Wikimania 2019
BearbeitenDie internationale Konferenz hat mir sehr gut gefallen und sie hat einiges voran getrieben in meiner Arbeit in der Bewegung. Es ist eine kurze Momentaufnahme mit Menschen verschiedenster Länder und Kulturen. Das hält zusammen und bringt Inspiration und Bereicherung.
Mein Beitrag waren zwei Lightning Talks. Das Format gefällt mir gut, weil ich mein Thema kurz und knapp präsentieren konnte. Durch die Fokussierung ist eine Konzentration mit anschliessenden Gesprächen sehr effektiv.
Dieses Mal hatte ich eine Teilförderung und habe den Großteil der Kosten selbst gezahlt. Es war quasi mein Sommerurlaub. Ich bin glücklich, dass ich dort war, weil ich viele Themen sehr spannend fand. Mir hat besonders der Technologie Space gefallen. Den Vortrag von Ian Forst und Patrik Shetty über die Videonutzung auf Wikicommons fand ich äußerst interessant. Die Vorstellung einer audiovisuellen Wikipedia begeistert mich regelrecht, weil es leicht wird, Inhalte abzurufen und neue zu erstellen. Zumindest auf den ersten Blick. Doch hat ein Video extreem hohe Anforderungen und ist dann in der Umsetzung doch nicht so leicht. Es erfordert Teamarbeit und eine Kollaboration schon auf lokaler Ebene. Technisches Knowhow und Equipment ist notwendig, der Montageprozess wird zwar immer einfacher aber stellt für Anänger eine hohe Hürde dar. Die Vorteile erscheinen jedoch immens: In dem Vortrag wurde dargestellt, wie sich verschiedene Sprachen integrieren lassen und wie ein kollaborativer Arbeitsprozess aussehen könnte. Auch lassen sich marginale Kulturen gut einbeziehen. Orale Geschchte könnte weiter gegeben und für nachfolgende Generationen bewahrt werden. Ich sehe darin soviel Potenzial obgleich ich die Realisierung äußerst schwierig finde. Auch lassen sich viele Sachen auf Deutschland nicht übertragen, weil die Rechtesituation ganz anders ist als in Kanada, woher der Vortragende kam.
In meinem Kurzvortrag habe ich dem Benutzer:Didi43 eine letzte Danksagung und Ehre erwiesen. Seine Arbeit hatte ich auf der WikiDACH kennen gelernt, wo ich ein Videointerview mit ihm führte. Ich bin sehr glücklich, dass ich ihn noch erleben durfte. Er hat mit Konrad Zuse zusammen gearbeitet und wir tauschten uns zu den ersten Zuse-Rechnern aus. Seine Begeisterung für Konrad Zuse erleben zu dürfen war großartig. Schon Zuse wollte ein offenes und freies Internet. Er hat damals bereits die Gefahren der Überwachung vorher gesagt und bereits nächste Generationen gewarnt.
An dieser Stelle schliesst sich der Bogen zur Ganzheitlichkeit. Als jemand mit politischer Verbandserfahrung und Teilnehmerin der UNO Konferenzen CSW in New York begeistern mich die Sustainability Developments Goals. Es war so toll, diese nun auf der Wikimania in allen Slots zu finden. Schon am Eingang gab es einen Stempelbogen mit allen SDG-Graphiken. Unsere Welt wäre nachhaltig wunderschön, wenn wir auch nur einiges davon umsetzen. Greta begeistert mich. Ich bin froh, dass sie das Thema auf der weltweiten Agenda zentral platziert hat.
Gefreut hat mich auch, dass ich neue Wikipedianerinnen gewinnen konnte, die nun erfolgreich und kontinuierlich dabei sind. So habe ich 18quirl08 jahrelang von meinen Wikipedia-Erfahrungen berichtet und sie eingeladen, zu WomenEdit zu kommen. Ja, manchmal dauert es. Und jetzt hat sich abgezeichnet, wie wichtig die Kontinuität ist. Manchmal kann es dauern und ist doch der Mühe wert. Auch die Leserättin kenne ich seit vielen Jahren und habe immer wieder berichtet. Als ich mit Iva, quirl und der Leserättin im Diversity Space saß fühlte es sich an wie in einem Wohnzimmer, plötzlich ein neues Zuhause. Wir haben uns alle gegenseitig unterstützt und in der Session der Leserättin fleißig Projektideen, ToDo´s und Scribbles gesammelt. Es war eine wertschätzende produktive Atmosphäre, die wir mit den internationalen Frauen und Männern im Raum teilten. In dieser Session haben wir uns gegenseitig viel gegeben und gemeinsam Methoden ausgetauscht. Da waren wir Deutschen kurzzeitig die Gastgebenden. Ebenso war mein Lightning Vortrag eine Mini-Vorlesung, einseitig, von vorne. Doch wechselten sich Vorträge und Sessions ständig ab sodass wir Deutschen ebenso dauernd mit neuem Input und Veränderungen unserer eigenen Bias-Eistellungen konfrontiert waren. Auch wir konnten viel lernen und überkommene Vorstellungen reflektieren.
