Bileam

Prophet des Alten Testaments

Bileam (hebräisch בִּלְעָם, auch altgriechisch Βαλαάμ Balaam in der Septuaginta), der Sohn des Beor, war ein am Euphrat lebender Seher. Der Moabiterkönig Balak drängt – trotz JHWHs eindeutigem Missfallen – Bileam vergebens dazu, das Volk Israel zu verfluchen, was sich laut biblischer Erzählung in einen Segen kehrt.

Bileam und der Engel, Gemälde von Gustav Jaeger, 1836

Biblische Überlieferung

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Tanach (Altes Testament)

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Im 4. Buch Mose (Numeri) 22–24 LUT des Alten Testaments wird berichtet, dass Balak, der König der Moabiter, Bileam bittet, den bedrohlichen Vormarsch Israels aus Ägypten durch einen Fluch zu stoppen. Bileam lehnt eine erste, schmeichelnde Einladung Balaks nach Rücksprache mit Gott ab. Er wird erneut von Balak eingeladen und folgt jetzt der Einladung, nachdem Gott ihn diesmal ziehen lässt. Bileam reitet auf seiner Eselin los, die vor einem Engel mit Schwert auf dem Weg zurückscheut. Als Bileam sie deswegen schlägt, verleiht ihr JHWH die Stimme, und sie klagt darüber bei ihrem Herrn. Bileam erreicht die „Gassenstadt“ Balaks. Dort will er sich einerseits Balak zur Verfügung stellen, um Gottes Volk zu verfluchen. Andererseits will er nach wie vor Gott gehören, der gesagt hat, dass sein Volk gesegnet sei. Erst auf der „Höhe Baals“, dann auf der „Höhe Pisga“, dann auf dem „Berg Peor“, von denen aus man das Volk Israel sehen kann, lässt Balak auf Geheiß Bileams sieben Altäre bauen, auf denen Bileam und Balak je einen Stier und einen Widder opfern. Unter Darbringung dieser Opfer gerät der von Balak erwünschte Fluch zu einem dreimaligen Segen. Daraufhin prophezeit Bileam seinen Auftraggebern den Untergang und ergreift die Flucht.

Nach jüdischer Sicht ist die Episode mit der sprechenden Eselin weit mehr als ein bloßes Märchen. Zunächst können die Verse 22,20–35 LUT als Traumgesicht von Bileam verstanden werden. Das sprechende, demütige Lasttier ist eine dramaturgische Antithese zum bisweilen arrogant auftretenden Bileam, dient aber hauptsächlich als Plädoyer gegen Tierquälerei. Dazu ein Kommentar von Maimonides:

„Unsere Weisen haben festgestellt, dass es in der Torah ausdrücklich verboten ist, einem Tier Schmerzen zu verursachen, und dass dieses Verbot auf dem Satz beruht: Warum hast du deine Eselin geschlagen?“

Nach der Schilderung, wie Bileam Israel segnete, wird beschrieben, dass Israeliten von heidnischen Frauen verführt wurden (4 Mos 25 EU); Israeliten wurden von diesen Frauen dazu verführt, dem Götzen Baal zu opfern. Der Rat dazu, den Israeliten eine solche Falle zu stellen, wurde Bileam zugeschrieben (4 Mos 31,16 LUT). Wohl deshalb wurde Bileam vom Heer der Israeliten, das Moses anführte, getötet (4 Mos 31,8 LUT).

Neues Testament

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Bileam wird auch dreimal im Neuen Testament erwähnt und als Beispiel für das Verhalten der Anhänger von Irrlehren genannt (2 Petr 2,15, Jud 11 EU und Off 2,14 EU).

Archäologisches Indiz

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1967 wurden bei Ausgrabungen am Tell Der-Alla (Sukkoth im Jordantal, heute Jordanien) ein außerbiblisches Indiz für die Geschichtlichkeit des Bileam gefunden: Putzfragmente mit einer aramäischen Inschrift, die mit der Radiokohlenstoffmethode auf 816 v. Chr. ± 70 Jahre (uncal.) datiert wurden (Biblical Archaeology Review, September/Oktober 1985).

