„Was Wikipedia nicht ist“ erweitert (Kurier)

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Eine kleine Sensation darf man es schon nennen, wenn eine zentrale Regelseite in der Wikipedia wesentlich verändert wird. „Was Wikipedia nicht ist“ dürfte demnächst um den Punkt „… ist kein Ponyhof“ erweitert werden. Damit wird der seit Jahren empfundenen Realität der Online-Enzyklopädie Rechnung getragen.

Die dazugehörige Diskussion, die es in die Galaktische Klasse geschafft hat, wütete genau ein Jahr. Dabei ging es weniger um die Sache als um die Bezeichnung: Größter Konkurrenz für den Ponyhof war das Mädchenpensionat. Ein Benutzer, der die ehrende Vorlage „Klaus-Kinski-Preis für enzyklopädische Kommunikation“ auf Benutzerseiten verteilt, erklärte dies so: Es solle eben der Gender-Aspekt mit berücksichtigt werden. Weitere Anwärter für „Was Wikipedia nicht ist“ waren die Blumenwiese, die Waldorfschule und das Wunschkonzert.

Vor der offiziellen Änderung der Regelseite müssen allerdings noch zahlreiche Vandalismusmeldungen sowie drei Schiedsgerichtsanfragen aus der Diskussion abgehandelt werden. Dies dürfte knappe 24 Stunden in Anspruch nehmen. Z., 1.4.19

Konferenz im Baskenland: Lehrkräfte in der Selbstfindungsphase (Kurier)

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Ohne Gruppen-Foto geht es nicht. Der Verfasser steht übrigens ganz oben, zweiter von rechts. Wenigstens auf diesem Foto ist ihm die Erkältung nicht anzusehen.

Am Wochenende vom 5. zum 7. April 2019 trafen sich etwa 130 Wiki-Leute und Lehrkräfte im Baskenland. Die user group für baskische Kultur (de facto einem Wikimedia-Landesverein vergleichbar) hatte zur Konferenz Wikipedia+Education eingeladen. Der bleibende Eindruck aus Donostia/San Sebastian: Die Leute und Kräfte sind noch auf dem Weg. Irgendwohin.

Bereits der erste größere Beitrag machte deutlich, wo es noch viel zu suchen und zu finden gibt. Die Bildungsexpertin Mary Burns erklärte das Lehren und Lernen an sich und gab der Wikimedia-Bewegung den Tipp mit: Liefert Lehrkräften nicht Inhaltspakete oder Antworten, sondern Fragen. Sie selbst veranschaulichte dies durch ihre eigenen Fragen an das Publikum. Die Fragen bringen den Lernenden dazu, selbst Konzepte miteinander zu verknüpfen und Lösungen zu erarbeiten. Das gehe im Unterrichtsalltag der Schulen leider oft unter.

A propos Wikimedia-Bewegung: Diese war durch die wohl mächtigste Frau vertreten, die auf irgendeine Weise mit Wikis zu tun hat, nämlich Katherine Maher. Die Direktorin der Wikimedia Foundation (WMF) erinnerte die Teilnehmer an die laufenden Diskussionen rundum die neue Strategie. Sie war nicht die Einzige aus San Francisco, aber die Vertreter der Education-Abteilung der WMF dominierten die Veranstaltung auch nicht, weder zahlenmäßig noch inhaltlich.

Außer der WMF gibt es nämlich noch weitere Akteure auf dem Gebiet. In Nordamerika ist seit Jahren die Wiki Education Foundation aktiv, in den übrigen Weltteilen gibt es die altvertrauten Wikimedia-Landesvereine wie Wikimedia Deutschland, und viertens hat sich 2018 eine user group zum Thema Wikipedia & Education gegründet. In einem Interview hat mir Filip aus dem Vorstand erklärt, dass man mit den übrigen Akteuren zusammenarbeitet, aber noch am Anfang steht und sich orientiert. Die user group netzwerkt mit Ehrenamtlichen und Berufstätigen, hat aber noch keine eigenen Resourcen und betreibt keine sogenannte Programmarbeit.

Programmatisches und Programm

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Bei einem diversen und global ausgerichteten Veranstaltungsprogramm muss man doch leider sagen: Vieles war ein Mehr vom selben. Jemand hat ein Universitätsseminar geleitet, in dem Studis Wikipedia-Artikel geschrieben haben, und der Jemand hat darüber einen Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Jemand anders lässt Schüler etwas mit der Wikipedia machen. Als Teilnehmer von Wikipedia-Treffen hat man das so oder so ähnlich schon häufig gehört. Das eigentlich Besondere oder Neue, von dem man etwas lernen kann, blitzte ab und zu im Beitrag auf.

Daneben wurde in Workshops etwas mehr Praxis gezeigt. Häufig ging es um das Vorstellen von Software-Tools wie dem bekannten Dashboard, mit dem Lehrkräfte die einzelnen, von Studis bearbeiteten Wikipedia-Artikel besser verfolgen können. Eigentlich fehlte etwas Drittes, wie mir andere Teilnehmer bestätigten: Erfahrungsberichte statt Erfolgsberichten, nämlich Beiträge, in denen die Praxis des Wiki-Unterrichtens konkret beleuchtet wird, das Ausprobieren, Scheitern, Nachdenken und neue Planen. Das soll kein Vorwurf an Veranstalter oder Referenten sein. Aber hier liegt sicherlich noch viel lohnendes Neuland vor uns.

Wiki von Kindern? Für Kinder? Beides?

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Luxus bei der Poster Session: Die Schaubilder wurden ausgedruckt auf Holz geklebt und auf einer Art Staffelei präsentiert.

Ich selbst war Stipendiat der baskischen user group, die sich von ihrer besten Seite gezeigt hat. Der Grund meiner Anwesenheit war vor allem die Begegnung mit anderen Menschen, die in ihren Ländern Wikis für Kinder oder Kinder-Enzyklopädien betreiben. Die Txikipedia etwa macht das innerhalb der baskischen Wikipedia, das Klexikon, das ich 2014 mitgegründet habe, hat einen Trägerverein gefunden. Ilario aus der Schweiz sprach auf unserer Podiumsdiskussion über Wikimini.

Vikidia war durch den italienischen Zweig vertreten, der von Lehrern getragen wird. Für sie ist Vikidia ein Unterrichtsinstrument. Ich habe gelernt, wie sie Wikiversity, concept maps und andere Mittel einsetzen, um 10-Jährige enzyklopädische Artikel schreiben zu lassen. Dieser ganze Hintergrund und Aufwand war mir so nicht bewusst gewesen.

Umgekehrt sagten mir die Italiener, dass sie durch meinen Beitrag erstmals die Konzepte des Klexikons verstanden haben: Beim Klexikon steht die Qualität der Artikel im Vordergrund, die normalerweise von Erwachsenen geschrieben werden. Gefördert wird die Kollaboration durch frühzeitige Lemma-Diskussionen und einen Entwurfsnamensraum. Beide Arten von Wikis – die Unterrichtsplattform und das Inhaltswiki – haben eben ganz unterschiedliche Ziele, Methoden und Ergebnisse. (Mehr zum Thema siehe hier.)

Sprache als Politikum?

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Warten in Frankreich auf die Staffel-Übergabe. Der Verdacht einer bestimmten Werbepartnerschaft bestätigte sich auf Nachfrage nicht. Der spanische Ort der Education-Veranstaltung selbst heißt auf Baskisch Donostia und auf Spanisch San Sebastian.

