Bibliothek der Franckeschen Stiftungen
Die historische Bibliothek der Franckeschen Stiftungen ist eine Forschungsbibliothek in Halle (Saale).
Geschichte
BearbeitenDie Bibliothek wurde Anfang des 18. Jahrhunderts von August Hermann Francke „zu mehrerem Nutzen und Gebrauch der […] studirenden Jugend“ am Waisenhaus in Glaucha bei Halle (heute Franckesche Stiftungen) gegründet.[1] Der Bestand wuchs durch Schenkungen und Nachlässe, im Tausch erworbene Bücher sowie Titel aus der eigenen Verlagsproduktion des Waisenhauses bis 1725 bereits auf etwa 18.000 Bände an. Den umfangreichsten Zuwachs erfuhr der Bibliotheksbestand durch die nachgelassene private Bibliothek Carl Hildebrands von Canstein (1667–1719).
Für die dauerhafte Unterbringung dieser Büchersammlung ließ Francke von 1726 bis 1728 ein Bibliotheksgebäude in massiver Steinbauweise errichten. Dieses gilt heute als ältester noch erhaltener Bibliothekszweckbau in Deutschland. Der barocke, original erhaltene Bibliothekssaal wird als Kulissenbibliothek bezeichnet, weil die Regale wie die Kulissen in einem barocken Theater in den Raum hineingestellt wurden. Diese Aufstellung war im deutschsprachigen Raum neuartig und orientierte sich wahrscheinlich an englischen College-Bibliotheken und wurde vorbildhaft für das Büchermagazin der Moderne.[2] Heute sind etwa 27.000 alte Drucke in vielen Sprachen in der Kulissenbibliothek untergebracht. In weiteren Magazinen finden sich ebenfalls wertvolle Drucke aus allen Wissensgebieten der Frühen Neuzeit und umfassen auch mehrere hundert Inkunabeln.
Im 19. Jahrhundert wurde die Bibliothek zu einer Schulbibliothek der Lateinischen Hauptschule (heute Latina August Hermann Francke). 1952 wurde sie der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt als Außenstelle unterstellt. Ab 1992 entwickelte sich die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen neben ihrer Funktion als touristischer Anziehungspunkt zu einer modernen Forschungsbibliothek und bildet zusammen mit dem Archiv der Franckeschen Stiftungen das Studienzentrum August Hermann Francke.
In Kabinettausstellungen werden regelmäßig Objekte aus der eigenen Sammlung vorgestellt.
Bestände
BearbeitenDie Bibliothek der Franckeschen Stiftungen verfügt über einen historischen Altbestand von etwa 90.000 Bänden und über mehrere Spezialsammlungen, wie beispielsweise die Cansteinsche Bibelsammlung, die Belegexemplare des hauseigenen Verlags des Waisenhauses, die Bibliothek des Geologen Christian Keferstein (1784–1866) oder die Privatbibliothek von August Tholuck (1799–1877) (Depositum). Schwerpunkte des Altbestands bilden die Themenbereiche Theologie, vor allem Kirchengeschichte, Geschichte, Geographie, Pädagogik und Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit. Durch die weltweiten Kontakte des Halleschen Waisenhauses kamen Drucke in vielen fremden Sprachen in den Bestand, darunter seltene Drucke auf Holländisch, Tschechisch, Russisch oder Tamil. Der Gesamtbestand der Bibliothek umfasst heute etwa 200.000 Titel aus aller Welt, eine umfangreiche grafische Porträtsammlung sowie eine Sammlung historischer Karten.
Literatur
Bearbeiten- Michael Hübner, Britta Klosterberg, Anke Mies: Die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen zu Halle. in: Katrin Dziekan, Ute Pott (Hrsg.): Lesewelten – Historische Bibliotheken. Seite 72–90; Mitteldeutscher Verlag, Halle 2011; ISBN 978-3-89812-538-3.
- Britta Klosterberg, Klaus E. Götz: Die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen. Franckesche Stiftungen, Halle 2007; ISBN 978-3-931479-99-2.
- Anne Sturm: Die Oratorische Bibliothek des Königlichen Oratoriums zu Halle. Eine Schulbibliothek um 1800. Franckesche Stiftungen, Halle 2017; ISBN 978-3-939922-54-4
- Brigitte Klosterberg: Die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen im 18. Jahrhundert. In: Bodo-Michael Baumunk (Hrsg.): Frühmoderne Bücherwelten. Die Bibliothek des 18. Jahrhunderts und das hallesche Waisenhaus. Franckesche Stiftungen, Halle 2007, ISBN 978-3-931479-95-4, S. 13–29.
- Brigitte Klosterberg: Bücher sammeln unter der „Providenz Gottes“. August Hermann Francke und die Bibliothek des Halleschen Waisenhauses. In: Sabine Graef [u. a.] (Hrsg.): Sammler und Bibliotheken im Wandel der Zeiten. Klostermann, Frankfurt am Main 2010, ISSN 0514-6364, S. 145–160.
- Brigitte Klosterberg: Zur Rekonstruktion frühneuzeitlicher Privatbibliotheken in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 67, 2012. De Gruyter, ISSN 0066-6327, S. 107–124.
Weblinks
Bearbeiten- Die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen auf francke-halle.de
- Eintrag in der online-Ausgabe des Handbuchs der historischen Buchbestände
- Image-Film der Bibliothek auf YouTube
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ August Hermann Francke: Segensvolle Fußstapfen des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes. 3. Auflage. Halle (Saale) 1709, S. 113.
- ↑ Brigitte Klosterberg: Die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen. Verlag der Franckeschen Stiftungen, Halle (Saale) 2007, ISBN 978-3-447-06984-7, S. 40.
Koordinaten: 51° 28′ 41,2″ N, 11° 58′ 24,6″ O