Borna-Krankheit
Die Borna-Krankheit oder Ansteckende Gehirn- und Rückenmarksentzündung der Einhufer ist eine virale Infektionskrankheit, die das Gehirn und das Rückenmark von vor allem Pferden und Schafen befällt und durch das Borna disease virus 1 (BoDV-1; Spezies Orthobornavirus bornaense) aus der Familie der Bornaviridae verursacht wird. Das Virus ist in bislang seltenen Fällen auch auf den Menschen übertragbar und löst schwere Gehirnentzündungen (Enzephalitiden) mit meist tödlichem Verlauf aus.[1][2]
Übertragungswege und Verbreitung
BearbeitenDie Feldspitzmaus ist der bisher einzige bekannte Reservoirwirt des BoDV-1. Infizierte Tiere scheiden das Virus über Kot, Urin, Speichel und die Haut aus, wodurch es nicht nur auf weitere Artgenossen, sondern auch auf andere Säuger wie Pferde, Schafe, Alpakas und Menschen übertragen werden kann. Über die genauen Übertragungswege ist bisher nur wenig bekannt. Sowohl der direkte Kontakt mit einer infizierten Spitzmaus als auch der mit ihren Ausscheidungen gelten als mögliche Infektionsquellen. Ähnlich wie weitere Mitglieder der Familie Bornaviridae wird auch BoDV-1 vermutlich nur sehr ineffizient übertragen, so dass Infektionen bei Mensch und Tier selbst in Risikogebieten selten sind.[3][4]
Im Gegensatz zur Feldspitzmaus scheiden infizierte Nicht-Reservoirwirte (Pferd, Schaf, Alpaka, Mensch etc.) das Virus nach heutigem Kenntnisstand nicht auf natürliche Weise aus. Aufgrund der fehlenden Anpassung an diese Wirtsspezies bleibt das BoDV-1 fast ausschließlich auf das zentrale Nervensystem beschränkt, was eine Sackgasse für das Virus darstellt.[3] Der einzige bestätigte Fall einer Mensch-zu-Mensch-Transmission des BoDV-1 ist der einer Übertragung durch Organtransplantation von einem infizierten Spender auf drei Organempfänger.[5]
Da Haustiere und Menschen nicht zu seiner Verbreitung beitragen können, ist das BoDV-1 auf seinen Reservoirwirt angewiesen, der eine sehr territoriale und wenig mobile Lebensweise besitzt. Das Verbreitungsgebiet des Virus ist aufgrund dessen sehr begrenzt. Nach heutigem Kenntnisstand beschränkt es sich im Wesentlichen auf die östliche Hälfte Süddeutschlands (große Teile Bayerns sowie Teile von Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg) und kleinere Vorkommen in der Schweiz (Graubünden und St. Gallen), Liechtenstein und Österreich (Vorarlberg und Oberösterreich). Vereinzelte Infektionsfälle bei Tieren außerhalb dieser bekannten Endemiegebiete sind vermutlich auf Ansteckungen während vorheriger Aufenthalte in den Endemiegebieten zurückzuführen.[3][6][7]
Borna-Krankheit bei Tieren
BearbeitenSymptome
BearbeitenBornaviren befallen im Gehirn vor allem das limbische System, das die Gefühle und das Verhalten steuert. Es wird vermutet, dass das Virus mit dem Botenstoff Glutamat um die Andockstellen an den Nervenzellen konkurriert, dass es sich also um eine kompetitive Hemmung handelt. Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) vermehrt sich das Virus beim Tier im Althirn (limbisches System). Das Virus der Bornaschen Krankheit stört vermutlich das chemische Gleichgewicht der Hirnbotenstoffe.
Das Symptomspektrum ist facettenreich und schließt vielfältige Störungen in Verhalten, Bewegung, Nahrungsaufnahme und Leistungsniveau mit ein.
Klinische Symptome sind Verhaltensänderungen, Bewegungsstörungen und eine Beeinträchtigung der Sensibilität und des Sensoriums wie: Absondern von der Herde, Depression, Leerkauen, gesenkte Kopfhaltung, Zähne knirschen, z. T. gesteigerter Bewegungsdrang, z. T. Aggressivität gegen andere, z. T. große Schreckhaftigkeit, herabgesetzte Teilnahme an der Umgebung, Spasmen und Speicheln. Im Endstadium Festliegen mit Ruderbewegungen, Fieberschübe.