Ein etwas kurioses social event war eine Busfahrt zu einem baskischen Marsch, der Korrika. Unser kleiner Abschnitt, bei dem wir zum Mitmarschieren eingeladen waren, lag im französischen Teil des Baskenlandes. Man versicherte mir, dass es sich um eine überparteiliche Veranstaltung handelt (ich machte mir eher Sorgen, dass wir in eine separatistische Bewegung hineingezogen wurden). Das Wetter war deutlich freundlicher als im spanischen Teil, und die Landschaft belohnte die Anstrengung ebenfalls.

Mitgenommen habe ich: Hausaufgaben mit Blick auf das Klexikon. Interessantes zur Nachrichtenlage aus Gesprächen mit Iren und Walisern. Visitenkarten von taiwanischen Ethnologen, die Minderheitssprachen mit Wikis unterstützen wollen. Dass mein Italienisch auf dem Niveau eines Liebhabers von Opern und Pizzas stehengeblieben ist (und dann noch jeweils von Wagner). Ein Auffrischen alter Kontakte aus Deutschland und den USA. Und Anregungen für meine eigenen edukativen Aktivitäten, vor allem: noch mehr Fragen stellen.
Ziko 10. April. 19

Stand der Strategie (Kurier)

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Teilnehmer des Harmonization Sprint in Tunis, 20. September 2019. Auf dem Treffen der WMF-Arbeitsguppen habe es "ehrliche Gespräche" gegeben, so die Mail von Nicole Ebber.

Der Prozess der Strategie 2030 für die Wikimedia-Bewegung beschäftigt uns nun schon ähnlich lange wie der Brexit. Kürzlich wurde eine Mail versandt, die den Stand der Dinge ein wenig beleuchtet. Nicole Ebber schrieb auf Wikimedia-l vom Arbeitsgruppen-Treffen am Wochenende vom 20.-22. September 2019 in Tunis.

Der Mail ist folgende Chronik zu entnehmen:

  • Es gab im August die "ursprünglichen" Entwürfe der WMF-Arbeitsgruppen für die Strategie.
  • Darauf folgten Reaktionen der Community.
  • Es wurden im September "überarbeitete" Versionen der Entwürfe veröffentlicht. Diese Überarbeitungen heißen auf Meta "Iteration 2" und auch "Pre Sprint"; in der URL findet man einfach nur "Sprint". Man beachte immer die URL und verwende nicht die Navigationsleiste, denn die Links in der Navi verweisen nur auf die ursprünglichen Versionen.
  • Das Arbeitsgruppen-Treffen in Tunis hieß "Harmonization Sprint". Darauf bezieht sich das Wort Sprint. Die "Pre-Sprint"-Versionen sind also im Vorfeld für den Sprint gedacht gewesen, sie sind nicht etwa die Ergebnisse des Sprints (des Treffens in Tunis). Laut Mail sollten in Tunis die endgültigen WMF-Arbeitsgruppen-Empfehlungen für den WMF-Vorstand erarbeitet werden. Dies sei aber daran gescheitert, dass die WMF-Kerngruppe (Core Team) nicht ausreichend gesteuert und für Deutlichkeit gesorgt habe.
  • Die WMF-Kerngruppe beugt sich nun über die Diskussionsmateralien und Ergebnisse. Der Zeitplan werde angepasst werden müssen. Ziel sei ein vereinheitlichtes Paket an Empfehlungen, es werde auch überlegt, eine weitere Gelegenheit für Community-Feedback einzubauen.

Die ursprünglichen Entwürfe waren von den Wikimedia-Communitys teils interessiert, teils scharf ablehnend empfangen worden. Die Entwurfsautoren hatten zwar ein gutes Schema vorgegeben bekommen, mit dem u.a. die konkrete Empfehlung, der Hintergrund und die Zukunftsprognose und die erwarteten Folgen beschrieben werden sollten. In der Realität waren die Empfehlungen allerdings oftmals wenig ausgearbeitet oder enthielten sogar offensichtliche (und mit TODO gekennzeichnete) Lücken. An einer Stelle hieß es zu den möglichen negativen Folgen knapp, dass irgendjemand in der Community halt immer negative Konnotationen habe. Oder aber man hatte Fußnoten zur wissenschaftlichen Untermauerung eingefügt, dann stellte sich aber heraus, dass einige der verlinkten "Quellen" nicht dazu geeignet waren, die Behauptungen der Empfehlung zu stützen.

Man darf sich fragen, ob es eine gute Idee war, diese ursprünglichen Entwürfe als key step zu veröffentlichen. Wenn man einen so großen Kreis von Wikimedia-Ehrenamtlichen darum bittet, Feedback zu Entwürfen zu geben, dann sollten diese Entwürfe einigermaßen durchdacht und fertig sein. Schließlich hätten die Empfehlungen dieser Entwürfe die Tätigkeit der ehrenamtlichen Mitmacher gravierend beeinflusst, wenn nicht beeinträchtigt. Es zeigte sich als eine übergroße Herausforderung, eine Lanze für Neulinge und mehr Offenheit zu brechen, ohne die bisherigen Ehrenamtlichen (denen schließlich die Wikipedia zu verdanken ist) vor den Kopf zu stoßen und grundlegende Werte der Bewegung zu verleugnen.

 
Tunis-Tafel mit treffender Einsicht: One size does not fit all.

Die "Iteration-2-Empfehlungen" sehen wie ein richtiger Schritt vorwärts aus. Die am meisten hahnebüchenen Vorschläge - beispielsweise, dass Neulinge bei der Registrierung nach sexueller Orientierung und Rasse gefragt werden sollen - sind verschwunden. Mal sind diese überarbeiteten Empfehlungen auf ein vages Bekenntnis zu mehr Offenheit zurückgestutzt worden, mal enthalten sie durchaus konkrete Vorstellungen etwa zur Ämtertrennung in den Wikis. Allerdings: Da die "Iteration-2-Empfehlungen" nur ein Zwischenschritt sind, weiß man nicht, wie viel Arbeit man in eine gründliche Lektüre stecken möchte.

Der Prozess der Strategie 2030 ist eine wichtige Chance, die Wikimedia-Bewegung voranzubringen und gravierende Probleme anzupacken. Vieles, was man auf dem Weg bislang lesen und hören musste, führte zu Enttäuschungen und Empörung. Es besteht aber immer noch die Möglichkeit, dass der Prozess ein produktives Ende findet. Hoffentlich ein Besseres als der Brexit.

Ziko, 3.10.19.

Die Jubiläumsbilder im neuen Licht (Kurier)

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Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut. (Wilhelm Busch)

Misstrauen führt zu Ungeduld, Ungeduld zu Fehlinterpretationen, Fehlinterpretationen zu Verärgerung. Leider haben manche deutschsprachige Wikipedianer, und anfangs auch ich, die 75 Jubiläumsbilder für „Wikipedia 20“ ganz falsch eingeschätzt. Doch wer sich mit ihnen nicht identifizieren kann, der hat einfach nicht richtig hingeguckt. Mit Wikiliebe, Hineininterpretieren und kultureller Aneignung bekommt das Set einen kräftigen wikipedianischen und europäischen Touch!

Z., 4.11.20. P.S.: Nicht so ernst nehmen. Mitmachen!

Was sich in 10 Jahren in der Wikipedia geändert hat (Kurier)

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Ein Lehrbuch. Schon etwas überholt.

Vor über zehn Jahren habe ich die Wiki-Kollegen dazu aufgerufen, dass wir gemeinsam ein Wikibuch schreiben: Wie man die Wikipedia bearbeitet, oder, wie man einen Wikipedia-Artikel schreibt. Trotz größeren Zuspruchs ist es dann doch ein eher einsames Schreiben geworden.