Regelrecht mutig und innovativ fand ich die Vorträge und Sessions zum Thema Menstruation. Es waren Frauen aus mehreren afrikanischen Ländern, die darüber sprachen, wie die gängige Praxis der Menstruation Mädchen den Zugang zu Bildung verwehrt. Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht und musste feststellen, wie privelegiert ich aufgewachsen bin und in Deutschland leben kann. Bei uns kommt das Wasser aus dem Wasserhahn, wir müssen es nicht schleppen. Als Frau in Deutschland ist der Schulbesuch selbstverständlich und Hygiene kein Problem. Doch ohne Wasser wäre das ganz anders.
Die Armut trifft statistisch gesehen vor allem Frauen und Kinder. Vor mir standen nun selbstbewußte farbige Frauen in wunderschönen Gewändern, die ganz einfache Lösungen präsentierten. Sie sprachen darüber, dass es in der Wikipedia kaum Artikel zum Thema Menstruation gibt. Vor Scham gehen Milliarden Mädchen nicht in die Schule und werden zwangsverheiratet. Was ein Potenzial uns verloren geht, weil diese Mädchen oft sehr gute Schülerinnen sind. Wir stellten uns gemeinsam vor, wie es wäre, wenn sie medizinische und hygienische Informationen in ihrer Sprache finden würden. Wenn sie eine Menstruationstasse bekommen könnten und Zugang zu Verhütung hätten. Wenn sie über ihren Körper bestimmen könnten und die Zwangbeschneidung nicht automatisch durchgeführt werden würde. Wenn sie später als werdende Mutter bei der Geburt nicht sterben müssten. Wenn sie ihre Kinder ernähren könnten und diese nicht verkauft werden müssten. Wenn sie nicht Opfer von Menschenhandel werden würden. Was eine Welt, wenn wir uns alle gegenseitig bereichern. Mädchen und Jungen aller Farben und Regionen würden sich einbringen und wir könnten von ihnen lernen, von der Bewahrung der Natur, von Effizienz im Umgang mit Ressourcen, von ihrer Würde und ihrem Mut auf dieser Welt.
Es war mein erstes Mal in Schweden. Die Uni-Toiletten waren für mich gewöhnungsbedürftig. So sehr bin ich es gewohnt, ausschliesslich Frauen am stillen Örtchen zu treffen, dass ich anfangs erschrak.
Es regnete viel. Die Segelschiffe wirkten imposant und liessen die Weite der Meere erahnen. Am letzten Tag wachte ich von den frühen Morgenstrahlen auf. Es waren erst 5 Uhr und um 5.30 Uhr bin ich bereits aufgebrochen. Stockholm war im Sonnenlicht verzaubert und die Stadt war zu meinem Erstaunen voller Menschen. Ich atmete tief ein und aus. Es war ein traumhafter Morgen und so unglaublich friedlich und beruhigend. Ich genoss die Sonne, die dann um 8 Uhr wieder verschwand und mich mit aufregenden Gedanken zu den besuchten Sessions zurück in die Gegewart und Zukunft holte.
Was habe ich mitgenommen? Die Gespräche waren vielversprechend. Die Sessions zeigten mir, was alles möglich ist. Ich überlegte, wen ich zu welchen Themen in das Movement holen kann.
Im LGBT-Space wurden wir als Menschen unterschiedlichster Genre regelrecht gefeiert. Frauen, Männer, Trans - es war vollkommen egal. Geschlecht als Kategorie wurde an der Tür wie eine Jacke abgegeben. Schliesslich tragen wir ja alle weibliche und männliche Teile in uns. Geschlecht als Kategorie engt ein und spielte plötzlich eine ganz andere Rolle als sonst: anstatt es einzusetzen, um zu separieren, gehörte es hier zusammen. Wir waren eine Community unabhängig unserer Körperform. Jegliche Unterschiede wurden als Bereicherung empfunden und wir begegneten uns mit Offenheit und Neugierde. Wir wollten voneinander lernen und jeweils unseren Bias reflektieren. Gender zur Separation funktioniet immer weniger.
In der Wiki-Bewegung geht es um Kollaboration. Diese war auf allen Veranstaltungen direkt spürbar. Dazu tragen alle Individuen bei, niemand kann alles alleine stemmen. Anders als im klassischen Wettbewerbsdenken von Preisgerichten und Examensnoten ging es hier darum, tools zu entwickeln, die die Community als Ganzes stärken.
Abends traf ich mich mit den Benutzern 1rhb und Sebastian Wallroth. Unsere Köpfe waren voll. Wir überlegten, wie wir beitragen können. Wie wir für bestimmte Themen eine Offenheit in der Community schaffen können, wie wir die SDG´s konkret verankern können. Das Brainstorming war toll. Es entstanden Produktideen und Spiele. Wir wollten eine Leichtigkeit zeigen. Ehrenamt muss ja auch Spaß machen und wir dachten, dass wir mit Spiel und Spaß viele Neulinge gewinnen können.
