Boracit

Mineral aus der Klasse der Borate

Boracit (Borazit), veraltet auch als cubischer Quarz oder Lüneburger Diamant bekannt, ist ein selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Borate“ (ehemals Carbonate, Nitrate und Borate) mit der chemischen Zusammensetzung Mg3[Cl|BO3|B6O10][3] und damit ein Magnesiumborat mit zusätzlichen Chlorionen.

Boracit
Grünlichblauer Boracit aus der Cleveland Potash Mine (Boulby mine), Loftus, North Yorkshire, England (Größe 6,6 cm × 3,7 cm × 3,1 cm)
Allgemeines und Klassifikation
IMA-Symbol

Boc[1]

Chemische Formel
  • Mg3B7O13Cl[2]
  • Mg3[Cl|BO3|B6O10][3]
  • α-(Mg,Fe)3[Cl|B7O13][4]
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Borate (ehemals Carbonate, Nitrate und Borate)
System-Nummer nach
Strunz (8. Aufl.)
Lapis-Systematik
(nach Strunz und Weiß)
Strunz (9. Aufl.)
Dana

V/L.04
V/L.04-010[3]

6.GA.05
25.06.01.01
Kristallographische Daten
Kristallsystem orthorhombisch
Kristallklasse; Symbol orthorhombisch-pyramidal; mm2[5]
Raumgruppe Pca21 (Nr. 29)Vorlage:Raumgruppe/29
Gitterparameter a = 8,55 Å; b = 8,55 Å; c = 12,09 Å[4]
Formeleinheiten Z = 4[4]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte 7 bis 7,5[6]
Dichte (g/cm3) gemessen: 2,91 bis 3,10; berechnet: 2,97[6]
Spaltbarkeit keine
Bruch; Tenazität muschelig bis uneben[6]
Farbe farblos, weiß, grau, gelb, eisenhaltig auch bläulichgrün bis dunkelgrün[6]
Strichfarbe weiß[6]
Transparenz durchsichtig bis durchscheinend[6]
Glanz Glasglanz bis Diamantglanz[6]
Kristalloptik
Brechungsindizes nα = 1,658 bis 1,662[7]
nβ = 1,662 bis 1,667[7]
nγ = 1,668 bis 1,673[7]
Doppelbrechung δ = 0,010 bis 0,011[7]
Optischer Charakter zweiachsig positiv
Achsenwinkel 2V = 82°[7]
Weitere Eigenschaften
Chemisches Verhalten schwer, aber vollständig löslich in Salzsäure (HCl), sehr langsam löslich in H2O
Besondere Merkmale stark pyroelektrisch und piezoelektrisch

Boracit kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem und entwickelt meist isometrische Kristalle, aber auch faserige oder körnige bis massige Aggregate mit einem glas- bis diamantähnlichen Glanz auf den Oberflächen. In reiner Form ist Boracit farblos und durchsichtig. Durch vielfache Lichtbrechung aufgrund von Gitterfehlern oder polykristalliner Ausbildung kann er aber auch durchscheinend weiß sein und durch Fremdbeimengungen eine graue, gelbe, bei Einlagerung von Eisenionen auch bläulichgrüne bis dunkelgrüne, Farbe annehmen. Seine Strichfarbe ist allerdings immer weiß.

Etymologie und Geschichte

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Erstmals entdeckt wurde Boracit im Lüneburger Kalkberg in Niedersachsen und 1787 von G. Lasius[8] als kubische Quarzkristalle von Lüneburg beschrieben[9]. Aufgrund seines Fundortes und seines Glanzes erhielt das Mineral auch den Zusatz Lüneburger Diamant. Seinen bis heute gültigen Namen Boracit erhielt es 1789 von Abraham Gottlob Werner, der es nach seinem Hauptbestandteil Bor benannte.[4]

Weitere von verschiedenen Forschern verwendete Synonyme sind unter anderem kalkartiger Borax, Boraxspath, Würfelstein (um Lüneburg), kalkartiger Quarz, Sedativspath (nach H. Westrumb)[10] und Staßfurtit.[9]

Da der Boracit bereits lange vor der Gründung der International Mineralogical Association (IMA) bekannt und als eigenständige Mineralart anerkannt war, wurde dies von ihrer Commission on New Minerals, Nomenclature and Classification (CNMNC) übernommen und bezeichnet den Boracit als sogenanntes „grandfathered“ (G) Mineral.[2] Die seit 2021 ebenfalls von der IMA/CNMNC anerkannte Kurzbezeichnung (auch Mineral-Symbol) von Boracit lautet „Boc“.[1]

Klassifikation

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In der veralteten, aber teilweise noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Boracit noch zur gemeinsamen Mineralklasse der „Carbonate, Nitrate und Borate“ und dort zur Abteilung der „Gerüstborate“, wo er als Namensgeber die „Boracit-Gruppe“ mit der System-Nr. V/L.04 und den weiteren Mitgliedern Chambersit, Congolith, Ericait und Trembathit bildete.

Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) verwendete 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Boracit in die nun eigenständige Klasse der „Borate“ und dort in die Abteilung der „Heptaborate und andere Megaborate“ ein. Diese ist zudem weiter unterteilt nach der Art der Kristallstruktur, so dass das Mineral entsprechend seinem Aufbau in der Unterabteilung „Gerüst-Heptaborate (.05); Schicht-Nanoborate (.10 bis .20); Gerüst-Dodekaborate (.25); Mega-Gerüst-Borate (.30 bis .35)“ zu finden ist, wo es ebenfalls als Namensgeber die „Boracitgruppe“ mit der System-Nr. 6.GA.05 und den weiteren Mitgliedern Chambersit, Ericait und Hochboracit bildet.

Die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Boracit wie die veraltete Strunz’sche Systematik in die gemeinsame Klasse der „Carbonate, Nitrate und Borate“, dort allerdings in die Abteilung der „Wasserfreien Borate mit Hydroxyl oder Halogen“ ein. Hier ist er als Namensgeber der „Boracitgruppe (Orthorhombisch: Pca21)“ mit der System-Nr. 25.06.01 und den weiteren Mitgliedern Chambersit und Ericait innerhalb der Unterabteilung „Wasserfreie Borate mit Hydroxyl oder Halogen“ zu finden.

Kristallstruktur

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Kristallographische Daten[4]
Kristallsystem orthorhombisch
Raumgruppe Pca21 (Nr. 29)Vorlage:Raumgruppe/29
Gitterparameter
(Elementarzelle)
a = 8,55 Å; b = 8,55 Å
c = 12,09 Å
Zahl (Z) der
Formeleinheiten
Z = 4

Boracit kristallisiert zunächst im kubischen Kristallsystem in der Raumgruppe F43c (Raumgruppen-Nr. 219)Vorlage:Raumgruppe/219 mit dem Gitterparameter a = 12,10 Å sowie 8 Formeleinheiten pro Elementarzelle. Bei der Übergangstemperatur von 268 °C klappt das Kristallgitter um in die orthorhombisch-pyramidale Kristallklasse der Pca21 (Nr. 29)Vorlage:Raumgruppe/29 mit den Gitterparametern a = 8,55 Å, b = 8,55 Å und c = 12,09 Å sowie 4 Formeleinheiten pro Elementarzelle. Dieser besondere Vorgang des Strukturwechsels im selben Aggregatzustand wird auch Polymorphie genannt.

Diese Eigenschaft von Boracit ist auch der Grund dafür, dass oft Paramorphosen von Boracit nach kubischen Formen gefunden werden.[11]

Eigenschaften

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Physikalische und Chemische Eigenschaften

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Vollkommener, dodekaedrischer Boracit-Kristall aus der Typlokalität Lüneburger Kalkberg von blaugrüner Farbe (Größe: 1,2 × 1,1 × 0,9 cm)

Die Tieftemperaturform von Boracit ist stark pyroelektrisch und bildet auf den Oktaederflächen (111) den antilogen (negativen) und auf den Gegen-Oktaederflächen (111) den analogen (positiven) Pol aus.

Des Weiteren ist Boracit vor dem Lötrohr nur schwer schmelzbar und färbt die äußere Flamme grün. In Salzsäure ist er schwer, aber vollständig löslich,[11] in Wasser löst er sich gleichfalls nur sehr langsam.[6]

Optische Eigenschaften

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Boracit-Einkristall im Durch- und Auflicht

Auch wenn Boracit durch Fremdbeimengungen farbig ist, erscheint er im Durchlicht farblos.

Modifikationen und Varietäten

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Die Verbindung α-(Mg,Fe)3[Cl|B7O13] ist dimorph und kommt in der Natur neben dem orthorhombischen Boracit noch als trigonal kristallisierrnder Trembathit vor.

Huyssenit ist eine eisenhaltige Varietät des Boracit. Als Eisenboracit wird dagegen eine Boracit-Varietät mit einem Stoffmengenanteil von bis zu 36 % Wüstit (FeO) bezeichnet.[12]

Eine trübe Ausbildungsvariante des Boracit ist unter dem Namen Parasit bekannt.[12]

Bildung und Fundorte

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Boracit und Pyrit im Muttergestein aus der Typlokalität Lüneburger Kalkberg (Größe: 3,0 cm × 2,3 cm × 1,2 cm)
 
Hilgardit (rot) auf kugeligem Boracit aus der Boulby Mine, Loftus, North Yorkshire, England (Gesamtgröße der Probe: 5,5 cm × 4,5 cm × 3,4 cm)

Boracit bildet sich durch Sedimentation oder Metamorphose in Evaporit-Lagerstätten. Begleitminerale sind unter anderem Anhydrit, Carnallit, Gips, Halit, Hilgardit, Kainit und Sylvin. Sehr häufig findet er sich in kleinen, ein- oder aufgewachsenen Kristallen und in Drusen. Durch Zersetzung verwandeln sich die Boracitkristalle ohne ihre äußere Form einzubüßen in Aggregate von faserigen Individuen, die einige Prozente Wasser enthalten und ein neues Mineral, Parisit, darstellen.