Und bald darauf habe ich einen Verlag angesprochen, ob er nicht ein Lehrbuch von mir herausgeben will. Quaſi als Enterprise-Version. Die netten Leute von Open Source Press waren sehr erfreut, und im Sommer 2010 erschien: Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie beitragen. 200 Seiten, mit Illustrationen.

Das Buch lief dann recht gut und führte immer wieder zu positiven Rückmeldungen. Auch Wikimedia Deutschland hat einen ganzen Stapel abgenommen, für die Kontakte im damaligen Referentennetzwerk.

In den über 10 Jahren seit Erscheinen ist eine Menge passiert. Es war vor allem der Visual Editor, warum ich mit einer zweiten Auflage gewartet habe. Natürlich hat auch Wikidata das Bearbeiten der Wikipedia verändert. Aber nicht nur bei der Wikipedia haben sich kleinere und größere Dinge geändert: Ich selbst durfte viel dazulernen und würde heute wohl manches anders machen.

Mit dem Verlag hatte ich noch einen Kontakt bezüglich der zweiten Auflage, und es wurde ein E-Book angedacht. Zwar war ich mit anderen Projekten wie dem Klexikon beschäftigt, aber ich hatte Lust darauf, das Lehrbuch zu überarbeiten. Doch dann stellte der Verlag seine Tätigkeit ein – schade, denn bei Open Source Press waren viele interessante Werke gerade aus der FLOSS-Welt erschienen.

Die Urheber haben die Rechte an ihren Werken zurückerhalten. Ich habe dann längere Zeit nicht mehr an das Lehrbuch gedacht, und schließlich habe ich die letzten Dateien, die ich vor dem Druck erhalten hatte, zusammengefügt und bei Commons hochgeladen. Vielleicht hat der eine oder die andere noch etwas davon, ich würde mich freuen.Z., 10.4.

Aus der Sittengeschichte der Völker: Über das Rechtsleben in Aprilien (Kurier)

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So hat sich ein späterer Maler den Reisenden vorgestellt. Leider ist der Autor des Reiseberichtes „Tractat über das Fürstenthum Aprilien“ unerkannt geblieben, und man rätselt weiterhin über den Zeitpunkt der Reise und den Zeitpunkt der Niederschrift. Wiederentdeckt wurde der Text als „Sittengemälde aus den dunkelsten Zeiten teutscher Kleinstaaterei“.

Achtung vor den Mitmenschen aufbringen: Dieses noble Ziel dürfte alle Menschen guten Willens einen. Doch schwierig wird es, wenn ungewohnte Sitten unser Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verletzen. So erging es einem Reisenden, der einst das Fürstentum Aprilien aufsuchte, um sich mit den Rechtstraditionen der Untertanen vertraut zu machen. Wir zitieren aus einem zeitgenössischen Reisebericht.

... Da beobachtete er an einem Orte, wie ein Schultheiß ſich dem Beſitzer eines Fuhrwerkes näherte. Der hatte ſeinen Wagen ſammt Pferd ſo an der Straße angehalten, daß die übrigen Fahrzeuge kaum daran vorbeyfahren konnten. Der Schultheiß hieß ihm weiterzufahren.

Doch was machte der unverfrorene Wagenbeſitzer? Er entgegnete, daß der Schultheiß ihm keine Anweiſungen geben dürfe. Denn in dem Moment, worin der Schultheiß ihm das Weiterfahren befahl, da verlor der Schultheiß ſeyn Befugniß. Er sei nemlich partie de conflict geworden! So behinderte das Fuhrwerk noch lange den Verkehr auf dieſer aprilianiſchen Straße.

Im Reich der Libertät

Dem Reiſenden wurde allſeits beſtätigt, daß ein solcher Vorfall durchaus häufig vorkommet in Aprilien, und daß ſolches eben aus dem ſtarken Rechtsempfinden der Aprilianer erwachse. Der Aprilianer reclamire ſeine angeborene Libertät, ſo zu handeln und ſo zu reden, als es ihm beliebt.

 
Das Fürstenthum litt unter einem eklatanten Männerüberschuss. Der Autor hat diese beiden Frauen als „Weibsbilder in Rot“ bezeichnet. Dies mag eine Chiffre sein, die allerdings von der Literaturwissenschaft, der Geschichtswissenschaft oder den Gender Studies noch nicht entschlüsselt worden ist.

Die Kehrſeite dieſer Freiheitsliebe erlebet, so erzählet man im Lande, nicht letztlich das weibliche Geſchlecht. Man berichtete dem Reiſenden von einer wohllöblichen Dame, die fleißig auf einem Stück Land arbeitete. Doch ward ſie eines Tages eines maskirten Misanthropen gewahr, der Pfeil und Bogen in Anschlag hielt und ohn Unterbrechen auf die Dame richtete.

Vom Schultheiß und von vielen Unterthanen ward ihr expliciret, warum niemand etwas gegen den Misanthropen und ſeyn Drohen unternehmen werde. Denn dieſer genieße die Freiheit, ſeinen Pfeil und ſeinen Bogen in beliebiger Weiſe zu nutzen. Einſchreiten könne der Schultheiß erst, wenn der Pfeil abgeschossen und auf dem Wege zu ſeinem Ziele sei.

Im Reich der Utilität

... Nebst der Libertät ſpricht der Aprilianer eben ſo gern von der Utilität, der Nützlichkeit, die auch dem kecksten Unterthanen unterſtellet wird – oder doch zumindest den Alten. Darum kommt es immer wieder vor, daß ein nichtswürdiger Aprilianer einen Landsmann etwa mit einer Axt gewalttätlich niedermacht. Man möchte meinen, daß der Halunke nun einer Strafe wie dem Gefängniß oder der Verbannung unterzogen werde, auf dass er ſeyn Unheil nicht weiter treiben könne, jedenfalls nicht in Aprilien, zum Schutze der Unterthanen vor dem Böshaftigen.

Doch nein: Wie dem Reiſenden auch auf mehrmaliges Nachfragen verſichert wurde, entblößet man den Missetäter gar nur von seiner Axt. Dieſes ſei Strafe genug, denn es habe wohl viel Zeit und harte Arbeit gekostet, ſich eine ſo ſchöne Axt leisten zu können. Außerdem ſei eine Verbannung ſinnlos, da das betreffende Subject ſich incognito wieder ins Fürstenthum ſchleichen könne. Alsbald könne er ſich ſelbstredend abermals eine Axt beſorgen, denn man wolle ja wohl kaum den Handel auf Äxte controlliren.

Solange er nicht erneut nach dem Leben seiner Landsleute trachte, dürfe er die Axt nach Belieben und zur Mehrung der Wohlfahrt des Fürstenthums einſetzen. Das ist die vielgerühmte und daher protectirte Utilität der Unterthanen. Und zu den armen Seelen, die dieſer Libertät und Utilität Beute werden, betet man auf gut Latein: geto verit.

Der Urgrund der aprilianischen Sitten

 
Diese Zeichnung, die dem Reisebericht vorangestellt wurde, hat man als Spottbild auf die Regentschaft gedeutet.

Darum machte unser Reiſender ſich an ſolcherley Fragen: Wie haben ſich ſolche Bräuche etabliretet. Und welchen Bedacht der Landesherr dabey treibet.

Der Reiſende nahm folgende Belehrung an. Der Fürst von Aprilien hat ſeine Macht ſchon längst einer Regentſchaft übertragen, die zehn Köpfe zählet, und deren einer er geworden ist. Die Regentſchaft hält Hof weit weg outre-mer, zahlet ihre Berather und Geſandten, und gibt ſich leutſelig. Doch hinter vorgehaltener Hand ſagte man, daß manche Berather das Fürstenthum nicht ſo ſehr für ein Land anſehen, in dem man gut und gerne leben könne, ſondern allein für eine Quelle an Pfründen.