Die Welt ist ungerecht. Frauen stellen die Mehrheit der Weltbevölkerung und werden dennoch als Minderheit angesehen. Die Einen leben im Luxus, die anderen in nackter Überlebensangst. Naturkatastrophen vernichten ganze Dörfer, Städte und Landstriche. Es ist wichtig, davon zu erfahren. Der Blick über den Tellerrand hilft, die eigene Situation zu verändern und gemeinsam Ziele und Strategien zu entwickeln.
Weitere Themen auf der Wikimania waren Pressefreiheit, Zensur, Wissensgenerierung, offene Wissensformen etc. Es war sehr viel und natürlich konnte ich nicht alles anschauen. Ich hatte mir im Vorfeld die Sessions ausgesucht, die mich am meisten interessieren. Manchmal habe ich den Plan geändert, weil ich mich in ein Gespräch verwickelt habe und wir dann gemeinsam loszogen. Die Slots, an denen ich teilgenommen habe, waren sehr verschieden und doch fand ich alle Sessions und Vorträge super spannend. Ich habe viel dazu gelernt: über viele kleine Sprachkulturen, technische tools auf wikicommons bis hin zu Forschungsprojekten, die sich auf den Bias in der Wikimedia-Bewegung beziehen.
Die Tage waren sehr intensiv, das Tempo schnell. Gerne hätte ich zwischendurch auf Pause gedrückt, um die Eindrücke zu verarbeiten. Doch waren ja auch die vielen Gespräche wichtig, wodurch ich Dinge anders gesehen habe und wir voneinander lernten. Die Poster Session fokussierte einige Projekte im eigenen Tempo, da konnte ich entscheiden, wann ich zum nächsten Poster gehe. Die Gespräche waren toll. Es gab gegenseitiges Empowerment, einen wertschätzenden Austausch und viel Neugierde aufeinander.
Was ich mitnehme: Mein westlich geprägtes Denken ist in vielen Sachen nicht aktuell. So hatte ich von manchen Sprachen vorher noch nie gehört. Die Communities sind vielschichtiger und spezialisierter als ich dachte. Die Regelwerke variieren extrem, je nach Sprach- und Orts-Community. Es gibt viel zu entdecken und viel beizutragen. Die Bewegung fasziniert mich. Offene und freie Wissensstrukturen bergen ungeheure Potenziale.
Der letzte Abend war berauschend. In den wunderschönen Museumsräumen fanden spannende Begegnungen und Gespräche statt. Ich konnte mich mit Catherine Maher unterhalten und mit ihr über künftige Vorhaben gesprochen. Zum Einen ging es um das GLAM-Projekt in Polen, zum anderen um das Thema digitale Gewalt und Einschüchterung von Frauen. Es hat mich riesig gefreut, dass sie diese Themen spannend findet und sich explizit bei mir bedankte, dass ich an ihnen arbeite. Das hat mich gefreut und es hat mir Mut gemacht.
Fazit
BearbeitenDie Wikimedia-Bewegung ist aktiv und verändert sich ständig. Manchmal pendelt es zwischen stabil und fragil, zwischen breit und eng, zwischen klein und groß und noch vielen weiteren Gegensätzen.
Was habe ich zur Konferenz beigetragen? Was hat gut funktioniert, was hat weniger gut funktioniert?
BearbeitenMein Beitrag waren zwei Lightning Talks und die Unterstützung der Session der Leserättin im Diversity Space. Außerdem haben wir uns in Gesprächen gegenseitig beigetragen. Die Community ist so vielfältig und reich an Erfahrungen, das hat mich begeistert.
Welche Ideen für Projekte oder ähnliches sind entstanden? Wie habe ich die Ideen bisher weiterverfolgt und wie werde ich dies in Zukunft tun?
BearbeitenZum Einen bin ich tiefer in Art+Feminism eingestiegen und habe am Vernetzungstreffen in Hamburg aktiv mitgearbeitet. Zum anderen ist das Projekt in Polen entstanden zusammen mit 1rhb. Außerdem bereite ich ein GLAM-Projekt in der Schweiz vor und arbeite zum Thema Digitale Gewalt.
Welche Kontakte zu internationalen Wikimedianerinnen und Wikimedianern konnte ich knüpfen oder ausbauen, und zu welchen Themen? Wie wirken sich diese Kontakte auf meine Arbeit in der Wikipedia oder den Schwesterprojekten aus, und wie sollen die Kontakte fortgeführt werden?
BearbeitenDie Frauenprojekte sind jetzt noch stärker vernetzt, ich beteilige mich am Projekt Interwiki Women. Mit der Argentinierin Andrea Patricia Kleiman bin ich in Kontakt und wir fördern uns gegenseitig.
Wie habe ich meine Wikimania-Erfahrungen mit der deutschsprachigen Community geteilt? Welche Aktivitäten sind noch geplant, um meine Erfahrungen weiterzugeben?
BearbeitenIn den verschiedenen Communities in und außerhalb der Wikimedia habe ich berichtet. Außerdem habe ich meinen vor Ort erstellten tumblr-blog geteilt, auf social media berichtet und über die Vortragsinhalte in meinen Kursen gesprochen. Auf der Wikicon habe ich einen Lightning Talk gehalten und berichtet.