Benutzer Diskussion:Artikelstube/Frauen in der Technikindustrie und Handwerk
Letzter Kommentar: vor 4 Jahren von Chiananda in Abschnitt Extrakt Felleckner 2011: Frauen im Handwerk aus historischer Perspektive
Extrakt Felleckner 2011: Frauen im Handwerk aus historischer Perspektive
BearbeitenSehr erhellend ist der folgende Text, zu dem ich aus der PDF wichtige Passagen extrahiert habe – nach der längeren Schilderung der Situation des Handwerks bis ins Mittelalter geht es nur noch um die Rolle von Frauen:
- Thomas Felleckner: Zur Bedeutung des Handwerks und zur Rolle der Frauen im Handwerk aus der historischen Perspektive. Vortrag. Lüneburg, 24. Februar 2011 (Leiter des historischen Archivs der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade; PDF: 142 kB, 29 Seiten auf bv-ufh.de).
- S. 19/20: Mittelalterliche Gewerbeübersichten der Stadt Frankfurt am Main zeigen, dass zwischen Männern und Frauen nahezu eine zahlenmäßige Parität herrschte. Von 200 vorhandenen Berufen waren immerhin 65 reine Frauenberufe; die meisten davon waren Handwerke. In weiteren 81 Berufen arbeiteten zwar überwiegend Männer, aber eben auch Frauen. Und diesen Vereinigungen gehörten die Frauen zu den gleichen Bedingungen an wie ihre männlichen Berufskollegen.
- S. 20: Selbst in ausgesprochenen Männerberufen wie Dachdecker oder Schmied sind Frauen bis in das 16. Jahrhundert hinein nachweisbar. Handels- und Kauffrauen waren auch keine Seltenheit in mittelalterlichen Städten. Gelöbnisse und Bürgschaften von Kauffrauen und selbstständigen Meisterinnen waren uneingeschränkt verbindlich und galten ebenso viel, wie die ihrer männlichen Berufskollegen.
- S. 21: Frauen im Handwerk waren in der Stadt des Mittelalters also keine Ausnahmen, sondern die Regel. Möglich wurde dies durch die Besonderheiten der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung in den Städten, die oftmals im Gegensatz zu den zementierten Verhältnissen auf dem Lande und zu den rigiden, kirchlich geprägten, allgemeinen Ordnungsvorstellungen standen. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass etwa seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts Zeugnisse von Frauen im Handwerk kontinuierlich abnehmen und im 17. Jahrhundert schließlich sogar ganz versiegen.
- S. 24: Die ersten Opfer dieser Entwicklung waren die Frauen. Rechtlich ohnehin schlechter gestellt als ihre männlichen Kollegen, wurden sie ab Mitte des 16. Jahrhunderts mehr oder weniger systematisch von diesen aus den Zünften und damit aus dem Handwerk gedrängt. Überliefert sind Zulassungs- und Beschäftigungseinschränkungen verschiedenster Art bis hin zu direkten Berufsverboten. Bereits in einem 1568 gedruckten Ständebuch wird ein Bild vom Handwerk vermittelt, das weitgehend ohne Frauen auskommt. Wo sie dennoch auftauchen, sind sie lediglich noch als Hilfskräfte oder Kundinnen der durchweg männlichen Handwerker zu sehen. […] Zeigte etwa ein Bild ursprünglich den Meister und die Meisterin gleichberechtigt nebeneinander, so wurde daraus „der Meister und seine Frau“ gemacht. Frühere Zeugnisse der Frauenarbeit im Handwerk wurden vielerorts uminterpretiert oder schlicht beseitigt und unterschlagen. Hierdurch wurde die Frau im Handwerk immer stärker zum bloßen Anhängsel des Mannes degradiert und es entstand allmählich der Eindruck, dass dies schon immer so gewesen sei.
- S. 25: Mit Beginn des 17. Jahrhunderts waren die selbstständigen Handwerksmeisterinnen und ihre Zünfte vollständig von der Bildfläche verschwunden. Seit dieser Zeit begegnet uns das Handwerk in Rechtsschriften und Zunftbriefen als reine Männerdomäne. Zuweilen wird darin sogar behauptet, dass das männliche Geschlecht schon immer Voraussetzung für die Aufnahme in eine Zunft gewesen sei. Wie wir sehen können, haben wir es hier eindeutig mit einer „Geschichtsklitterung“ – vulgo: Lüge – zu tun. Natürlich verschwanden die Frauen auch in der Folgezeit keineswegs aus dem gesamten Gewerbsleben. Insbesondere mit dem Einsetzen der industriellen Produktion wurden Frauen verstärkt als Arbeitskräfte rekrutiert; allerdings fast immer als schlechter bezahlte und weitgehend rechtlose Hilfskräfte. In wirtschaftlichen Krisen waren sie die ersten, die ihre Arbeit wieder verloren.
- S. 26: Erst im 20. Jahrhundert, nach Schaffung einer modernen Gewerbegesetzgebung infolge des Handwerksgesetzes von 1897, begegnen uns auch die Frauen im Handwerk wieder, aber in aller Regel auf wenige Gewerke – hauptsächlich im Textilbereich – beschränkt und zunächst auch in sehr geringer Zahl. In der Hauptsache stellten die Frauen, je nach wirtschaftlicher Lage, eine Art „Reservearmee“ für die Industrie dar.
- S. 27: In den Bau- und Ausbauhandwerken wurden deshalb seit Ende der 1940er Jahre nach und nach fast alle Frauen entlassen, bis schließlich im Jahre 1952 ein offizielles Verbot der Frauenarbeit im Baugewerbe den vorübergehenden Schlusspunkt setzte. […] Erst im Laufe der 1970er Jahre verzeichnen wir in der Bundesrepublik wieder einen starken Anstieg von beruflich ausgebildeten und selbstständig tätigen Frauen. Hierbei spielte auch eine Rolle, dass es verheirateten Frauen erst ab dem 1. Juli 1977 aufgrund einer umfassenden Reform des Ehe- und Familienrechts wieder möglich war, ohne Einverständnis des Ehegatten uneingeschränkt gewerblich tätig zu sein. Im Handwerk wurde eine nennenswerte Erhöhung des Frauenanteils außerhalb der traditionellen Gewerke sogar erst Ende der 1980er Jahre – unterstützt durch bundesweite Förderprogramme wie „Mädchen in Männerberufe“ – erreicht. Mittlerweile beträgt der Anteil der Frauen im Handwerk über 30 Prozent und ist damit höher als in der Industrie. Die meisten Frauen sind in den Lebensmittel- und Gesundheitshandwerken zu finden, aber keineswegs nur dort. Auch in den meisten traditionell männlich dominierten Handwerken ist der prozentuale Anteil der Frauen heute in der Regel zweistellig.