Andere Gewährsmänner des Reiſenden hielten es für anſcheinender, daß die Regentſchaft wohl die Sittlichkeit und das Rechtsleben der Unterthanen zum Besseren wenden wolle, jedoch die Alten unter den Unterthanen ſelbst der Grund dafür ſeien, daß ſich im Fürstenthum trotz aller guten Reden und Erlasse nichts änderte.

Das Volk der Grundstücksbesitzer

 
„Die Reversion“, die aprilianische Sitte des Faustrechts

Dieſe nemlich hätten ſich im Laufe von gar zwei Jahrzehnten Eigentumes daſelbst befleißigt und ſchützten es mit aller Macht gegen Ankömmlinge. Nun ist es in Aprilien unterſagt, Eigentum an Grundſtücken zu erwerben, denn das Fürstenthum hat den Aprilianern auferlegt, all ihr Gut in Aprilien für gemeyn zu erklären. Darin die Aprilianer bey ihrem Zuzuge auch eingewilliget haben.

Doch hat sich die Sitte verbreitet, nurmehr den Beſitz an ſolchem zu behaupten – zumal an ſchönen, zentral gelegenen Parcellen. Die Legitimation dieſer Anſprüche liege darin, daß die Beſitzer dieſe Grundſtücke ſelbst urbar gemacht und bebaut hätten. Die Grundſtücksbeſitzer handelten nach einem ius auctoris principalis, auch wenn ſie ſelbst den Ausdruck meiden. Vielmehr verweiſen ſie in foro auf ihre Utilität, von der man bey Ankömmlingen ja nicht ohne Weiteres ausgehen könne.

Ein Fremder, der ſich in Aprilien anzuſiedeln wünſchet, höret von den Rufen der Regentſchaft und mancher Unterthanen: Es wird ihm darin eine ergötzliche Participation an der Libertät in Ausſicht geſtellet, mit allgegenwärtigen Occasionen, ſeine Kenntniß von Gottes Schöpfung zu theilen. Allein, die dem Ankömmling verhießene Libertät ſtößet gegen das cartel der Grundſtücksbeſitzer, die ſich ihrer gegenſeitigen Anſprüche verſichern.

Alsbald enteilt ein Fremder, dem seine Fremdheit allzu oft auf die Naſe gebunden ward, dem Fürstenthum wieder. Sich frei zu bewegen wird ihm nicht vergönnet, und die Grundſtücke, die er ſelbst noch beſitzen könnte, liegen am Rande und beglücken ihn wenig.

Von den Institutiones des Fürstenthums

 
Diese Zeichnung im Reisebericht wird heute mit „Das Schicksal des Schultheiß“ betitelt. Offensichtlich will der Autor andeuten, dass der Schultheiß in Aprilien einerseits von den Untertanen gehätschelt und bedauert wird, während man andererseits die Fußfessel noch etwas enger schnallt.

... Unser Reiſender möchte ſeinen Beſuch im Fürstenthum aber doch nicht endigen, ohne näher nach den Institutiones gefragt zu haben, mit derer Hülfe die Regentſchaft ihre Unterthanen zu friedſchaffender Redlichkeit anhalten möchte.

In principio gilt in Aprilien, daß die Regentſchaft die Unterthanen ihre Geſchäfte ſelbst regeln läßt. So werden die Schultheiße von den Unterthanen erkoren. Fehlt ein Schultheiß in ihren Augen in ſeiner Amtsführung, dann drohet ihm eine ſchändliche Reëlection, die ihn des Amtes berauben mag. Darum, mutmaßet ſo mancher, ſcheuen viele Schultheiße vor einer weſentlichen opprobation der Alten.

Die Alten haben ihrerſeits Anlaß, den Schultheißen ihre Anerkennung und ihre Hülfe zu verſagen. Machtvolle Schultheiße könnten ſich ja gegen ſie und ihre Libertät alswohl gegen ihre Anſprüche richten. Darum misstrauen ſie auch der Regentſchaft, die einen eigenen Codex und ihr ergebene, maskirte Schultheiße einſetzet, um die ſchlimmsten Missſtände im Fürstenthum zu wehren. Sie misstrauen auch der Regentſchaft Verſuche, die Zahl der Regentſchaftsmitglieder zu vergrößern und den Kreis der Unterthanenſchaft zu modificiren. So hält die Regentſchaft dafür, daß auch den Berathern der Regentſchaft Angehörigkeit des Fürstenthums zuſtehet, und letztlich allen Kindern Gottes, gar ohne Anſässigkeit im Fürstenthum und ohne jegliche Utilität.

Und ſchließlich kann der Reiſende den Alten nicht abſprechen, daß ſie das Fürstenthum gegen ſolche Fremdlinge vertheidigen, die gänzlich vom Eigennutze getrieben die Verhältnisse im Fürstenthum zu ſtören ſuchen. Sie lassen Stolz auf ihr Thun erkennen und Freude am Trutzen. Allein, ſo raisoniret der Reiſende, könnte das Fürstenthum doch ein paar Zäune gegen die Störenfriede errichten. Jenes aber ſei ein affront wider die Libertät, erhaltet er zur Antwort. Wohl mag es ihm ſcheinen, daß manche Wächter nicht durch Zäune entbehrlich werden wollen?

Von merkwürdigen Sitten und Nöthen

 
Letztes Bild in der Erstausgabe. Die Untertanen sind in kleine, einander zugeneigte Gruppen verteilt, und verhandeln unter sich über die Zukunft einer idyllischen Landschaft.

Die geneigte Leſerin eben ſo wenig als der geneigte Leſer werden dem Reiſenden einen Vorwurf machen können, daß ihm von ſeinem Aufenthalte in Aprilien das Haupt ganz confusus geworden ist. Was hat itzo Geltung im Fürstenthum und unter den Unterthanen? Hat ein von Allen beſchworener Communismus der lex oligarchiae eternae weichen müssen? Wer ſoll am Reichthume des Landes teilhaben dürfen? Stirbt das Fürstenthum aus, wenn es nicht neu peupliret wird? Droht der Auszug der Unterthanen in fremde Reiche? Wird ein neuer dictator benevolens die Verhältnisse richten müssen?

Dem Verarbeiten des Erlebten und dem studio fremder Reiſeberichte wird der Reiſende in ſeiner Kammer noch viel Zeit widmen müssen. Z., 1.4.21

Gibt es Serbokroatisch?

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Unterschriften erbeten: für die Deklaration zur gemeinsamen Sprache (Serbokroatisch). Würden auch Wikipedianer unterschreiben?

Vor kurzem hat sich die Wikimedia Foundation mit der Wikipedia auf Kroatisch beschäftigt (Dank an Gestumblindi für die Übersetzung). Ergebnis: Die Zustände, in denen Rechtsradikale ihre Ansichten durchsetzen konnten, sind anscheinend Vergangenheit. Man beobachte die weitere Entwicklung.

Außerdem gab die WMF noch einen brisanten Tipp mit: Es gäbe ja nur eine gemeinsame serbokroatische Sprache, warum haben wir dann ein Nebeneinander der Wikipedia auf Kroatisch, der auf Serbisch, der auf Serbokroatisch und dann noch auf Bosnisch?

Vor über zehn Jahren habe ich mich näher mit der „Vielsprachigen Wikipedia“ beschäftigt, oder eigentlich: der Vielheit der Wikipedias in den einzelnen Sprachen. So richtig weitergeführt habe ich meine Studien dazu nicht (siehe aber: Van Dijk 2009). Für mein diesjähriges Buch habe ich mich noch einmal allgemein mit Wikis auseinandergesetzt, auch mit der Frage, wie Wikis miteinander „verbunden“ sein können (siehe Van Dijk 2021, Abschnitt A.3.1). Man steht nämlich manchmal vor dem Problem: Richte ich ein Wiki ein - oder mehrere?

