Bolschewiki
Die Bolschewiki (russisch большевики bol’ševiki [ ]; wörtlich übersetzt „die Mehrheitler“), eingedeutscht auch Bolschewiken oder Bolschewisten, waren eine radikale Fraktion unter der Führung von Wladimir Iljitsch Lenin innerhalb der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR). Sie strebten nicht nur soziale Reformen an, sondern auch den Sturz des Zaren sowie den Sozialismus und Kommunismus durch eine „demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern“ und ab August 1917 eine Diktatur des Proletariats auf Basis von Arbeiterräten, in Russland Sowjets genannt. Bei der Umstellung ihrer Politik spielten Lenins Aprilthesen eine entscheidende Rolle. Im Gegensatz zur gemäßigten Fraktion der Menschewiki organisierten sie sich als straffe Kaderpartei (Partei neuen Typus),[1] als Trupp[2] von Berufsrevolutionären.
Entstehung des Begriffs
BearbeitenDer Begriff Bolschewiki (von russisch bolschinstwo/большинство für „Mehrheit“) spiegelt nicht das allgemeine Stimmenverhältnis innerhalb der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) wider. Einzig auf dem 2. Parteitag in Brüssel und London 1903, auf dem Lenin den Sturz der Zarenherrschaft in Russland forderte und hierzu die Umgestaltung der SDAPR in eine revolutionäre Kaderpartei beantragte, vermochte seine Fraktion eine knappe Mehrheit zu erringen, auch weil zuvor die Delegierten des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes wegen Streitigkeiten um den Status der Organisation die Sitzung verlassen hatten. Hierdurch wurde der Begriff Bolschewiki (russisch für „Mehrheitler“) fortan zur Eigenbezeichnung des radikalen Parteiflügels um Lenin, die tatsächliche Mehrheit hatten jedoch bis zum endgültigen faktischen Auseinanderbrechen der Partei infolge der 6. Parteikonferenz in Prag 1912 die gemäßigten Menschewiki („Minderheitler“) inne, die 1903 von Julius Martow geführt wurden. Auf der Prager Konferenz bildete sich demzufolge die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) als eigenständige Partei.
Erster Weltkrieg und Oktoberrevolution
BearbeitenBeim Ausbruch des Ersten Weltkriegs verurteilten die Bolschewiki die Teilnahme Russlands als imperialistische Aggression. Da die zaristische Armee im Laufe des Krieges immer mehr Rückschläge hinnehmen musste, gewann die Partei stark an Zulauf. Als nach dem Ende der Zarenherrschaft infolge der Februarrevolution 1917 die vom Sozialrevolutionär Alexander Kerenski geführte Provisorische Regierung die Kriegsteilnahme ebenfalls nicht beendete, gewannen die Bolschewiki auch im Petrograder Sowjet immer mehr an Einfluss und stellten dort ab Sommer desselben Jahres schließlich die stärkste Fraktion sowie nach einiger Zeit den Vorsitzenden (Leo Trotzki). Ebenso erlangten sie die Mehrheit im Revolutionären Militärkomitee, welches später die Oktoberrevolution organisierte. Durch die Auflösung der Provisorischen Regierung durch Rotgardisten am 25. Oktoberjul. / 7. November 1917greg. und die bald darauf folgende Zerschlagung der Konstituierenden Versammlung wurden die Bolschewiki de facto die alleinherrschende Macht im gesamten Russland.
Nach der Oktoberrevolution
BearbeitenAußenpolitisch versuchten die Bolschewiki, ihre Revolution auch in Westeuropa zu verankern, da sie nur so die Chance für ein Überleben Sowjetrusslands sahen. Es gab daher intensive Kontakte auch mit revolutionären und linkssozialistischen Parteien und Gruppen in Deutschland, wie z. B. der USPD und der Spartakusgruppe.[3]
Russischer Bürgerkrieg
BearbeitenIm Russischen Bürgerkrieg (etwa 1918–1922) kämpfte die sozialistische Rote Armee gegen die reaktionäre, vom Ausland unterstützte Weiße Armee, die aus Teilen des alten zaristischen Militärs und Freiwilligen bestand, die Tschechoslowakische Legion, die Interventionstruppen der Westmächte und Japans sowie Polen. Dabei paktierten die Bolschewiki unter anderem mit der Machnowschtschina, einer von Nestor Machno angeführten Volksbewegung in der Ukraine, die wesentlich zur Niederschlagung der Weißen Armee von General Wrangel beitrug. Auf die Weigerung der Machnowschtschina hin, sich schließlich den Bolschewiki unterzuordnen, wurde die Bewegung im Sommer 1921 von der Roten Armee zerschlagen.