Als seltene Mineralbildung konnte Boracit nur an wenigen Orten nachgewiesen werden, wobei bisher (Stand: 2016) rund 60 Fundorte[13] als bekannt gelten. Neben seiner Typlokalität Lüneburger Kalkberg fand sich das Mineral in Deutschland noch an mehreren Orten in Niedersachsen (Celle, Elze, Göttingen, Hannover, Helmstedt, Hildesheim, Lüneburg), Sachsen-Anhalt (Börde, Staßfurt) und Thüringen (Bleicherode, Sondershausen, Bad Salzungen) sowie am Segeberger Kalkberg in Schleswig-Holstein.

Erwähnenswert aufgrund außergewöhnlicher Boracitfunde sind unter anderem die Provinz Chapare und Cochabamba in Bolivien, wo bis zu 1,5 cm große Kristalle gefunden wurden.[14]

Weitere Fundorte sind unter anderem Tasmanien in Australien; Jiangcheng (Pu’er) in China; Cleveland und North Yorkshire in England (Großbritannien); Lothringen in Frankreich; New Brunswick in Kanada; Kasachstan; Muzo in Kolumbien; Boyacá in Kolumbien; Inowrocław, Lubin und Kłodawa in Polen; Oblast Irkutsk in Russland; sowie Clarke County (Alabama), San Bernardino County und mehrere Orte im Bundesstaat Louisiana in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA).[15]

Verwendung

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Boracit hat außer als Mineralprobe für Museen und Sammler keine weitere Bedeutung. Mitunter werden gut ausgebildete und klare Stücke von Hobbyschleifern zu facettierten Schmucksteinen verschliffen und zum Tausch und/oder Kauf angeboten.[16]

Siehe auch

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Literatur

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Commons: Boracite – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. a b Laurence N. Warr: IMA–CNMNC approved mineral symbols. In: Mineralogical Magazine. Band 85, 2021, S. 291–320, doi:10.1180/mgm.2021.43 (englisch, cambridge.org [PDF; 351 kB; abgerufen am 23. November 2024]).
  2. a b Malcolm Back, Cristian Biagioni, William D. Birch, Michel Blondieau, Hans-Peter Boja und andere: The New IMA List of Minerals – A Work in Progress – Updated: November 2024. (PDF; 3,1 MB) In: cnmnc.units.it. IMA/CNMNC, Marco Pasero, November 2024, abgerufen am 23. November 2024 (englisch).
  3. a b c Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
  4. a b c d Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 358 (englisch).
  5. David Barthelmy: Boracite Mineral Data. In: webmineral.com. Abgerufen am 23. November 2024 (englisch).
  6. a b c d e f g h Boracite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (englisch, handbookofmineralogy.org [PDF; 52 kB; abgerufen am 23. November 2024]).
  7. a b c d e Boracite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 23. November 2024 (englisch).
  8. Sonderausstellung „unter/übertage - Salzmineralien aus aller Welt“. Deutsches Salzmuseum, 1994, abgerufen am 23. November 2024.
  9. a b Helmut Schröcke, Karl-Ludwig Weiner: Mineralogie. Ein Lehrbuch auf systematischer Grundlage. de Gruyter, Berlin; New York 1981, ISBN 3-11-006823-0, S. 561–562.
  10. Boracit in Oeconomische Naturgeschichte für den deutschen Landmann und die Jugend in den mittleren Schulen, Band 5 in der Google-Buchsuche
  11. a b Friedrich Klockmann: Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie. Hrsg.: Paul Ramdohr, Hugo Strunz. 16. Auflage. Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-82986-8, S. 593 (Erstausgabe: 1891).
  12. a b Alte Mineralnamen und Synonyme (PDF; 2,65 MB) Datenbankensammlung von Indra Günther
  13. Localities for Boracite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 23. November 2024 (englisch).
  14. Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien-Enzyklopädie (= Dörfler Natur). Edition Dörfler im Nebel-Verlag, Eggolsheim 2002, ISBN 978-3-89555-076-8, S. 135.
  15. Fundortliste für Boracit beim Mineralienatlas (deutsch) und bei Mindat (englisch), abgerufen am 23. November 2024.
  16. Walter Schumann: Edelsteine und Schmucksteine. Alle Arten und Varietäten. 1900 Einzelstücke. 16., überarbeitete Auflage. BLV Verlag, München 2014, ISBN 978-3-8354-1171-5, S. 230.