Warum nicht eine, zwei, viele Wikipedias?

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Die Verbreitung der serbokroatischen Sprache, laut deutschsprachigem Wikipedia-Artikel

Gerade bei einer mehrsprachigen Situation stellt sich dieses Problem (D.4). Und konkret aus Sicht der WMF: Die hat anfangs einfach auf Zuruf neue Wikipedias eingerichtet. Seit 2006 aber gilt die Regel, dass keine neuen Wikipedias in Sprachen eingerichtet werden, die schon eine Wikipedia haben. Das ist gut nachvollziehbar:

  • Man will nicht Streithansel unterstützen, die sich einfach nicht in eine Wikipedia-Gemeinschaft einfügen können und dann eine neue Wikipedia haben wollen, unter sprachlichen, religiösen, politischen oder anderen Vorwänden.
  • Wenn eine Gruppe Mitmachwilliger nicht in einem größeren Wiki zusammenarbeiten, sondern sich auf mehrere kleinere verteilen, dann entstehen mehrere kleine Gemeinschaften. Sie sind weniger resilient gegenüber Einflüssen von außen oder gar feindlichen Übernahmen.
  • Je kleiner eine Gemeinschaft, desto weniger Kollaboration gibt es, was sich negativ auf die Qualität des Inhaltes auswirken kann.

Nachteilig ist diese Regel für Wikipedias, die sich an Menschen mit Herausforderungen beim Lesen richten, sogenannte Simple-Wikipedias. Die heutige auf Englisch wurde noch vor der Regel von 2006 eingerichtet. Mehrmals wurden Wikipedias in einfacher deutscher Sprache oder für Kinder abgelehnt. Als Antwort hat man teilweise erhalten: Ruft doch eine neue Wikimedia-Wiki-Familie ins Leben, ähnlich wie Wikivoyage oder Wikisource. Allerdings: Die Hürden dazu sind immens hoch, davon können die Leute von Wikivoyage ein Lied singen. Daher ist das Klexikon ein Wiki bei einem anderen Wiki-Eigentümer.

Was sagt die Sprachwissenschaft?

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Wie die Sprachen ethnisch bzw. politisch bezeichnet werden.

Aber bleiben wir bei einer Sprache wie Serbokroatisch - oder sind es nicht doch drei Einzelsprachen? Vor vielen Jahren habe ich meinen Rotterdamer Freund Nikola gefragt, einen Sprachwissenschaftler und beeidigten Übersetzer für ... ja, offiziell für Kroatisch, Serbisch und Bosnisch. (Der mir belustigt erzählte, wie er zuweilen angerufen werde, ob er "Slawisch" übersetzen könne.) Er kommt aus Kroatien, was möglicherweise seine Antwort beeinflusst haben mag, obwohl ich ihn als überzeugten Internationalisten kennengelernt habe. Jedenfalls: Seine Antwort habe ich damals für mein Handbuch zur Vielsprachigen Wikipedia aufgezeichnet. Sprachlich seien die drei Sprachen sich ja sehr ähnlich. Doch hätten sich eben verschiedene Sprachgemeinschaften herausgebildet. Es sei fraglich, ob der durchschnittliche Kroate eine serbische Wikipedia lesen wolle.

Ich nehme an, dass am ehesten die größte Sprachgemeinschaft - die serbische - gern von einer gemeinsamen Sprache ausgeht und die kleinere - vor allem die kroatische - Angst hat, innerhalb einer großen Sprachgemeinschaft de facto den Kürzeren zu ziehen. Und so ähnlich ist es ja auch im deutschen Sprachgebiet, in dem das Deutsch der Bundesrepublik de facto als Standard gilt und das Schweizer Hochdeutsch und das Österreichische Deutsch als „Abweichungen“. Und ganz ehrlich, in der deutschsprachigen Wikipedia ist es nicht so anders. Wir haben für die nichtbundesrepublikanischen Varietäten (CH und AT) nur den eigenbezogenen Rückzugsraum: Der Artikel über „Bern“ darf gern auf Schweizer Hochdeutsch geschrieben sein, nicht aber der Artikel „Bären“. Plurizentrische Sprache hin oder her.

Und dann kommt natürlich die traurige Geschichte des Zweiten Weltkriegs, der jugoslawischen Gewaltherrschaft und der Bürgerkriege hinzu.

Wenn ich nun von der Deklaration zur gemeinsamen Sprache lese, dann finde ich das genauso sympathisch wie mutig. Die Frage ist, ob es in der Praxis auch eine gemeinsame Sprachgemeinschaft gibt oder die Gruppen nebeneinander kommunizieren. Mein Freund Nikola hat mir gesagt, dass er Lateinschrift genauso flüssig liest wie Kyrillisch und sich später nicht gemerkt hat, in welcher Schrift er etwas gelesen hat. Aber gilt das für alle, für die Jugend, für Nichtlinguisten? Was denken die mögichen Rezipienten von einer (wieder)vereinigten Wikipedia? Man müsste eine neue Situationsanalyse betreiben, wie bei jedem neuen Wiki oder sonstigem Medium (Abschnitt B.1.4).

Aus vier mach eine?

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Straßenschild in Bosnien-Herzegowina
 
Logo der Wikipedia auf Serbokroatisch

Wollte man tatsächlich eine neue, gemeinsame Wikipedia haben, dann stünde man vor großen Aufgaben:

  • Wie geht man mit dem bisherigen Inhalt um? Vielleicht könnte man von den Wikidata-Objekten ausgehen und jeweils pro Objekt sehen, in welchen der vier bisherigen Wikipedias es einen Artikel gibt. Je nach Fall könnte die Wahl eines Artikelinhaltes leicht fallen, dann nimmt man den. Oder aber man muss mühselig die besten Teile aus den verschiedenen Sprachversionen auswählen und... einen neuen, den besten auswählen? Eine Heidenarbeit, und potentieller Konfliktherd - nicht nur aus politischen oder sozialen Gründen, sondern vielleicht auch aus individuellen. Hauptautoren sehen "ihren" Inhalt nicht gerne verloren gehen (E.1.5).
  • Schon bei der Zusammenfügerei müsste man sich fragen, wie in der neuen Wikipedia mit sprachlichen Unterschieden umgegangen wird. Zum Beispiel, ob der Artikel über Zagreb typisch kroatische Eigenheiten beinhalten darf oder gar soll. Dafür gibt es Präzendenzfälle in anderen Wikis (D.4, v.a. D.4.3), die mal mehr, mal weniger gut funktionieren.
    • Die Software kann automatisch Schrift konvertieren, so dass Modifizienten und Rezipienten wählen können, ob sie Lateinschrift oder Kyrillisch sehen wollen. Diese Konversion funktioniert meines Wissens in diesem Fall recht gut. Allerdings: Wenn man selbst etwas schreibt, dann eben mit Lateinbuchstaben oder Kyrillisch. Ist es gern gesehen, beides in ein und dem selben Quelltext zu haben?
    • Gibt es keinen thematischen oder geografischen Bezug, dann wird ein Artikel normalerweise in der Varietät begonnen, in der er begonnen wurde (so en.WP). Aber: Wenn die meisten Modifizienten eben Serbisch gewohnt sind, dann werden die meisten Artikel darin geschrieben werden, und die übrigen müssen sich anpassen oder auf das Bearbeiten verzichten.
  • Außerdem ist ein Wiki eine soziale Plattform. Die neue Wikipedia soll Regeln haben - übernimmt man die aus einer der Sprachversionen, oder erstellt man gleich ein neues Regelwerk? Man mag meinen, dass viele Wikipedias eine Generalüberholung und Neufassung des Regelwerks vertragen könnten, aber der Aufwand und die langen Diskussionen schrecken davor ab. (Meiner Meinung nach wäre es sowieso gut, wenn es ein brauchbares Default-Regelwerk auf Englisch gäbe, das eine neue Sprachversion übernehmen und anpassen kann. Sich an dem riesigen englischsprachigen Regelwerk zu orientieren ist mühselig und oft nicht sinnvoll.)
  • Der WMF-Report spricht von der Möglichkeit, dass die vier Gemeinschaften gemeinsam Admins und andere Funktionäre wählen. Ob das sinnvoll ist, hinge davon ab, wie gut die Betreffenden einander kennen und einschätzen können. Hier könnte der Vorwurf entstehen, dass eine größere der vier Gemeinschaften Einfluss auf eine kleinere Gemeinschaft ausüben will.

