Unter dem Namen Characterie[1] („Zeichenkunst“) veröffentlichte der Engländer Timothy Bright 1588 das erste echte Stenografie-System der Neuzeit und das erste für die englische Sprache.[2]

Hintergrund

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Mit dem endgültigen Verschwinden der altrömischen Tironischen Noten aus den europäischen Klöstern im 11. Jahrhundert gab es für fünf Jahrhunderte keine richtige Kurzschrift mehr im christlichen Europa. Man behalf sich in dieser Zeit mit Abkürzungen der Langschrift.[3] Zudem waren Geheimschriften in Gebrauch, die aufgrund ihrer meist kürzeren Zeichen auch zum Schnellschreiben empfohlen wurden.[4]

Im 16. Jahrhundert erlebte England unter Königin Elisabeth I. einen politischen und kulturellen Aufschwung. Die Regeln der englische Schriftsprache waren in einer Grammatik formuliert und es gab eine einheitliche Rechtschreibung. Dies bereitete den Boden für die Entstehung einer Kurzschrift. Bright wurde zu seiner Schrift durch die Tironischen Noten sowie durch die mittelalterlichen Geheimschriften angeregt.[2] Auch seine Schrift empfahl Bright nicht nur als Kurzschrift, sondern auch als Geheimschrift.[4]

 
Eine Seite aus der Handschrift The Divine Prophecies of the Ten Sibyls („Die göttlichen Prophezeiungen der zehn Sibyllen“), von Jane Seager, 1589 in Characterie geschrieben

Bei der Characterie handelt es sich um eine Wortschrift, das heißt, die Zeichen stehen für einzelne Wörter. Als Ausgangsmaterial dient ein Alphabet aus 18 Zeichen, die aus am Kopf geformten einfachen Abstrichen bestehen:

 
a

 
b

 
c/k/q

 
d

 
e

 
f

 
g

 
h

 
i/j/y

 
l

 
m

 
n

 
o

 
p

 
r

 
s

 
t

 
u/v/w

Diese Basiszeichen stehen grundsätzlich für den Anfangsbuchstaben des zu schreibenden Wortes. Indem Bright die Alphabetzeichen zusätzlich am Fuß auf zwölf verschiedene Arten formte und die Striche in vier verschiedenen Lagen (neben senkrecht noch waagerecht und in den beiden Diagonalen) benutzte, schuf er auf diese Weise aus jedem Alphabetzeichen Dutzende von Ableitungen, die jeweils für bestimmte Wörter standen. Die folgenden Zeichen für Wörter, die mit dem Buchstaben A beginnen, zeigen die zwölf möglichen Formen des Zeichenfußes:

 
 abound 

 
 about 

 
 accept 

 
 accuse 

 
 advance 

 
 air 

 
 again 

 
 age 

 
 all 

 
 almost 

 
 also 

 
 although 

Dieselben Formen, aber um 90 Grad nach links gedreht, stehen für zwölf weitere Wörter:

 
 alter 

 
 am 

 
 ammend 

 
 anger 

 
 anoint 

 
 apparel 

 
 appertain 

 
 appoint 

 
 arm 

 
 art 

 
 ass 

 
 at 

Insgesamt hat Bright 538 auf diese Weise gebildeten Zeichen eine Wortbedeutung zugeordnet. Vom Mittel der Schrägstellung hat er viel weniger Gebrauch gemacht. Für Wörter mit dem Anfangsbuchstaben B sind es folgende:

 
 bone 

 
 book 

 
 borrow 

 
 both 

 
 bottom 

 
 bread 

 
 break 

 
 breed 

 
 breast 

 
 bright 

 
 brittle 

 
 brother 

 
 bruise 

 
 burn 

 
 busy 

 
 but 

Wörter, die in diesem Grundstock fehlen, konnten mit zwei Methoden dargestellt werden: Die erste Methode bestand darin, dass ein Zeichen für ein sinnverwandtes Wort geschrieben und das Zeichen für den Anfangsbuchstaben des neuen Wortes links daneben gesetzt wurde. So gab es zum Beispiel für apple (Apfel) kein eigenes Zeichen. Dieses Wort wurde also mit dem Zeichen für fruit (Frucht), das im Grundstock enthalten war und dem Zeichen für a geschrieben:

 
 fruit 
 (Frucht) 

  
 apple 
 (Apfel) 

Mit p als Unterscheidungsbuchstaben bedeutete das Schriftbild entsprechend pear (Birne) usw.