Die natürliche Infektion erfolgt vermutlich über die Schleimhaut der oberen Luftwege, den Rachen oder die Riechschleimhaut.
Geschichte
BearbeitenDie Hitzige Kopfkrankheit der Pferde, die durch das Virus der Bornaschen Krankheit ausgelöst wird, wurde erstmals 1813 beschrieben. Ihren Namen erhielt sie, als 1894 ein ganzer Stall voller Kavalleriepferde in der Stadt Borna erkrankte. Die Leipziger Tierpathologen Ernst Joest und Kurt Degen entdeckten 1909 die Joest-Degen-Kerneinschlusskörperchen, welche auch heute noch zum Nachweis der Borna-Krankheit dienen. Der Frohburger Tierarzt Ernst Julius Vesper (1866–1956), ein Großvater des Schriftstellers Guntram Vesper, legte 1924 in seiner Dissertation eine ausführliche Beschreibung der Erkrankung vor.[8] 1935 wurde der Erreger als Virus identifiziert.[9]
Tierseuchenbekämpfung/Meldepflicht
BearbeitenIn Deutschland ist der direkte Nachweis einer BoDV-1-Infektion bei Säugetieren seit April 2020 wieder meldepflichtig (§ 1 in Verbindung mit der Anlage der Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten und der Falldefinition).[10][11][12] Die Meldepflicht in Deutschland war zwischen Februar 2011 und März 2020 aufgehoben.[13][14][15]
In Österreich sind „alle Formen der Pferdeencephalomyelitis“ (§ 16 Nr. 23 Tierseuchengesetz)[16] anzeigepflichtig, mithin auch die „Bornasche Krankheit“[17]. In der Schweiz wird die Borna-Krankheit nur über ein freiwilliges Meldesystem von Pferdekrankheiten durch Tierärzte erfasst.
Enzephalitis bei Menschen
BearbeitenIm Jahr 2018 wurden BoDV-1-Infektionen erstmals auch beim Menschen nachgewiesen.[18][19] Drei Infizierte steckten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer Organtransplantation vom selben Spender an, zwei davon verstarben im weiteren Verlauf an einer Hirnentzündung.[18][19][20] Eine BoDV-1-Infektion durch eine Organtransplantation scheint jedoch eine sehr seltene Ausnahme darzustellen. Bei allen anderen seither identifizierten Fällen erfolgte die Infektion nicht im Zusammenhang mit einer Organtransplantation. Inzwischen wurden 24 bestätigte Fälle von BoDV-1-Infektionen bei Menschen aus den Jahren 1996 bis 2021 in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert. Die Zahl der insgesamt bisher diagnostizierten Fälle liegt deutschlandweit bei mehr als 40. Fast alle dieser Patienten starben. Alle Fälle traten in bekannten Verbreitungsgebieten des Virus auf; die meisten in Bayern, einzelne jedoch auch in Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt.[21][22][23][24][25][20][26][27][28][29][30] Laut Bayerischem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit erkrankten 2021 deutschlandweit sieben Menschen, davon fünf aus Bayern.[31] Der Fall eines siebenjährigen Jungen aus Maitenbeth im bayrischen Landkreis Mühldorf am Inn, der Anfang August 2022 an einer BoDV-1-Infektion starb, erregte internationales Aufsehen, nachdem ein drei Jahre zuvor in demselben Ort verstorbenes Kind ebenfalls Opfer einer BoDV-1-Infektion geworden war.[32] Im August 2022 verstarb eine Frau aus dem Landkreis Rottal-Inn an dem Virus. Dies ist der zweite Fall, da bereits 2016 eine andere Frau aus demselben Landkreis an der Infektion erlegen war.[33] Im November 2023 wurde ein Fall im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen gemeldet, der ebenfalls tödlich verlaufen ist.[34][35]