Die beteiligten vier Communitys müssten also sich erst einmal eine gemeinsame Wikipedia wünschen und dann den Aufwand der (Wieder)Vereinigung betreiben. Ein Gutes: Eine serbokroatische Wikipedia gibt es bereits, theoretisch könnte man sich dort treffen und diese gemeinsam weiterentwickeln.

Doch wie der WMF-Bericht selbst sagt (S. 13): Die kroatische Community ist mehrheitlich gegen die Vereinigung. Ferner befürchtet man - nicht nur in Kroatien - die Reaktionen in der heimischen Presse, wenn es so aussieht, als wenn "von außen" auf eine Vereinigung der vier Wikipedias hingewirkt wird. Gleichzeitig erkennen die Wikipedianer an, dass es Zeitverschwendung ist, vier Artikelversionen in mehr oder weniger derselben Sprache zu haben.

Der WMF-Bericht ruft ja auch erst einmal dazu auf, eine gemeinsame Wikipedia zu diskutieren.Z., 12.7.21


Online-Treffen: Hey, wo sitzt du denn?

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Viele kleine Fenster? Oder mehrere große? Online-Treffen stellen uns vor lauter Fragen, wie diese Jubiläumsveranstaltung in Israel.

Die Corona-Pandemie hat auch die Wikimedia-Bewegung zu Online-Treffen gezwungen. Das Angebot wurde schließlich durchaus gern angenommen: Wir sind uns der Vorteile bewusst, wenn wir nicht mehr stundenlang anreisen müssen. Was aber könnte man bei Online-Treffen noch besser machen?

Sucht man im Internet nach Benimm-Führern für das Online-Meeting, dann findet man eher ältere Beiträge aus der Vor-Corona-Zeit. Vor allem aus der Unternehmenswelt. Da geht es nicht zuletzt darum, gut auszusehen: Sitzt die Krawatte richtig? Ist die Bildschirmkamera nicht zu hoch oder zu niedrig eingestellt?

In den eher lockeren Kreisen der Wikipedianer spielt das Aussehen weniger eine Rolle. Manche Mitglieder der Gemeinschaft leben auch eher in Verhältnissen, in denen man bei der Wahl des Kamera-Raums nicht allzu wählerisch sein kann. Man ist schon froh, wenn man einen einigermaßen ruhigen Ort in der Wohnung hat, in dem das Internet halbwegs funktioniert.

Einige Zeitgenossen kommentieren gern die Hintergründe ihrer Gesprächsgenossen. Was das denn für eine Waschküche sei, haha. Mittlerweile aber dürften viele es als den guten Ton empfinden, sich nicht über den Raum des Gegenübers zu äußern, schon gar nicht abwertend. Jeder war schon einmal in Raumnot oder konnte das Bügelbrett oder Fitnessgerät nicht mehr beseitigen.

Ebenso unnötig ist es, Geräusche von Kindern oder das Duschen in der Nachbarwohnung zu erwähnen. Manche Tele-Zeugen des sozialen Lebens finden das lustig, die Betroffenen werden dadurch aber an etwas erinnert, das ihnen vielleicht nicht an ihrer Wohnsituation gefällt. Wer darüber selbst lachen kann, prima. Aber nach Monaten Pandemie ist vielen nicht immer zum Lachen zumute.

Vergesst den Ton nicht!

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Apropos guter Ton: Wer in die Videografie einsteigt, der erhält immer wieder den Rat, an den Ton zu denken. Eine Zuschauerin verzeiht beim Bild vieles: Eine etwas unscharfe Aufnahme, Überbelichtung, etwas Wackeln der Kamera, unglückliche Schnitte. Ein scheppernder Ton hingegen, starke Windgeräusche oder Lautstärkeschwankungen führen leicht dazu, dass sie das Video bald wieder abschaltet. Wenn sie es mehrere Minuten lang erträgt, ist das schon viel.

Vergesst den Ton nicht!, klingt mir der Rat eines bekannten YouTubers in den Ohren. Ganz besonders klingen mir aber die Ohren, wenn ich ein, zwei Stunden Online-Meeting bei schlechtem Ton hinter mir habe. Mir selbst ist es wahnsinnig peinlich, wenn mein Ton schlecht zu hören ist oder Aussetzer hat – meist wegen der Verbindung im ungünstigen Raum, weniger wegen der Technik.

Die vielleicht problematischste Konstellation, die ich bislang erlebt habe: Jemand sprach zu einem Laptop, der sich offensichtlich auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand. Dazwischen ein niedriger Tisch. Bei einem solchen Optimismus zugunsten eines Laptopmikros beschleicht einen heimlich der Wunsch, dass der Moderator des Treffens solchen Teilnehmern nahe legt, sich nur noch durch Tippen zu beteiligen.

Tippen oder Tuscheln?

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Ein chat mit der Milchmagd. Die Commons-Kategorie Chatting zeichnet sich durch hohe thematische Diversität aus.

Viele Meeting-Plattformen haben eine Chat-Funktion. Manche nutzen sie eifrig, andere bekommen nichts davon mit, weil sie mit dem Tablet oder Smartphone teilnehmen. Talking heads und Chat lässt sich nicht immer gleichzeitig anzeigen.

Mal lässt sich der Chat in das Gespräch einbauen, mal nicht. Im schlimmsten Fall entsteht im Chat eine Nebendiskussion, gar mit lauter witzigen Einwürfen garniert. Für einen Vortragenden kann das sehr stressig werden, daher schaut man am besten gar nicht erst hin. Hoffentlich gibt es einen Moderator, der den Chat im Blick behält und eventuell Fragen aufgreift.

Weniger (chatten) ist also oftmals mehr. Sicherlich hängt manches vom Charakter des Treffens ab (ernsthaft-produktiv oder locker-gesellig), auch von der Zahl der Teilnehmenden. Vielleicht ist Tuscheln auch ein Zeichen dafür, dass etwas mit dem Vortrag nicht stimmt?

Das richtige Format?

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So pauschal würde das niemand sagen. Aber man darf schon darüber nachdenken, welche Inhalte und Gesprächssituationen zu einem Online-Meeting am besten passen. Ein Vortrag, der eine Stunde und länger geht, ohne Pause? Es ist ja ein Kompliment in Deutschland, dass jemand druckreif spreche, aber will man wirklich jemandem stundenlang zuhören, der ein Manuskript in dichter, gehobener Bildungssprache vorliest? ("Praktischerweise" das Manuskript, das sowieso schon für einen Fachartikel geschrieben wurde?)