Inschrift [Bi]leams[, des Sohnes Beor]s, des Mannes, der ein Seher der Götter war. Siehe, die Götter kamen des Nachts zu ihm ... gemäß dem Spruch Els. Und sie sprachen zu [Bilea]m, dem Sohn Beors, so: Ein jeder wir machen ohne... Da stand Bileam am Morgen auf...Er weinte bitterlich und Eliqa (oder: Sein Volk) kam zu ihm [und sprach: Waru]m weinst du? Und er sprach zu ihnen: Nehmt Platz! Ich werde euch verkünden, was Sch[agar...] Und kommt, seht das Werk der Götter...Die Götter versammelten sich, die Schaddaigötter traten zur Versammlung zusammen und sagten zu Scha[gar]: (Es folgt eine Besänftigung der Göttin Schagar durch die anderen Götter)[1]

Deutungen

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Eine wichtige Prophezeiung Bileams ist die in 4 Mos 24,17 LUT, beschriebene: „Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich schaue ihn, aber nicht von nahem. Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen ...“. Im Judentum meist auf König David bezogen, wird diese Stelle im Christentum als Hinweis auf das Kommen Jesu Christi gedeutet. Die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland aktualisiert diese Verheißung; wie Bileam, der den Stern angekündigt hat, kommen sie aus dem Osten, um die Einlösung der Prophezeiung zu bestätigen (vgl. die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland in MtEU). Die Geschichte ist damit eine narrative Variante der bei Matthäus üblichen Reflexionszitate, vgl. das gesamte Kapitel Matthäus 2.

Rezeption

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Anknüpfend an die überlieferte Geschichte von dem Reittier, das sich als einsichtiger erweist als sein Reiter, nannte 1938 der Berliner Theologe Erich Klapproth sein Motorrad, das ihm die Bekennende Kirche für Dienstfahrten in der Mark Brandenburg zur Verfügung gestellt hatte, den Esel Bileams. Die Fahrten durch sein Betreuungsgebiet inspirierten ihn zu etlichen gleichnishaften Kurzgeschichten über Fragen des christlichen Lebens und Glaubens, von denen 1941 eine Sammlung beim Verlag R. Brockhaus in Wuppertal unter dem Titel Der Esel Bileams – Fahrten und Gedanken auf märkischen Landstraßen erschien.

Im Roman Die Brüder Karamasow von Fjodor Michailowitsch Dostojewski äußert sich unerwartet der ansonsten schweigsame Diener Smerdjakow und wird daraufhin mit Bileam verglichen.[2]

Der Musiker und Schriftsteller Nick Cave zitierte die Bileam-Geschichte im Titel seines ersten Romans And the Ass Saw the Angel (Und die Eselin sah den Engel).[3]