Früher vermuteten einige Mediziner auch eine Beteiligung des Virus an psychiatrischen Erkrankungen des Menschen, vor allem im Zusammenhang mit der bipolaren Störung und der Schizophrenie.[36] Diese beruhten vor allem auf dem vermeintlichen Nachweis von gegen Bornaviren gerichteten Antikörpern, Bornavirus-Antigen oder BoDV-1-spezifischer RNA im Blut der Patienten. Ein Beweis für die Korrektheit dieser Ergebnisse konnte jedoch nicht erbracht werden. Eine unabhängige Bestätigung durch andere Arbeitsgruppen gelang nicht und insbesondere die Nachweise von RNA durch Polymerase-Ketten-Reaktionen (PCR) konnten als Laborkontaminationen identifiziert werden.[37][38][39][40][41][3][42] Nach Einschätzung der Gesellschaft für Virologie aus dem Jahr 2008 zur damaligen Datenlage beruhte „die Behauptung, dass BDV ein humanpathogenes Agens ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einer Fehleinschätzung von Daten und ist durch wissenschaftliche Experimente nicht belegt“.[43][44]
Literatur
Bearbeiten- Dennis Rubbenstroth: Familie Bornaviridae. In: Hans-Joachim Selbitz, Uwe Truyen, Peter Valentin-Weigand: Tiermedizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre. 11. Auflage, Thieme, Stuttgart, 2023, S. 558–562. ISBN 978-3-13-244251-1
- Susanne Modrow, Dietrich Falke, Uwe Truyen, Hermann Schätzl: Molekulare Virologie. 3. Auflage, Spektrum, Heidelberg 2010, S. 18, 277–283. ISBN 978-3-8274-1833-3
- Katrin Breitenborn: Bornavirus – Kontroverse um Humanpathogenität. In: Deutsches Ärzteblatt. Nr. 104, 2007, S. 1365–1368 aerzteblatt.de (PDF; 187 kB).
Weblinks
Bearbeiten- Tierseuchengeschehen Bornaviren fli.de
- ZooBoFo – Zoonotic Bornavirus Focalpoint Bavaria lgl.bayern.de
- Merkblatt: Informationen zur Vermeidung von Infektionen mit dem Borna Disease Virus 1 rki.de
- Erregersteckbrief Borna disease virus 1 (BoDV-1) zoonosen.net
- Selten, aber tödlich: Bornavirus-Enzephalitis bayerisches-aerzteblatt.de
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Robert Koch-Institut - Merkblatt: Informationen zur Vermeidung von Infektionen mit dem Borna Disease Virus 1. Auf: rki.de; abgerufen am 5. Dezember 2020.
- ↑ Bundesministerium für Bildung und Forschung: Infektionsforschung - Feldspitzmäuse können tödliches Bornavirus übertragen. Auf: bmbf.de vom 8. Januar 2020, zuletzt abgerufen am 5. Dezember 2020.
- ↑ a b c d Dennis Rubbenstroth, Kore Schlottau, Martin Schwemmle, Jürgen Rissland, Martin Beer: Human bornavirus research: Back on track! In: PLOS Pathogens. Band 15, Nr. 8, 8. Januar 2019, ISSN 1553-7374, S. e1007873, doi:10.1371/journal.ppat.1007873, PMID 31369648, PMC 6675037 (freier Volltext) – (plos.org [abgerufen am 6. August 2022]).
- ↑ Daniel Nobach, Manon Bourg, Sibylle Herzog, Hildburg Lange-Herbst, Jorge A. Encarnação: Shedding of Infectious Borna Disease Virus-1 in Living Bicolored White-Toothed Shrews. In: PLOS ONE. Band 10, Nr. 8, 27. August 2015, ISSN 1932-6203, S. e0137018, doi:10.1371/journal.pone.0137018, PMID 26313904, PMC 4552160 (freier Volltext) – (plos.org [abgerufen am 6. August 2022]).
- ↑ Kore Schlottau, Leonie Forth, Klemens Angstwurm, Dirk Höper, Daniel Zecher: Fatal Encephalitic Borna Disease Virus 1 in Solid-Organ Transplant Recipients. In: New England Journal of Medicine. Band 379, Nr. 14, 4. Oktober 2018, ISSN 0028-4793, S. 1377–1379, doi:10.1056/NEJMc1803115 (nejm.org [abgerufen am 9. Juni 2022]).
