (zuvor 2 Zwölftel) und der 1. Klasse 1 Sechstel (zuvor 1 Zwölftel), was zu einer deutlichen Verschiebung der Wahlergebnisse zugunsten vor allem der SPD führte. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörten im Bürgerausschuss 30 Stadtverordnete der Nationalliberalen Partei an, 29 der SPD, 18 der Fortschrittlichen Volkspartei, 17 dem Zentrum und zwei der Konservativen Partei.

Nach dem Ende der Monarchie in der Revolution im November 1918 dauerte es noch bis zum 21. Oktober 1921, ehe die neue, auch als Bürgerausschussverfassung charakterisierte Gemeindeordnung auf die demokratische Entwicklung reagierte. Das Gesetz über die Änderung der Gemeinde- und Städteordnungen vom 13. März 1919 hatte aber immerhin schon ein allgemeines freies Gemeindewahlrecht für Männer und erstmals ein Wahlrecht für Frauen gebracht. Die Vertretung der Städte und die Verwaltung oblagen dem Stadtrat, der sich aus Oberbürgermeister und Bürgermeistern sowie den ehrenamtlichen Stadträten zusammensetzte. Oberbürgermeister und Bürgermeister wurden von den Stadträten, diese wiederum von den nun 84 Stadtverordneten des Bürgerausschusses gewählt. Hatte der Bürgerausschuss im Kaiserreich zunächst nur um die fünfmal im Jahr getagt, nahm die Zahl der Sitzungen nach 1900 zu, stieg aber nicht über zehn, um dann in der Weimarer Republik weiter zu steigen. Hier spiegelt sich die Zunahme der städtischen Aufgaben mit dem Wachsen der Stadt und dem dadurch erforderlichen Aufbau einer Leistungsverwaltung wider.

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 war das Ende des Bürgerausschusses bald gekommen. Gleich im März wurde er widerrechtlich nach dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März umgebildet, tagte aber nicht mehr und wurde ein Jahr später komplett aufgelöst.

Die Bürgerausschussvorlagen von 1875 bis 1933 sind komplett im Stadtarchiv archiviert. Die Erschließung ist über AUGIAS-Findbuchnet zugänglich, im Lesesaal des Stadtarchivs können die Digitalisate eingesehen werden.

  1. Provisorisches Gesetz vom 25. August 1821 Großherzoglich–Badisches Staats- und Regierungs–Blatt Nr. XIV. vom 8. September 1821, S. 95–98.
  2. Großherzoglich–Badisches Staats- und Regierungs–Blatt Nr. VIII. vom 17. Februar 1832, S. 81–115.
  3. (§§ 27–35 und 135–139) regeln den Bürgerausschuß und dessen Rechte.
  4. Großherzoglich–Badisches Staats- und Regierungs–Blatt Nr. VIII. vom 17. Februar 1832, S. 90.
  5. Gesetz. Die Änderung der Gemeinde- und Städteordnung betreffend vom 13. März 1919 Badisches Gesetz- und Verordnungs-Blatt Nr. 25 vom 22. April 1919, S. 203–211
  6. Gesetz einer badischen Gemeindeordnung vom 8. Oktober 1921 Badisches Gesetz- und Verordnungs-Blatt Nr. 56 vom 18. Oktober 1921, S. 347–386