Siehe auch

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Literatur

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  • Rüdiger Bartelmus: Von Eselinnen mit Durchblick und blinden Sehern. Numeri 22,20–35 als Musterbeispiel narrativer Theologie im Alten Testament. In: Theologische Zeitschrift 61 (2005), S. 27–43.
  • Otto Betz: Die Bileamtradition und die biblische Lehre von der Inspiration. In: Manfred Görg (Hrsg.): Religion im Erbe Ägyptens. FS Alexander Böhlig. Ägypten und Altes Testament 14. Harrassowitz, Wiesbaden 1988, S. 18–53.
  • Wilhelm Busch: Männer der Bibel – unsere Zeitgenossen. Bileam. In: Wilhelm Busch Bibliothek Band 5, 1. Auflage 2006, Aussaat-Verlag, Neukirchen-Vluyn.
  • George W. Coats: The Way of Obedience. Traditio-Historical and Hermeneutical Reflections on the Balaam Story. In: Semeia 24 (1982), S. 53–79.
  • Meindert Dijkstra: Is Balaam Also Among the Prophets? In: Journal of Biblical Literature 114 (1995), S. 43–64.
  • Meindert Dijkstra: The Geography of the Story of Balaam. Synchronic Reading as a Help to Date a Biblical Text. In: Johannes C. De Moor (Hrsg.): Synchronic or Diachronic? A Debate on Method in Old Testament Exegesis. Oudtestamentische Studiën 34. Brill, Leiden u. a. 1995, S. 72–97.
  • Louis H. Feldman: Josephus’ Portrait of Balaam. In: Studia Philonica Annual 5 (1993), S. 48–83.
  • Louis H. Feldman: Philo’s Version of Balaam. In: Henoch 25 (2003), S. 301–319.
  • Erasmus Gaß: Ein Stern geht auf aus Jakob. Sprach- und literaturwissenschaftliche Analyse der Bileampoesie. Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament 69. EOS-Verl., St. Ottilien 2001.
  • Paul Geyser, Die Wehklage von Bileams Esel. In: 7. Band seiner Schriften.
  • John T. Greene: The Balaam Figure and Type before, during, and after the Period of the Pseudepigrapha. In: JSPE 8 (1991), S. 67–110.
  • John T. Greene: Balaam and his Interpreters. A Hermeneutical History of the Balaam Traditions. Brown Judaic Studies 244. Scholars Press, Atlanta GA 1992. ISBN 1-55540-690-4.
  • Walter Groß: Bileam. Literar- und formkritische Untersuchung der Prosa in Num 22-24. Studien zum Alten und Neuen Testament 38. Kösel, München 1974. ISBN 3-466-25338-1.
  • Bruno Landthaler und Hanna Liss: Der Konflikt des Bileam. Irreführungen in der „Schachnovelle“ von Stefan Zweig. In: Zeitschrift für Germanistik 2/1996, S. 384–398
  • Martin Rösel: Wie einer vom Propheten zum Verführer wurde. Tradition und Rezeption der Bileamgestalt. In: Biblica 80 (1999), S. 506–524.
  • Hedwige Rouillard: La Péricope de Balaam (Nombres 22 - 24). La prose et les „oracles“. Études bibliques N. S. 4. Gabalda, Paris 1985, ISBN 2-85021-015-3.
  • Michael S. Moore: The Balaam Traditions. Their Character and Development. Dissertation Series 113. Scholars Press, Atlanta GA 1990, ISBN 1-55540-327-1.
  • Horst Seebass: Zur literarischen Gestalt der Bileam-Perikope. In: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 107 (1995), S. 409–419.
  • Ludwig Schmidt, Peter Schäfer: Art. Bileam I. Altes Testament II. Judentum. In: Theologische Realenzyklopädie 6 (1980), S. 635–640 (mit weiterer Lit.)
  • Ludwig Schmidt: Bileam. Vom Seher zum Propheten Jahwes. Die literarischen Schichten der Bileam-Perikope (Num 22–24). In: Markus Witte (Hrsg.): Gott und Mensch im Dialog. Festschrift für Otto Kaiser zum 80. Geburtstag. Bd. 1. Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 345, de Gruyter, Berlin 2004, S. 333–351.
  • Benedict Schöning: Drei Dinge sind es, die mir zu wunderbar sind, und vier, die ich nicht begreife. Bileams Segen über Israel (Num 22,41 – 24,25). Neukirchener Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn 2013. Biblisch-theologische Studien 132, ISBN 978-3-7887-2677-5.
  • Andreas Schüle: Israels Sohn - Jahwes Prophet. Ein Versuch zum Verhältnis von kanonischer Theologie und Religionsgeschichte anhand der Bileam-Perikope (Num 22–24). Altes Testament und Moderne 17. Lit-Verl., Münster und Hamburg u. a. 2001, ISBN 3-8258-5590-2.
  • Dieter Vetter: Seherspruch und Segensschilderung. Ausdrucksabsichten und sprachliche Verwirklichungen in den Bileam-Sprüchen von Numeri 23 und 24. Calwer theologische Monographien A/4. Calwer Verlag, Stuttgart 1974.

Zur Bileam-Inschrift

  • Helga und Manfred Weippert: Die „Bileam“-Inschrift von Tell Der ’Alla. In: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 98 (1982), S. 77–103.
  • Hans-Peter Müller: Die aramäische Inschrift von Deir ’Alla und die älteren Bileamsprüche1. In: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 94 (1982), S. 214–244.
  • Jo Ann Hackett: The Balaam Text from Deir ’Alla. Harvard Semitic Monographs 31. Scholars Press, Chico CA 1984.
  • Mathias Delcor: Le texte de Deir ’Alla et les oracles bibliques le Bala’am (1981). In: Ders.: Environnement de l’Ancien Testament. Alter Orient und Altes Testament 228. Butzon & Bercker u. a., Kevelaer 1990, S. 46–67.
  • J. Hoftijzer (Hrsg.): The Balaam Text from Deir ’Alla Re-Evaluated. Proceedings of the International Symposium Held at Leiden, 21–24 August 1989. Brill, Leiden u. a. 1991.
  • René Vuilleumier: Bileam zwischen Bibel und Deir ’Alla. In: Theologische Zeitschrift 52 (1996), S. 150–163.
  • Henk Franken: Balaam at Deir ’Alla and the Cult of Baal. In: Tomis Kapitan (Hrsg.): Archaeology, History and Culture in Palestine and the Near East. Essays in Memory of Albert E. Glock. ASOR Books 3. Scholars Press, Atlanta GA 1999, S. 183–202.
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Commons: Bileam – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. Text in der Übersetzung von André Lemaire und Karl Jaroš (Buchstaben in Klammern sind Ergänzungen von fehlenden Teilen)
  2. Fjodor Michailowitsch Dostojewski: Die Brüder Karamasow, Erster Teil Drittes Buch, Kapitel 6 und 7, abgerufen am 29. Dezember 2023.
  3. Matthias Surall: „And God is never far away“. Spannende Theologie im Werk von Nick Cave. Lit, Berlin 2016, S. 211 ff.