- ↑ Hans Helmut Niller, Klemens Angstwurm, Dennis Rubbenstroth, Kore Schlottau, Arnt Ebinger, Sebastian Giese u. a.: Zoonotic spillover infections with Borna disease virus 1 leading to fatal human encephalitis, 1999–2019: an epidemiological investigation. In: The Lancet Infectious Diseases. Band 20, Nr. 4, 1. April 2020, S. 467–477, doi:10.1016/S1473-3099(19)30546-8.
- ↑ Vanessa Schulze, Reinhard Große, Jenny Fürstenau, Leonie F. Forth, Arnt Ebinger: Borna disease outbreak with high mortality in an alpaca herd in a previously unreported endemic area in Germany. In: Transboundary and Emerging Diseases. 17. April 2020, ISSN 1865-1674, S. tbed.13556, doi:10.1111/tbed.13556 (wiley.com [abgerufen am 6. August 2022]).
- ↑ Vesper, Guntram. In: Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche Who’s who. 24. Ausgabe. Schmidt-Römhild, Lübeck 1985, ISBN 3-7950-2005-0, S. 1278.
- ↑ Susanne Modrow, Dietrich Falke, Hermann Schätzl, Uwe Truyen: Molekulare Virologie. 3. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-8274-1833-3, S. 281f.
- ↑ Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten (TKrMeldpflV 1983) – Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Februar 2011 (BGBl. I S. 252), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 8. Juli 2020 (BGBl. I S. 1604) geändert worden ist.
- ↑ Artikel 5 der Verordnung vom 31. März 2020 (BGBl. I S. 752, 760)
- ↑ Bornavirus-Infektionen der Säugetiere (Erreger: Bornaviridae). In: Amtliche Methodensammlung und Falldefinitionen : Meldepflichtige Tierkrankheiten. 16. August 2022 (openagrar.de [abgerufen am 4. November 2024]).
- ↑ Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten vom 11. Februar 2011 (BGBl. I S. 251)
- ↑ Neufassung der Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten vom 20. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3516), spätere Änderungen sind nicht erfasst
- ↑ NRL für Bornaviren: Friedrich-Loeffler-Institut. Abgerufen am 15. April 2021.
- ↑ § 16 TSG Anzeigepflichtige Seuchen. TSG - Tierseuchengesetz. In: jusline.at. Abgerufen am 3. Juni 2021.
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- ↑ a b Drei Todesfälle in Deutschland: Bornavirus für Menschen doch gefährlich. In: FOCUS Online. Abgerufen am 27. März 2018.
- ↑ a b Humane Infektionen mit dem Borna Disease Virus (BoDV-1). In: Epidemiologisches Bulletin. Nr. 10. Robert Koch-Institut, 8. März 2018 (rki.de [PDF; abgerufen am 27. März 2018]).
- ↑ a b Kore Schlottau, Leonie Forth, Klemens Angstwurm, Dirk Höper, Daniel Zecher: Fatal Encephalitic Borna Disease Virus 1 in Solid-Organ Transplant Recipients. In: New England Journal of Medicine. Band 379, Nr. 14, 4. Oktober 2018, ISSN 0028-4793, S. 1377–1379, doi:10.1056/NEJMc1803115 (nejm.org [abgerufen am 9. Juni 2022]).
- ↑ Hans Helmut Niller, Klemens Angstwurm, Dennis Rubbenstroth, Kore Schlottau, Arnt Ebinger, Sebastian Giese u. a.: Zoonotic spillover infections with Borna disease virus 1 leading to fatal human encephalitis, 1999–2019: an epidemiological investigation. In: The Lancet Infectious Diseases. Band 20, Nr. 4, 1. April 2020, S. 467–477, doi:10.1016/S1473-3099(19)30546-8.
- ↑ Christina Frank, Jonathan Wickel, Dirk Brämer, Jakob Matschke, Richard Ibe: Human Borna disease virus 1 (BoDV-1) encephalitis cases in the north and east of Germany. In: Emerging Microbes & Infections. Band 11, Nr. 1, 21. Dezember 2021, ISSN 2222-1751, S. 6–13, doi:10.1080/22221751.2021.2007737, PMID 34783638, PMC 8725967 (freier Volltext) – (englisch).
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- ↑ Stellungnahme des Robert Koch-Instituts zur Einstellung der Bornavirus-Forschung im Robert Koch-Institut, 2007.