Die Alternativen sind auch nicht immer das Gelbe vom Ei, weder das freie Mäandern noch die Folien-Karaoke. Aber vor allem ist es eben die Länge. Wenn ich jemandem eine Stunde mit schlechter Verbindung oder Mikrofonproblemen zuhören soll, dann dröhnt mir irgendwann der Kopf. Und ich denke: Da höre ich mir doch lieber alleine einen Vortrag im Internet an, den ein Museum oder eine Universität vor Publikum aufgezeichnet hat, wenn ich ganz ehrlich bin.

Darum freue ich mich, wenn ein Input-Vortrag durch Fragen aufgelockert wird. Wenn ein längerer Beitrag in Segmente geteilt wird. Wenn Vortragende oder Moderatoren Mitmachelemente einstreuen. Auch wenn die nicht immer so ganz gelingen, sind sie mehr als willkommen. Und so probieren wir langsam aus, wie unsere Online-Treffen immer sinnvoller werden. Ziko 10.06.21

Aber wie lautet denn der eigentliche Name? (Kurier)

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Wo kommst du denn eigentlich her? Die Frage ist nicht bei allen Angesprochenen gleich beliebt. Die kleine Cousine ist die Frage: Wie heíßt du denn richtig? Wie gehen wir aber in der Wikipedia mit Abweichungen um? Wie drücken wir es aus, dass der allseits bekannte Berti Vogts im Personalausweis Hans-Hubert Vogts stehen hat?

Immer wieder wird auf einschlägigen Diskussionsseiten verhandelt, wie ein Name in einem biografischen Artikel angezeigt werden soll (vor allem auf Wikipedia:Namenskonventionen#Personen und Wikipedia Diskussion:Artikel über lebende Personen). Es gibt vielfältige Gründe dafür, dass jemand nicht einfach als Fatma Schmidt geboren wird und bis zum Ende ihrer Tage mit diesem Namen durchs Leben geht:

  • Wer heiratet (oft Frauen, aber auch Männer), kann einen neuen Namen annehmen.
  • Wer eine andere Religion übernimmt oder in einen Orden eintritt, ändert vielleicht den Namen.
  • Wer aus seinem Geburtsland flieht, möchte an dieses Land nicht mehr erinnert werden oder aber sich im neuen Land integrieren.
  • Wer eine ellenlange Reihe von Vornamen mitbekommen hat, will sich aus Zeitgründen nicht immer mit dem vollständigen Namen vorstellen.
  • Wer mit einem neuen Elter (Bonusvater, Bonusmutter) aufwächst, möchte vielleicht den entsprechenden Nachnamen annehmen — oder gerade und ausdrücklich den des biologischen Elter behalten. (Ein Faktor kann das Erleben häuslicher Gewalt sein.)
  • Wer das Geschlecht ändert, will oft auch einen neuen Namen, der dazu passt.
  • Wer einen Allerweltsnamen hat, der ständig zu Verwechslungen führt, mag nach Alternativen oder Zusätzen Ausschau halten. Ähnlich verhält es sich mit Namen in einer ungewöhnlichen Schreibweise, die zu Fehlschreibungen oder Spott führt, oder Namen mit negativer Konnotation.

Hinzu kommt zum Beispiel der Künstlername oder das Pseudonym. Manche verwenden diesen Namen nur beruflich, für andere ist es der tatsächliche Rufname geworden.

Der richtige Name?

 
Tineke Huizinga ist eine niederländische Politikerin. Laut nl.WP (Infobox) ist der „vollständige Name“ Johanna Catharina Huizinga-Heringa. Dabei ist Heringa der Geburtsname, wie er in ihrem Personalausweis stehen müsste, und Huizinga der Name ihres Mannes, den sie nach Bürgerlichem Gesetzbuch im gesellschaftlichen Verkehr verwenden darf. Niemand in den Niederlanden würde sich entblöden, Tineke Huizinga nach ihrem „eigentlichen“ Namen zu fragen. (Schön, dass auch unser Artikel das nicht tut.)

Manche Zeitgenossen haben einen sehr normativen Blick auf Namen (und wohl auf viele andere Dinge). Für sie ist es schier unerträglich, mit einem „falschen“ Namen konfrontiert zu werden. Es wird ihnen zur Obsession, den „richtigen“ oder „eigentlichen“ zu erfahren, den sie dann auch konsequent verwenden ― egal, was die Betroffenen davon halten.

Betroffene sind beispielsweise Transsexuelle, Adoptierte und Frauennamenannehmer. Das kann auch eine Deutsche sein, die bei einer eher dunklen Hautfarbe einen traditionell deutschen Vor- und Nachnamen trägt. Für manche Zeitgenossen ein empörender Gegensatz, der Wildfremden das Recht gibt, die Namensträgerin penetrant einer Inquisition zu Familien- und Lebensgeschichte zu unterziehen.

Was aber ist nun der „richtige“ Name eines Menschen? Tatsächlich darf man sich in Deutschland (und oft auch anderswo) mit einem Namen der eigenen Wahl vorstellen. Das gehört zum Selbstbestimmungsrecht. Ob man sich den Namen als Künstlernamen in den Ausweis eintragen lässt oder als Marke rechtlich schützen lässt, ist unerheblich. Allerdings gibt es Einschränkungen: Beispielsweise muss man sich gegenüber Behörden mit demjenigen Namen ausweisen, der im Personalausweis steht.

Man kann die Frage also auf verschiedene Weise beantworten. Bürokratisch-administrativ gesehen gibt es einen Namen, mit dem man von den Behörden identifiziert wird. Sozial gesehen gibt es den Namen, mit dem man sich vorstellt und mit dem man angesprochen wird.

Wie hält es die Wikipedia? So gibt es seit langem auch hierzuwiki Diskussionen über Namensfragen, etwa, ob man den ehemaligen Namen (deadname) einer transsexuellen/transidenten Person enthüllen darf, und welchen Namen bzw. welches Pronomen man für den gesamten oder Teile des Artikels verwendet. Oder, unter welchen Umständen ein Pseudonym der Artikeltitel sein darf.

Hier geht es mir aber nur um einen verhältnismäßig kleinen Aspekt. Wir haben in der Praxis eine Vielzahl von Ausdrucksweisen, um am Anfang der Einleitung auf den Unterschied von amtlichem und verwendeten Namen hinzuweisen. In der Liste seht ihr eine, wohl nicht vollständige, Übersicht.

Wie machen es andere? Einfacher?

 
Man lese und staune: Dieser Mann, der niemals die Unwahrheit gesagt hat, heißt „eigentlich“ Conrad Hermann Joseph Adenauer.

Das sind doch recht unterschiedliche Lösungen, selbst in vergleichbaren Fällen. Dabei kann man sich fragen, welche Lösungen angemessener sind als andere. Sicherlich finden viele Leser bestimmte Abweichungen erklärungsbedürftig (Jan Peter? Jan Pieter?). Aber: Wie sehr muss man den Unterschied betonen? Und könnte ein Ausdruck wie „eigentlich“ (unbeabsichtigterweise) eine Unwahrhaftigkeit, gar Unaufrichtigkeit des Namensträgers suggerieren?

In anderen Wikipedia-Sprachversionen finden wir übrigens oftmals eine ähnliche Vielfalt vor. Allerdings scheint mir zum Beispiel in der Wikipedia auf Niederländisch die Ohne-Variante vorzuherrschen. Gerade in offensichtlichen Fällen, in denen eine Person nicht alle Vornamen verwendet, scheint das völlig ausreichend zu sein. Vielleicht typisch niederländisch ist es, nach den Vornamen in Klammern den Rufnamen zu erwähnen: Henricus Antonius Franciscus Maria Oliva (Hans) van Mierlo. (Artikeltitel: Hans van Mierlo (D66)) Allerdings gibt es auch hier Varianten, etwa, den Rufnamen zusätzlich in Anführungszeichen zu setzen oder die Vornamen nicht auszuschreiben.