Mittels der von Trotzki gegen viel Widerstand mit der Hilfe ehemaliger zaristischer Offiziere nach dem Vorbild einer westlichen Armee aufgebauten Roten Armee ging das neue bolschewistische Regime erfolgreich gegen die von ihnen als solche benannten Konterrevolutionäre vor. Bis 1922 gelang es den Bolschewiki, fast den gesamten Osten des riesigen russischen Reiches zu kontrollieren.
Außerdem war mit dem Bürgerkrieg ein erheblicher Terror hinter und an den Fronten verbunden, wie auch der sogenannte Kriegskommunismus, eine Wirtschaftspolitik, die alle Unternehmen unter staatliche Kontrolle stellte. Weitere repressive Maßnahmen führten zu extremen Versorgungsengpässen und damit auch zu Aufständen innerhalb der Bevölkerung. 1921 löste die Neue Ökonomische Politik den Kriegskommunismus ab.
Seit ihrem VII. Parteikongress, der vom 6. bis zum 8. März 1918 tagte, nannten sich die Bolschewiki Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki) (KPR (B)), aus der nach der Vereinigung mit den bolschewistisch-kommunistischen Parteien der Ukraine, Belarus' und Transkaukasiens 1925 die Kommunistische Allunions-Partei (Bolschewiki) – WKP (B) – hervorging.
In Namensanspielung wurde Sowjetrussland vom Westen zeitweise herablassend Bololand genannt.
Sowjetunion
BearbeitenIm eigenen Land nahmen, besonders zu Stalins Zeiten, Repressionen gegen die sowjetische Bevölkerung zu. Die Geheimpolizei (Tscheka, GPU) unterdrückte jede Opposition, verhaftete viele Kritiker und potenzielle Feinde und richtete sie hin. Auf diese Art und Weise beherrschte die Kommunistische Partei lange Zeit das Land.
1952 wurde die Partei in Kommunistische Partei der Sowjetunion umbenannt, der Begriff Bolschewiki war damit im offiziellen Sprachgebrauch der Sowjetunion abgeschafft.
Literatur
Bearbeiten- François Furet: Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert (Originaltitel: Le passé d'une illusion übersetzt von Karola Bartsch). Piper, München / Zürich 1998, ISBN 3-492-04038-1
- Leo Trotzki: Bolschewismus und Stalinismus
- Bertrand Russell: Die Praxis und Theorie des Bolschewismus (Originaltitel: The Practice and Theory of Bolshevism, übersetzt von Günther Schwarz), Darmstädter Blätter, Darmstadt 1987, ISBN 3-87139-090-9 / ISBN 3-87139-087-9.
- Alexander Berkman: Der bolschewistische Mythos. Tagebuch aus der russischen Revolution 1920–1922 (Originaltitel: The Bolchevik Myth übersetzt von Michael Halfbrodt), Edition AV, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-936049-31-9.
- Maurice Brinton: Die Bolschewiki und die Arbeiterkontrolle: Der Staat und die Konterrevolution (Originaltitel: The Bolsheviks and Workers Control), Association, Hamburg 1976, ISBN 3-88032-045-4.
- Ottokar Luban: Russische Bolschewiki und deutsche Linkssozialisten am Vorabend der deutschen Novemberrevolution. Beziehungen und Einflussnahmen, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 2009, S. 283–298.
- Alexander Rabinowitch: Die Sowjetmacht: Die Revolution der Bolschewiki 1917 (Originaltitel: The Bolsheviks Come to Power, übersetzt von Andrea Rietmann), Mehring, Essen 2012, ISBN 978-3-88634-097-2.
- Adam Bruno Ulam: The Bolsheviks. The Intellectual and Political History of the Triumph of Communism in Russia. 1965; Übersetzung Helmut Lindemann: Die Bolschewiki. Vorgeschichte und Verlauf der kommunistischen Revolution in Russland. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1967 DNB 458458139.
- Hendrik Wallat: Staat oder Revolution. Aspekte und Probleme linker Bolschewismuskritik, Edition Assemblage, Münster 2012, ISBN 978-3-942885-17-1.
- Christoph Jünke: Die Bolschewiki und die Demokratie, in: Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft III/2017, S. 112–129.
- Jewgeni Schukow u. a.: Sowetskaja istoritscheskaja enziklopedija: Tom 7. Sowetskaja enziklopedija, Moskau 1965, Sp. 650-721 (russisch).
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Hannah Arendt zum Begriff der Partei neuen Typus
- ↑ Geschichte der kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki). Dietz Verlag, Berlin, 1954. Seite 54
- ↑ Ottokar Luban: Russische Bolschewiki und deutsche Linkssozialisten am Vorabend der deutschen Novemberrevolution. Beziehungen und Einflussnahmen ( vom 6. Mai 2013 im Internet Archive), in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 2009, S. 283–298.