Weitere Beispiele:

 
 desire 
 (begehren) 

  
 wish 
 (wünschen) 

 
 beast 
 (Tier) 

  
 horse 
 (Pferd) 

Bei der zweiten Methode wurde ein Wort mit entgegengesetzter Bedeutung geschrieben und das Alphabetzeichen für den Anfangsbuchstaben des neuen Wortes wurde rechts daneben gesetzt. Aus dem Zeichen für good (gut) entstand mit dem Zeichen für e somit evil (schlecht):

 
 good 
 (gut) 

  
 evil 
 (schlecht) 

Weitere Beispiele:

 
 up 
 (hinauf) 

  
 down 
 (hinunter) 

 
 begin 
 (beginnen) 

  
 define 
 (beenden) 

 
 winter 
 (Winter) 

  
 summer 
 (Sommer) 

Das Finden geeigneter Wörter für diese Methoden konnte natürlich nicht erst im Moment des Schreibens erfolgen, sondern musste vorbereitet und eingeübt werden. Zu diesem Zweck lieferte Bright in seinem Lehrbuch eine lange Liste mit geeigneten Wortpaaren mit. Allerdings war dieses System nicht eindeutig und erlaubte oft nur eine ungefähre Wiedergabe. So konnte    (Das Zeichen für bird „Vogel“ mit links hinzugefügtem Zeichen für s) swan (Schwan), snipe (Schnepfe), sparrow (Spatz), stork (Storch), swallow (Schwalbe) usw. bedeuten.[5]

Für 32 häufige Wörter (vor allem Partikeln) und Phrasen hat Bright besondere Zeichen aufgestellt, die teilweise aus einer Vorstufe der Characterie stammen.[2] Die Schreibrichtung verlief von oben nach unten.[3]

Trotz ihres Schwierigkeitsgrades wurde die Characterie erfolgreich zum Nachschreiben von Predigten und Reden verwendet. Auch Theateraufführungen (zum Beispiel von Shakespeare-Dramen) wurden mit diesem System heimlich mitstenografiert, um die Stücke dann gegen den Willen der Verfasser zu veröffentlichen, die aufgrund eines fehlenden Urheberrechts selbst kein Interesse an einer Veröffentlichung hatten.[3]

Brights Schrift wurde ab 1602 vom System nach John Willis verdrängt, der seine Schrift als Buchstabenschrift konzipiert hatte.[6]

Literatur

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  • Johnen, Christian: Allgemeine Geschichte der Kurzschrift. 4. Auflage. H. Apitz, Verlagsbuchhandlung Kommanditgesellschaft. Berlin 1940.
  • Faulmann, Karl: Historische Grammatik der Stenographie. Verlag von A. Pichlers Witwe & Sohn. Wien 1887
  • Melin, Olof Werling: Stenografiens historia 1. Teil. Nordiska bokhandeln. Stockholm 1927
  • Mentz, Arthur / Haeger, Fritz: Geschichte der Kurzschrift. 3. Auflage. Heckners Verlag. Wolfenbüttel 1981
  • Moser, Franz / Erbach, Karl: Lebendige Kurzschriftgeschichte. 5. Auflage. Winklers Verlag. Darmstadt 1957
  • Friedrich, Paul: Studien zur englischen Stenographie im Zeitalter Shakespeares. Timothe Brights Characterie entwichlungsgeschichtlich und kritisch betrachtet. Leipzig 1914 (auf Archive.org)
  • Bright, Timothy: Characterie. Neudruck von 1888 (PDF-Datei; 3,47 MB)

Einzelnachweise

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  1. Vollständiger Titel: Characterie – An Arte of shorte, swifte, and secrete writing by Character („Die Kunst des kurzen, schnellen und geheimen Schreibens mittels Zeichen“)
  2. a b c Johnen, S. 36 ff.
  3. a b c Mentz/Haeger, S. 18 ff.
  4. a b Faulmann, S. 41
  5. Melin, S. 63
  6. Moser/Erbach, S. 34 f.
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  • Characterie. an arte of shorte, swifte, and secrete writing by character. London 1588 (Digitalisat).