Gerade in der englischsprachigen Wikipedia sehe ich dann ein bisschen mehr Unterschiedlichkeit. Wie wohl in vielen Sprachversionen gilt das nicht zuletzt für Künstlernamen. Vorherrschend ist aber, gerade wenn jemand einfach nur mehrere Vornamen hat, die Ohne-Variante.

Ich würde mich freuen, wenn wir über vorhandene und mögliche Lösungen nachdenken. Wir könnten manchmal in der Einleitung durchaus zurückhaltender vorgehen. Und wenn dabei am Ende etwas mehr Einheitlichkeit herauskäme, da, wo sich dies anbietet, wäre das doch auch nicht ganz verkehrt. Z., 31.1.

Wikipedia und Armut: Für wen die Wikipedia doch nicht so kostenlos ist

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Die Wikimania 2014 in London hat ihn auch gesehen: den Kurzfilm "Knowledge for Everyone".

Im Jahr 2013 erschien eine Dokumentation für eine Werbe-Kampagne der Wikimedia Foundation. Ganz unumstritten war die Kampagne nicht. Aber der Film selbst hat es in sich: Er zeigt, was es heißt, wenn Wikipedia-Leser in einem Township in Südafrika aufwachsen. Warum er den Film gemacht hat und welche negativen Reaktionen es gab, das erzählt nun der Produzent Victor Grigas in einem Interview.

„Nein“, sagt ein Junge im Film, man sei zwar frei, aber nicht wirklich frei. „Wer in Armut aufwächst, der ist nicht frei.“ Victor Grigas ist ein amerikanischer Videographer und Wikipedianer, der seit längerem für die Wikimedia Foundation arbeitet. Er fühlte sich an seinen litauischstämmigen Vater erinnert, der in Armut aufgewachsen sei. Das sei ein starkes Motiv für ihn gewesen, einen Film über Wikipedia-Leser in Armut zu machen. Aber wie kam Victor zu dieser Gelegenheit?

Keine Internet-Gebühren für Wikipedia-Besuche

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Es gab einmal eine Initiative namens Wikipedia Zero. Der Gedanke dabei: Zwar ist der Zugang zur Website Wikipedia kostenlos (wie auch zu vielen anderen Websites). Aber für den Internetzugang selbst muss man natürlich bezahlen. Für viele Wikipedia-Leser in den reichen Ländern des Nordens ist das mittlerweile kaum noch ein Problem. Man bezahlt ein bisschen Geld für die Flatrate, monatlich oder jährlich, und das Problem ist vom Tisch.

 
Schulklasse in der Sinenjongo High School in Joe Slovo Park, South Africa

Ganz anders sieht das aus für Menschen, die für jede Minute Online-Zeit oder für eine bestimmte Datenmenge zahlen müssen. Deswegen hat die WMF Internetanbieter in armen Ländern aufgefordert: Schafft doch ein Angebot für eure Kunden, bei dem man diejenige Zeit nicht bezahlen muss, in der man die Wikipedia besucht.

Das Programm war stets umstritten, weil es gegen die Netzneutralität verstoße. Demzufolge sollen Daten-Inhalte ohne besondere Bevorzugung im Internet verschickt werden, egal, von wem die Daten-Inhalte stammen. Führt ein Wikipedia-Zero-Programm also nicht zu einer Benachteiligung anderer Websites, hinter denen keine große gemeinnützige Organisation aus Nordamerika steckt?

Wikipedia Zero hatte in einigen Ländern einen gewissen Erfolg und wurde mittlerweile eingestellt. Wie dem auch sei: Das ursprüngliche Problem, dass arme Menschen sich den Internet-Zugang nicht immer leisten können, gibt es noch immer.

Eine große Story

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Victor Grigas mit Schülern der Sinenjongo High School
 
Mobiltelefon mit Tasten: So hat man 2013 die Wikipedia in Joe Slovo Park aufgerufen. Für viele Familien ist dies das einzige internetfähige Gerät im Haus.

Victor Grigas arbeitete für die WMF und hatte viele Videos aufgenommen, in denen Wikipedianer über ihren persönlichen Bezug zur Wikipedia erzählen. Solche Aufnahmen hat die WMF in ihren Spenden- und anderen Kampagnen verwendet. Aber 2013 sagte Victors Chef: Such dir mal eine einzelne große Story aus und mache was damit. Victor bekam damals einen offenen Brief zu sehen, den eine Schulklasse aus Kapstadt an die Internetanbieter Südafrikas geschickt hatten. Ob auch sie in den Genuss eines Wikipedia-Zero-Programmes kommen könnten?

Mit einer Regisseurin, Charlene Music, und einem kleinen Team hat Victor schließlich die Schulklasse im Armenviertel Joe Slovo Park besucht. Schließlich wurde aus seinen Aufnahmen ein berührender Film, in dem die Schüler von den Herausforderungen berichten, die sie im Leben erfahren. Aber sie nennen auch stolz ihre beruflichen Ziele, sie erzählen von den kleinen Freuden des Lebens und eben auch davon, was die Wikipedia für sie bedeutet.

Ein wenig unglücklich

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Aus dem Mittagessen der Schüler: drei vetkoeks.

Die Umstände, unter denen der Film erschienen ist, erweisen sich im Nachhinein als etwas unglücklich. Er war Teil einer Kampagne. Die Kampagne gibt es nicht mehr. Sie war umstritten. Der Titel ist ziemlich nichtssagend: „Knowledge for Everyone“. Aber der Film sagt immer noch sehr viel. Ich habe ihn öfters in Seminaren gezeigt und mit den Studis besprochen. Ihre Reaktionen waren manchmal sehr heftig, wegen der bestürzenden Armut, die man sieht.

Darüber habe ich mal vor Jahren auf einer Wikimania mit Victor Grigas gesprochen. Er bestätigte, dass manche Menschen den Film mit Schuldgefühlen sehen. Nun habe ich mir, im Sommer 2022, ein Herz genommen und ein Interview mit Victor online aufgenommen. Aus der geplanten Viertelstunde wurde über eine Stunde. Ein paar kleine Wiederholungen und Abschweifungen habe ich herausgeschnitten. Wir haben uns auf den Film und seine ungewöhnliche Entstehung sowie auf die Reaktionen konzentriert, ohne allerlei aktuelle Lehren daraus zu ziehen. Der Film von 2013 wirkt auch so eindringlich genug.

Bei dieser Gelegenheit habe ich mich dann auch entschlossen, den Film mit deutschen Untertiteln zu veröffentlichen. Das hatte ich schon vor Jahren probiert, aber leider hatte ich keine Originaldatei mit den englischen Untertiteln bekommen können. Letzten Endes habe ich den Originalfilm ohne Untertitel genommen und auf meinem Youtube-Kanal mit englischen und deutschen Untertiteln versehen. Wer sie in weitere Sprachen übersetzen möchte, kann mich gern kontaktieren.

Warum sollte man sich aber heute noch mit einem fast 10 Jahre alten Kurzfilm beschäftigen? Weil er ein historisches Zeitdokument geworden ist, und weil er Probleme anspricht, die nicht einfach so verschwunden sind. Vor allem, weil er zum Nachdenken anregt. Und darum finde ich es immer noch eine gute Idee, den Film gemeinsam bei Wikipedia-Treffen, im Edit-a-thon oder mit Teilnehmern eines Bildungsangebotes zu schauen. Und auf jeden Fall sollte man genug Zeit für die Diskussion danach einplanen. Ziko, 6.8.2022